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Feldmarschall Conrad an den Autor

Villach, 4. August 1918.

SEHR GEEHRTER HERR DOKTOR!

Verübeln Sie mir nicht, daß ich Ihnen heute erst für Ihre freundlichen Zeilen vom 17. Juli danke – aber es waren so bewegte Tage, daß ich erst jetzt die nötige Muße finde.

Ich bin durchaus nicht freiwillig gegangen, – sondern ich wurde einfach vom Kaiser enthoben und verabschiedet; das ›Wie‹ hoffe ich Ihnen ja einmal erzählen zu können. Die Stylisierung des Handschreibens entspricht lediglich der in solchen Fällen beliebten Form; – sie hat aber das Odium auf mich geladen, als ob ich in dieser ernsten Zeit die Flinte in's Korn geworfen hätte – was mir gar nicht einfiel. Am 16. Juli war das Parlament einberufen, man besorgte die Interpellationen wegen der Offensive, und dachte sich am einfachsten zu diskulpieren, wenn man einen Sündenbock hinwarf – man wählte hiezu mich und verband damit auch den Vortheil einer unbequemen und mißliebigen Persönlichkeit los zu werden. – Dies der Abschluß meiner 47-jährigen Dienstzeit.

Ich wäre Ihnen nur verbunden, wenn Sie den Leuten, die glauben, daß ich mein Commando abgelegt habe, sagen, daß dies durchaus nicht der Fall ist, – ich vielmehr enthoben wurde. Leider hat sich auch in die Presse die irrige Meinung eingeschlichen und Witzblätter zu sehr kränkenden Ungezogenheiten verleitet.

Allerdings bin ich darüber hinaus. Ich verlange Niemandes Dank auch soll Niemand glauben, daß mich äußerliche Auszeichnungen – obendrein solche, die meinem Wesen ganz widersprechen, – für eine moralische Vernichtung meines guten Namens zu entschädigen vermögen, eine solche Zumuthung ist geradezu beleidigend.

Ich habe 4 Monate Urlaub genommen und lebe mit meiner Frau in stiller Abgeschiedenheit hier in Villach (Hotel Mosser), sollten Sie uns einmal besuchen wollen, so würde uns dies sehr freuen; ich möchte Ihnen dann auch gerne Ihr Manuscript übergeben, das einiger Daten Berichtigungen bedurfte.

Wie geht es zu Hause? Hoffentlich gut!

Mit besten Grüßen
Ihr aufrichtig ergebener
Conrad

Villach, 4. September 1918.

HOCHGEEHRTER HERR DOKTOR!

Entschuldigen Sie, daß ich heute erst Ihr geschätztes Schreiben beantworte, – aber je weniger man zu thun hat zu desto weniger kommt man und ein ausgespannter Gaul entwöhnt sich auch des Ziehens. Gerne beantworte ich Ihre Fragen, soweit sie nicht dienstlich geheimer Natur sind.

Was den ›Politiker im Waffenrock‹ anlangt, so war und bin ich stets der Ansicht, daß ein Chef des Generalstabs, der die politischen Fragen von sich weist, entweder ein Dummkopf oder aber ein bequemer Herr ist, der sich diese odioseste Pflicht seiner Stellung vom Hals halten will; – das Erstere maße ich mir an, nicht zu sein, und das Letztere hätte ich als eine Pflichtvergessenheit betrachtet. – Ich habe daher bei meiner Ernennung zum Chef des Generalstabes vor Allem in loyalster Weise ein Schreiben an den damaligen Minister des Äußeren, Ährenthal, gerichtet, in welchem ich meine diesbezügliche Anschauung aussprach und auf den innigen Zusammenhang zwischen Politik und Kriegsvorbereitung, sowie Kriegführung – richtiger gesagt: auf deren gegenseitige Abhängigkeit hinwies – insbesondere in einem Staat, der bei komplicierter innerer Construktion und militärischer Schwäche auf ¾ seines Umfanges von Feinden umgeben ist – die seine Zerstörung als Programm haben, – – denn was die panslawistische, expansive Parthei in Rußland, was Serbien und Italien planen, darüber war ich im Klaren, und darüber was man von Rumänien eventuell erwarten kann auch. – Ein einfaches Rechenexempel über das Maß der militärischen Kräfte ergab, daß ein gleichzeitiger Krieg der Monarchie gegen diese Feinde, – die Monarchie in äußerste Gefahr bringen muß; – ein logischer Schluß legte es daher nahe mit denselben einzeln nacheinander abzurechnen, solange die Chancen relativ günstigere waren, als sie es bei Zuwarten werden mußten, umsomehr als bei der principiellen Vernachlässigung unserer militärischen Machtentwicklung das Verhältnis zu unseren Gegnern für uns immer ungünstiger zu werden drohte.

Im Sinne dieser Erkenntnis beantragte ich Winter 1906/7 den Krieg gegen das ganz unfertige, auch einer rationellen Grenzbefestigung entbehrende – dabei aber constant gegen uns hetzende Italien und wiederholte diesen Antrag anfangs September 1907 in einer Audienz bei S.M. in Klagenfurt, wo dieser anläßlich der Manöver weilte – während die Übungsleitung in St. Veit (nicht St. Ulrich) etabliert war. Mein Antrag stieß auf den constanten Widerstand Ährenthal's und auch des Kaisers. Bemerkt sei, daß ich gleich bei meinem Dienstantritt 1906 – das Dringendste vorkehren ließ, um für diesen Krieg bereit zu sein – – ich bin jetzt sicher, daß derselbe, dank der moralischen Qualitäten unserer jetzt unter viel schwereren Verhältnissen bewährten Truppen zu einem großen Erfolg und zu einer Consolidierung im Inneren geführt und uns nach Außen eine Position gegeben hätte, die vielleicht manches thatsächlich Gekommene verhindert hätte.

Als ich meine Ansicht abgewiesen sah, setzte ich nun Alles daran, um die militärischen Machtmittel der Monarchie zu erhöhen – in dieses Capitel fallen die personellen und materiellen (finanziellen) Anforderungen, die Reorganisation der Kriegsschule und des Generalstabes, die rationelle Gestaltung der instruktiven Arbeiten, der Generalsreisen, die ich, sowie die großen Generalstabsreisen persönlich auf Grund meiner eigenen Entwürfe leitete; endlich die möglichst kriegsmäßige, vor starken Anforderungen an Führern und Truppen nicht zurückschreckende Durchführung der Manöver, – sowie damit zusammenhängend die gefechtsmäßige Ausbildung der Infanterie, die ich schon als Bataillonscommandant in Wort, Schrift und That propagiert hatte.

Bei all dem stieß ich auf die vielseitigsten Widerstände und gehässigsten Anfeindungen, was mich aber nicht irre machte, sondern im Ankämpfen dagegen geradezu bestärkte, freilich auf Kosten von Ruhe, Wohlbefinden und Gesundheit. – Leider fand ich die größte Gegnerschaft beim damaligen Kriegsminister Schönaich, der meine Forderungen nicht nur nicht vertrat, sondern hinter meinem Rücken die Budgetfrage erledigte, – so daß ich erst durch seine Delegationsrede hievon Kenntnis erhielt, was mich veranlaßte bei S.M. in Budapest zu erbitten, daß ich meine Forderungen in der Delegation vertreten dürfe. Dies wurde mir nicht gewährt, – sondern nur meine Darlegung in einem engen Ministerrath zugestanden, – natürlich erfolglos. – Damals bat ich um meine Entlassung, welche aber von S.M. verweigert wurde.

So und ähnlich stand es in den meisten diesbezüglichen Fragen, – wobei ich wiederholt in die Lage kam Ährenthal zu sagen, daß er wohl in erster Linie berufen sei, meine Forderungen zu vertreten, da jede Politik die nicht auf militärischer Macht fußt, – auf Sand gebaut ist. – So spitzten sich die Gegensätze zwischen mir und Ährenthal immer mehr zu. Scharf kam das in der politischen Krisis zum Ausdruck. Darüber was uns von Serbien, dieser Vorhut der jetzigen Entente bevorstand, war ich nie im Zweifel, deshalb beantragte ich im Jahre 1909 als die Feindschaft Serbiens scharf zu Tage trat, – die Abrechnung mit diesem, damals militärisch derouten, aber politisch äußerst aggressiven Nachbar; – auch diese wäre zweifellos rasch zu unseren Gunsten ausgefallen ohne uns in einen Conflikt, resp. in einen Krieg gegen Rußland zu verwickeln, da dieses noch an den Folgen des Japanischen Krieges und der demselben folgenden Revolution krankte – jedenfalls nicht so bereit war wie 1914. – Als nun aber Serbien und Rußland damals (1909) einlenkten – feierte Ährenthal dies als großen ›diplomatischen Erfolg‹! – in gänzlicher Verkennung der großen bewegenden Kräfte im Leben der Völker, Staaten und Nationen. – Er blähte sich als großer Staatsmann; – bei mir aber stellte sich das Urtheil über ihn nun dahin fest, daß er ein ebenso eitler als geistig beschränkter Diplomat ältester Schule sei – der in gewissen diplomatischen Pfiffigkeiten das Um und Auf der Staatslenkung sah, – ohne Klarheit und Entschluß hinsichtlich großer, weiter Ziele.

Unser Verhältnis spitzte sich nun zum Äußersten zu, – als ich bei Bekämpfung der geradezu blinden Politik gegenüber Italien die Äußerung that, daß unser Botschafter in Rom die Interessen der Monarchie nicht vertrete. Die Folge war ein scharfer Notenwechsel zwischen mir und ihm, seine Beschwerde bei S.M. und meine Entlassung von der Stelle des Chefs des Generalstabes. – Ich wurde Armee-Inspector und war damit – Gottlob – auf das rein militärische Gebiet beschränkt. – In dieser Zeit geschah was ich voraus ahnte, – es brach der Balkan-Krieg aus, – während dessen ich keinen Einfluß auf die Geschehnisse zu nehmen in der Lage war.

Faksimile

Ich hatte Ährenthal gegenüber seinerzeit diese Eventualität hervorgehoben – worauf er erwiderte, die Monarchie würde in diesem Falle dem Kampf der Balkanstaaten zusehen und nach dessen Ausgang dann, politisch eingreifen, gestützt auf ihre militärische Macht, – also wieder ein gänzliches Verkennen der großen Verhältnisse und der Geister die man weckt, wenn man Andere ruhig gewähren läßt.

Der Balkan-Krieg, der Tod Ährenthal's, die Verschärfung der Lage führten zu meiner Wiederernennung zum Chef des Generalstabs was speziell Erzherzog Franz-Ferdinand forderte; – ich mußte mich damals (im Gegensatz zu meiner ersten Berufung 1906) dieser Forderung fügen, damit es nicht so aussähe, als ob ich der Verantwortung für die von mir geschaffenen Kriegsvorbereitungsarbeiten aus dem Wege gehen wollte. – Schon vor meiner Wiederernennung war ich mit der militärisch-politischen Mission nach Bukarest betraut – wo damals noch die uns zuneigende bündnistreue Richtung vorwaltete. –

In das Jahr 1913 fallen persönliche Differenzen zwischen mir und Erzherzog Franz Ferdinand, die sich anläßlich der Chotowiner Manöver ergaben und mich veranlaßten im Wege des Erzherzogs, meines damaligen unmittelbaren Vorgesetzten – meine Versetzung in den Ruhestand zu erbitten. Nach fünf Tagen erhielt ich, nachdem der Erzherzog mittlerweile mit einem präsumtiven Nachfolger verhandelt hatte, – einen langen Brief des Erzherzogs Franz Ferdinand in welchem er mein Verbleiben als Chef des Generalstabs verlangte.

Während der Gedenkfeier 1913 in Leipzig kam es zwischen mir und ihm, aus geringfügiger Ursache zu einem Conflikt, – der das Verhältnis wieder trübte, den ich aber auf eine krankhafte Disposition des Erzherzogs zurückführte. – Im Winter 1913/14 hatte ich eine große Generalsbesprechung abzuhalten, welcher der Erzherzog beiwohnte. In der Folge lud mich der Erzherzog ein ihn bei den ominösen Manövern in Bosnien zu begleiten; während dieser war er gegen mich von ausgesprochener Herzlichkeit als ob noch ein ausgleichender, verklärender Ton nach seinem Scheiden zurückbleiben sollte. – Am letzten Manövertag meldete ich mich bei ihm in Ilidže ab, da ich zur Leitung der Generalsreise nach Karlsstadt zu fahren hatte. – Tags darauf erhielt ich in Agram die erste, in Karlsstadt die zweite, Alles bestätigende Nachricht von der Ermordung des erzherzoglichen Paares.! – Es war mir sofort klar, daß dies der entscheidende Tropfen in das bis nahezu volle Wasserglas ist, – und Letzteres zum Überfließen bringen müsse; – der ganze Ernst der von mir schon lange geahnten, erkannten und befürchteten Lage stand vor mir. – Ich telegraphierte an die Militärkanzlei den Antrag auf Unterlassung der Generalsreise, – da ich voraussah, das jetzt Aktuelleres, Dringenderes zu thun sein werde. Der Antrag wurde genehmigt, ich kehrte umgehend nach Wien zurück. –

Nunmehr entwickelte sich der Conflikt mit Serbien; über Alles diesbezügliche läßt sich dermalen noch nicht an die Öffentlichkeit treten; ich kann nur Folgendes sagen: Ich hatte schon gleich nach meiner Ernennung zum Chef des Generalstabs im Sinne meiner Anschauungen über die Grundlagen einer realen Politik, – dem Minister des Äußeren alljährlich Zusammenstellungen über die eigenen und über alle übrigen militärischen Machtmittel unter ziffermäßiger Angabe der letzteren gesendet – welche Zusammenstellung klar ersehen ließ mit welchen Chancen man seinen Feinden gegenüberstehen würde; – daraus ergab sich deutlich daß wir einem Krieg nach drei Fronten nicht gewachsen waren, – – auf diese Zusammenstellungen verwies ich auch im Sommer 1914 wieder; – die Frage, ob sich die relativen Machtverhältnisse, durch die Entwicklung unserer Wehrmacht bessern würden, mußte ich leider mit ›nein‹ beantworten, – da ich wußte, was unsere Gegner in dieser Hinsicht leisteten und was bei unserer knauserigen, kurzsichtigen, stets den ›Moloch‹ des Heeres-Budgets betonenden, kleinlichen Wirtschaft zu erwarten stand. – Wir wären im Jahre 1916 – wie sich jetzt herausstellte – unseren Feinden Rußland, Serbien, Italien, Rumänien, – auf Gnade und Ungnade ausgeliefert gewesen. – Wie es in dem Herzen eines Vaters aussah, der vier innigst geliebte, hoffnungsvolle Söhne hatte – die alle vor den Feind mußten – überlasse ich Ihnen; – zwei davon deckt jetzt der Rasen, die zwei verbliebenen stehen im Felde. Das mögen sich die Leute die sich erfrechen, unter schweren Pflichten und schwerster Verantwortung stehende Männer leichtsinnigen Eingehens auf einen Krieg zu beschuldigen vor Augen halten – was ich in dieser Hinsicht vor Kriegsausbruch durchmachte gehört zu dem Schwersten was meine Seele zu erleiden hatte – aber sie blieb stark – aus Pflichtgefühl, – sie blieb es auch als mir im September 1914 der Heldentod meines unsagbar geliebten Herbert gemeldet wurde, – – ich verschloß mein Leid in die stillen Stunden des dienstfreien Alleinseins – es waren meist die Nächte; soweit nicht auch diese den durch die schwere militärische Lage geschaffenen Sorgen gehörten.

Ich glaube, Ihnen im Vorstehenden einen kurzen Abriß, sozusagen ein Gerippe meiner wesentlichsten Thätigkeiten vor dem Kriege gegeben und hiemit Ihre Fragen beantwortet zu haben; – über mein Wirken vermögen im Detail nur die beim Generalstab erliegenden Akten Aufschluß zu geben, welche jetzt wohl noch meist geheimer Natur und mir überdies auch nicht mehr zugänglich sind. Außer fallweisen Denkschriften, legte ich eine solche alljährlich zu Jahresschluß Sr. Majestät vor, die ich fast ausnahmslos selbst verfaßte oder ausnahmsweise nach meinen Weisungen im Operationsbureau concipieren, beziehungsweise mit den erforderlichen ziffernmäßigen Daten ergänzen ließ – diese Denkschriften und die zahlreichen sonstigen Correspondenzen, Anträge, Memoire's etc., – daraus insbesondere auch der Verkehr mit dem deutschen Chef des Generalstabes von Moltke wären das Material für die aktenmäßige Darlegung meiner Amtswirksamkeit. – Ob es dazu kommen – ob sich ein Mensch finden wird, der sich loyal dieser Arbeit unterzieht – möchte ich bezweifeln; – die Menschen segeln immer mit dem neuen Wind, wollen nirgends Anstoß erregen und scheuen keine Kriecherei, wenn es ihren Vortheil gilt; – – ja sie unterbieten sich zu diesem Zweck sogar im Verunglimpfen abgethaner Persönlichkeiten, wenn sie wissen daß sie dadurch an hohen Stellen Wohlgefallen auslösen.

Meine Skepsis scheint also nicht unberechtigt, umsomehr wenn ich bedenke, daß man nach der Tolmeiner Offensive, – da sie von Erfolg war –, nichts davon verlauten ließ, daß sie im Wesentlichen auf jenen fixen Vereinbarungen fußte, welche noch zu meiner Zeit zwischen unserer und der deutschen obersten Heeresleitung bis in's Detail festgelegt waren – damals aber wegen der englisch-französischen Offensive aufgeschoben werden mußte, während man nach der letzten mißglückten Offensive gegen Italien sich nicht scheute, zur eignen Diskulpierung mich als ›Sündenbock‹ der Öffentlichkeit hinzuwerfen, – wobei ich aber sicher bin, daß man – wäre sie geglückt – die ganze Gloire für sich in Anspruch genommen und in die Welt posaunt hätte. Man hat mir also skrupellos meinen anständigen Leumund zerstört und glaubte dies durch Äußerlichkeiten wett zu machen, die nie das Ziel meines Wirkens waren. –

Von diesen Leuten habe ich daher in merito nichts mehr zu erwarten und da es nie meine Art war mich in Scene zu setzen, – so leicht mir dies in meiner früheren Stellung als Chef des Generalstabes möglich gewesen wäre – habe ich über meine 47-jährige Dienstzeit einen Strich gemacht und mich ganz in das Privatleben, engsten Kreises zurückgezogen. –

Im erneuerten Durchlesen Ihres werten Schreibens finde ich nun noch einige Fragen, die ich im Nachfolgenden beantworten will:

Als ich 1906 zum Chef des Generalstabes ernannt wurde, habe ich Ährenthal bereits als Minister des Äußeren vorgefunden, weiß also nicht, ob seine Ernennung ein Werk des Erzherzogs Franz Ferdinand war, doch glaube ich, daß das Verhältnis zwischen beiden anfänglich ein gutes war – der Gegensatz sich erst entwickelt und immer mehr verschärft hat, jedenfalls waren die Beziehungen zwischen Ballplatz und Belvedere zum Schlusse sehr gespannte; – der Mann, der über all dies den competentesten Aufschluß geben könnte – Oberst von Brosch, der Flügel-Adjutant und Chef der Militärkanzlei des Erzherzogs – lebt leider nicht mehr, er hat 1914 in Rußland als Kaiser-Jäger-Regiments-Commandant den Heldentod gefunden.

Nun zur Annexion Bosniens und Hercegovina's. – Diese war eine Nothwendigkeit in dem Moment, in welchem die Türkei ein verfassungsmäßiger, sich zur Regeneration ansetzender Staat wurde; – sie hatte aber nur dann einen Sinn, wenn sie nicht als Zweck an sich, – sondern als Schritt zur Lösung der serbischen Frage erfolgte. – Ährenthal hat sich aber mit der Annexion an sich begnügt, daraus einen großen Erfolg gemacht, das erbärmliche diplomatische Duell mit Iswolsky insceniert – aber nicht erkannt, daß er Öl in ein Feuer gegossen hatte, das zu löschen er unfähig war; – somit wieder das kleinliche Haschen nach diplomatischen Scheinerfolgen, bei völliger Blindheit gegen die großen bewegenden Kräfte und voller Verkennung der sich daraus ergebenden Unvermeidlichkeit kriegerischen Zusammenstoßes.

In der serbischen Krisis 1909 stand der Erzherzog anfangs auf meinem Standpunkt der sofortigen Abrechnung mit Serbien, zu dem ich auch Ährenthal (so schien es mir wenigstens) – gebracht hatte. –

Als jedoch Serbien und Rußland einlenkten, ließen mich Alle in meiner Ansicht allein, – trotzdem diese Abrechnung durchzuführen; – sie begnügten sich mit dem diplomatischen (!) Triumph (!). –

Über Goluchowski's Wirken in dieser Zeit bin ich nicht orientiert, – ich glaube jedoch, daß er, wenigstens seinerzeit, ein Vertreter des Bündnisses mit Italien war – also im scharfem Gegensatz zu meiner diesbezüglichen Auffassung stand.

Über die Wühlarbeit Peters von Serbien und seines skrupellosen Faktotums Pasiè, besteht wohl nirgends ein Zweifel.

Nun will ich diese lange Epistel schließen. Ich bedauere, daß auch Sie und Ihre werte Familie ein Opfer des zur Mode gewordenen ›Almabtriebes der Sommerfrischler‹ geworden sind – wir sind momentan von diesem neuesten Produkt der christlichen Nächstenliebe noch verschont und leben hier mit großen Kosten sehr bescheiden weiter, – – Ruhe, Abgeschlossenheit und Naturgenuß lassen mich über Letztere hinwegkommen, – sie mir wert erscheinen. –

Mit besten Empfehlungen und aufrichtigsten Grüßen
Ihr ergebenster
Conrad
Fm.

Triest, den 18.X. 1918

SEHR GEEHRTER HERR DOCTOR!

Seit langem wollte ich Ihnen schon schreiben, wußte aber nicht wohin; Ihre geschätzten Zeilen vom 12. d. M. – für die ich Ihnen bestens danke – verraten mir nun, daß Sie in Gastein sind und so richte ich meinen Brief dorthin. Ich freue mich, daß Sie sich dort wohl fühlen, es scheint also in diesem herrlichen Alpental nicht derart zu schütten, wie hier, wo mir bereits ein Drittheil des Aufenthaltes durch das elende Wetter verdorben ist. Trotzdem wollen wir noch weiter hier bleiben, mindestens bis 26. Oktober, wahrscheinlich auch noch darüber hinaus.

Ich verspüre ein gewisses inneres Sträuben gegen die Rückkehr nach Wien – die Aussicht dort nolens volens mit Leuten zusammen zukommen, die mich embetieren oder mir direkte widerlich sind, der Tratsch, die Stimmung, das alberne Geschwätz, mit dem so Viele diese größte historische Katastrophe auf das Naivste behandeln, die dummen Fragen, denen man ausgesetzt ist, – all dies hält mich von Wien fern; dazu soll das Wetter ebenso schlecht und die spanische Grippe ebenso verbreitet sein wie hier. – Das Einzige, was mich hinzieht, ist die Sorge für die mir theuren Gräber, aber mit den toten Lieben ist man überall in gleichem Verkehr.

Sie können sich denken, mit welcher Spannung ich die großen Geschehnisse verfolge und wie ich dabei Alles in den letzten Jahren Erlebte im Geiste an mir vorüberziehen lasse.

Jetzt am Schlusse des großen Drama's wiederholt sich dieselbe anwidernde Erscheinung wie in allen analogen Fällen, – die Leute sind nämlich auf einmal ungeheuer »gescheidt«, und der dümmste Kerl sagt Ihnen genau, wie Alles hätte besser gemacht werden sollen – er riskiert ja dabei kein Dementi durch die Ereignisse – er urtheilt ja im Nachhinein, kommt sich aber dabei ungeheuer erhaben vor und bricht über Männer den Stab, die unter den schwersten Verhältnissen mit ganzer Seelenstärke das Schicksal günstig zu wenden bemüht waren. Die beliebte Phrase: »Na, ich hab's ja immer g'sagt« – ist der gang und gäbe Refrain dabei.

Witzig sind die Leute die immer betonen: »Damals hätte man Frieden schließen sollen, das war der richtige Moment dazu …«; – dabei aber ganz vergessen, daß zum Frieden-Schließen Zwei gehören; – wenn der eine aber nicht will, dem Anderen nichts erübrigt, als den Kampf fortzusetzen und zwar mit ganzer Energie unter Einsatz aller Mittel der Gewalt. – Damit richtet sich auch die Weisheit der U-Boot-Gegner, ganz abgesehen davon, daß eine kindliche Naivität dazu gehört, zu glauben, daß Amerika justament nur wegen des U-Bootkrieges in den Kampf getreten ist; – diese Leute sollten zum Mindesten Homer Lea (der Angelsachsen Schicksalsstunde) lesen und sich die naheliegende Generalisierung auf Nordamerika vor Augen halten, um ihre Köpfe richtig zu orientieren. Ebenso kindisch erscheinen mir die Menschen, die geglaubt haben, wir würden große Eroberungen machen und dann mit dem Radetzkymarsch siegreich in Wien einziehen – von Weißkirchner mit schwungvoller Rede empfangen. Diese Leute sind blind dagegen, daß in diesem, von unseren Gegnern lange und planmäßig vorbereiteten Krieg das Ziel: die Zertrümmerung Österreich-Ungarns, vorwiegend durch Rußland und dessen Satelliten: Serbien, Montenegro, Rumänien und die Zertrümmerung Deutschlands durch England und dessen sonstige Verbündeten war, – und sich Italien in avitischer Raubgier dem gegen uns gerichteten Programm anschloß. – Erst das Maß, bis zu welchem die Entente diese auf Vernichtung gerichteten Ziele erreicht, wird bestimmen, in wie weit wir die Parthie verloren haben. – Bisher bleibt Thatsache, daß unsere Feinde weder nach Breslau und Berlin, noch nach Budapest und Wien, noch nach Triest, Laibach oder Bozen gekommen sind, daß der Großtheil unserer Reiche von direkter Feindesnoth bewahrt blieb, wir vielfach auf Feindesboden stehen, dessen Ressourcen ausnützten, daß Rußland, unser Hauptgegner zertrümmert ist, Serbien, Montenegro, Rumänien und Italien militärisch gezüchtigt wurden, – all dies gegen eine erdrückende Übermacht, die unseren gänzlichen Ruin im Auge hatte. – Diese Reflexion muß man anstellen, um zu begreifen, was Truppen und Führer geleistet, und was sie damit erreicht und errungen haben.

Nicht minder komisch erscheinen mir Jene, welche geglaubt haben, daß nach einer derartigen weltgeschichtlichen Katastrophe alles beim Alten bleiben könne; sie haben entweder nie Geschichte studiert oder bei diesem Studium nie jene Höhe der Erkenntnis gewonnen, welche einem die naturnothwendige Entwicklung im Völkerleben vor Augen führt und Einem zeigt, daß es nichts Bleibendes, kein Stagnieren gibt, sondern im Weltall und ebenso auf der Erde alles constante Veränderung ist, – während z. B. in ersterem der Saturn im Zertrümmerung begriffen erscheint, ärgert sich irgend ein Pensionist darüber, daß er seine Gebühren nicht beim selben Zahlamt beheben, oder ein Rentier, daß er seine Rente nicht bei der gewohnten Bank einlösen kann! – Solche Leute sind natürlich grimmige Schimpfer gegen alle Geschehnisse und gegen alle Leute, die bei letzteren eine Rolle gespielt haben.

Und jetzt gar erst die Professionspolitiker, Partheiführer, Gewohnheitsschimpfer der Clubs, Café- und Gasthäuser, die stets Alles besser wissenden, nur über Alles souverän aburtheilenden Militärkritiker und das liebe, jedem Schlagwort als fascinierter Hammel nachlaufende Publikum! –

Wer diesen Krieg verstehen will, muß sich klar sein, daß es nicht ein Krieg der ›Feldherrn‹, sondern ein Krieg der ›Massen und der materiellen Mittel‹ war, – diese beiden also schließlich die entscheidende Rolle gespielt haben.

Mir liegen sowohl die psychologischen als die materiellen Momente, welche den Gang der großen Handlung bestimmt haben, deutlich vor Augen – ich könnte sie bis ins Kleinste detaillieren. Eine Resultierende aus einer überaus großen Zahl von Componenten verschiedenster Art! Hierin wird eine äußerst interessante Arbeit für künftige Historiker liegen, – erschwert wird sie ihnen allerdings werden durch den voraussichtlichen Mangel der Objektivität und Wahrheitstreue in den officiellen Darstellungen.

Nun möchte ich noch auf einige Stellen Ihres letzten Schreibens zurückkommen.

Was Bulgarien anlangt, so habe ich nach der Niederwerfung Serbiens die Fortsetzung der Aktion bis Salonik in's Auge gefaßt und dies auch mit General v. Falkenhayn besprochen, – die dagegen geltend gemachten Gründe der Unmöglichkeit, anbetrachts der damals in elendem Zustand befindlichen Bahn Üsküb–Salonik, größere Truppenmassen materiell zu versorgen, blieben schließlich entscheidend – worauf ich dann die Aktion gegen Montenegro selbständig angieng.

Die gemeinsame entscheidende Offensive gegen Italien habe ich bei General Falkenhayn vor der ersten deutschen Offensive von Verdun beantragt, – der Antrag wurde nicht acceptiert, worauf ich mich, – des großen Risico's voll bewußt, aber von der Nothwendigkeit der Sache überzeugt, zu unserer Offensive in Südtirol entschloß – den Ausgang, verschuldet durch das räthselhafte Debacle von Luck – kennen Sie.

Für eine Offensive am Isonzo mit Hauptstoß von Tolmein war zwischen den beiden Generalleitungen schon Anfangs des Jahres 1917, also als ich noch Chef des Generalstabes war, Alles bis ins Detail vereinbart – sie unterblieb jedoch damals wegen der Vorgänge in Frankreich, – und kam dann im Herbst 1917, als ich bereits vom Chefposten enthoben und zum Heeres-Gruppen-Cdtn. in Tirol ernannt war, zur Durchführung.

Man hat damals zu dieser Offensive Alles herangezogen und die mir unterstehenden Truppen in Tirol auf ein Minimum reduciert – knapp genug, um die Stellungen zu halten, auf mehr als dies hatte man nicht gerechnet. – Das war bei der damaligen Situation zutreffend, weil niemand ahnen konnte, daß der Erfolg am Isonzo so durchschlagend und so weitreichend sein werde, wie er es thatsächlich wurde. Nun aber – als er sich ausgesprochen hatte, – habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um es zu erreichen, daß man die in der venezianischen Ebene überflüssig gewordenen Divisionen zu einer Offensive beiderseits der Brenta verschiebe um durch diese den Krieg gegen Italien zu entscheiden, – es geschah leider nicht, das Beziehen der Dauerstellung wurde angeordnet. –

Auf meine eigenen schwachen Kräfte angewiesen, ließ ich nun noch im Dezember jenen Vorstoß machen, der zur Wegnahme der Meletta und zu einem nennenswerten Erfolg bezüglich Gefangener und Geschütze führte. Die weiteren Vorgänge im Jahre 1918 sind ihnen ja bekannt. –

Was den U-Boot-Krieg betrifft, habe ich die Dinge schon im ersten Theil dieses Briefes charakterisiert. Amerika hat den Krieg gegen uns schon von Anbeginn an, und zwar durch weitgehendste, schwungvolle materielle Versorgung unserer Feinde geführt, hätten diese auf Grund dessen allein gesiegt, dann wäre es nicht zur militärischen Aktion geschritten, – blieb dieser Sieg jedoch aus, dann hätte es sich zu letzterer entschlossen, ob man den verschärften U-Boot-Krieg geführt hätte oder nicht; – dieser aber erschien als ein wirksames Mittel mit unseren bisherigen Gegnern fertig zu werden ehe Amerika militärisch eingreifen würde; – aber abgesehen hievon wäre es doch unverantwortlich gewesen, den fortwährenden Kriegsmaterialsendungen Amerika's hilflos zuzusehen, ohne das einzige Gegenmittel – den Ubootkrieg – wirksam werden zu lassen. – All dies vergessen jene Kritiker, welche ihre Weisheit erst nach dem Erfolg fixieren. –

Sie erwähnen nun in Ihrem Schreiben die ›Neuordnung‹ in unserer Monarchie! – das ist ein betrübendes Thema und Sie werden ermessen, wie sehr gerade ich davon betroffen bin, da mein berufliches Lebensideal die Größe, die Macht und das Ansehen eines einheitlichen Gesammtstaates war – dafür habe ich gearbeitet, gesorgt, gestritten und gelitten; – – die historische Entwicklung hat es anders gewollt und wohin wir noch gelangen werden ist nicht abzusehen; – dermalen haben nationale Verblendung, Partheileidenschaft, Verhetzung von Außen und von Innen, feindliche Propaganda, Ziellosigkeit und Schwäche von oben ein Chaos geschaffen, – wobei die Versäumnisse von Jahrzehnten, wenn nicht von Jahrhunderten ihre Früchte zeitigen. Für unsere polyglotte Monarchie gibt es nur eine Formel, nämlich: selbstständiges Ausleben der einzelnen Nationen soweit es möglich ist, ohne die, das Gesammtinteresse vertretende einheitliche centrale Reichsleitung zu schädigen, und: einheitliche Reichsleitung nur so weit, als es für Wahrung des Gesammtinteresses unerläßlich ist; – je weiter sich die Constitution der Monarchie hievon entfernt, – sei es in der einen, sei es in der anderen Richtung, desto ungesunder und desto unhaltbarer wird die Lage. – Siegen jetzt der crasse Nationalismus und die Sonderstaatlichkeitsbestrebungen, dann zerfällt die Monarchie in kleine Gebilde, die zwar ihrer nationalen Eitelkeit fröhnen können, aber den Großmächten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein und nie die Möglichkeit zu freier materieller und cultureller Entwickelung finden werden.

Es ist begreiflich, daß das Streben unserer Feinde dahin zielt, diesen Zustand herbeizuführen, aber es ist unbegreiflich, daß unsere Politiker ihnen dabei Handlangerdienste leisten – man kann nur annehmen, daß sie entweder verblendet sind, oder sich von engen, selbstsüchtigen Motiven leiten lassen.

Doch nun genug der Politik. Wir haben nun unseren Abreisetermin von hier auf Dienstag, den 29. Oktober abends festgesetzt – hoffen also am 30. mittags in Wien einzutreffen, hoffentlich gesund und ohne Gepäckverlust; letzteres eine, bei dem jetzt modernen Diebstahl auf den Bahnen begründete Besorgnis.

In Wien – wenn nicht schon vorher in Triest – rechnen wir darauf Sie wiederzusehen. Hoffentlich haben Sie von zu Hause gute Nachricht, – bitte dorthin unsere besten Grüße auszurichten.

Für Ihren Aufenthalt in Gastein wünsche ich Ihnen besseres Wetter als wir es hier haben, – es regnet beständig bei rein scirocaler Stimmung – der richtige Boden für die Verbreitung der hier herrschenden spanischen Grippe, die recht unerquickliche Dimensionen annimmt, aber auch in Wien wüten soll.

Wir beide grüßen Sie vielmals
Ihr ergebener
Conrad
Fm.

Wien, den 3. November 1918

SEHR GEEHRTER HERR DOCTOR!

Obzwar der Pessimismus mir im Leben stets näher lag, als sein Gegentheil, hätte ich doch nie gedacht, daß es zu Zuständen kommen würde, wie es die dermaligen sind.

Die Hoffnung auf einen durchschlagenden Sieg mußte man ja allerdings schon vor längerer Zeit aufgeben, – aber ich rechnete doch auf ein Halten aller Fronten, welches schließlich beide Partheien zur Einsicht der Erfolglosigkeit weiteren Kampfes und damit zum Entschluß des Friedens bringen würde; – mit dem überraschenden Schritt Bulgarien's, sank diese Rechnung zusammen und all das, was dann bei uns geschah, trieb zur Katastrophe; – es war der von der Entente meisterhaft geschürte innerpolitische Zusammenbruch, der durch das ganz unglaubliche Manifest endgültig ausgelöst und das hierin begründete nun Folgende auch in die Armee getragen wurde! – Was nun weiter werden wird, ist nicht abzusehen! –

Sie können sich vorstellen, was das alles mir bedeutet, – der ich mein ganzes Leben in den Dienst dieser alten Monarchie gestellt habe, in der Hoffnung, sie aus allen Wechselfällen der unvermeidlichen, aus der natürlichen Entwicklung im Völkerleben hervorgehenden Ereignisse – ruhmreich, stark und einheitlich hervorgehen zu sehen! – und jetzt das gänzliche Auseinanderfallen! – Nun, – vielleicht entspricht gerade dieses der natürlichen Entwicklung, – aber ich habe immer gedacht, daß die Völker dieses alten Reiches weit besser fahren würden, wenn sie sich verstehen und vertragen, wenn sie ihre nationalen Sonderinteressen einer auf das gemeinsame Nothwendige beschränkten Centralregierung unterordnen würden, welche ihrerseits, außerhalb dieser Nothwendigkeit, den Völkern volle Selbstständigkeit zu lassen gehabt hätte; – es ist das Programm, welches vor Jahren auch Popoviè in einem sehr gediegenen Buch entwickelt hat, – es war auch das Programm meiner Wirksamkeit, soweit ich beruflich berufen war, meine diesbezüglichen Anschauungen zum Ausdruck zu bringen; – aber ich stieß dabei auf mannigfache Hindernisse.

Vor Allem war es der unglückselige Dualismus, mit Allem was darum und daran hieng, – der jede Entwicklung in dieser Richtung vereitelte, der Keim zum inneren Verfall war, und unseren äußeren Feinden geradezu in die Hände arbeitete; – dazu kam das obstinate Verkennen der Bedeutung der südslawischen Frage, auf die ich immer und immer wieder hinwies, vergeblich fordernd, daß man die Kroaten zu ihrem Recht gelangen lasse; – dann die ganze Schaukelpolitik gegenüber den Nationalitäten der österreichischen Reichshälfte usw., usw. – Da nun das Zusammenfassen der Theile nicht zustande gebracht wurde, ist deren nunmehr erfolgte reinliche Scheidung eigentlich das Natürliche – aber, und das werden die Theile erst später erkennen, – sie geschah auf Kosten großer, unleugbar gemeinsamer, in der geographischen Lage des alten Gesamtgebietes gelegenen Interessen, die nur gemeinsam vertreten werden konnten. Hierin liegt die Berechtigung, den Kampf mit jenen Mächten aufgenommen zu haben, – die die Zertrümmerung der Monarchie zum Ziele hatten. – So wie sich die Dinge jetzt gestaltet haben, wäre es scheinbar allerdings das Vernünftigste gewesen diese Zertrümmerung früher im feierlichen Einvernehmen zu vollziehen, – aber gibt es einen Menschen, der dies damals für möglich gehalten hätte? hätte dies nicht zu einem inneren Krieg geführt, bei dem schließlich die obgedachten feindlichen Mächte erst recht über uns hergefallen wären, der unsere, jetzt kaum vom Feind berührten Gebiete verwüstet und uns zu politischen Sklaven gemacht hätte? – – dazu aber wäre es gekommen, wenn der unselige, aber unvermeidliche Weltkrieg ein, zwei Jahre später ausgebrochen wäre, – – denn, die bereits stark vorgeschrittene innere Wühlarbeit wäre zum Ausbruch gekommen, die von unseren Gegnern mit reichen Mitteln betriebenen Rüstungen wären noch vollständiger und den unseren umsomehr überlegen gewesen, – als man bei uns alle Heeresauslagen, auch in den wichtigsten Belangen bis zur völligen Unzulänglichkeit reducierte, – ja meine dringlichsten Forderungen wurden sogar mit einem gewissen Hohn abgewiesen. –

Mir standen die Folgen klar vor Augen, – und schon damals war mein berufliches Leben eine Kette bitterer Stunden; sie haben seither an Bitterkeit nur zugenommen. – Die Gefahr voraussehen, vergeblich für das zu ihrer Abwehr Nöthige ringen, schließlich den unvermeidlichen Kampf aufnehmen und unter den schwersten Verhältnissen führen müssen, alle Wechselfälle desselben ertragen, sich oft am Ziele wähnen, grausam aber wieder davon zurückgeworfen sehen, endlich das immer ungünstiger werdende relative Kraftverhältnis erkennen, und schließlich den Mißerfolg erleben, – das ist wohl das Grausamste, was einem selbstlos und ehrlich, nach bestem Wissen, Wollen und Können wirkenden Menschen widerfahren kann, – dazu noch der Verlust zweier heißgeliebter Kinder und der greisen Mutter, – wohin gelange ich aber mit meinem Schreiben, – ich wollte ja Ihren Brief vom 31. Okt. beantworten.

Wir sind am 30. Okt. nachmittags nach fast 20 Stunden Bahnfahrt von Triest in Wien eingetroffen, – nahezu der letzte Zug mit dem unsere Abfahrt noch möglich war; – hier fand ich Ihr Telegramm und sandte sofort ein Billet in's Grand Hotel, wo Sie aber, wie mir Ihr geschätztes Schreiben jetzt besagt, gar nicht waren – ich hoffe Sie daher wohlbehalten in Berlin, wohin ich diese Zeilen richte.

4. Nov. Ich setze den gestern begonnenen Brief heute fort, – an dem entsetzlichsten Tag, den ich in meinem langen, wechselvollen Berufsleben erlebt habe – ich habe nämlich eben die Waffenstillstandsbedingungen Italien's gelesen – – sie sind niederschmetternd! Und wenn ich bedenke, wie ganz anders Alles sein könnte, wenn man 1907 selbst zur Tat geschritten wäre, – solange der Ring um uns noch nicht zur Gänze geschmiedet war – so erfaßt mich eine Erbitterung, von der Sie sich kaum eine Vorstellung zu machen vermögen. – Leider bin ich noch gezwungen, hier in Wien zu weilen, aber am liebsten würde ich den Rest der mir etwa noch bestimmten Tage in einem stillen Winkel des Auslandes verbringen – im freiwilligen Exil! Aber wo sollte das sein – denn auch in Deutschland wird es für einen Österreicher keine freundliche Aufnahme geben. So bin ich dermalen hier und da Sie begreifen werden, wie peinlich mir jedes öffentliche Erscheinen sein müßte, werden Sie es auch natürlich finden, daß ich in vollster Zurückgezogenheit innerhalb meiner vier Wände lebe; – abwartend was die Zukunft noch bringen wird.

Je klarer jetzt der Weltkrieg in die Erscheinung tritt, desto überzeugter wird man von seiner Unvermeidlichkeit, – es waren zu viele elementare Kräfte gegeneinander in Spannung, die sich nur in katastrophalem Ausbruch lösen konnte. Zukünftige Historiker werden dies als eine ganz natürliche Umwälzung erörtern – aber für den, der in derselben auf der Seite des niedergehenden Prinzipes lebt – bleibt es eine tief erschütternde Katastrophe. – Der Zerfall unserer Monarchie war ja schon seit langem als selbstverständlich hingestellt – aber ihn zu erleben bleibt jedem, der dem alten Vaterlande diente, ein unauslöschlicher Schmerz.

Die Mehrheit wird sich bald damit abfinden, da ja der Wunsch der einzelnen Völker nach voller nationaler Selbstständigkeit erfüllt ist, und wenn sie ihr ganzes Glück darinnen finden, ist ja der › Zweck des Staates‹ erreicht, – möge es ihnen keine Enttäuschung bringen! – Gerne hätte ich mit Ihnen über all dies gesprochen und mich auch über die Verhältnisse in Deutschland orientiert, hoffentlich führt Sie Ihr Weg ja doch bald hierher.

Selbstverständlich erachte ich gleichfalls dafür, daß jetzt und auch in geraumer Zeit an eine Publikation Ihres Werkes nicht zu denken ist, und, daß man in dieser Hinsicht jetzt mehr denn je größte Vorsicht walten lassen müsse, weshalb ich Sie auch bitte, alles in dieser Hinsicht etwa Beabsichtigte mir vorher mitzutheilen. –

Von anderen Publikationen ist mir nichts bekannt, ich habe auch gar kein Interesse solche zu ermöglichen und würde, falls je damit an mich herangetreten werden sollte, Sie diesbezüglich verständigen.

Ich will in der düsteren Stimmung, in der ich bin diesen Brief nicht fortsetzen und nur dem Wunsch Ausdruck geben, daß Sie, Ihre verehrte Frau und Ihr prächtiger Bubi sich wohl befinden.

Mit besten Grüßen, beziehungsweise Empfehlungen von meiner Frau und mir

Ihr aufrichtig ergebener
Conrad
Fm.


Wien, 23. November 1918

SEHR GEEHRTER HERR DOCTOR!

Ihr geschätztes, so interessantes Schreiben vom 16. d. M. habe ich erhalten und ich versuche, Ihnen auf gleichem Wege vorliegende Antwort zukommen zu lassen. – Wie bei uns ist es also auch in Deutschland noch ganz unklar, welche Richtung die Dinge nehmen werden, man kann nur wünschen, daß jene Macht die schließlich am Ruder bleibt ernst, selbstlos, vorurtheilsfrei und gerecht – bei Ausschluß jeder Gehässigkeit für das Wohl der Gesammtheit arbeiten und Ordnung und Sicherheit zu schaffen verstehen wird. – Freilich, wenn man die Geschichte früherer Zeiten, insbesondere jene des antiken Rom's und Griechenland's heranzieht, müßte die Menschheit einen großen Fortschritt gemacht haben, wenn sie jetzt Obiges zustande brächte. –

Je mehr man über die jetzige Katastrophe nachdenkt, desto mehr erkennt man, daß sie in dieser extremen Form unbedingt vermeidbar gewesen wäre. Unsere Monarchie und unsere Armee sind von rückwärts zugrunde gerichtet worden. Die Anfänge reichen schon weit in die Zeit des Friedens, – und waren ja eigentlich die letzte Ursache zum Kriegsbeginn – ich sage absichtlich ›Beginn‹ und nicht ›Ausbruch‹, denn der Ausbruch war ja schon durch die äußeren Verhältnisse, nämlich die aggressiven Ziele unserer Feinde unvermeidlich. Zu diesen Anfängen rechne ich die èechische, slowakische, serbische, ruthenische, rumänische, und im Stillen auch polnische Propaganda, sowie die verblendeten Selbstständigkeitsbestrebungen Ungarn's. – Der Krieg war so zu sagen in letzter Stunde der Versuch, diese Propaganda zu vernichten und unter Zusammenschluß der an der Gesammtheit der Monarchie festhaltenden loyalen Elemente – Macht und Bestand des Reiches – des alten gemeinsamen Vaterhauses zu retten; dafür haben wir gekämpft und jeder Vorurteilsfreie wird zugeben müssen, daß dieses Ziel des Kampfes wert war. – Thatsächlich sprechen die anfänglichen und auch noch späteren großen militärischen Erfolge auf allen Kriegsschauplätzen auch dafür, daß es gerechtfertigt war, sich dieses Ziel zu stecken. Die Entente, einsehend, daß sie mit dem rein militärischen Erfolg ihrerseits nicht rechnen kann, hat nun den Weg der politischen Zersetzung ihrer Gegner, von rückwärts, betreten, – die schon durch die frühere Propaganda geknüpften Fäden aufgenommen und mit den äußersten Mitteln diese Zersetzung betrieben. – Leider wurde ihr bei uns, – ich will annehmen: ›unbewußt, aus Einfältigkeit‹ in die Hände gearbeitet. Die den Kaiser beratende Clique hat den Boden der Offenheit und Loyalität verlassen und geglaubt, durch tausenderlei Machenschaften hinter dem Rücken etwas erreichen zu können, – sie hat dabei gedacht besonders schlau zu sein aber nicht erkannt, daß sie lediglich der bon dupe der Entente war und von dieser als Werkzeug zur Zersetzung benutzt, mißbraucht wurde. – Man kann den ganzen Hergang genau verfolgen. – Es begann mit der Verlegung des Armee-Ober-Commando's von Teschen nach Baden, wogegen ich mich aus klarliegenden sachlichen Gründen auf's Äußerste gesträubt habe. Bis dahin war der nahe enge Verkehr zwischen Pleß und Teschen die Gewähr für die volle Einheitlichkeit des Handelns zwischen uns und Deutschland und durch letzteres auch mit Bulgarien und der Türkei, – diese Einheitlichkeit gieng verloren, – aber die Trennung wirkte, abgesehen von der Dokumentierung einer Spaltung auch noch aus einem andern wesentlichen Grunde verderblich. – – Bei unserem bisherigen engem Zusammensein war man gegenseitig auch über alle anderen beiderseitigen Vorgänge immer au fait, die Deutschen sahen, wie es bei uns, wir sahen, wie es bei den Deutschen aussieht, wir orientierten uns stets auch über die Zustände bei unseren anderen Verbündeten. – Diese stete durch constanten direkten Verkehr gewährte Klarheit gieng verloren, – sie läßt sich nie gelegentlich zeitweiser kurzer, meist noch durch höfische Formalitäten, Diners u. dgl. ausgefüllter Zusammenkünfte gewinnen, bei denen in ein bis zwei Stunden über die wichtigsten Dinge zu entscheiden ist. – Während nun wir aber die bis dahin bestandene enge Einheitlichkeit der Führung durch die Verlegung des Hauptquartiers nach Baden zerrissen, hat die Entente umgekehrt jetzt ihrerseits angefangen, sich diese Einheitlichkeit zu schaffen.

Der nächste Akt war die radikale Auflösung des alten Armee-Ober-Commando's durch den Kaiser. – Ich spreche nicht von der Entfernung meiner Person. Ich war dem Kaiser unsymphatisch geworden durch die unverblümte und consequente Art, in welcher ich meinen oft gegenteiligen Meinungen Ausdruck gab, sowie über die vielleicht zu brüske Weise, in der ich mich gegen Maßnahmen stemmte, die ich für schädlich hielt, – ich begreife, daß es dem Kaiser daher widerlich wurde, täglich mit mir zu verkehren und er mich kurzweg entfernte; – aber anders stand es mit dem ganzen Armee-Ober-Commando, – dieser Apparat war aus der Praxis des Krieges herausgewachsen, wohl organisiert, zu einheitlichem, reibungslosen Zusammenarbeiten erzogen, – er arbeitete ernst, sachgemäß, unermüdlich und unverdrossen – dieser Apparat wurde nun leichtsinnig zersprengt. – Den Boden dazu vorbereitet hatte jener Tratsch, jene Fülle von Verleumdungen und Lügen, die von allen jenen verbreitet wurden, denen die strenge, consequente Thätigkeit dieses alten Ober-Commando's ein Dorn im Auge war, – darunter selbstverständlich auch alle jene Elemente, welche den Geist der Zersetzung vertraten; – sie drängten sich überall rücklings heran und fanden ein williges Ohr. – Die Früchte reiften nur zu bald. – Die erste darunter war die Amnestie – – es fällt mir nicht im Traum ein, für die Vollziehung eines politischen Todesurtheils zu plaidieren, auch weil ich nichts schädlicher halte, als politische Märtyrer zu schaffen – aber im Zaume halten hätte man alle jene sollen, die offen auf die Vernichtung des Reiches hinarbeiteten – für ihre schließlich ad personam zu erlassende Amnestierung war nach dem Kriege Zeit, – mit der allgemeinen Amnestie hatte man nun alle Zügel los gelassen, den Hochverrath sanktioniert und die loyalen Elemente nicht nur blos gestellt, sondern in's feindliche Lager getrieben.

Der Amnestie folgten die Zugeständnisse an Ungarn, – welche Wekerle und sonstige ungarische Politiker offen darlegten, – darunter die vom Kaiser zugestandene Trennung der Armee; – das war nicht nur – mitten im Krieg – die Zerreißung der Einheitlichkeit des Reiches und seiner Gesammtinteressen, sondern auch eine Brüskierung der anderen Nationalitäten, vor allem der Südslawen und die Erweckung der èechischen Bestrebungen hinsichtlich des selbstständigen èechoslowakischen Staates. – Dann kam der Erlaß, welcher die schärferen, aber im Krieg einzig anwendbaren Disciplinarstrafen abschaffte und damit den Commandanten jedes Strafmittel benahm, wodurch die Disciplin auf das Bedenklichste gelockert, der Keim zum Bolschewikismus gelegt wurde.

Man mag über das Duell denken, wie man will, aber ein Mittel für Aufrechterhaltung ritterlichen Geistes im Officierscorps war es immer, – auch dieses wurde mitten im Kriege aufgehoben. – Während unsere Gegner, insbesondere Italien, in rücksichtslosester Weise sowohl in der Armee als im Hinterland alle lockernden Tendenzen bekämpften, wurde bei uns denselben Thür und Thor geöffnet. – Mögen dabei auch weibische, bezgsw. weibliche, clerikale, socialistische und dergl. Einflüsse mitgespielt haben, so ist es sicher, daß die durch eine immer mächtiger auftretende feindliche Propaganda unterstützten, auf die Zersetzung hinarbeitenden Elemente hier gleichfalls am Werke waren.

Diese Aktion wurde gekrönt durch das ganz unfaßbare Manifest! – mitten im Krieg und in der entscheidenden Phase desselben wurde die Monarchie und mit ihr die Armee von innen zerrissen! – Man greift sich geradezu an den Kopf und kann nur sagen: Wen die Götter verderben wollen, den … etc. etc.

Dieses Verbrechen zeitigte nun rasch seine Folgen, – die dann auch bei der Armee zum Ausbruch kamen! – Ist es nicht unerhört, wenn ein ungarischer Kriegsminister das Recht erhält, die ungarischen Truppen aus den Fronten zu rufen? ist es nicht unerhört, wenn die selbstständig gestellten Staaten nur mehr von Nationalräthen regiert und damit der ganze complizierte, nie mehr als im Kriege erforderliche Verwaltungsapparat außer Funktion gesetzt wird? – ist es nicht unerhört, wenn basiert auf diese Zerreißung jede Nation ihren Truppen die Aufforderung zugehen läßt, für die Sache des Ganzen nicht mehr zu kämpfen, sondern die nationale Cocarde aufzustecken?

Gewiß hat das erbärmliche, wohl sicherlich auf reichliche Geldmittel der Entente zurückzuführende, schmähliche Auskneifen Bulgarien's eine schwierige Lage geschaffen, – aber wenn alle niedergelegten Sünden unterblieben wären, hätte man auch dieser Lage soweit Herr werden können, um zu einem besseren Ende zu gelangen – und nicht zu einer so skandalösen Auflösung, wie es dieser fälschlich sogenannte »Waffenstillstand« war, – der obendrein – wie es wenigstens scheint, ohne vorherige, rechtzeitige, ehrliche Auseinandersetzung mit Deutschland erfolgte. – Ich sage, »wie es scheint«, weil ich darüber nicht genau orientiert bin, – sowie ich überhaupt über die internen Vorgänge an unserer leitenden Stelle seit meiner im Februar 1917 erfolgten Enthebung vom Posten des Chefs des Generalstabs nicht mehr orientiert war und über Alles Übrige gleichfalls nicht, seitdem mich der Kaiser im Juli 1918 vom Heeres-Gruppen-Commando in Tirol entließ – die Zeit von diesem Termin bis zur großen Katastrophe habe ich ja in gänzlicher Zurückgezogenheit als Privatmann in Villach und in Triest verbracht. – Als solcher habe ich kürzlich durch einen Officier meines früheren Stabes über die letzten Vorgänge in Tirol eine interessante, die Situation grell beleuchtende Mittheilung erhalten. Erzherzog Josef – mein Nachfolger im Commando – ließ einen Befehl schreiben, in welchem er den ungarischen Truppen seiner Heeresgruppe bekannt gab, daß er sie nach Hause führen würde und sie dort für ihre Heimath kämpfen würden. – Die Officiere seines Commando's beschworen ihn, diesen Befehl nicht auszugeben, – er that es trotzdem! – Die Folge davon war, daß zwei ungarische Divisionen (27. 38.) die Waffen niederlegten und ihre Stellungen verließen, – bestürzt über diese gefährliche Lücke, sandte man eiligst eine nichtungarische Division auf's Plateau, als diese aber die beiden ersteren in vollem Zurückgehen sah, – that sie dasselbe! Mit Truppen, deren Geist – durch Zersetzung von rückwärts – derart gesunken ist, kann man allerdings keinen Krieg mehr führen. Nicht minder interessant ist folgende mir zugekommene Mitteilung: ein èechischer Truppenkörper hatte sich am Mte. Pertica auch noch bei den letzten italienischen Angriffen glänzend geschlagen, – bis die bei ihm eingereihten aus dem Hinterland gekommenen Marschcompagnien eindoublierten und nationale Cocarden mit der Aufforderung brachten, die Waffen niederzulegen. – Von diesem Gesichtspunkt aus muß man den Krieg studieren, wenn man nicht zu dem albernen Standpunkt gelangen will, daß die Führer und besonders die Generale an Allem Schuld sind, wie dies die blöde Menge aller Gesellschaftskreise und jene gemeingefährliche Clique thut, die im Niederreißen jeder Autorität und in dem Herabziehen jedes Verdienstes ihren persönlichen oder parteipolitischen Vorteil sucht.

Wenn man sieht, wie die Menschen dem Klatsch und der Verleumdung nachlaufen, erkennt man ihre ganze Niedrigkeit und bekommt einen unüberwindlichen Ekel, und den habe ich gründlich! –

Wie alle jetzigen Vorgänge auf mich drücken, können Sie sich denken! Die ö.-u. Monarchie, unser altes Vaterhaus, groß und mächtig, ihre Völker zufrieden und glücklich, ihr Wohlergehen im Aufblühen, ihre Stellung allen Feinden gegenüber gewahrt und gefestigt zu sehen, war das Ideal, welches ich in meinem langen Berufsleben ehrlich und pflichttreu, so gut ich's eben verstand, verfolgte; – und nun: dieser Zusammenbruch! – Tragik und Verbitterung!

Ich flüchte mich in das Gebiet der Geschichte, um aus den analogen Vorgängen früherer Zeiten auf die Unerbittlichkeit des Schicksals und die Unvermeidlichkeit weltumstürzender Katastrophen zu schließen und in das Gebiet der Philosophie, um in der Erkenntnis der Nichtigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen Beruhigung zu finden. Freilich ist es schwer, über die stets an die Thür pochenden Sorgen des täglichen Lebens zu kommen.

Wir leben dermalen ganz zurückgezogen hier in Wien, – Pläne machen wir keine, weil man nie weiß, was der kommende Morgen bringt.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Theilnahme an meinem Wohl und Weh, – die Idee nach Berlin oder München zu reisen – so gerne ich jetzt auch weg von Wien wäre – ist dermalen wohl nicht realisierbar, auch weiß man nicht, welche Aufnahme man als Österreicher in Deutschland finden würde, – nach soviel Hinterhältigkeit und Unaufrichtigkeit seitens unserer leitenden Stellen und sonstigen Politikern?! – Mit großer Spannung, großer Sorge und ehrlichem Mitgefühl verfolge ich die Vorgänge in Deutschland, es wäre eine zu große Tragik des Schicksals, wenn dieses große Volk zersplittern und staatlich zugrunde gehen sollte. Was aus uns werden wird, ist überhaupt nicht abzusehen.

Hoffentlich ist bei Ihnen zu Hause Alles so weit wohl, als es die jetzigen Umstände gestatten. Meine Frau sendet ihre besten Grüße, ich bitte Sie meine Verehrung zu melden und für sich und Bubi die aufrichtigsten Grüße entgegen zu nehmen von

Ihrem ergebensten
Conrad
Fm.



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