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Die Serben

Serbien war zu Kriegsbeginn ein Nebenschauplatz. Feldzeugmeister Potiorek hatte dort im Frühwinter 1914 einen Feldzug mit unglücklichem Ausgang geführt: Feldzeugmeister Oskar Potiorek, der ein ehrgeiziger, kein unfähiger General war. Von seiner Entschlossenheit wußte man, daß sie so groß war wie seine unzweifelhafte Gabe, ihm anvertraute Truppen durch unmittelbaren Einfluß zu beherrschen. Durch schroffe, hochfahrende Art, die er dem Offizier gegenüber gerne herauskehrte, verletzte er ihn oft mit Absicht. Der Mann, dessen Bedürfnisse er kannte, der Mann, für dessen Bedürfnisse er sorgte, der Mann ging für ihn durchs Feuer. Der Feldzeugmeister hatte zaristische oder großfürstliche Anwandlungen, aber bei Hofe war seine Geltung dennoch stark. Immer hätte er es verstanden, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Immer hatte er nachgeholfen, wenn man zeitweilig vergessen wollte, daß er da war. Seine Karriere schien bereits unter dem Vorgänger des Freiherrn von Conrad gesichert. Er war stellvertretender Chef des Generalstabs, aber den Höhepunkt des Ehrgeizes machte es aus, selbst Chef des Generalstabes zu werden. Ohne Franz Ferdinand gelangte man damals an die erste militärische Stelle nicht. Und gerade damals nach der Jahrhundertwende trug sich der Erzherzog mit allerlei Reformplänen für das Heer. Er wollte es stark und stahlfest wissen. Er suchte für das Heer die besten Kräfte. Freiherrn von Conrad hatte eine Schriftenreihe über Infanterieausbildung den Ruf eines Militärwissenschaftlers von Bedeutung gebracht. Auch Potiorek überreichte Franz Ferdinand ein Memorandum. Conrad von Hötzendorfs ganze Art mußte dem Erzherzog – dachte Potiorek – viel zu modern, allzu radikal erscheinen. Franz Ferdinand hatte ein Steckenpferd, einen Popanz, mit dem ihn jeder schrecken konnte. Über Anarchisten, über Sozialdemokraten war mit ihm nicht zu reden. Übrigens warf sie Franz Ferdinand alle in einen Topf. Wer gegen Anarchie und Sozialismus aufmarschierte, war leicht des Thronfolgers Mann. General Potiorek schrieb ein Memorandum, das einem Kopf von den Anschauungen des Thronfolgers wohl gefallen konnte. Es war zweierlei: gegen den Mann im Heer väterlich zu sein und bei Hofe die Volkskraft lediglich als Materialwert für den Glanz des Hauses Habsburg darzustellen. Beides vermochte Oskar Potiorek zu vereinen. Conrad löste die Aufgabe wissenschaftlich, mit den Ergebnissen eigener Anschauung bei der Truppe. So groß war bei Franz Ferdinand die Furcht vor dem Popanz aber nicht, daß sie ihm den Intellekt völlig verdunkelt hätte. Er rief nicht Potiorek, sondern Conrad an die erste militärische Stelle. Potiorek stand vor Nebengeleisen.

Aber er fand sofort einen Hauptweg: nach Serajewo. Kaiser Franz Joseph hatte ihn stets als seinen Liebling gehalten. Die feste soldatische Haltung, die er äußerlich auch in der Hofburg zeigte, der glänzende Eindruck seiner Erscheinung hatte dem Kaiser stets gefallen. Wenn jetzt Franz Ferdinand, dessen Wesen auch dem alten Kaiser häufig unbehaglich, oft zu herrisch war, dem begabten Soldaten Potiorek einen anderen General vorzog, so sah der Kaiser keinen Grund, den Zurückgesetzten nicht anders zu erhöhen. Serajewo war vielleicht der wichtigste, sicher der bedenklichste Platz in der Monarchie. Mit orthodoxen Serben und Mohammedanern, mit Mohammedanern und Katholiken dort richtig zu wirtschaften, war keine Kleinigkeit. Wer in Serajewo kommandierte, mußte so geschickt gehen können, als schritte er über Hofparkett. Zugleich aber mußte seine Faust eisern sein. Die Machtbefugnisse des Kommandierenden in Bosnien und in der Herzegowina reichten weit. Nur der Kaiser selbst hatte ihm dreinzureden. Der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina war eigentlich ein Landesherr. Nur in Indien hatte der englische Vizekönig ähnliche Fülle der Gewalt. Wer nach Serajewo geschickt wurde, mußte unbedingt zuverlässig sein. Die Dynastie mußte blindes Vertrauen haben zu dem Manne, der im Konak zu Serajewo regierte. Potiorek hatte einen sicheren Schritt, eine eiserne Faust. Er war unbedingt zuverlässig. Jetzt war er der gekränkte Liebling des Kaisers. Er wurde Vizekönig von Bosnien. Nicht einmal, als das Ungeheuerliche geschah, daß der Thronfolger in seinem Lande fiel, verlor er selbst den Thron. So hoch stand Oskar Potiorek in Gunst und Vertrauen des Kaisers. Als der Krieg dann ausbrach, hatte er nicht nur Rache an den Serben zu nehmen für die ihm in seinen eigenen Ländern angetane Schmach. Vizekönig Potiorek verteidigte sein eigenes Königreich.

Im Anfang nicht ohne Geschick. Als Böhm-Ermollis Heer nach Rußland abberufen war, besaß er noch zwei Armeen. Vom Hauptquartier aus Galizien hatte er Befehl empfangen, einen Einfall der Serben in das Gebiet der Monarchie zu verhindern. Der serbische Kriegsschauplatz war weit von Galizien: ob dort der Oberkommandierende die ihm zugewiesene Aufgabe in Verteidigerhaltung, ob er sie stellenweise im Angriff lösen wollte, mußte der Oberkommandierende selbst entscheiden. Aus solcher Ferne ließen sich die Einzelheiten der serbischen Verhältnisse nicht erkennen. Mehr konnte in dem Befehl des Hauptquartiers gar nicht stehen. Aber den Feldzeugmeister dünkte auch die eine Weisung zu viel, die im Grunde nur Vorsicht verlangte. Daß das Armeeoberkommando weit vom Schauplatz seiner eigenen kommenden Taten war, gab Potiorek nicht bloß gern zu. Er griff die Tatsache vielmehr eifrig auf. War denn wirklich einer, der sich vermessen wollte, serbische Dinge besser zu verstehen, als er, Vizekönig im Nachbarland? Und hatte er nicht auch bisher dem Kaiser Franz Joseph allein unterstanden? Wozu nannte man ihn »Persona grata« bei Kaiser Franz Joseph? Landeschef in Bosnien war wenigstens soviel wie Chef des Generalstabes. Es war sogar mehr. Es sollte ruhig so bleiben, daß nur der Kaiser noch etwas zu sagen hatte. Feldzeugmeister Potiorek betrieb die unmittelbare Unterstellung unter den Kriegsherrn leidenschaftlich. Sie wurde schließlich gewährt. Potiorek war dort, wo er sein wollte. Seine Befehlsgewalt war unumschränkt. Der Kaiser allein hatte allenfalls Rechenschaft zu fordern. Der Kaiser selbst wollte diese Ordnung. Feldzeugmeister Potiorek war allmächtig auf dem Balkan. Mit zwei Armeen kämpfte er seinen eigenen, persönlichen Krieg.

Einfach war seine Führung nicht. Die Serben hatten 300 000 Mann. Sie hatten die Technik der kaum abgeschlossenen Balkankriege. Das Heer war in straffster Zucht, das Soldatenmaterial prachtvoll, auch im einzelnen. Der Woiwode Putnik, den eine vornehme, aber unzweckmäßige Geste des Kaisers Franz Joseph von österreichischem Badeaufenthalt unbehelligt in sein serbisches Hauptquartier hatte reisen lassen, galt als ein Führer bedeutenden strategischen Könnens. In den Balkankriegen hatte er jedenfalls nicht versagt. Gespannt durfte man schon in Tusla Dolna sein, im Hauptquartier des Feldzeugmeisters, wie Putnik sich einem Potiorek gegenüber behaupten werde.

Das Königreich Serbien hat Grenzen von eindringlicher Plastik. Im Osten gegen Bulgarien den Timokfluß, im Norden gegen Ungarn die Donau und die Save, im Osten gegen Bosnien den Drinafluß. Der Feldzeugmeister stellte seine beiden Armeen zu einem Vorstoß gegen das Bergland an der Drina auf. Solange Böhm-Ermolli noch an der Save und Donau stand, sollte Böhm-Ermollis Heer dort einen Angriff demonstrieren. Aber der wirkliche Angriff sollte von der Drina her losbrechen. Böhm-Ermollis Reise ging bald darauf nach Rußland. Potioreks eine Armee, die der General Frank führte, kam wohl über die Drina auf serbisches Gebiet hinüber. Aber die zweite Armee, die der Feldzeugmeister selbst führte, war allzu weit vor ihr aufgestellt, um sie schnell genug unterstützen zu können. Außerdem mußten nach Böhm-Ermollis Abzug zum Schutze Ungarns Truppen ins Donaugebiet abgeschickt werden. Die Serben ließen sich darum doch nicht hindern, in Ungarn einzufallen. Auch rückten sie unbekümmert über die bosnische Grenze. Fast standen sie schon vor Serajewo. Der Feldzeugmeister ließ sich zunächst nicht verblüffen. Er hielt seine beiden Armeen einheitlich zusammen und kämpfte vorläufig nur die serbischen Vormarschgelüste nieder. Die Kämpfe währten über den Herbst. Potiorek entschied sie für sich.

Im November aber entschied sich noch mehr. Mit jähem Stoß hatte die Armee Frank die Linien des Gegners in der Nordostecke Serbiens durchbrochen. Jetzt schlug die Vormarschstunde des Feldzeugmeisters Potiorek. Mit der Armee des Generals Frank schlug er die Serben hart in der Kolubara. Mit der eigenen Armee schlug er sie hart bei Valjewo. Seine Truppen verstand er mit einer Kraft vorwärtszureißen wie selten ein Führer. Ihren Eifer entflammte er, ihren Eifer verzehnfachte er. Der Vormarsch ging über Straßen, die Morast waren oder schon verschneit lagen. Er drang quer über die Berge eines wilden Alpenlandes, das schon der Winter verhüllte, durch Wetter und Sturm und klirrenden Frost. Es gab kein Rasten. Es gab kein Atemholen. Es gab nur Armeebefehle, die napoleonische Rhythmen suchten und napoleonische Akzente fanden. Die Siege vor Valjewo und in der Kolubara waren groß gewesen. Niemand hatte zu einer Zeit, da aus Nordosten übermächtig die Sorgen drückten auf serbische Erfolge gerechnet. Sie nunmehr auszubauen, den bisherigen Feldzug in absehbarer Zeit zu endigen, lag ganz und einzig in Potioreks Hand. Aber da irrte er psychologisch. Da irrte er auch technisch. Die beiden Fehler warfen allen Sieg um.

Er hatte seine Soldaten Tag und Nacht marschieren lassen. Statt der Raststunden forderte er säubernde Gefechte. Die Nerven der Truppe hatten nach beispiellosen Anstrengungen eine unerhörte Belastung ertragen: sie hatten die zwei siegreichen Schlachten unmittelbar nach den Anstrengungen, unmittelbar nach der Jagd durch vereistes Gebirge, dem verbissensten, fanatisiertesten Feind geliefert, der vom Krieg bisher ins Feuer gerufen war. Aber jetzt mußte man mit Erschlaffung rechnen. Daß die österreichisch-ungarischen Truppen sich mit vorbildlicher Tapferkeit schlugen, daß sich bisher alle österreichisch-ungarischen Völker ohne Ausnahme so schlugen, wußten die Generale, die sie führten. Nur Anekdotenerzähler im eigenen Hinterland, Anekdotenerzähler im verbündeten Ausland wußten es nicht. Aber daß auch der beste Soldat, der Ausdauerndste im Kampf und auf dem Marsche nach anspannenden Wochen der Entbehrung die Pflicht der Ruhe zu üben hat, wußten mitunter die Truppengenerale nicht. Potiorek hielt die Zeit noch nicht für gekommen, da seine Soldaten ruhen sollten. Seine Unterführer dachten über das unerwünschte Problem nur teilweise nach. Der Korpsführer General Wurm hatte gegen ein sofortiges Weitermarschieren nichts einzuwenden. Er sagte überhaupt nichts zu dem Fall. General Appel warnte. Er wies den Feldzeugmeister darauf hin, daß die Truppen nicht mehr leistungsfähig waren. Außerdem kamen jetzt verstärkte Schwierigkeiten des Geländes hinzu. Die Munition war fast aufgebraucht. Neue Munition kam schwer nach. Der Nachschub stockte. Feldzeugmeister Potiorek aber sah keine Hemmnisse. Er sah keinen Grund, sich gerade jetzt in der Durchführung seiner Operationen stören zu lassen. Denn der Erinnerungstag an den Regierungsantritt des obersten Kriegsherrn war nahe. Für solch einen Tag brauchte der Feldzeugmeister etwas ganz Besonderes. Er vergaß ganz oder hatte nie darüber nachgedacht, daß dieser Krieg eine elementare Explosionenreihe wildester Völkerleidenschaft darstellte, daß die Tragödie hier nicht um eine »Strafexpedition«, vielmehr um Daseinsrechte zweier Reiche ging. Er wollte zum 2. Dezember eine Sensation. Er wollte eine blendende Sensation. Gelang seine Erzwingung, so war der Höfling niemals aus seines Kaisers Gunst zu drängen. Der Hofmann nahm dem General die Sinne. Hatten die Truppen bisher geradezu Unwahrscheinliches geleistet, so ging es mit dem Unwahrscheinlichen auch noch ein paar Tage weiter. Die Serben waren jetzt völlig zu erledigen. Der Marschbefehl erging an die Armee Frank. Der General Liborius Frank hatte entweder an Verantwortungsgefühl zu wenig, um lieber den Kommandostab abzugeben, als gegen einen Befehl zu stehen, der eine Sinnlosigkeit war. Oder er hatte die Situation nicht erkannt, nicht übersehen. Jedenfalls führte er den Befehl aus, er marschierte. Und der Marschbefehl erging an Potioreks eigene Armeen. Es gab keine Erschöpfung Potiorekscher Truppen. Hier war der psychologische Fehler.

Bisher hatte der Feldzeugmeister beide Armeen gegen die Serben von der Drina geschlossen marschieren lassen. Der Erfolg war mit ihm gewesen. Aber nunmehr – nach den Siegen bei Valjewo und in der Kolubara – teilte er sie plötzlich. Er selbst marschierte nach Südost. Die Armee Frank schickte er nach Nordost. Er bestand auf seiner Sensation: zum 2. Dezember mußte General Frank in Belgrad sein. Unruhe kannte er nicht. Belehrer duldete er nicht. Warner hörte er nicht. Er zersplitterte seine Kraft. Jeder marschierte sorglos einzeln. Hier war der technische Fehler.

Die beiden Schlachten hatten die Serben freilich mit voller Wucht getroffen. Aber als der Woiwode Putnik plötzlich das merkwürdige doppelte Marschieren sah, raffte er noch einmal gewaltsam an einem Ort zusammen, was er überhaupt besaß. Selbst Belgrad schien ihm gleichgültig in diesem Augenblick. Von den Truppen, die die Hauptstadt zu decken hatten, und von den Truppen, die gegen die bulgarische Grenze standen, zog er heran, was irgend schnell heranzuschaffen war. Er stellte sich mit allem, was er nach Valjewo noch hatte, zu einem Verzweiflungskampf gegen Potioreks eine Gruppe. Und schlug sie … Die Erschöpfung allein hätte die Armee jetzt schon gefällt. Untertänigst depeschierte General Frank dem obersten Kriegsherrn den Fall von Belgrad. Indes Liborius Frank im Belgrader Konak triumphierte, büßte die Armee Potiorek grausam und schwer. Aber der Generalissimus verlor auf einmal völlig den Kopf. Er vergaß plötzlich sein Selbstbewußtsein. Vergaß plötzlich seinen Hochmut. Er vergaß sogar, seine Situation zu überschauen. Denn er jagte das Heer, jagte alle, die ihm geblieben waren, ganz über Save und Donau, ganz nach Ungarn zurück. Erst am anderen Ufer sah er dann, daß der alles preisgebende Rückzug überschnell von ihm befohlen war. Denn jetzt hatte der Feldzeugmeister Potiorek die Widerstandskraft der Truppen unterschätzt, die er vordem napoleonisch angespornt hatte. Feldzeugmeister Potiorek war kein Napoleon. Weit mehr war er ein Höfling. Den Feldzug hatte er verloren, weil er allzusehr nach der Wiener Hofburg, statt nach Truppen und Schlachtfeld sah. Der Mensch Potiorek hatte den Soldaten besiegt. Seine Truppen standen wieder am Grenzrand der Monarchie: unvergleichliche Leistungen waren durch Sehnsucht nach Sensation entehrt. Der erste serbische Feldzug war zu Ende.

 

Erschöpft rangen beide Gegner nach Atem. Die Serben hatten den Kampfplatz zwar behauptet, aber sie brachten die Kraft nicht mehr auf, den Österreichern und Ungarn zu folgen. Sie bluteten aus vielen Wunden. Die serbische Armee, die betroffenen österreichisch-ungarischen Heereskörper mußten vor allem wieder hergestellt werden. Feldzeugmeister Potiorek ging in auffallender Schnelle. Der Kaiser hatte für ihn kein Abschiedswort. Mit der Selbständigkeit eines Oberkommandos auf dem Balkan war es vorbei. Erzherzog Eugen überwachte die Erholung der Truppen. Er wurde nach einiger Zeit, als er an die neue italienische Front hinüberging, durch General Terstyanski abgelöst, der sich schon auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz, namentlich an der Pilica wiederholt hervorgetan hatte. Das Feldherrningenium General Terstyanskis war vielleicht nicht übergroß, er hatte bisher Armeen nicht geführt. Groß aber war allezeit seine Energie, wenn es galt, Truppen wieder zu ordnen, deren Zucht die Ereignisse gelockert hatten. Die serbischen Erlebnisse in den ihm anvertrauten Verbänden verwischte er. Er straffte sie wieder. Zwischendurch arbeitete General Terstyanskis ungewöhnlich begabter Stabschef Dany in seiner Operationskanzlei allerlei Entwürfe, die vielleicht in der Zukunft nützlich sein konnten. Stabschef Dany gab die Hoffnung nicht auf, daß die Stunde wiederkommen müßte, in der man noch einmal den Serben zur Abrechnung gegenüberstände. Er bereitete sie vor. In seiner Operationskanzlei entstand der großzügige Entwurf eines Überganges über Donau und Save. Er führte den Entwurf bis in die kleinsten Einzelheiten aus, die er schriftlich niederlegte. Die Stunde, die der Stabschef Dany erhoffte, schlug nach Jahresfrist.

 

Deutschland brauchte eine Straße nach dem Osten. In den Bund der Mittelmächte war längst die Türkei eingetreten, die sich gegen die militärische Anstrengungen der Alliierten mit überraschender Kraft in wesentlich stärkerer Abwehr gehalten hatte, als die Erinnerung an den türkischen Zusammenbruch im Balkankriege zuließ. Die Schlachten auf Gallipoli erneuerten die besten Überlieferungen des osmanischen Heeres. Die türkische Armee hatte die alte Tapferkeit, die ganze schwere Kunst des stoischen Sterbens wiedergefunden. Aber der Weltkrieg war keine Entscheidung bloß durch heldenhafte Haltung. Er war ein Krieg der Massen und des Materials. Die Technik und die Industrien der Mittelmächte und ihrer Gegner rangen miteinander. Die Türkei konnte wenig Geschütze bauen. Oder gar keine. Ihre Munitionsfabriken glichen Kinderwerkstätten, wenn man in die Fabriken der kämpfenden Mächte blickte. Eine Zeitlang halfen die Mittelmächte dem Bundesgenossen auf dem Wege über Rumänien und Bulgarien aus. Sie sandten an Munition, was sie konnten und was sie durften. Die Bulgaren bereiteten der Durchfahrt weniger Schwierigkeiten als die Rumänen. Jeder Waggon mit Granaten, der wirklich auf türkischem Boden eintraf, war vorher mit Gold aufgewogen. Bestochen mußten die Rumänen, mußten die Bulgaren werden. Die Munition reiste bald als Kabel, als Zement, in den man die Granaten gemauert hatte, bald als anderes. Von sechs Waggons kuppelten die Rumänen gelegentlich vier Wagen für sich ab. Ständig drohte die Verbindung dabei abzureißen. Eigentlich hätte Rumänien an der Seite der Mittelmächte kämpfen müssen. Das Bündnis von Bukarest aus dem Jahre 1913 war nicht gekündigt und nicht erfüllt worden. Vorläufig war Rumänien noch neutral. Aber wenn es mit den Mittelmächten hätte gehen wollen, so hätte es den Anschluß längst erklärt. Italien kämpfte in der Alliiertenreihe, obgleich es einen Dreibund gegeben hatte. Niemand konnte bei Rumänien die Nachahmung solchen Beispiels außerhalb des Möglichen erklären. Die Türkei brauchte übrigens nicht nur Munitionsaushilfe, man mußte sie mit Kriegsmaterial jeglicher Art unterstützen. Stoffe, Ausrüstungsgegenstände, selbst Lebensmittel waren nötig. Jede Verschärfung in der rumänischen Stimmung bedeutete eine Unterbrechung der Straße nach Konstantinopel. Der türkische Bundesgenosse war dann isoliert. Erklärte aber auch noch Rumänien den Mittelmächten den Krieg, so war der türkische Bundesgenosse überhaupt verloren. Seine Verteidigungskraft brach dann zusammen. Die Unsicherheit des Zusammenwirkens mit den Mittelmächten, die Sorge um Vernichtung und Verlust des Freundes mußte endlich behoben werden.

General von Falkenhayn war, wenn er wollte, kein ungeschickter Diplomat. Im Gegenteil: die Fähigkeiten des Diplomaten übertrafen wesentlich die Fähigkeiten des Generalstabschefs. Der sicherste Weg nach Konstantinopel führte durch Serbien und Bulgarien. Es war zugleich der schnellste Weg. Serbien konnte in absehbarer Zeit, konnte jetzt sogar rasch und verhältnismäßig leicht niedergekämpft werden. Den Mittelmächten hatten die großen Erfolge gegen Rußland den Arm freier gemacht. An Serbiens Niederwerfung, an serbischen Eroberungen hatte Bulgarien lebhafte Interessen. Im Balkankrieg hatten die Bulgaren nur notgedrungen »ihre Fahnen eingerollt«. Sie waren von den Serben um die Beute gebracht worden. Der Augenblick der Heimzahlung schien jetzt gekommen. Den Mittelmächten stand Bulgarien nicht ohne Freundlichkeit gegenüber. Ferdinand von Koburg trug einmal den österreichisch-ungarischen Offiziersrock. Österreich-Ungarn dankte er den Thron. Für Bulgarien hatte Graf Leopold Berchtold auf dem Bukarester Frieden gesprochen. Alles war vorbereitet in der Stimmung. General von Falkenhayn bot seine ganze Beredsamkeit, seine ganze Liebenswürdigkeit in Verhandlungen mit Bulgarien auf. Die Verhandlungen führten zu günstigem Ende. Dem General von Falkenhayn gebührte das Verdienst, den neuen Bund mit Bulgarien beschlossen und besiegelt zu haben. Das Königreich trat zu den Mittelmächten. Die Alliierten hatten es fortan mit einem Vierbund zu tun.

War der Vierbund einmal geschlossen, so bestand kein Grund, die geographische Einheit mit der Türkei nicht sogleich durch Waffengewalt herzustellen. Im deutschen Hauptquartier zu Pleß setzte man sich zur entscheidenden Beratung zusammen. Für die Oberste Deutsche Heeresleitung sprach Falkenhayn. Für das Armeeoberkommando Freiherr von Conrad. Für den bulgarischen Generalstab sprach Gantschew. Die Türken vertrat Zekki Pascha. An einem militärischen Grundplan war, so schien es wenigstens, diesmal nicht viel herumzubauen. Im ersten serbischen Feldzug hatte das Königreich 300 000 Mann in drei Aufgeboten aufgestellt. Nur die 60 Bataillone des dritten Aufgebots, die sonst eigentlich den Grenzschutz versahen, konnte man nicht durchaus als Elitetruppen ansprechen. Von der prachtvollen ersten serbischen Armee stand nur noch die Hälfte von 150 000 Mann. Immer noch war die Hauptzahl der Truppen gut; dennoch reichten sie an die erste Serbenarmee nicht mehr heran. Jetzt erst zeigte sich, wie schwer selbst die Siegreichen gelitten, die sich nicht mehr erholen konnten. Jetzt erst zeigte sich, wie gering an dem ganzen verunglückten Feldzug von 1914 die Überlegung Potioreks, wie bedeutend aber die Haltung der Truppen gewesen war. Um 150 000 Mann außer Gefecht zu setzen, die nur lose mit ihren Verbündeten in Fühlung standen, ohne daß diese Verbündeten große Hilfsmöglichkeiten besaßen, waren keinerlei besondere strategische Pläne nötig, wenn man selbst über genug Truppen verfügte. Man mußte nur auf die Umkreisung des Gegners achten, Falkenhayn wollte sogleich sechs Divisionen an die Unternehmung setzen. Freiherr von Conrad sollte die gleiche Zahl aufbringen, vermochte aber vorläufig, da Kämpfe an der russischen und italienischen Front sich wieder verstärkten, nur vier Divisionen beizusteuern. Andererseits beantragte der Freiherr die Mitwirkung von Donauflottille und Pionieren. Sie waren bei den Stromübergängen von höchster Wichtigkeit. Gantschew meldete drei bulgarische Divisionen an, die an Stärke viereinhalb deutschen Divisionen gleichkamen. Die Frage des Oberkommandos war nunmehr zu regeln. Freiherr von Conrad hätte gern endlich einen österreichisch-ungarischen Führer an der Spitze gesehen. Sie schienen ihm bisher mit Unrecht verdunkelt. Auch war der Krieg gegen Serbien in der Tat eine alte vielbelastete Rechnung der Monarchie. Aber Falkenhayn berief sich auf die Mehrzahl seiner Truppen. Im übrigen wäre es nicht so schlimm, wenn Freiherr von Conrad nur vier Divisionen aufbrächte. Er selbst ergänze mit Vergnügen auch die zwei fehlenden Divisionen. Und General von Falkenhayn berief sich ferner darauf, daß bei ihm das Verdienst lag, Bulgarien für die Mittelmächte gewonnen zu haben. Schwer ließ sich gegen all diese Einwände etwas entgegnen. In Galizien hatte der Generalfeldmarschall von Mackensen mit größter Gewissenhaftigkeit, mit musterhafter Ordnung, mit Entschlossenheit und Kraft die Pläne zur Durchbruchsschlacht von Tarnow und Gorlice durchgeführt. Nichts war gegen ihn bisher als Armeekommandanten zu sagen. Falkenhayn bestand auf Mackensen. Nur im großen blieb noch der Aufmarsch zu beraten.

Seine Linien waren gegeben. An der Drina im Westen eine schwächere Gruppe. An der Save und Donau das deutsch-österreichisch-ungarische Hauptheer. Am Timokfluß im Osten die Bulgaren. Save und Donau sollten überschritten werden. Mackensen mit den deutschen Truppen im Tal der Morawa nach Süden dringen. General Köveß hatte Belgrad zu nehmen. Dann sollte sein Vormarsch südwärts über die Berge gehen. Die österreichisch-ungarischen Truppen hatten im Gebirge öfter gekämpft, als die deutschen Kameraden: für den Gebirgskrieg waren sie erzogen. Die Bulgaren sollten vom Timokfluß nach Westen stoßen. Schon im Anfang des Unternehmens waren die Verbündeten an Zahl dem Gegner erheblich überlegen. Über den Ausgang gab es keinerlei Meinungsverschiedenheit. Es mußte gehen. Was den Aufmarsch betraf, hatte nur Freiherr von Conrad gewissen Einspruch erhoben. Er fand es besser, wenn die Bulgaren sich nicht am Timok, sondern lieber weiter im Süden versammelten. Der Einwurf schien indes belanglos. Die Ausführung der Beschlüsse begann.

Mackensen stand bereit. Köveß stand bereit. Die Bulgaren standen bereit. Noch einmal kam Freiherr von Conrad auf seinen Einwand zurück. Und machte ihn zu schriftlich überreichtem Einspruch. Der Aufmarsch und noch mehr die Vormarschrichtung der bulgarischen Truppen fände er im Hinblick auf das Ziel des Feldzuges doch nicht ganz zweckentsprechend. Die Serben zu schlagen, war in diesem zweiten Feldzug keine Aufgabe mehr, deren Lösung ein übermenschliches Aufgebot von Geist und Material erforderte. Die Serben völlig einzukreisen, um sie als Kriegsmacht völlig und endgültig auszuschalten, war schwieriger. Wenn die Bulgaren, von vornherein so hoch im Norden versammelt, dann auch noch geradeswegs nach Westen marschierten, so mußte der Augenblick kommen, da ihre Truppen in die südwärts marschierenden deutschen Kolonnen gerieten. Dann gab es einen verworrenen deutsch-bulgarischen Knäuel, der nicht erstrebt werden könnte, und weder leicht, noch schnell zu entwirren war. Die Oberste Deutsche Heeresleitung antwortete Freiherrn von Conrad sehr höflich. Aber die Befehle wären ja von allen Verbündeten gemeinsam bereits festgesetzt worden. Schwer scheine es, sie noch einmal umzuändern. Der Vormarsch begann. Die serbischen Truppen wurden langsam zermalmt. Mackensen hatte Danys Entwurf empfangen, der den Übergang über Save und Donau regelte. Der Übergang wurde nunmehr bis in die kleinste Einzelheit so durchgeführt, wie Terstyanskis Stabschef sie verzeichnet hatte. Über Belgrad stieß Generaloberst von Köveß mit geraden Pfeilen südwärts über das Gebirge. Mackensen kam rasch im Morawatal vorwärts, die Bulgaren marschierten gleichfalls, indem sie jeden Widerstand zerbrachen. Offenkundig standen die Serben vor der Vernichtung. Da gab es plötzlich für die vormarschierenden Heere im Raume zwischen Paracin und Sokobanya eine schwere Stockung. In vollem Marsch, mit Artillerie und Train und Infanterie, rannten die deutschen und bulgarischen Kolonnen ineinander. Ein Knäuel entstand, der unentwirrbar schien. Alle Straßen waren verstopft. Es gab weder Hin noch Her. Im Westen jagte Generaloberst von Köveß die ermatteten Serben in das Innere des Königreichs; im Osten hatten Bulgaren und Deutsche tagelang damit zu tun, ihre eigenen Reihen zu entwirren. So stand den Serben die Flucht nach Südosten, die Flucht über Albanien offen. Mackensen mochte jetzt plötzlich einsehen, die Bulgaren nicht minder schnell, warum Conrad so stark südwestlich hatte marschieren wollen. Hätte man mit den Bulgaren im Rücken der Serben gestanden, die von Mackensen und Köveß herangetrieben wurden, so war ihr Entrinnen eben unmöglich. Man erwartete sie dann. Man schnitt sie ab. Man kreiste sie ein, nahm sie alle gefangen. Es gab dann nur eine einzige serbische Kapitulation. Und was nicht mehr möglich gewesen war, als es schwer schien, die Befehle beim Aufmarsch umzuändern, war jetzt auf einmal möglich: die Bulgaren schwenkten stark südwestlich ein. Sie schwenkten, als sie und die deutschen Truppen zwischen Paracin und Sokobanya endlich wieder Luft bekommen hatten, genau den Weg ein, den Freiherr von Conrad ihnen gezeigt hatte. Ein Bruchteil der Serben blieb gerade noch hängen. Der Rest entkam. 50 000 Mann retteten sich nach Korfu. Gerade die Einkreisung war mißglückt. Die 50 000 Serben wurden von den Alliierten auf Korfu in Ruhestellungen gründlich erholt. Mackensen hatte das Serbenheer zwar geschlagen; aber ein paar Monate später stand ein volles Drittel bei Saloniki und in Rußland abermals im Kampf.

Der Raumgewinn war allerdings da. Das Königreich Serbien war Besitz des Vierbundes. Die Straße nach Konstantinopel war frei. Bald konnten die Balkanzüge rollen. Mit Munition, mit Material, mit Truppen. General von Falkenhayn durfte sich zufriedengeben. Freiherr von Conrad gab sich nicht zufrieden. Ihn störte das Heer Sarrails vor Saloniki. Wer bürgte dafür, daß es nicht eines Tages die Linie durchbrach und die Front der Mittelmächte in der Flanke aufriß? Wer konnte verhindern, daß die Entente sich nicht eines Tages zu einer großzügigen Offensive von Saloniki her entschloß? Wer wollte es ihr verwehren, im Hafen von Saloniki Truppen auf Truppen zu landen? Wenn das Vorderhaus der Front auch sicher war: das Hinterhaus mußte ebenso sicher sein. Es war nicht alles, daß man im Vorderhaus wachte. Auch durch das Hinterhaus konnte man eindringen. Geschah es einmal, daß die bulgarische Front niedergerissen wurde, dann war das Unheil unabsehbar. Es war um so verhängnisvoller, je weiter der Krieg fortschritt, je stärker der Truppenverbrauch geworden war. Marschierte ein Ententeheer über Bulgarien durch Ungarn ein, dann stürzte die Monarchie in Trümmer. Dann war zuletzt selbst Deutschlands Flanke bedroht: dann war der Krieg mit Schrecken zu Ende. Jetzt hatten die Bulgaren ihre serbische Beute. Wer wußte, was mit Rumänien kommen würde? Wenn die Bulgaren im Kriegsfall mit Rumänien dem Bunde treu blieben, was im Hinblick auf die Dobrudscha anzunehmen war, so hatten sie dann gleichwohl zwei Fronten. Reichte ihre Salonikifront bis ans Meer, besaßen sie Saloniki selbst, so waren dort alle Anstrengungen vergeblich, die die Alliierten etwa vom Meer her unternehmen wollten. Denn die Alliierten waren dann ohne einen Landungshafen, ohne eine Verpflegsbasis und ohne eine Operationsbasis. Saßen die Bulgaren aber in Saloniki, oder wenigstens die Verbündeten, mit denen man sich später noch einigen konnte, so saßen die Bulgaren um so fester im Vierbund. Die Sarrailarmee, ihre lastende Drohung, war ausgeschaltet. Es gab dann keine Flankenaufrollung der Mittelmächte mehr. Freiherr von Conrad war unruhig, solange er einen Ententesoldaten vor Saloniki wußte. Er wollte blanken Tisch auf dem Balkan. Er wollte weitermarschieren; da man einmal hier war, durchmarschieren. Freiherr von Conrad forderte den Marsch nach Saloniki.

Falkenhayn schwärmte nicht für Dinge, die er für Abenteuer hielt. Auch dann nicht, wenn ein anderer sie ersonnen hatte. Was Conrad ihm hier vortrug, sah er als ein Unternehmen an, das mit den schwersten Hindernissen zu rechnen hatte. Er liebte überdies die größte Vorsicht. In der Frühjahrsschlacht in Galizien, für die er zuerst auch nicht einmal die Truppen hatte hergeben wollen, war er gerade noch bereit gewesen, bis zum San zu marschieren. Widerwillig hatte er ihn überschritten. Conrad hatte ihn halb mit Gewalt auch noch über den Bug gedrängt. Falkenhayn besaß die Balkanbahn: Saloniki bekümmerte ihn nicht. Er wendete Nachschubschwierigkeiten ein. Unwegsam wäre das Gelände. Dabei vergaß er, daß die serbische Landschaft, durch die man gekommen war, nicht wegsamer genannt werden konnte. Pioniere, Straßenbauer, Eisenbahnbauer hatte man reichlich. Bulgarien mit seinen Hilfsmitteln war nahe. Aber Falkenhayn sah nur Schwierigkeiten. Vielleicht hatte er andere Pläne, mit denen er vorläufig nicht ans Licht wollte. Vielleicht dachte er an Kaiser Wilhelms Verwandtschaft mit dem Griechenkönig, der nicht verletzt werden durfte. Falkenhayn lehnte ab. Wenn Freiherr von Conrad gestatte, daß er die deutschen Truppen von den Mühen des serbischen Feldzugs, bevor er sie anderwärts wieder verwende, in den gesegneten ungarischen Gefilden sich erholen lasse, so wäre er zu Dank verpflichtet. Conrad hatte nichts dagegen. Für die eigenen Truppen aber konnte er noch keine Schonzeit gewähren. So groß waren die Strapazen in Serbien diesmal nicht bei allen Heeresteilen gewesen. Schauerlich war nur die Flucht der vom Feinde gehetzten, unverpflegten und abgerissenen Serben durch das Eis der Berge. Freiherr von Conrad war nicht Oskar Potiorek. Den Vormarsch im Osten hatte er in dem Augenblick halten lassen, da er den Zwang zur Ruhe gekommen meinte. Aber in Serbien waren die Truppen noch durchaus marschfähig. Wenn die Sarrailarmee also unbedingt ein Gegenstand der Bedrohung vor Saloniki bleiben mußte, so war das Nächstliegende zu erledigen. Freiherr von Conrad war immer für rasche und sinngemäße Erledigung des greifbaren Nächsten. Serbien war zertrümmert. Aber Montenegro stand noch. Conrad zog die Armee Köveß aus der dreieinigen Truppenversammlung auf dem Balkan. Jetzt sollte Montenegro außer Gefecht gesetzt werden. Was aber für Saloniki galt, galt bei dem General von Falkenhayn für Montenegro keineswegs. Das wilde, zerschluchtete Karstland, darin kaum ein regelrechtes Haus, oft nicht einmal Hütten sich fanden, darin die Straßen vielfach nur abschüssige Saumpfade waren, kam ihm durchaus nicht unwegsam vor. In bezug auf Montenegro waren auch seine Truppen gar nicht so erschöpft. Um Saloniki zu säubern, bedurfte es größerer Anstrengung und entschlossenen Zugreifens. Montenegro dünkte ihn einfacher als Erledigung: also lag es wirklich näher. Falkenhayn sah die Aktion sympathisch an. Mackensen würde es schon machen. Aber der Generalfeldmarschall hatte nach Conrads Ansicht den serbischen Feldzug, bei dem der Marschall und die deutsche Heeresleitung auf das Charakteristische der Unternehmung von ihm aufmerksam gemacht worden waren, nicht aufs beste zu Ende geführt. Daran änderte der Jubel der Zeitungen nichts. Nicht Mackensen, sondern Köveß hatte die Ereignisse in Montenegro zu leiten. Dies war kein Vorschlag, sondern Beschluß und Befehl. Die Armee des Generalobersten von Köveß rückte aus Serbien ab.

 

Potioreks Nachfolger im Konak zu Serajewo, der neue bosnische Landeschef General Sarkotic, hatte schon früher einmal einen Plan ausgearbeitet, wie man den Lovcen angreifen könnte, die starke Bergfestung über der Bocche di Cattaro. Wenn man den Lovcen besaß, lag die Hauptstadt des kleinen Königreichs unter den Kanonen des Siegers. Wenn man den Lovcen besaß, war ein Einfall in österreichisch-ungarisches Gebiet für die Montenegriner schwer. Denn der Beherrscher des Lovcen, der alle Berge überhöhte, und einen fernen Ausguck auf die Adria gab, bestrich mit seinen Geschützen weit die Runde. Auch ein junger Offizier im Teschener Hauptquartier hatte einen Angriffsplan gegen den Lovcen ausgearbeitet, der sehr brauchbar war. Beide Angriffspläne ließ Freiherr von Conrad sich vorlegen. Er war mit einer Vereinigung einverstanden, die das Beste aus beiden Manuskripten zur Einheit schmiedete. Aber nicht bloß der Lovcen: ganz Montenegro sollte genommen werden. Zumal es sich um die Aushebung eines Nestes handelte. Nicht mit den verhältnismäßig geringen Mitteln, die in den beiden Plänen festgesetzt waren, sondern mit genügenden Mitteln, um jeden Fehlschlag auszuschalten. Der Aufmarsch wurde festgelegt. Der Generaloberst von Köveß führte ihn und den Feldzug mit fehlerloser Berechnung, mit so musterhafter Manövrierkunst durch, daß die Zahl der Opfer recht gering blieb. So schnell brachte er seine Aufgabe zu Rande, daß die Volksstimmung in der Monarchie lieber an eine Bestechung des Königs von Montenegro, als an die Kraft des eigenen Heeres glaubte. Von solcher Bestechung wußte weder der Generaloberst von Köveß etwas, noch der Freiherr von Conrad. Der König von Montenegro entfloh. Sein Land wurde besetzt. Auch Montenegro war nebenher erledigt.

 

An der weiten Ostfront, an der Südfront, in Rußland, in Serbien, in Montenegro standen die Heere der Mittelmächte in vollem Glanze militärischer Triumphe.


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