Frank Norris
Der Ozean ruft
Frank Norris

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Elftes Kapitel

Die Führer wechseln

»Komm, Moran«, sagte Wilbur später, als die Spannung der Kräfte wieder kam, »unser wartet noch viel Arbeit!«

Nicht Moran war es mehr, die kommandierte.

Jenes kurze Ringen an der Küste hatte viel geändert

Nun führte Wilbur, tatenlustig geworden.

Er empfand keine Furcht mehr und hatte aufgehört zu zaudern.

Er fühlte, wie sich in ihm alle Kräfte seines Geistes und Körpers vervielfacht hatten.

In dem Augenblick, als er den Räuber, vom Messerstich niedergeworfen, in den Sand rollen sah, hatte alles Starke, Männliche und Brutale in ihm begonnen, mächtig und groß zu werden.

In Wilbur erwachte ein Siegesbewußtsein, ein unbegrenztes Selbstvertrauen und seine Freude mußte in einem Aufschrei Ausdruck suchen.

Er packte einen schweren Spaten, welcher während des Kampfes neben der flammenden Hütte liegen geblieben war, schleuderte ihn hoch in die Luft und fing ihn beim Herunterkommen wieder auf.

Er jauchzte dabei wie ein Wilder.

»Komm«, rief er Moran zu, »wo blieben denn die Banditen? Ich muß noch einen umlegen, ehe der Kampf aus ist.«

Sie traten mitsammen aus der Rauchwolke hervor, eben noch zurecht, um bei der anderen Seite der Hütte den Ausgang des Kampfes zu sehen.

Eigentlich hatte die ganze Geschichte kaum eine Viertelstunde gedauert. Die Strandräuber waren besiegt.

Vier hatten ihr Heil in der Flucht gesucht, zur Sandwüste hin, die im Hintergrunde der Bai lag; keiner verfolgte sie mehr. Ein fünfter war von einem der Kulis verletzt worden, er gab sich gefangen. Ein sechster, der wie eine Tigerkatze jammerte und brüllte, war ebenfalls gefangen worden, den siebenten hatte Wilbur zur Strecke gebracht.

Wilbur und Moran sahen, als sie um die Hütte herumkamen, die Leute der »Bertha Millner« in der Nähe des Baches eine Gruppe bilden.

Alle waren vom Kampf blutig und schmutzig, manche bis zum Gürtel entblößt, die Waffen hielten sie alle noch in Händen.

Es waren alle da – doch – waren es wirklich alle?

Als sie näher traten, löste sich die Gruppe, machte Platz, so daß Wilbur auf einmal vor einer Gestalt stand, deren Kopf auf einer eingerollten Bluse lag. Seltsam unbeweglich lag da einer auf dem zertretenen Sand.

»Charlie ist es!« rief Moran bewegt.

»Wo ist er denn verwundet? Jim!«

Jim war außer Charlie der einzige der Besatzung, der Englisch verstand und sprach.

»Räuber finden Pistole, deine, Revolver, Charlie viel kämpfen, als er nicht schauen, Räuber hinten schießen Charlie in Seite, so!«

»Getötet hat er ihn? Ist Charlie tot?«

»Nein, ich denken, bald tot, nichts hören, schlafen, glaube, bald für immer schlafen!«

Als Wilbur den zerfetzten Ärmel einer Bluse, den man als Notverband gebrauchte, behutsam wegnahm, sah er nur wenig Blut.

Die Kugel war unter der Achselhöhle eingedrungen. die kleine Öffnung hatte sich bereits geschlossen und lag verdeckt unter zwei Blutkrüstchen.

Charlie hatte das Bewußtsein vollkommen verloren, die Augen standen weit geöffnet, der Atem ging hastig, unregelmäßig und schwach.

»Was hältst du davon? Maat?« fragte Moran leise.

»Ich glaube, die Kugel hat die Lunge verletzt«, erwiderte Wilbur bewegt. »Armer, alter Charlie!«

Moran kniete nieder und legte einen Finger auf das schmale Handgelenk, das gelblich war wie altes Elfenbein.

»Charlie«, rief sie, »Charlie, du, kennst du mich nicht? Komm zu dir, alter Knabe! Moran ist da. Ist es arg, doch nicht?«

Charlies Augen öffneten sich, schlossen sich wieder, oftmals.

»Nicht können sagen«, kam's mit leiser Stimme aus ihm, »sehr viel verwundet.« Dann hüstelte er.

Wilbur entfuhr ein Seufzer der Erleichterung.

»Wird schon noch werden mit ihm«, meinte er.

»Ich will's auch glauben«, bekräftigte Moran.

»Doch vorerst müssen wir ihn an Bord unseres Schoners, bringen«, erklärte Wilbur. »In dem Boot der Piraten können wir ihn hinüberschaffen. – Um Gottes willen!« rief er plötzlich, »wo ist das Ambra? Ich hatte das gänzlich vergessen.«

In der Hitze des Gefechtes, im wahrsten Sinne des Wortes, war der Fund in Vergessenheit geraten.

Sollte der Kampf vielleicht überhaupt vergeblich gewesen sein?

Die Küstenräuber hatten rechtzeitig von dem geplanten Überfall erfahren, es wäre ihnen mit Leichtigkeit möglich gewesen, das Ambra zu verbergen oder zu vernichten.

Mit zwei Schritten war Wilbur bei dem Boot und durchstöberte sofort alle Kästen.

Ein Freudenruf wurde laut.

Der ganze Schatz war da, der Klumpen war in vier Teile zerschnitten worden, drei davon steckten in Teekisten, der vierte war noch in die Hängematte gehüllt.

»Moran, wir haben es wieder«, rief er freudig dem Mädchen zu, das ihm gefolgt war. »Wir haben alles wieder, Moran, über hunderttausend Dollar! Nun sind wir unermeßlich reich, du und ich! Es lohnte sich doch, gekämpft zu haben, nicht? Aber jetzt wollen wir zusehen, daß wir weiterkommen, heimwärts, Moran!«

»Wenn ich dabei an Charlie denke ...« erwiderte sie zögernd, »wenn das nicht geschehen wäre, könnten wir uns richtig freuen. Ich weiß nun nicht mehr, ob es recht war, das Lager zu überfallen. Ich bin dessen nicht froh, daß wir Charlie in unserem Kampf mitnahmen und damit seinen Tod verursachten.«

Wilbur sah mit großen erstaunten Augen auf Moran, diese gänzlich umgewandelte Moran.

Wo war das wilde, keine Schranken kennende Mädchen der vergangenen Nacht geblieben, das ihn verdammt und seine Einwände wegen Recht und Unrecht verächtlich abgetan hatte.

»Hoi«, meinte Wilbur ungeduldig, »Charlie wird schon wieder werden, wie er war. Ich habe ihn ja auch nicht gezwungen. Ich, besser gesagt, wir, wir befanden uns alle in gleicher Gefahr. Hätte ich meinen Mann nicht dort hinter der Hütte umgelegt, wäre ich jetzt auch nicht mehr. Jedenfalls ist das Ziel erreicht, das Ambra haben jetzt wir. Sie nahmen es uns mit Gewalt! Wir hatten nun Kraft genug, es uns wieder zu holen.«

Moran nickte, anscheinend zufrieden mit seiner Schlußfolgerung, und meinte dazu:

»Aber, was nun, Maat?«

»Wir gehen wieder an Deck der »Bertha Millner' zurück und fahren los, sobald die Flut kommt! Jim und zwei andere Kulis werden Charlie im Boot hinüberbringen. Die übrigen werden um die Bai herumgehen.«

»Aber mit Hoang müssen wir noch einiges besprechen, falls er sich nicht inzwischen befreit und das Schiff in Brand gesteckt hat. Ich habe keine Lust, diese Banditen mit nach San Franzisko zu nehmen.« »Was denkst du mit den Gefangenen zu tun?« fragte sie nach einer Pause.

»Ich laß sie laufen, wir haben doch ihre Waffen.«

Die beiden hatten die Rolle gewechselt. Nun war es Wilbur, der entschied, was geschehen sollte, Moran nahm seinen Rat willig an und vertraute auf sein Urteil.

Wilburs Befehl gemäß trug man Charlie zum Boot. Mit zwei Chinesen an den Riemen, dem kostbaren Ambra im Kasten, glitt das Boot zum Schoner hinüber.

Wilbur selbst löste die Fesseln der beiden gefangenen Räuber und jagte sie fort.

Dann kehrte die gesamte Besatzung der »Bertha Millner« nach dem Schiff zurück.

Gegen Mittag erst, die Sonne brannte mitleidslos hernieder, kam die Mannschaft des kleinen Schoners im Schatten seines Rumpfes zusammen. Alle waren völlig erschöpft.

Nachdem Charlie an Bord gehoben worden war, schließlich auch das Ambra an Deck kam und in der Kajüte sicher verstaut war, bewilligte Wilbur den Chinesen drei Stunden Ruhe.

Die Kulis waren bisher ohne Frühstück und ohne Mittagessen geblieben, doch ihre Müdigkeit war stärker als ihr Hunger; im Schatten des Vorsegels, das man zu diesem Zweck ausgesetzt hatte, lagen nach kurzer Zeit schon alle sechs Chinesen auf dem Vordeck zum Schlafe ausgestreckt.

Moran und Wilbur suchten jedoch Hoang auf, den sie so wieder fanden, wie sie ihn zurückgelassen hatten: gefesselt auf dem Boden der Kajüte.

»Nun wollen wir uns ein wenig unterhalten«, sprach Wilbur zu ihm, als er Hoangs Fesseln von den Handgelenken und Füßen gelöst hatte, »Wir haben uns unseren Fund doch wieder geholt, alter Freund, es kostete einem deiner Leute das Leben. Es war ein Unsinn, daß du dich mit uns eingelassen hast; du siehst dich nun in einer elenden Lage, alter Gauner: dein Schiff ist zerschellt, alle Beute vom Wal, Öl und Speck sind verloren, von deinen Leuten sind vier geflüchtet, einen fingen wir, ließen ihn jedoch laufen, einer ist verwundet, du selbst aber in Fesseln. Also«, setzte Wilbur seine Rede fort, »ich glaube, dies wird eine Lehre für dich sein.«

Der kleine Pirat, er maß kaum mehr als eineinhalb Meter, rieb seine schmerzenden Handgelenke und glotzte Wilbur aus den winzigen, funkelnden Augen an.

Wilbur sprach weiter:

»Jetzt segeln wir heimwärts. Ich will dich und deine Leute hier in der Magdalena-Bai lassen. Als unsere Chinesen den Schoner verließen, nahmen sie eine Menge Lebensmittel mit. Ich will euch diese hier zurücklassen, zudem habt ihr genug Schildkröten und Muscheln. Ich vermute, daß amerikanische Kriegsschiffe zweimal im Jahr zu Schießübungen in diese Bucht kommen. Sollten wir diesen unterwegs begegnen, wollen wir ihnen Nachricht geben, daß hier Gestrandete leben. Das ist alles, was wir für euch tun können! Wenn es euch nicht gefällt, müßt ihr eben die Küste entlang marschieren, bis ihr zu einer Stadt kommt, aber ich kann euch nur abraten. Nun, was meinst du dazu?«

Hoang blieb stumm. Sein Zopf hatte sich halb aufgelöst, er flocht ihn neu, dabei nachdenklich die Augen schließend.

»Also, was denkst du davon?« drängte Moran.

»Ich verlieren Gesicht«, gab Hoang endlich zur Antwort.

»Ich verlieren Gesicht!« wiederholte er standhaft, dann erklärte er: »Ich schämen sehr. Du kämpfen meine Chinaboys, mich fangen, meine Boy nicht mehr haben mich für Boß. Ich zurückgehen, sie nicht mich mehr lieben. Vielleicht mich töten. Ich verlieren Gesicht – nicht mehr sein Boß.«

»Eine feine Bande!« stieß Wilbur hervor.

»Ich glaube schon, daß an seinen Worten etwas Wahres dran ist. Was sagst du, Maat?« bemerkte Moran, legte über jede Schulter eine Flechte und streichelte sie nach ihrer Gewohnheit.

»Wir wollen Jim befragen«, bestimmte Wilbur.

Jim bestätigte die Worte Hoangs.

»Ach, die Piraten töten schlechten Boß gewiß«, sagte er.

»Wollen wir ihn nicht doch mit nach Frisko nehmen, Maat?« meinte Moran, »es ist genug Blut geflossen.«

So beschlossen sie gemeinsam, den besiegten Strandräuber, den gefangenen Freibeuter, mit seinem »verlorenen Gesicht«, den Boß, der seinen Leuten nicht länger in die Augen zu schauen wagte, an Bord der »Bertha Millner« zu behalten.

Am nächsten Morgen um vier Uhr ließ Wilbur von den Chinesen den Sand vom Bug des Schoners graben. Die Leine, welche zum Hereinziehen dienen sollte, wurde um den Felsblock geschlungen, frisches Wasser an Bord gebracht und Proviant für die verbliebenen Küstenräuber hinterlegt.

Dann holte man das Boot an Bord, löste die Zeisige und schloß die Luken.

Mit einströmender Flut zogen sie den Schoner herunter, er entfernte sich bei der leichten Brise langsam von der Küste.

Eine volle Stunde brauchte das Schiff, um allmählich aus der Bucht zu gleiten.

Dann aber frischte der Wind auf. Moran faßte das Steuerrad, man setzte Flieger- und Stagsegel, am Heck schäumte das Kielwasser auf, der Bug rauschte durch die Flut.

Immer weiter öffnete sich der Ozean, unendlich weit. Moran schlug das Ruder herum und rief, als sich der Bug des Schiffes nach Norden drehte, Wilbur zu:

»Maat, sieh zu, wirf noch einmal einen Blick auf die Magdalena-Bai!«

Wilbur stand neben ihr; mit einem Blick erfaßte er den weiten Bogen der Küste. Die endlosen, gelben Sandmassen, die drückende Hitze, die unendliche Fläche des blauen Wassers mit dem grünen Seetang muteten ihn vertraut an.

Alles kannte er hier, – er fand freundlich, anheimelnd was er sah.

An der ganzen, weiten Bucht gab es kaum eine Stelle, die nicht sein Fuß betreten hatte.

Dort, der Platz am Strome, wo Moran und er erstmals gelandet waren, um frisches Wasser zu holen und Abalonen zu sammeln; da, der Bach selbst, wo er Wachteln gefangen hatte, hier der Sandhügel, mit dem gebleichten Walfischschädel, wo sie den Schoner hatten auflaufen lassen.

Dort aber, der dunkle Fleck, über dem noch eine graublaue Rauchwolke schwebte, dort stand die verkohlte Ruine des alten portugiesischen Walfischfängerlagers, wo sie mit den Küstenräubern gefochten hatten.

Einen Atemzug lang blickten Moran und Wilbur schweigend zurück.

Sie standen auf dem Achterdeck im Schatten des Hauptsegels, abgesondert von den andern, für sich allein.

»Nun heißt es Abschied nehmen von unserem alten Platz, nicht wahr?« sprach endlich Wilbur.

»Ja«, erwiderte Moran, mit tieferer Stimme als gewöhnlich. »Maat, dort geschahen große Dinge!«

»Es hat gar nicht den Anschein, als ob wir dort so heiß mit chinesischen Räubern gekämpft hätten, nicht?« sagte Wilbur, doch während die Worte noch klangen, fühlte er, daß er sie mit keinem Gedanken verbunden hatte.

»Darauf kommt es doch gar nicht an«, sagte Moran mit einer unwilligen Kopfbewegung. »Dort habe ich zum erstenmal erkannt, daß du ein Mann bist und ich trotz allem ein Weib, und nur wir beide – du und ich ganz allein – in der Welt sind, daß du mich liebst und ich dich, daß sonst aber nichts die Mühe lohnt, daran zu denken.«

Wilbur legte seine Hand auf die ihre, die eine Speiche des Steuerrades umkrampfte.

»Moran, ich wußte dies schon lange«, gestand er, »Was für ein prachtvoller Monat war dieser doch! Es kommt mir vor, als hätte ich erst angefangen zu leben, seit ich dich liebe.«

»Und du liebst mich wirklich und wirst mich immer lieben? Du weißt gar nicht, wie mich diese letzten Tage gewandelt haben. Da drinnen ging etwas vor sich« – sie legte beide Hände auf die Brust –, »ich fühle eine gänzliche Veränderung, Maat. Es ist alles dein. Und ich empfinde Schmerz – ich bin stolz darauf, daß es wehe tut!« rief sie aus, »ich kann noch nicht lieben und stelle mich sehr unbeholfen an, ich finde nicht die Worte, dir es zu sagen, was ich fühle, denn ich begreife es selbst noch nicht. Aber du mußt gut zu mir sein!«

Ihre tiefe Stimme zitterte.

»Du mußt gut zu mir sein und treu, mein Maat, sei immer lieb und gut zu mir! Ich bin nicht mehr ich, nicht mehr Moran! Nicht mehr die Stolze, Starke, Freie und ich will nicht mehr einsam sein. Ich will nur dich, will dich immer bei mir haben. Jetzt bin ich nur noch Frau, Liebster, eine Frau, die dich mit ihrem ganzen Herzen, das eben erwacht ist, liebt.«

Wilbur konnte kein Wort herausbringen.

Es lag etwas unsagbar Feierliches und gleicherweise Edles in Morans Hingabe, in ihrem Vertrauen zu Wilbur und in seine Güte, daß ihn jäh eine ehrfürchtige Scheu erfüllte vor der heiligen Pflicht, die ihm nun überantwortet war.

Nun war Moran sein, er hatte sie zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen – sie, die vordem so herrlich gewesen in ihrer Kraft, ihrer einsamen Größe, ihrem unberührten, vestalischen Mädchentum. Jedes Wort dünkte ihn wertlos und nichtssagend.

Sie trat dicht an ihn heran, legte ihre Hände auf Wilburs Schulter, sah ihm gerade in die Augen und sprach:

»Du liebst mich, Maat, willst du mich immer lieben?«

»Immer, Moran«, sagte Wilbur schlicht.

Er nahm Moran in die Arme und für einen Augenblick legte sie die Wange an die seine, nahm dann seinen Kopf sanft zwischen die Hände und küßte ihn.

Zwei Tage vergingen.

Die »Bertha Millner« hielt Kurs auf Norden.

Moran steuerte das Schiff die Küste entlang. Wilbur befahl einen Chinesen als Wache in den Mastkorb, um nach dem weißen Kreuzer oder Schlachtschiff Ausschau zu halten, welches zu Schießübungen nach Süden fuhr.

Bei den Lebensmitteln, die er für die verbliebenen Piraten hinterlassen hatte, war auch eine von Hoang geschriebene Botschaft dabei, die besagte, daß sie vielleicht innerhalb eines Monats von einem Kriegsschiffe abgeholt würden.

Hoang war dauernd still und beklommen, die Mannschaft wollte mit ihm nichts gemein haben.

Der gedemütigte Banditenhäuptling blieb für sich allein. Den ganzen Tag über saß er auf dem entlegensten Ende des Schiffes, rauchte seine Pfeife und brütete stumm vor sich hin.

Moran hatte das Stück Ambra aus Kitchells Hängematte ausgepackt und die Matte mittschiffs befestigt.

Dahin betteten sie Charlie, so bequem es ging.

Sie konnten ihm jedoch wenig helfen; zeitweise schüttelten ihn heftige Hustenanfälle, welche große Schmerzen verursachten.

Da kam ein Mittwoch. Gerade hatte Moran den Sonnenstand gemessen und errechnet, daß sie etwa acht Seemeilen südwestlich San Diego lagen, als sie überrascht vernahm, daß Wilbur sie heftig anrief.

Sie lief zu ihm und fand ihn an Charlies Hängematte stehen.

Charlie lag im Sterben, war aber bei vollem Bewußtsein. Mit leiser und matter Stimme sprach er zu Wilbur und versuchte ihm klarzumachen, wie sehr er es bereue, damals den Schoner in der Bucht verlassen zu haben.

»Sein viel, viel traurig«, erklärte Charlie, »aber Chinaboy viel Angst haben vor Feng-Shui. Wenn Feng-Shui nicht gefallen, alle fortmüssen. Viel traurig, ich verlassen Schiff nachts, sehr leid – verstehen?«

»Natürlich, wir verstehen dich, Charlie«, meinte Moran, »aber du hast im Kampfe deinen Mann gestellt.«

»Ich bald sterben«, sprach Charlie ruhig, »ihr sagen, geben mir fünfzehnhundert Dollar?«

»Ja, das haben wir versprochen. Was soll damit geschehen, Charlie?«

»Ich wünschen sehr schöne Bestattung in Chinatown von San Franzisko. Sehr schöne! Ihr kaufen schönen Sarg, sehr feinen. Viel Silber – kostbares Gewand. Geben mein Geld der Hop Sing Assoziation, gegenüber Ming Yen-Tempel. Verstehen ihr? Hop Sing? Eine von »Sechs Kompanien! Sagen Hop Sing, ich wünschen Bestattung mit vier Pferden, nicht vergessen, Pferde!«

»Nein, Charlie, wir werden die Pferde nicht vergessen. Du sollst vier Pferde haben.«

»Mögen sechs Musiker – China-Musik – viel Gong dabei. Nicht vergessen? Zwei Priester – weiße Kleider – verstehen? Sarg ihr selbst besorgen. Sehr feinen Sarg, viel Silber und .... die vier Pferde. Kaufen Feuerwerk, fünf, siebenhundert Raketen, großen Lärm. Und Essen, Schweinebraten mit viel Reis, dazu Chinaschnaps. Schöne Bestattung, Kleider – fünfzehnhundert Dollar! Ich begraben sein wie Mandarin – wie, ›Kleiner Peter!‹ Ihr gewiß versprechen.«

»Ich verspreche es dir ganz gewiß, Charlie Du sollst ein schöneres Begräbnis haben als der ›Kleine Peter‹!«

Charlie nickte zufrieden und atmete vor Genugtuung tief auf.

»Vielleicht senden Hop Sing meinen Leichnam zurück, China.«

Er schloß die Augen und lag lange Zeit ermattet von dem anstrengenden Sprechen, unbeweglich, als wäre er eingeschlafen.

Da öffnete er auf einmal weit die Augen und richtete sich auf. »Nicht vergessen, Pferde!«

»Vier Pferde, Charlie! Ich werde gewiß daran denken.« Er sank wieder zurück, um wenige Minuten später abermals zu sagen:

»Besten Sarg, viel Silber!«

Etwas später wiederholte er mit schwacher Stimme:

»Sechs Musiker – China-Musik – Vier Gong ... vier!«

»Mein Wort darauf, Charlie«, sagte Wilbur.

»Nun«, begann Charlie, »ich nun sterben!«

Der unansehnliche, chinesische Kuli bereitete sich mit der Würde und Ruhe eines Cicero zum Sterben vor.

Eine Stunde später wußten Moran und Wilbur, daß Charlie hinübergegangen war.

Sie hatten sich keinen Augenblick von der Hängematte gerührt, konnten aber dennoch den Zeitpunkt nicht sagen, wann er gestorben war.

Am gleichen Nachmittag, ein wenig später, erblickte Wilbur vom Ausguck den Leuchtturm auf Point Loma und den imposanten Palast des Coronadohotels an der Bucht. Sie waren einem Vorposten der Zivilisation nahe und standen vor dem Eingang zur Welt.

Eine Stunde etwa von dem Hotel entfernt lag San Diego, dort gab es Eisenbahnen, Zeitungen, Polizisten.

Genau vor dem Hotel konnte Wilbur den blanken Leib eines Kriegsschiffes ausnehmen. Mit dem Glase erkannte er, daß es ein Monitor, vermutlich der »Montery«, war.

Erst beriet er sich mit Moran, dann beschlossen sie anzulaufen.

Es gelang, dem »Montery« Nachricht über die Gestrandeten zu geben, und außerdem Charlies Leiche an seine Verwandten in San Franzisko zu senden.

Zwei Stunden knapp brauchte der Schoner, um heranzukommen.

Wilbur stand neben Moran am Steuer und betrachtete das Bild der Coronadobucht.

»Es ist ein großer Winterkurort«, erzählte er ihr. »Ich war vor zwei Jahren mit einer Gesellschaft hier. Ich finde alles unverändert. Siehst du den runden Trakt mit den vielen Fenstern, Moran? Es ist der Speisesaal. Und dort sind die Bäder, da der Spielplatz. Die Leute an der Bucht dort, schau, die Mädchen in weißen Segelkostümen! Da die Veranda – reich mir das Glas –, da steht ein Dogcart. Ist es nicht sonderbar, all dies zu sehen – nach der Magdalena-Bai und den Strandräubern?«

Moran drehte das Steuerrad, ohne ein Wort darauf zu sagen, und befahl Jim, das Vorsegel loszuwerfen.


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