Frank Norris
Der Ozean ruft
Frank Norris

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Achtes Kapitel

Die Flucht an Land

»Wir sinken?« wiederholte Wilbur.

Moran war aufgesprungen.

»Wir müssen an Land«, rief sie, »und wir sind noch sechs Seemeilen davon entfernt. Setz den Klüver!«

Die beiden setzten den Klüver, Flüger- und Stagsegel. Vor- und Hauptsegel standen bereits.

Unter ihrer gesamten Leinwand lief die »Bertha Millner« zur Küste an.

Als sie jedoch den Eingang der Bai erreicht hatten, war das Heck schon so tief unten, daß der Vordersteven aus dem Wasser ragte und das Bugspriet steil in den Himmel wies.

Moran war am Steuer, ihre Miene war finster, der Blick maß die Strecke, welche den Schoner von der Küste trennte.

»Bei Gott, wir werden es nicht schaffen«, seufzte sie auf, als sie hörte, wie unter ihr das Wasser in der Kajüte gegen die Wände schlug.

Im Laderaum schwammen die leeren Fässer und knallten mit hohlem Klang aneinander.

»Wir sitzen in einer verdammten Klemme, Maat!«

»Wenn es schief geht«, tröstete Wilbur, den es überraschte, daß sie, die Unentwegte, nun so leicht den Mut verlieren konnte, »wenn es wirklich ganz bös werden sollte, können wir auf ein paar Planken schwimmen.«

»Schwimmen?« wiederholte sie, »ich denke nicht daran, freilich können wir schwimmen, aber ...«

»Warum nicht?«

»Haie!«

Wilburs Zähne klappten hart aneinander, er vermochte nichts zu erwidern. Als das Wasser höher stieg, verlangsamte der Schoner seine Fahrt, je näher sie der Küste kamen, umsomehr schirmte das Land sie ab und es gab keinen Wind mehr.

Schon stand das Wasser am Deck eine Handbreite unter der Reling. Die nächste schmale Landzunge war noch zwei Seemeilen entfernt.

Wilbur befestigte am Vordermast ein Notsignal, in der Hoffnung, daß Charlie und seine Chinesen ihnen das Boot zu Hilfe schicken würden, aber von den Abtrünnigen war nichts zu sehen.

»Was ist denn aus der Dschonke geworden?« wandte sich Wilbur unvermittelt an Moran.

Sie deutete nach Westen.

»Da draußen liegt sie noch!«

Zwanzig Minuten gingen vorbei. Moran sprach ein einziges Mal.

»Wenn wir sinken« sacken wir ganz plötzlich ab. Spring möglichst weit weg, sonst reißt dich der Soog mit in die Tiefe.«

Die beiden hatten alle Hoffnung aufgegeben. Moran krampfte die Hand mit verbissener Wut um das Steuer, es war eigentlich nur noch Gewohnheit. Neben ihr stand Wilbur und hielt die Fäuste in den Taschen zusammengepreßt. Beider Augen waren auf den gelben Strich des fernen Strandes gerichtet.

Langsam wandte sich Moran mit seltsamem Lächeln ihm zu.

»Ein eigenartiges Paar geht da zusammen in den Tod«, sprach sie.

Wilbur blickte ihr einen Atemzug lang in die Augen. Da er keine Antwort fand, sah er starr gerade aus, als wollte er sagen, daß er das gleiche denke.

»Ein sonderbares Paar, das miteinander stirbt«, wiederholte Moran, »aber vielleicht können wir besser mitsammen sterben, als wir« – ihr Blick wandte sich von Wilbur – »als wir gemeinsam hätten leben können«, sagte sie abschließend, und fand ihr Lächeln wieder.

»Und dennoch«, meinte Wilbur, »haben wir zwei in den letzten Wochen an Bord dieses Schiffes so viel – gemeinsam erlebt. Ich weiß nicht«, setzte er nachdenklich fort, »wann ich, ob ich jemals glücklicher gewesen bin, als gerade in diesen letzen Wochen. Seltsam ist das, nicht wahr? Ich kann es mir denken, was du sagen willst. Ich gehöre der Stadt, meinem vergangenen Leben dort, du aber, du gehörst dem Ozean. Nie habe ich ein Mädchen gekannt, das dir hätte gleichen können, das dir gleich war. Kannst du dir vorstellen, wie sonderbar mich dies alles anmutet? Du fluchst wie ein Mann, du kleidest dich wie ein Mann, ich glaube auch, daß du nie andere Frauen beachtet hast. Du bist stark, ich weiß es, ebenso kräftig wie ich; du bist dir dessen nicht bewußt, wie ganz anders du bist als die Mädchen, denen ich begegnete: denk dir einmal, daß diese Art Frauen einem Hoang und seinen wilden Gesellen mit den Dolchen im Gürtel gegenüberstehen sollen. Ich gebe zu, daß gerade deshalb sich dieses Gefühl für dich regt, weil du dich von jenen Frauen derart unterscheidest. Ich kann's nicht sagen. Ich weiß nur, daß es sonderbar ist. Vor einem Monat noch weilte ich bei einem Tee in San Franzisko und jetzt befinde ich mich an Bord eines Haifängers, der im Begriffe ist, in der Magdalena-Bai zum Meeresgrund zu fahren. Dies alles aber gemeinsam mit einem Mädchen, das ich, welches ... ich ..., nun denn, ich bin ja lang genug bei dir, und du weißt es wohl selbst ganz gut, ich kann es ruhig sagen, ich liebe dich mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte, daß ich ein Mädchen lieben könnte.«

Moran zog die Stirn in Falten.

»Ich höre das nicht gerne«, sagte sie, »ich bin es nicht gewöhnt, weiß auch gar nichts anzufangen damit. Glaube mir, Wilbur«, seltsam lächelnd sagte sie's, »es ist alles vergebens. Ich kann niemals einen Mann lieben. Bin nicht für Männer geschaffen.«

»Nein«, gab Wilbur zu, »aber für Frauen auch nicht.«

Er versank in Schweigen.

Dieser Augenblick erhellte ihm etwas Morans Leben und Wesensart: sie blieb den Männern aus dem Wege und von Frauen wurde sie gemieden. So war sie ein seltsames, einsames Wesen, einsam wie das Meer, dem ihr Leben gehörte.

In ihrer Art war Moran schön, wenn auch ohne Geschlecht, aber stolz, ungebändigt, prachtvoll in ihrem Zorn, in ihrer urwüchsigen Freiheit, ein Geschöpf, ungekünstelt, von der Zivilisation unangetastet.

Moran war ihm eine Erscheinung gleich Brunhild, der Walküre jener Sage ähnelnd, eine Fremde, Heimatlose in diesem Jahrhundert.

Ihre Reinheit war die Unberührtheit der urzeitlichen Gletscher. Ihm war es begreiflich, daß solch einem Mädchen die Liebe eines Mannes Demütigung, Erniedrigung bedeuten müßte.

Dennoch, sie vermochte zu lieben, wie hätte er sie sonst lieben können?

Wilbur ertappte sich in diesem Augenblick bei dem Gedanken, wie es wohl sein würde, wenn die unberührte Harfe in ihr anklänge. Wenn sie eines Morgens erwachen würde, um zu erkennen, daß sie – – Moran, Seefahrer, triumphierende Jungfrau, Mensch ohne Gesetz, ohne Heimat, ohne Geschlecht, wider alles Erwarten ein Weib sei.

»Bei Gott, Maat!« fuhr sie plötzlich auf, »die Fässer tragen uns – die leeren Tonnen im Laderaum – Hoi, wir kommen doch an Land!«

Aber das hatte eine bestimmte Ursache. Die für das Öl bestimmten leeren Fässer wurden von dem steigenden Wasser gegen das Dach des Laderaumes gepreßt und übernahmen so die Wirkung vieler Bojenschwimmer.

Der Schoner konnte also nicht tiefer sinken. Eine Stunde mochte vergangen sein, da lief die »Bertha Millner«, das Achterdeck überschwemmt, den Bug hoch oben, bedenklich nach Steuerbord hängend, an der Küste der Magdalena-Bai bei Eintritt der Ebbe auf Land.

Moran schwang sich gleich über Bord, watete, bis zu den Hüften im Wasser, mit einer Leine dem Lande zu und befestigte diese dort an dem riesigen Schädel eines Wals, dessen Gerippe vom Sande leicht verdeckt war.

Schnell folgte ihr Wilbur.

Der Schoner hatte das südliche Horn der Bucht angelaufen und lag still auf dieser Landzunge. Sie vermochten jedoch frühestens am darauffolgenden Morgen die Art des Lecks sicher festzustellen, wenn das Wasser sich nicht senken würde.

»Nun, da wären wir«, sagte Moran, die Daumen im Gürtel; »was aber jetzt? Mag sein, daß wir nur zwei Tage hier bleiben, es kann aber auch zwei Jahre dauern. Alles hängt davon ab, wie groß das Leck ist und wir können erst morgen früh sagen, ob wir zur Ausbesserung hier anliefen, oder ob wir Schiffbruch erlitten haben. Doch indessen stellt sich bei mir der Hunger ein.«

Die Hälfte der Vorräte auf dem Schiffe waren wassergetränkt.

Wilbur stellte jedoch fest, daß noch immer genug da war, um für den Moment alle Bedenken zu beseitigen.

»In dem kleinen Bach drüben ist genug Wasser«, meinte er, »Wachteln können wir fangen, so viele wir brauchen. Zudem gibt es Fische und Muscheln. Auch wenn der gesamte Vorrat verdorben wäre, hätten wir genug zu essen.«

Die Kajüte des Schoners war unter Wasser, Wilburs Hängematte nicht zu finden. Sie entschlossen sich daher, an der Küste ihr Lager aufzuschlagen; bei dieser Hitze mußte es ein Vergnügen sein, unter freiem Himmel zu schlafen.

Bestens gelaunt ließen sich beide zu ihrer ersten Mahlzeit an Land nieder. Moran bereitete das Abendmahl – abgesehen vom Fehlen des Kaffees, war es herrlich.

Von Bord holten sie sich Whisky und tranken einander zu.

»Moran«, sprach Wilbur zu ihr, »du hättest ein Mann werden sollen!«

»Stimmt, allenfalls, Maat!«, gab sie zurück. »Keinesfalls aber bin ich ein Mädchen.«

»Nein!« gab ihr Wilbur recht und stopfte seine Pfeife, »du bist eben Moran, Moran von der ›Lady Letty‹.«

»Das will ich auch bleiben«, meinte sie sehr entschieden.

Niemals in seinem Leben hatte Wilbur einen Abend schöner gefunden. Kein Lufthauch regte sich. Die Stille war so vollkommen, daß man das Pochen des Blutes gegen das Trommelfell vernehmen konnte.

Leise schob der Ozean plätschernde Wellen an den Strand. Im Westen leuchtete es wie ein monumentales farbiges Fenster, und die weite Fläche des Ozeans schillerte wie Opal.

Purpurrote Wolken, Bergkuppen gleich, wanderten am Horizont.

Bald schob sich die runde Scheibe des Mondes hervor. Wilbur, mit kurzen Hosen, einer Bluse und Sandalen, nach Chinesenart, bekleidet, saß mit dem Rücken an den Schädel des Wals gelehnt.

Behaglich rauchte er seine Pfeife.

Lange Zeit verging und sie hatten noch kein Wort gesprochen.

Endlich brach Moran das Schweigen: »Dies hier ist das Leben, für welches ich mich geschaffen fühle. Innerhalb von sechs Jahren habe ich keine drei Wochen an Land verbracht.«

»Nun aber, da Eilert«, sie nannte ihren Vater immer nur beim Taufnamen, »nun, da Eilert nicht mehr ist, habe ich keine Bindung mehr, keinen Verwandten, keinen Freund. Ich bin darüber eigentlich froh.«

»Aber die Einsamkeit solch eines Lebens, das Alleinsein«, meinte Wilbur, »kann ich nicht verstehen. Dachtest du noch nie daran, daß ein Glück, welches man teilt, das Schönste ist?«

Moran schloß die Hände um ihre beiden Knie und ihr Blick ging fern über die See.

Sie trug wie stets auch jetzt keinen Hut und ihr roggenfarbenes Haar wandelte der rote Schein der Abendsonne in Safran.

»Ach!« rief sie, und ihre tiefe Stimme erklang leiser als gewöhnlich, »wer denn könnte meine Freuden verstehen. Wer sie teilen oder glücklich sein, wenn ich Glück empfinde? Außerdem fühle ich das höchste Glück, wenn ich für mich bin, nein, ich brauche niemanden.«

»Aber«, zögernd sagte es Wilbur, »man kann nicht immer allein sein. Du bist eben trotz allem ein Mädchen und bedenke: Männer, sonderlich Seeleute, sind wie Tiere, wenn es um eine Frau geht, um eine schutzlose Frau!«

»Ich habe mehr Kraft, als die meisten Männer«, erklärte Moran einfach, »wärst du zum Beispiel wie die andern Männer gewesen, hätte es Kampf gegeben mit dir. Es wäre nicht das erstemal geschehen.«

Wilbur betrachtete sie mit großer Spannung und bemerkte, als sähe er es zum ersten Male, den groben, blauen Overall, der, in den Stiefeln stak, ein rauhes Flanellhemd, am Halse offen, den Gürtel mit dem Messer, ihre Arme, die nach Seemannsart tätowiert waren, den kräftigen Nacken, das frische Gesicht mit den klaren, blauen Augen, das energische Kinn und ihr Haar, jenes schwere, goldene, duftende Haar, das über Schultern und Brust fiel und sich in ihrem Schoß ringelte.

»Nein«, ein tiefer Atemzug begleitete seine Worte, »ich begreife es nicht; ich wüßte wohl, daß dein Bild über meinen Erfahrungen steht, aber ich vermeine bald zu glauben, daß es auch jenseits meiner Vorstellung schwebt. Du sagst mit Recht, du müßtest für dich allein sein. Du solltest einsam bleiben, dein Gefährte ist noch nicht geschaffen. Du bist schön, Moran, gerade so wie du bist.« Leise fügte er für sich hinzu:

»Und Gott weiß es, ich liebe dich immer noch!«

Die Zeit schritt vor, es wurde spät.

Den Himmel zierten unzählige Sterne; hoch oben stand der Mond.

Moran gähnte.

»Maat, ich glaube, es ist für mich Zeit zum Schlafengehen. Morgen müssen wir bald am Schoner sein, denn ich fürchte, er wird uns viel Arbeit bereiten.«

Wilburs Antwort blieb erst aus, da er wartete, was sie noch sagen werde.

»Es ist ganz schön warm, wir können hier schlafen, ohne mehr an Bord zu gehen«, sagte sie, »wenn wir auch noch einige Decken gebrauchen könnten, der Sandboden ist hart wie eine Schiffsplanke.« Wilbur reichte ihr, ohne ein Wort zu sagen, einige Decken. Er hatte diese am Nachmittag vom Schoner geholt, als er einen Teil der Verpflegung ausgeladen hatte.

Moran nahm eine der Decken und breitete sie neben dem sonnengedörrten Schädel des Walfisches auf den Sand.

Sie entledigte sich der Stiefel und streckte sich vollkommen unbefangen auf die Decke hin, die Hände unter dem Kopf verschränkt.

Wilbur machte sich ein Kissen aus seinem zusammengerollten Rock und richtete sein Lager für die Nacht.

Seine Ruhe war nicht echt, er beherrschte sich mit Gewalt. Kein Wort fiel, eine lange Stille war eingetreten.

Moran gähnte wieder. Schläfrig sagte sie: »Heute morgen riß ich mir den Absatz von dem einen Stiefel, ich hinkte den ganzen Tag.«

»Ich habe es wohl gemerkt«, gab Wilbur zu, »aber Kitchell hatte doch am Schiff irgendwo ein neues Paar, hoffentlich hat es das Wasser nicht verdorben.«

»Meinst du?« tat sie gleichgültig, »wir wollen gleich morgen früh nachsehen.«

Wiederum war Schweigen.

»Hoffentlich hat Charlie nicht die Bratpfanne mit sich genommen, als er uns verließ«, begann Moran wieder und sah in die dunkle Nacht.

»Ich kann's nicht sagen«, erwiderte Wilbur, »aber ich nehme es schon an.«

»Nur in ihr können wir die Abalonen zubereiten. Erinnere mich daran, daß ich morgen in der Kombüse nachsehe. – Nein, dieser Boden ist trotz deiner guten Decke hart wie Eisen. Nun, gute Nacht, Maat, ich will schlafen.«

»Gute Nacht, Moran«

Nach drei Stunden, noch hatte er kein Auge geschlossen gehabt, richtete sich Wilbur auf und sah nach Moran, deren Atem ruhig ging.

Ihr Kopf war bekränzt von der blonden Pracht ihrer Haare. Still betrachtete er sie und dann das ruhige, einsame Land.

»Bin ich nun ein richtiger Mann oder ein Waschlappen, oder ein ängstlicher, empfindsamer Junge, der nicht Haut und Knochen aufs Spiel setzen will? Ich möchte wirklich klar sein darüber.«

Doch bald fragte er sich ernsthaft:

»Liebe ich sie zu sehr oder zu wenig, oder ist es nur eine besondere Art von Liebe?«

Er neigte sich zu ihr, so nahe, daß er ihren Atem und den Wohlgeruch des Nackens fühlen konnte, warm vom Schlaf.

Ein Ärmel ihres groben Hemdes hatte sich hinauf gestreift und Wilbur war's, als ströme ihr ausgestreckter bloßer Arm einen ganz sonderbaren süßen Duft aus.

Wilbur legte sich wieder behutsam zurück.

»Nein«, sagte er sich schließlich, »ich glaube, ich bin zu gut erzogen.«

Dann übermannte ihn der Schlaf.

Als er die Augen wieder aufschlug, sah er das Meer im Rot der aufgehenden Sonne erglänzen, eine der Landzungen sah aus wie eine Märchenlandschaft.

Es war bereits sehr heiß. Wenige Schritte von ihm saß Moran. Sie flocht ihr Haar.

»Hallo, Moran!« sprach Wilbur, aufspringend. »Wie lange bist du denn schon munter?«

»Schon vor Sonnenaufgang«, erwiderte sie, »ich habe bereits ein Bad genommen, dort in der Flußmündung.«

»Hast du irgendwo etwas von Charlie und seinen Leuten gesehen?«

Sie lagen auf der anderen Seite der Bucht. Aber schau doch einmal dorthin!«

Über Nacht war die Dschonke hereingekommen und ungefähr eineinhalb Seemeilen von der Küste entfernt geblieben.

»Zum Teufel!« rief Wilbur, »was mögen sie denn wollen?«

»Ich glaube, die suchen frisches Wasser«, sagte Moran, während sie das Ende ihres Zopfes knüpfte, »wir wollen schnell unser Frühstück einnehmen und uns an die »Bertha Millner« machen. Das Wasser geht schon zurück. Während sie aßen, sahen sie oft nach dem Schoner und betrachteten, als das Wasser sank, seine Seiten.

»Ich kann bis jetzt nichts Schlimmes sehen«, sagte Wilbur.

»Es ist irgendwo am Heck«, erklärte Moran.

Kaum war eine Stunde vergangen, lag die »Bertha Millner« frei und trocken. Sie konnten sie daher genauestens untersuchen.

Moran fand gleich das Leck.

»Kleinigkeit!« rief sie lachend, »das können wir in einer halben Stunde in Ordnung gebracht haben.«

Eine Planke nur hatte sich vom Achtersteven losgelöst. Das war der ganze Schaden. Ansonsten war der Schoner genau so beisammen, wie an dem Tage, als er San Franzisko verlassen hatte.

Moran und Wilbur gelang es, den Schaden bis Mittag zu beseitigen. Sie nagelten die Planke an ihren Platz und dichteten die Fugen mit Lampendocht ab. Weitere Beschädigungen vermochten sie nicht zu entdecken.

»Sobald sie wieder schwimmen kann, segeln wir«, meinte Moran, »wir werden den Bug etwas freilegen und dort drüben an dem Felsen eine Leine befestigen, dann können wir das Schiff bei Eintritt der nächsten Flut hinausziehen. – Hallo, wer ist da?«

Es war Charlie.

Während sie in ihre Arbeit vertieft gewesen waren, hatte er unbemerkt um die Bucht herumkommen können. Nun blieb er in einiger Entfernung stehen und lächelte den beiden ruhig zu.

»Nun, was willst du denn?« rief Moran ihn verärgert an, »eigentlich müßte man dich kielholen, werter Freund.«

»Ich denken sehr heißer Tag.«

»Bist du denn hiehergekommen, um uns das zu erzählen? Was willst du eigentlich?«

»Ich kommen machen Rede – Rede.«

»Aber wir wollen keine Rede – Rede mit einem Gauner wie du bist. Verschwinde!«

Charlie setzte sich und wischte den Schweiß von der Stirne.

»Ich komme, kaufen Stück Speck, Chinaboys haben nichts.«

»Wir verkaufen keinen Speck, schon gar nicht an Deserteure«, sagte Moran, »ich werde dir etwas erklären, du schmutziger, winziger Affe: Mister Wilbur und ich fahren heute nachmittag los, zurück nach San Franzisko, du aber und dein Gesindel könnt' hier in der Bucht von mir aus verkommen, wenn euch die Küstenräuber nicht vorher kaltmachen.«

Dabei wies sie nach der Dschonke hinüber. Charlie sah aber gar nicht in diese Richtung hin.

Der vollkommene Gleichmut Charlies gab Wilbur Anlaß zu der Mutmaßung, daß der geriebene Chinese gerade der Banditen wegen zu ihnen gekommen sei, um zu verhandeln.

»Ihr nicht haben Speck?« winselte Charlie und zog die Augenbrauen vor Überraschung hoch.

»Ganze Berge haben wir, aber nicht für euch.«

Charlie zog einen Lederbeutel aus der Bluse und zählte aus diesem eine Handvoll Silber und Goldmünzen auf.

»Ich kaufen zwei Pack Tabak.«

Wilbur erwiderte ruhig:

»Höre, mach uns nichts vor, Charlie. Wir kennen dich viel zu genau. Du bist weder auf Speck noch auf Tabak aus.«

»Chinaboys sein sehr krank. Zwei Boys sehr krank. Ich glauben, morgen sterben. Ihr haben Apotheke. Gib mir fünf, sieben Leberpillen. Was ihr wollen?«

»Nein, aber ich werde dir klarmachen, was ihr wollt«, rief Moran dazwischen und hielt den Finger wie einen Pistolenlauf gegen ihn, »euch hat die Angst gepackt, weil diese Strandräuber in die Bucht gekommen sind. Vor denen aber habt ihr mehr Furcht als vor dem Geist des Schoners. Ihr möchtet nun, daß wir euch mit nach Hause nehmen.«

»Wieviel?« fragte Charlie.

»Tausend Dollar«, gab Moran zurück.

Überrascht blickte Wilbur auf das Mädchen.

Er hatte eine glatte Absage erwartet.

»Ihr haben keine Leberpillen?« fragte Charlie mit großer Freundlichkeit.

Moran kehrte ihm den Rücken. Leise sprach sie auf Wilbur ein.

»Es ist besser, wir nehmen die Leute mit zurück, wenn es irgendwie geht. Der Schoner ist in Frisko natürlich bekannt. Er lief mit Kitchell und diesen Kulis aus. Wenn er aber nur mit dir und mir zurückkommt, wird auch die Wahrheit wie eine Lüge wirken und wir haben dort eine Reihe von Schwierigkeiten zu erwarten. Außerdem ist zu bedenken, ob wir beide allein die »Bertha Millner« in den Hafen zu bringen vermögen? Wenn das Wetter so bleibt, mag es leicht sein, aber denke dir, wenn wir schweres Wetter bekämen? Und das kann man nie sicher wissen.«

Charlie sagte wieder:

»Ich geben zehn Dollar für zehn Leberpillen.«

Moran erwiderte ihm:

»Wollt ihr uns tausend Dollar zahlen, wenn wir euch nach San Franzisko bringen?«

Charlie erhob sich.

»Ich zurückgehen. Ich erzählen Chinaboys, was ihr sagen von Leberpillen. Ich zurückkommen.«

»Soll das heißen, daß er das Angebot seinen Freunden vortragen will?« meinte Wilbur halblaut.

»Lauf zu, schnell«, rief er Charlie nach, »wir segeln bald los.«

»Er weiß ganz genau, daß wir vor der Flut, vor morgen früh, nicht loskommen«, erklärte Moran, »er wird sich also Zeit lassen.«

Am späten Nachmittag beobachteten Moran und Wilbur, wie ein kleines Boot von der Dschonke zur Strommündung fuhr.

Die Strandräuber holten Wasser an Bord.

Drei Fahrten unternahm das Boot bis zum Abend, die Räuber näherten sich aber weder dem Schoner noch dem Lager Charlies, das sich jenseits der Bucht befand.

»Nein«, zischte Moran zwischen den Zähnen hervor, während sie zusammen mit Wilbur das Nachtmahl bereitete, »sie haben es bestimmt nicht notwendig, wenn sie an Bord einen Schatz von etwa einhundertachtzigtausend Dollar haben – unser Eigentum! Mein Gott! Das wurmt mich, verdammt, immer noch!«

Der Mond stieg an diesem Abend wesentlich früher auf. Gegen Mitternacht war die ganze Bucht mit klarem, silbernem Licht überzogen.

Moran und Wilbur vermochten die Dschonke, welche ganz nahe dem Ufer lag, klar auszunehmen.

Gegen ein Uhr wurde Wilbur wach, Moran berührte seinen Arm.

Sie flüsterte:

»Da drüben stimmt es irgendwie nicht; mit der Dschonke muß etwas geschehen sein. Hörst du die Schreie? Schau! Schau einmal dahin!« Ihre Stimme wurde immer erregter. »Jetzt sind die dran!«

Wilbur erblickte die Dschonke und ihre toten, roten Augen, den hohen Steven und Bug ebenso klar und deutlich wie am hellichten Tage.

Als er genau hinsah, schien es ihm, als trüge eine große Welle die Dschonke plötzlich empor.

Hoch wurde das Räuberschiff aus der Flut gehoben, schlug klatschend zurück, hob sich abermals und prallte in die Wellen hinein, die auseinanderliefen und mit leisem Geplätscher bis an den Rand der Bucht schnellten, dicht vor Wilburs Füße.

Mit einem Male legte sich der Tumult.

Auch die Bucht lag wieder stille.

Es verrann eine Stunde, eine lange zweite folgte.

Der Mond begann unterzugehen.

Moran und Wilbur, ermattet vom Wachsein, hatten sich nochmals zur Ruhe gelegt.

Quietschen von Riemen, Knirschen des Sandes unter einem anlegenden Boot machten die beiden munter.

Die Kulis .... die Deserteure von der »Bertha Millner« waren angekommen.

Charlie stand vor ihnen.

»Hoi – Yah»«, tat er, »Dschonke geschlagen, Räuber kommen an Land, denken wollen Schoner, sie!«


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