Frank Norris
Der Ozean ruft
Frank Norris

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Fünftes Kapitel

Ein weiblicher Kapitän

Als Wilbur am Morgen nach dem Untergang der Barke an Deck kam, bot sich ihm der überraschende Anblick, daß die »Bertha Millner« segelte.

Wilbur und Charlie hatten diese Nacht im Vorschiff geschlafen, Charlie bei den Chinesen, Wilbur hatte die Hängematte des Kapitäns gewählt.

Ein Befehl Morans während der Wache am vergangenen Abend hatte die Ursache für jene Abweichung gebildet.

Offen, jedoch finsteren Blicks hatte Moran ihn angesehen und mit ihrer schönen Altstimme, deren Wohlklang ihm erstmalig auffiel, einfach kurz zu ihm gesagt:

»Ich schlafe achtern, in der Kajüte, du und der Chinese vorn, verstanden?«

Moran war aber damit nur Wilburs heimlicher Absicht zuvorgekommen.

Nach der wundersamen Rettung des Schoners durch ihre Tüchtigkeit erwiesen ihr Charlie und die übrigen Chinesen einen Respekt, der abgöttischer Verehrung ähnelte.

Wilbur sah sie erst wieder beim Frühstück.

Sie war in Männerkleidung, welche zum Teil aus Kitchells Ausrüstung stammte, in hohen Stiefeln, trug aber keinen Hut, so daß ihr kornblondes Haar, in lange Zöpfe fast armdick geflochten, zu sehen war. Die Röte ihres Gesichtes bildete einen sonderbaren Gegensatz zu ihren hellblauen Augen und den sandfarbenen Brauen, die stets etwas zusammengezogen waren.

Sie aß mit ihrem Messer und, nachdem sie den Teller weggeschoben hatte, beobachtete Wilbur, daß sie ein halbes Glas Whisky mit Soda trank.

Die Zwiesprache zwischen den beiden war karg. Es fehlten die gemeinsamen Berührungspunkte.

Vom Tode ihres Vaters, der wohl schon vor ihrer Rettung eingetreten war, erwähnte sie kein Wort und ihr Verhalten gegen Wilbur schien von Abwehr und Mißtrauen bestimmt zu sein.

Und doch ging sie, einmal nur, aus sich heraus:

»Wie kamst du eigentlich an Bord zu diesen Rattenfressern, du bist doch kein Seemann?« fragte sie unvermittelt.

»Ich!« Wilbur lachte gezwungen, »ich wurde shanghaied.«

Moran schlug mit ihrer roten Faust auf den Tisch und sagte mit einem tiefen, glockenreinen Lachen: »Shanghaied? – das ist gut. Was aber gedenkst du jetzt zu tun?«

»Was willst du tun?« lautete Wilburs Gegenfrage.

»Dem ersten heimfahrenden Schiff Signal geben und mich nach Frisco fahren lassen. Ich muß doch meine Versicherungssumme einfordern.« Sie war durch Wilbur in den Besitz der Papiere der »Lady Letty« gekommen.

»Ich muß auch dort das Unglück melden«, setzte sie fort.

»Nun, ich bin ja auch nicht gerade auf Haifischfang eingestellt«, meinte Wilbur; jedoch Moran hatte anscheinend kein Interesse für seine Pläne.

Sie mußten beide sehr bald merken, daß man sie nicht signalisieren ließ: am Mittag desselben Tages sichteten sie am Horizont den Rauch eines Dampfers, dem sich ihr Schoner rasch näherte, und Moran setzte sofort das umgekehrte Nationale.

Am Ruder aber stand Charlie, der einige Worte auf Chinesisch sagte, worauf einer der Chinesen sein Messer zog und das Notsignal einholte.

Moran trat mit finsteren Augen vor Charlie.

»Nein! Nein!« sang Charlie, schloß dabei die Augen und wackelte mit dem Kopfe. »Nein! Viel Zeit verloren, nicht können stoppen. Kommen in Kajüte, du und Boß Nummer zwei – haben chin – chin.« Offenbar meinte er mit letzterem Wilbur.

Um Kitchells Tisch fand sich eine seltsame Gesellschaft – der Mann vom Klub, das Mädchen in Männerkleidung und der Chinese.

Eine heftige Auseinandersetzung entspann sich, wobei Wilbur und Moran darauf beharrten, an Bord eines Dampfers gehen zu wollen, während Charlie mit ruhiger Standhaftigkeit sich weigerte.

»Ich hatte ein chin-chin letzte Nacht mit Chinaboys. Chinaboys Angst haben, sollen kein Dampfer stoppen. Angst vor viel Rede – viel Rede. Nicht stoppen – wollen fischen. Ich glaube, du können«, wies er auf Moran, »ich glauben, du gut kennen diese Wasser. Boß zwei nicht können segeln Schiff, aber viel wissen.«

»Und deshalb sollen wir an Bord eures Backtroges bleiben und ihn für euch führen?« empörte sich Moran.

Charlie nickte einfach: »Ich glauben ja!«

»Und du meinst, daß wir die Angelegenheit für euch regeln, wenn wir in den Hafen zurückgekehrt sind?«

Charlie lächelte bloß:

»Ich denken, die »Sechs Kompanien« sehr reich.«

»Gut, geh!« befahl Moran, als wäre sie Gebieter des Schoners, »wir wollen es besprechen.«

»Chinaboy dich sehr lieben«, sagte Charlie zu Moran. sich zum Gehen wendend, »du können sehr gut Schiff segeln, wollen dich als Kapitän .... aber«, fügte er hinzu und plötzlich schwand sein Gleichmut, als wäre eine Maske gefallen, und darunter blitzte momentan das bösartige Auge des Kantonesen hervor, »Chinaboys keinen Verrat lieben, verstanden?«

Moran und Wilbur waren im Augenblick völlig hilflos. Sie waren nur zwei, gegen sieben Chinesen.

Wenn die Kulis es so wünschten, mußten sie an Bord verbleiben, blieben sie aber, mußte es im Interesse ihrer eigenen persönlichen Sicherheit sein, daß die Führung der »Bertha Millner« gut war.

»Ich will sie führen«, entschloß sich Moran endlich verdrossen nach Ablauf des Gesprächs. »Du mußt mein Maat sein, Wilbur. Bilde dir aber nicht ein, nach deinem Willen handeln zu können, weil du ein junges Mädchen vor dir hast. Bei mir gilt schlechte Arbeit ebensowenig wie bei Charlie.«

»Du brauchst nicht zu denken«, gab Wilbur gekränkt zurück, »daß ich ein Taugenichts bin. Ich finde hingegen, daß du ein schönes Mädchen bist, du bist so ganz anders als alle weiblichen Wesen, denen ich begegnet bin, du bist, ich schwöre es, du bist herrlich. Wenn ich an den letzten Abend denke, in der Sturmböe, wie du am Steuer standest, mit goldenem Haar –«

»Laß das!« erwiderte das Mädchen geringschätzig, und ging an Deck.

Doch Wilbur folgte, er kratzte sich verlegen hinter dem Ohr.

Sie riefen Charlie nach achtern und teilten ihm ihren Entschluß mit.

Moran wollte die »Bertha Millner« führen, Wilbur mit ihr die Wache übernehmen, Charlie versprach seinerseits, für den Gehorsam der Mannschaft zu bürgen.

Ihre vordringliche Aufgabe bestand darin, den Kurs nach der Magdalena-Bai zu finden.

Moran und Wilbur studierten gemeinsam die Karten und Logbuch, doch das Mädchen warf dann alles verächtlich beiseite.

»Der fuhr nur nach ungefähren Berechnungen, seine Navigation war Stumpfsinn; ein Schiffsjunge hätte es klüger gemacht. Zu allem Mißgeschick kommt noch, daß der Chronometer abgelaufen ist. Ich werde nun die Greenwicher Zeit suchen müssen, indem ich in der Nacht die Höhe eines Sternes nehme und daraus unsere Länge ausrechne. Hast du unsere Sextanten herübergebracht?«

Wilbur schüttelte den Kopf:

»Nein, nur die Papiere«, erwiderte er.

»Hier sehe ich nur einen alten Quadranten aus Ebenholz«, sagte Moran, »aber er muß uns genügen.«

Diese Nacht noch, flach mit dem Rücken auf dem Deck liegend, den Quadranten beobachtend, nahm Moran, wie sie sagte, einen Stern und brachte ihn zum Horizont herunter.

Dann saß sie fast die ganze Nacht bei der qualmenden Lampe in der Kajüte und rechnete, bis schließlich vier Seiten der Logtafel mit ihren Berechnungen gefüllt waren. Bis zu Tagesanbruch hatte sie die genaue Greenwicher Zeit gefunden und bestimmte den Standort des Schoners.

Zwei Tage vergingen, ein dritter folgte, und Moran steuerte den Kurs des Schoners.

Sie blieb ganz für sich allein. Wenn sie nicht am Steuer war oder die Höhe der Sonne maß und Eintragungen ins Logbuch machte, stand sie beim hinteren Reling und starrte in das Kielwasser des Schiffes.

Wilbur wußte nicht, wie er ihr Verhalten deuten sollte, denn noch nie war er einem Mädchen begegnet, das Moran auch nur im geringsten ähnelte.

Sie hatte sich so dem rauhen einfachen Seemannsleben angepaßt, daß sie ehrlich gemeinte Bewunderung – anders mochte er seine Verehrung nicht zu äußern – als simple, arglistige Annäherung ansah. Sie traute ihm nicht, hegte Verdacht gegen ihn und spottete unverhohlen über sein mangelhaftes seemännisches Können.

Moran war nicht schön, aber sie begann auf Wilbur mit immer stärkerer Anziehungskraft zu wirken. Er liebte einfach ihre herrlichen Flechten, ihre tiefe Altstimme, die schöne Kraft ihres Körpers. Er bewunderte ihren unentwegten Mut und ihr Selbstvertrauen, während zugleich ihr großes navigatorisches Wissen und ihre Seefahrerkunst ihm wortlose Anerkennung abgewann.

Die Mädchen, welche er gekannt hatte, mochten wohl verstanden haben, wie man sich bei einem Fünfuhrtee unterhalten konnte oder wie sie eine deutsche Zeitschrift zu lesen hatten, aber ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen, das die geographische Länge aus der Höhe eines Sternes zu berechnen vermochte, hatte er noch nirgends kennengelernt. Je mehr er sie kennenlernte, desto tiefer wurde sein erster Eindruck bestätigt.

Sie pflegte nach den Mahlzeiten Whisky zu trinken und konnte fluchen wie ein Pirat. Wenn sie zornig war, wie es sehr oft vorkam.

Man mochte oft wähnen, sie sei geschlechtslos, wild, ja hemmungslos und doch glücklich in ihrer Uneingeschränktheit und strengen Abgeschlossenheit. Ihr Nacken war stark und schwanenweiß, ihre Hände rauh und schwielig und die Männerkleidung machte sie groß, kräftig und frei.

Mehr als einmal fühlte Wilbur, wenn er in ihre Nähe kam, daß ihr Haar, ihr Nacken, ihr ganzes Wesen einen herrlichen, reinen Wohlgeruch von Ozean und Wind ausströmten.

Eines Tages beobachtete er, wie sie ein riesiges Wasserfaß auf dem Rücken trug, mit einer Kraft, die wohl größer sein mußte als seine eigene: ihre Brauen zogen sich bei der Anstrengung zusammen, ihr Haar rollte in schweren Zöpfen vom Nacken, die starken, runden Arme waren bis zum Ellbogen entblößt.

Er wurde von einer Begeisterung erfaßt, die ihn die Worte murmeln ließ: »Mein Gott, welch ein Weib!«

Die »Bertha Millner« fuhr weiter ihren Kurs nach dem Süden. Ruhig glitt sie über den spiegelglatten Ozean. Der Wind strich über eine unbewegliche Oberfläche, und manchesmal, am Mittag, ging der Schimmer der weiten Wasserfläche in den Schein des blauen Himmels über, Wasser und Himmel waren kaum zu unterscheiden.

Das kleine Schiff schien in einer weiten kristallenen Fläche zu schwimmen, die weder Höhen noch Tiefen bot – bewegungslos im heißen, funkelnden, opalisierenden Raum, allein mit der Sonne.

Eines Morgens kam der Schoner, nachdem er in den letzten vierundzwanzig Stunden nach Osten gesegelt war, endlich in die Nähe der Küste. Am Nachmittag war das Schiff etwa eine Seemeile von dem flachen Sandstreifen entfernt, der in der glühenden Luft zitterte; dann gingen sie zwischen dem großen Blattang der Magdalenabai vor Anker.

Nun übernahm Charlie den Befehl.

An den zwei vergangenen Tagen hatten die Chinesen Kübel, Leinen, Fischhaken, Spaten und anderes Gerät für den Haifischfang, welches im Vorschiff verstaut gewesen war, herausgebracht. Die Segel wurden heruntergeholt und eingebänselt, das Deck von sämtlichen Hindernissen befreit; im Laderaum standen Tonnen und riesige Fässer bereit.

Die lässige Trägheit der verflossenen Woche wurde von einer außergewöhnlichen Emsigkeit abgelöst und am Tage nach ihrer Ankunft beschäftigte sich die ganze Mannschaft damit, in der Bai Köder zu fangen. Als Köder dienten eine Art Lippfische von prächtiger, rotgoldener Färbung; sie hatten etwa die Größe eines gewöhnlichen Kabeljaus. Sie bissen gut an, aber von zehn geangelten Fischen wurden drei von den Haien geschnappt, ehe man sie an Bord bringen konnte.

Eine andere Schwierigkeit ergab sich daraus, daß, sei's durch die große Hitze oder wegen des starken Salzgehaltes des Wassers, die Köder, an die Luft gebracht, schnell verendeten.

Ringsum wimmelte es von Schildkröten. Mit grau grünen Schildern bewehrt, schwammen sie dicht unter der Wasseroberfläche dahin.

Große Scharen von Seevögeln bevölkerten während des ganzen Tages die Küste und deren Sandhügel.

In langen Zwischenräumen flitzten fliegende Fische wie geschleuderte flache Steine über die Wellen.

Rudel von Meerschweinen kamen von draußen herein und hüpften unbeholfen am Rande der Bucht.

Aufgescheuchte Landvögel sammelten sich in der Takelage des Schoners.

Früh, des Morgens schon konnte man an Land, wo sich ein Frischwasserstrom ins Meer ergoß; das lustige Pfeifen der Wachteln vernehmen.

Wilbur war es, dem es am zweiten Morgen nach Ankunft der »Bertha Millner« in der Magdalena-Bai gelang, den ersten Haifisch zu fangen.

Man hatte eine Menge Köder geangelt, diese für die Haifische in Hälften geteilt. Wilbur besteckte eine der langen Leinen, welche man am Vorabend an Deck gebracht hatte, mit den Ködern und schleuderte sie über Bord.

Dann beobachtete er, wie sich der helle Schein des Fischleibes, in den Tang versinkend, in silbriges Grün wandelte.

Fast im selben Augenblick huschte ein länglicher Schatten, um etwas dunkler als die blaugrüne Flut, in einiger Entfernung vorbei. An jeder Seite saßen mächtige Flossen, eine davon ragte aufrecht wie ein riesiger Hahnenkamm auf dem Rücken des Tieres, unmittelbar über dem Kopfe schwammen zwei Lotsenfische, welche den Anschein erweckten, als gehörten sie tatsächlich zu diesem Körper.

Zwei-, dreimal umkreiste der große Menschenfresser, er maß vom Maul bis zur Schwanzspitze fast vier Meter, langsam den Köder, die Flossen wie Fächer im Wasser bewegend.

Einmal näherte er sich, berührte mit der Nase den Köder, schnellte zurück und verblieb im Schatten des Schoners regungslos auf der Lauer, das Wasser mit den Flossen streichelnd.

Moran blickte über Wilburs Schulter.

»Nun ist er so gut wie gefangen«, bemerkte sie, »sowie die Fleisch zu sehen bekommen –« Dann rief sie: »Aufpassen, jetzt!«

Der Hai schoß vorwärts, warf sich plötzlich mit einer langsamen, leichten Drehung gänzlich auf den Rücken, sein weißer Bauch blinkte im Wasser wie Silber und der Köder war verschwunden.

Als der große Seewolf anzog, rannte die Leine zwischen Wilburs Handflächen, daß die Haut wie Feuer brannte.

Moran machte die Leine fest.

Beim Emporziehen der schweren Last flogen ihre Körper hin und her, es warf sie gegeneinander.

Ihre nackten kühlen Arme wurden dicht an seine Knöchel gepreßt.

»Hiev up!« rief sie in der Erregung des Augenblicks lachend.

»Hiev all!« stimmte sie den Sang der Seeleute beim Holen der Taue an.

Die Füße gegen die Reling des Schoners gestemmt, rangen sie gemeinsam gegen den Fischriesen.

Aus einem Schaumwirbel tauchten Kopf und Hals an die Oberfläche, die Flossen peitschten das Wasser, bis es kochte, wie das Kielwasser unter der Schraube eines Dampfers.

Kaum waren aber diese großen Flossen über Wasser, wurde das Tier still und hilflos. Charlie lief mit einem langen scharfen Spaten herbei.

Während der Hai noch an der Seite lag, schlitzte er ihn, mit einer Bewegung nur, von unten nach oben auf.

Ein anderer Chinese fing mit einem langstieligen Fischhaken die rotschwarze Leber heraus, holte sie über Bord und warf sie in einen der Kübel an Deck.

Der Hai schlug noch immer, wand sich, die Flossen bebten, die Kiemen klafften geöffnet.

Wilbur vermochte einen Ausruf nicht zurückzuhalten.

»Hohes Geschäft!« knurrte er.

»Ha!« rief Moran zornig, »töten ist für ihn zu milde. Jeder Seemann haßt diese Bestie!«

Nun wurden auch andere Leinen besteckt und über Bord geworfen. Die eigentliche Aufgabe der Fahrt begann für die Leute.

Viel Geschick gehörte nicht dazu. Die Haie bissen gierig, bald schwärmten sie zu hunderten um das Schiff. Selten verging eine halbe Minute, da nicht einer der vier angelnden Chinesen einen Fang meldete.

Charlie und Jim aber hatten mit Spaten und Haken reichlich Arbeit.

Als es Mittag wurde, waren die Fässer auf dem Deck gefüllt bis an den Rand. Man holte die Leinen ein, die Leute schleppten die Kübel an die Sonne, um das Öl auszulassen. In der tropischen Hitze schmolz die Leber fast sichtbar zusammen.

Um vier Uhr nachmittags waren die Kübel mit einem dicken gelben Öl gefüllt, dessen Geruch Wilbur sofort an den ranzigen Gestank erinnerte, der ihm am ersten Tage an Bord des Schoners entgegengeschlagen hatte.

Die Kübel wurden in riesige Fässer und Tonnen gefüllt, welche im Laderaum der »Bertha Millner« standen.

Charlie verschwand in die Kombüse, um die Abendmahlzeit zu bereiten, welche man in der Farbenpracht und Glut des Sonnenunterganges auf Deck verzehrte.

Moran setzte die Lichter, die Chinesen versammelten sich am Ende des Vorschiffes und rauchten Opium.

Der Tag ging zu Ende.


So gingen die Tage dahin.

Bald wußte Wilbur nicht mehr, ob Donnerstag oder Sonntag sei.

Da er des mechanischen Schlachtens der Haie bald überdrüssig wurde, schenkte er seine Aufmerksamkeit nur noch der Küste, um von der Eintönigkeit des Fangs abgelenkt zu werden.

Moran und Wilbur waren vollkommen sich selbst überlassen.

Charlie hatte jetzt das Kommando.

»Maat«, sprach Moran eines Tages zu Wilbur, nachdem sie eine Mahlzeit, bestehend aus Schildkrötensuppe und Fischen, draußen auf dem Achterdeck eingenommen hatten, »Maat, das ist eine langweilige Angelegenheit. Zudem stinkt, der Schoner entsetzlich Wollen wir nicht das Boot losmachen und an Land gehen? Nehmen wir ein Faß mit, um Wasser zu holen. Unser Tank ist dreiviertel leer. Wir können uns ansehen, wie es in Mexiko aussieht«

»Mexiko?« meinte Wilbur, »du hast recht, im Süden der Staaten ist ja Mexiko. Beinahe hätte ich es vergessen!«

Sie verbrachten den Nachmittag beim Frischwasserstrom, füllten da ihr Faß und sammelten Abalonen und Muscheln, welche die Ebbe auf den Felsen zurückgelassen hatte.

Moran stellte fest, daß diese köstlich schmeckten.

Die Eintönigkeit dieser Küste und des Landes dahinter, die unter der tropischen Sonnenglut bebten, war unvergleichlich: niedrige, mit Gestrüpp bedeckte Hügel zogen sich landeinwärts. Am östlichen Horizont, weit in der Ferne, schimmerten bläuliche Berggruppen wie eine Fata Morgana in der Luft. Der Sand war so heiß, daß man ihn kaum berühren konnte. Drüben in der Bai hing der Schoner mit seinen kahlen Masten als ruhe er auf einem umgekehrten Spiegelbilde.

Das aber war alles: das flache, heiße Land, die endlose Fläche des Pazifik und der einsame Schoner.

»Welche Einsamkeit«, sagte Wilbur zu sich und zweifelte, ob es überhaupt ein San Franzisko mit gepflasterten Straßen und Trambahnen gäbe, ob die Menschen, die einst seine Freunde gewesen waren, wirklich existierten.

»Gefällt es dir?« fragte ihn da Moran schnell, und ihre Augen blickten ihn voll an. Die Daumen ihrer Hände staken im Gürtel.

»Es macht mir Spaß – und was meinst du?« erwiderte er.

»Es ist nicht anders als mein ganzes bisheriges Leben. Ich glaube wohl, daß du es als ein eigenartiges Leben für ein Mädchen ansiehst. Aber mein Leben bestand darin, daß ich tat, nicht jedoch nur dachte oder las, was andere Menschen getan oder gedacht haben. Meiner Meinung nach ist, was man tut, nicht, was man denkt oder liest, die Hauptsache im Leben. – Wo ist denn die Brechstange? Wir wollen doch noch einige Abalonen zum Abendessen mitnehmen und dann hinüberrudern.«

Diese Worte waren das einzige kurze Gespräch, das sie im Verlauf des Nachmittags führten. Die übrige Unterhaltung beschränkte sich nur auf die Dinge, die eben ihre Aufmerksamkeit erregten.

Um fünf Uhr kehrten sie zum Schoner zurück; sie fanden die Chinesen bestürzt und erschrocken, aber keiner konnte ihnen Aufklärung geben. Charlie verabreichte ihnen wortlos das Abendbrot.

Während sie die Abalonen, die Moran in Teig gebacken hatte, aßen, erklärte Charlie:

»Hai alle fort! Keinen mehr fangen – alle weggegangen.«

»Gegangen – wieso?«

»Nicht wissen, warum«, sagte Charlie, sehr schlecht, sehr schlecht, Chinaboy sehr sonderbar finden, zu sonderbar.«

Tatsächlich war es so: den ganzen folgenden Tag über ließ sich kein Hai blicken.

Geduldig fischte die Besatzung bis zum Abend und doch wurde sie durch keinen einzigen Fang belohnt.

Keiner wußte dies zu deuten.

»Das ist wirklich seltsam«, sprach Moran, »ich habe noch nie davon gehört, daß ein Hai von seiner Beute gelassen hätte. Man sieht es mit bloßem Auge, daß die Chinesen große Angst haben. Solche abergläubische Geschöpfe!«

In derselben Nacht erwachte Wilbur in seiner Hängematte am Vorschiff, es war halb drei.

Der Mond war untergegangen, der Himmel mit Sternen besät, kein Hauch regte sich.

So still war es, daß Wilbur hören konnte, wie die großen Fische im Wasser spielten und zur Küste plätscherten.

Ohne besondere Vorzeichen begann sich der Schoner unter ihm zu heben.

Wilbur rollte aus der Hängematte und trat auf Deck

Keinen Zweifel gab's mehr, es hob sich das ganze Vorschiff unter ihm, er konnte wahrnehmen, wie das Bugspriet von dem einen Stern zum nächsten wanderte.

Immer höher hob sich der Schoner.

Die Gegenstände auf Deck begannen nach achtern zu gleiten, aus den Kübeln rann das Öl heraus, dann aber – die Chinesen waren aus dem Vorschiff herausgestürzt – sank der Schoner, erst allmählich, dann mit einem jähen Ruck, der Wilbur beinahe hinwarf, in seine ursprüngliche Lage zurück.

Mittschiffs fand er Moran. Auch Charlie kam nach achtern gerannt.

»Was war denn das? Sind wir auf Grund gestoßen?«

»Nein, nein, wir liegen fest vor Anker. Sollte es eine Flutwelle gewesen sein?«

»Unsinn, die könnte uns nicht so heben.«

»Nun also, was war es dann? Hört! Seid doch um Gottes willen ruhig da auf dem Vorschiff!«

Wilbur blickte über die Reling ins Wasser.

Die Wellen rollten noch immer vom Schoner weg. Sonst gab es nichts zu sehen.

Wiederum war tiefe Stille.

Kein Laut war zu vernehmen.


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