Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1869-1874, Band 1
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Ende 1874]

[Dokument: Heft]

37 [1]

Abarten degenerare (Sohn vom Vater)

abätzen (die Weide) depascere

abbesolden

eine Sache zu grün abbrechen = übereilen

er bricht sich nichts ab = versagt sich nichts

die Zeit wird den Aberglauben schon abbringen

abbrüchig (Dat.) = nachtheilig

Licht abdäuben (dämpfen)

davon lässt sich nichts abdingen

alles, was man uns abdringt

Aberglauben und Abdünkel

einem etwas abeilen (eilends wegnehmen)

es gehet gegen den Abend

auf wahrscheinliche Vermuthungen ein Abenteuer wagen

abenteuernd

euer ganzes aberweises Jahrhundert

in Abfall und Verachtung kommen

die Regel muss einen Abfall leiden

nach ihm abgeformt

abgeführte und arglistige Köpfe

Fehl, Abgang und Gebrechen

abgängige Kleider (abgenutzt)

er gab einen Begleiter ab

das Feuer abgehen lassen

uns, denen nichts abgeht

abgelebte Tage

unser abgesagtester Feind

dir will ich leicht abgewinnen mit –

zerlumpt die Segel, Rippen abgewittert

er gewöhnte ihn von den Ausschweifungen ab

da wird ein Todter geschwind noch abgegossen

Abglimmen des Lichtes bei heiteren Abenden

das Glück war mir abgünstig

dass er ihnen nichts abhaben konnte

Spiess abhag ab ziehn = die Belagerung aufgeben

er hält gar nichts ab = aus

ich kam mir selbst abhanden

ich hange ganz von ihrem Willen ab

die Natur macht den Menschen abhängig zur Erde,

das Gemüth wie eine schwere Bleiwage nach der Eitelkeit abhängig

bei abgehellter Luft

helfet mir das Marter ab

Abhub (ablatio ciborum)

ich lasse mir nichts abheucheln

den Zeugen vor Gericht abhören

allem Laster abhold

abkarten

abkaufen

sich von der Welt abkehren

das Jahr klingt ab, der Wind geht über die Stoppeln

abgeklaubte Formeln

als er seines Frostes ein wenig abgekommen war

abkräftige Kranke

er will sich keinen Heller von dem Gelde abkürzen lassen

nach abgelegter Reise

einen Besuch in der Nachbarschaft abzulegen

einen Brief von Basel ablassen

das Pferd läuft von der Strasse ab

ihm den Vortheil, den Preis ablaufen

du weisst dass bei Licht seine Augen immer mehr ablegen

ablenken

aller Wein muss erst abliegen, bevor man ihn trinken kann

ein versetztes Pfand ablösen

die Handgriffe abmerken

den Streit gütlich abmachen

was aber windfällig und wipfeldürr, mag man wohl abhauen

du kannst dich wohl von dem Schreiben einen Augenblick abmüssigen

die Regel aus der Analogie abnehmen

Bergleute müssen manchen Schurf vergebens werfen und viel Schächte abteufen

ich bin nicht in Abrede, dass

dass ich sie nicht recht gemahlet, sondern allein auf ein Papier schlecht abgerissen

einen Absagbrief wider alle Zeitungsschreiber

das Glück sagt ihm ab und widerstehet ihm

eine Neigung, welche mit ihrem Alter einen starken Absatz machte

ein glücklicher Abscheid aus dieser Welt

wie leichtfertig hat jener Fürst seinen Dienern das abgebrochen und abgeschatzet

pfui welch ein Abscheu, welch ein Schreckbild!

aus der Abschilderung, die man mir von ihm gemacht

ich nehme keinen Abschlag an, keine vorläufige Bezahlung

jeden Gewaltstreich abschlagen

worauf kann er wohl sein Absehen richten? (haben)

seinen Vortheil schnell absehen

Tag und Nacht setzen so entschieden von einander ab

alte abgesetzte Wörter

es setzte einen grossen Streit ab

in gewisser Absicht, in Absicht der Wirkungen.

37 [2]

Ebenmaass

echt ist richtig, nicht ächt

ehe ist falsch: eh zu schreiben

mit ehester Gelegenheit

augenfällig und eindrücktich

zu wilden und einöden Orten

er hat ein grosses Stück am Eis gebrochen.

37 [3]

Werth des Lateinschreibens.

Das Übersetzen.

Grad und Art des Lesens.

Über Stilmuster.

Nutzen von Sammlungen.

Maass des Schreibens.

Das Sprechen und Hören.

Der logische Satz.

Über Schmuck.

Gesammtfärbung.

Entstehung einer Schrift – Einfälle.

Überzeugen – Belehren und andre Absichten.

artem tegere.

Freude am Schreiben als Gegengewicht gegen das Lesen.

Ob zuerst kleine oder grosse Form?

Die Gesammtproportion muss fühlbar sein.

Die Alten schreiben nicht von Natur gut.

Über Citate (sollen nicht die Farbe stören).

Enthaltung von Zeitungen (lesend schreibend).

Das Einfache ist das Schwerste und Letzte.

Das Individuelle muss erst heraus, dann ist es zu brechen.

Interpungiren, Gedankenstriche usw.

Erhaltung der Sprache nur an künstlerische Behandlung geknüpft.

37 [4]

Übersetzen: aber Verse machen verdirbt einem die Sprache.

Nie sich scheuen, deutlicher zu sein als der Autor.

Das "zwischen Zeilen lesen" ist in ein offneres Anspielungswesen zu übertragen.

Mitunter sieht man die weissen Knochen zu sehr bei Aristoteles (so gewiss auch die Magerkeit am Platze ist).

Aussichten auf die Zukunft der Sprache; es ist Zeit für lebenslange Arbeit an ihr.

Vom unglücklichen Gedanken an eine Akademie auszugehen –

Unsre Mittel und Wege zur Cultur zu kommen sind der Kraft und Gesundheit der Cultur feindlich.

Das Problem der Kunstprosa; zu einer gewissen Zeit nothwendig, als das einzige, was die Sprache noch erhält; aber ungeheurer Verlust einbegriffen.

Der Kampf um die Prosa (Schrift- und Redeprosa).

Die unmoralischen Bedingungen der einzelnen Dichtungsarten, z. B. Ungeduld des Zuhörers beim Drama: ebenso die intellectuellen Beschränktheiten, die zu jeder speziellen Kunst nöthig sind.

Zum Lesen: wir sind eine Zeit, deren Cultur an den Mitteln der Cultur zu Grunde geht.

Keller. Auerbach. Heine. Grimm.

Auerbach kann weder erzählen noch denken; er stellt sich nur so an. Dagegen ist er in seinem Element, wenn er in einer weichlichen geschwätzigen Rührung schwimmen kann; doch sind wir nicht gern in seinem Elemente.

Eine gute Schrift wird, wo sie wirkt, vergessen machen, dass sie litterarisch ist; sie wirkt als Wort und Handlung eines Freundes; wer möchte darüber etwas drucken lassen!

Der Niedergang der Bildung zeigt sich in Verarmung der Sprache; das Deutsche der Zeitungen ist eine κοινή bereits. Man kann der Sprache äusserlich aufhelfen (2. und 3. Jahrhundert n. Chr.).

37 [5]

Die Armut der Sprache entspricht der Armut der Meinungen: man denke an unsre Litteraturzeitungen: wie wenig herrschende Ansichten! Zuerst glaubt man mit lauter Fachgelehrten zu thun zu haben, wenn das Urtheil über ein Buch gesprochen wird: jetzt sehe ich dahinter.

Die Nachtheile, die mit der Einheit einer Nation verknüpft sind, wie mit der Einheit einer Kirche; Segen des Kampfes. In der Concurrenz der Nationen verdorrt das widerhaarige trennlustige Deutschwesen in sich und wird nach aussen streitbar, üppig, genusssüchtig, gierig.

Wehe allen, die jetzt nach schönem Stile trachten: seid was ihr scheint und schreibt so!

Fünf Jahre pythagoreisehes Nichtlesen.

Das Goethische Dictiren: sein Vortheil, dem Sprechen näher.

Der "schöne Stil" ist eine Erfindung der Prunkredner.

"Warum sollte man sich mit der Sprache solche Mühe geben!" Deutlichkeit genügt, wie Epikur meinte. Zu schildern, was vermöge dieses Princips der Deutlichkeit verloren geht. Ist denn der Mensch nichts als Logik?

37 [6]

Aller Verkehr unter Menschen beruht darauf, dass der eine in der Seele des andern lesen kann; und die gemeinsame Sprache ist der tönende Ausdruck einer gemeinsamen Seele. Je inniger und zarter jener Verkehr wird, um so reicher die Sprache; als welche mit jener allgemeinen Seele wächst oder – verkümmert. Sprechen ist im Grunde ein Fragen des Mitmenschen, ob er mit mir die gleiche Seele hat; die ältesten Sätze scheinen mir Fragesätze und im Accent vermuthe ich den Nachklang jenes ältesten Fragens der Seele an sich selbst, aber in einem andern Gehäuse. Erkennst du dich wieder? – dies Gefühl begleitet jeden Satz des Sprechenden; er macht den Versuch eines Monologs und Zwiegesprächs mit sich selbst. Je weniger er sich wieder erkennt, um so mehr verstummt er, und im erzwungenen Verstummen wird seine Seele ärmer und kleiner. Wenn man die Menschen nöthigen könnte, von jetzt ab zu schweigen: so könnte man sie zu Pferden und Seehunden und Kühen zurückbilden; denn diesen Wesen sieht man an, was es heisst, nicht sprechen können: nämlich so viel als eine dumpfe Seele zu haben.

Nun haben in der That viele Menschen und mitunter die Menschen ganzer Zeiträume etwas von Kühen an sich; ihre Seele liegt dumpf und lässig in sich. Sie mögen springen und grasen und sich anstieren, es ist nur ein elender Rest von Seele unter ihnen gemeinsam. Folglich muss ihre Sprache verarmt sein oder mechanisch werden. Denn es ist nicht wahr, dass die Noth die Sprache erzeuge, die Noth des Individuums; sondern höchstens die Noth einer ganzen Heerde, eines Stammes, aber damit diese als das Gemeinsame empfunden werde, muss schon die Seele weiter als das Individuum ist geworden sein, sie muss auf Reisen gehen, sich wieder finden wollen, sie muss erst sprechen wollen, bevor sie spricht; und dieser Wille ist nichts Individuelles. Dächte man sich ein mythologisches Urwesen, mit hundert Köpfen und Füssen und Händen, als die Form des Urmenschen: so würde es mit sich selbst reden; und erst als es merkte, dass es mit sich wie mit einem zweiten, dritten, ja hundertsten Wesen reden könne, liess es sich in seine Theile zerfallen, die einzelnen Menschen, weil es wusste, dass es nicht ganz seine Einheit verlieren könne: denn diese liegt nicht im Raume, wie die Vielheit dieser hundert Menschen; sondern wenn diese sprechen, fühlt sich das mythologische Ungeheuer wieder ganz und eins.

Und klingt denn wirklich das herrliche Tonwesen einer Sprache nach Noth, als der Mutter der Sprache? Ist nicht alles mit Lust und Üppigkeit geboren, frei und mit den Zeichen betrachtenden Tiefsinns? Was hat der affenartige Mensch mit unsern Sprachen zu thun! Ein Volk, welches sechs Casus hat und seine Verben mit hundert Formen abbeugt, hat eine volle gemeinsame und überströmende Seele; und das Volk, welches eine solche Sprache sich schuf, hat die Fülle seiner Seele auf alle Nachwelt ausgegossen; in einer späteren Zeit werfen sich die gleichen Kräfte in die Form von Dichtern und Musikern und Schauspielern Rednern und Propheten; aber als diese Kräfte noch in der strotzenden Fülle der ersten Jugend waren, erzeugten sie Sprachenbildner: das waren die fruchtbarsten Menschen aller Zeiten, und sie zeichnete aus, was jene Musiker und Künstler zu allen Zeiten auszeichnet: ihre Seele war grösser, liebevoller, gemeinsamer und beinahe mehr in allen als in einem einzelnen dumpfen Winkel lebend. In ihnen sprach die allgemeine Seele mit sich.

37 [7]

Sind für einen künftigen Schriftsteller viele Sprachen von Nutzen? Oder überhaupt fremde Sprachen? Zumal für einen deutschen Schriftsteller? Die Griechen hiengen von sich ab und bemühten sich nicht um fremde Sprachen: wohl aber um die eigne. Bei uns umgekehrt: die deutschen Studien haben sich erst allmählich eingedrängt, und sie haben, wie sie getrieben werden, etwas Ausländisches und Gelehrtenhaftes an sich. Viel wird gethan, um lateinischen Stil zu lehren; aber im Deutschen lehrt man Geschichte der Sprache und Litteratur: und doch hat diese Geschichte nur als Mittel und Hülfe einer praktischen Übung Sinn. Deutsch in frühern Perioden lesen zu können ist nichts oder wenig. Aber viel ist, zu einem Urtheil über das Verkommene der gegenwärtigen Sprache zu gelangen und deshalb die Vergangenheit zu Hülfe zu nehmen. Der Wort- und Wendungen-Schatz, der jetzt jedermann zu Gebote steht, ist als verbraucht anzusehn und zu empfinden; wirklich ist die Sprache viel reicher als man nach diesem Schatze meinen sollte; ebenso ist die verschlungene Syntax verbraucht. Man muss also künstlerisch mit der Sprache verfahren, um dem Ekel zu entfliehen; etwa wie ich nicht mehr Mendelssohn'sche Wendungen aushalte; ich verlange nach einer kräftigeren und reizvolleren Sprache. Jetzt wird es freilich viel schwerer zu schreiben als es war; man muss sich seine Sprache machen. Dies ist kein äusserliches Begehren, als ob man eine Tracht satt hätte und nach einer neuen Mode begehrte. Denn ich erkenne in dem stumpfen Character unserer Sprache recht gut unser stumpfgewordnes Deutschthum, unsre verschwindende Individualität. Der Kampf hier und dort ist nur ein Sich-Bäumen gegen die Vernichtung des besseren und stärkeren Deutschthums, an das wir noch glauben. Eine Stillehre, die auf das Correcte und Conventionelle sähe, wäre das letzte, was wir brauchten: während es für die Andern kaum mehr nöthig ist, da sie unwillkürlich darin schon leben, ich meine im Zwange des Correcten und Conventionellen. Wer der deutschen Sprache noch eine Zukunft verheissen will, muss eine Strömung erzeugen gegen unser jetziges Deutsch. Man muss vieles Unglückliche und Gequälte in Kauf nehmen; die nächste Hauptsache ist, dass man sich anstrengt, dass man auf die Sprache Blut und Kraft wendet. Schön und hässlich sind Worte, die uns jetzt gar nichts angehen sollen, guten "Geschmack" kann es gar nicht geben. Tod aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit.

Also: die Verarmung und Verblassung der Sprache ist ein Symptom der verkümmerten allgemeinen Seele in Deutschland; während die grosse Gleichmässigkeit in Wort und Wendung als das Gegentheil erscheinen könnte, als das Gegenstück der politischen Einheit, der Gewinn einer gemeinsamen Seele. Wenigstens könnte man sagen: es entsteht eine Einheit durch Zusammenschrumpfen und durch Erweiterung; die erste Art hätte man jetzt. Zum Beweis dass man die zweite nicht hat, dient es zu sehen, wie unsre grössten und reichsten Geister sich bei den Mitdeutschen gar nicht mehr verständlich machen können. Unwillkürlich werden sie Exilirte. Ebenso dient zum Beweise, was für Schriftsteller und Künstler der jetzigen allgemeinen Seele entsprechen und verstanden werden, z. B. so ein Strauss, Auerbach und dergleichen.

37 [8]

Wie kann man nur Stil und Darstellung so wichtig nehmen! Es kommt doch nur darauf an, dass man sich verständlich mache. – Zugegeben: aber das ist nichts Leichtes und etwas sehr Wichtiges. Man denke, <was für> ein complicirtes Wesen der Mensch ist: wie unendlich schwer für ihn, sich wirklich auszudrücken! Die meisten Menschen bleiben eben in sich kleben und können nicht heraus, das ist aber Sklaverei. Sprechen- und Schreibenkönnen heisst freiwerden: zugegeben dass nicht immer das Beste dabei herauskommt; aber es ist gut, dass es sichtbar wird, dass es Wort und Farbe findet. Barbar ist einer, der sich nicht ausdrücken kann, der sklavenhaft plappert. – "Schöner Stil" freilich ist nichts als ein neuer Käfig, ein vergoldetes Barbarenthum.

Ich verlange von einem Buche Stimmung als Einheit und Maass; das bestimmt Wortwahl, Gleichniss-Art und –Zahl, Gang und Ende.


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