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Das fünfzehnte Kapitel

.Seit diesem Tage dachte Michel ernsthaft darüber nach, nach Hamburg zurückzugehen. Er hatte schon lange Heimweh nach seiner Mutter und den Schwestern, nach allem gehabt, was ihm teuer war; jetzt, wo Tante Male nicht mehr lebte, um derentwillen er doch nach Paris gekommen war, jetzt dachte er über eine Gelegenheit nach zu entwischen. Er hörte jetzt oft über die Deutschen schimpfen, was ihn gleichfalls kränkte, weil es ihm immer klarer wurde, daß er selbst ein Deutscher war, wenn er auch augenblicklich die deutsche Sprache ein wenig vergessen hatte.

Er würde sie aber schon wieder lernen, davon war er überzeugt; aber es gab keine Gelegenheit zur Flucht. Noch immer herrschte ein Regiment, das man später das Regiment des Schreckens genannt hat; war schon ehemals die Guillotine in Arbeit gewesen, so mußte sie jetzt noch viel mehr tun. Ganze Familien wurden hingerichtet und ihre Güter eingezogen, nur weil sie vornehm waren. Und dazwischen kamen andere Menschen daran, die weder vornehm noch reich waren und die vielleicht nur Mitleid mit den Opfern gehabt hatten.

In Paris herrschte eine dumpfe Stimmung, und das Volk begann leise zu murren. Nachgerade hatte niemand Lust mehr, jeden Morgen einen Karren voll Verurteilter zu sehen, man wollte wieder eine vergnügte Stadt haben und keinen Ort des Schreckens.

Vorläufig hatten aber die Schreckensmänner noch die Gewalt in Händen, und als das neue Jahr kam, waren die meisten Franzosen schlechter Laune und sehnten sich nach früheren, schönen Tagen.

Michel stand nicht mehr Wache, das hatte er als Korporal nicht nötig, aber er mußte die Wache revidieren, und dies tat er stets mit großem Eifer. In allen Gefängnissen war er auf diese Weise gewesen und hatte versucht, nach seiner Tante und den andern Freundinnen zu suchen; er hatte sie aber nirgends gefunden, wie er es auch schon gefürchtet hatte. Und als er eines Tages die Wache in dem Ministerium nachsah, wo Peter meistens vor der Tür stand, da klagte er ihm, wie häßlich auch für ihn das Leben geworden wäre.

Peter machte ein verdrießliches Gesicht.

»Laß das Klagen, Michel! Du hast es doch noch gut! Denke an den armen kleinen Prinzen, der allein im Tempel bei Schuster Simon eingesperrt ist, dem sie alles genommen haben, seine Eltern, seine Freunde; der immer Prügel kriegt und nicht einmal frische Luft. Mein Junge, laß das Klagen und denke an den kleinen Karl Ludwig!«

Da wurde Michel still, und als er bald darauf auch im Tempel zu tun hatte, da verlangte er, den Prinzen zu sehen.

Die Wächter lachten ihn aus. Den kleinen Capet bekam niemand zu sehen, den hatte Schuster Simon in seine Obhut genommen, prügelte ihn jeden Tag und gab ihm Schnaps zu trinken, damit er seinen Verstand verlöre.

»Und die Franzosen erlauben, daß ein armes Kind so gequält wird?«

Michel glühte vor Zorn, und einer der Wächter legte die Finger auf den Mund.

»Pst, pst, Korporal! Was geht's uns an? Ich möchte gern meinen Kopf behalten!«

Aber als jetzt ein jämmerliches Weinen aus dem Turm erklang, da steckte er die Finger in die Ohren.

»Wenn er nur nicht immer so schreien wollte! Manchmal kann ich es nicht mehr anhören!«

Als Michel nachher wieder seiner Kaserne zuschritt, zitterte er am ganzen Körper. Was ging es ihn an, daß der Sommer wieder kam, daß die Vögel sangen und alle Bäume wieder grün geworden waren: irgend etwas fraß an ihm, und das war der Gram um den armen, unschuldigen Königssohn, der keinem Menschen jemals etwas getan hatte und der so elend verkümmern mußte. Eine Woche später erhielt er Peters Besuch. Der zog ihn in eine Ecke.

»Sage, weißt du in Paris einen Platz, an dem man einige Tage verborgen leben kann? Ich weiß keinen, denn ich bin alt und dumm; du aber bist jung. Dann kann man klüger sein als ein alter Kerl.«

Michel dachte einen Augenblick nach, dann sagte er:

»Ich weiß wohl einen Platz, aber es laufen Ratten darin herum, und er ist in einem Weinkeller!«

Peter lachte. »Oho! Die Ratten sind nicht so schlimm als die Menschen! Zeige mir das Versteck und frage nicht, wen ich dort verstecken will!«

An demselben Abend, ganz spät, kletterte Michel mit Peter in den Garten, der einst zu dem Hause von Herrn Martin gehört hatte. Jetzt war er ein Lager für altes Bauholz geworden, aber die Bäume standen noch, und nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen. Nur eine Katze lief klagend über die morschen Bretter, und Michel mußte an die Katze Mimi denken, mit der er einst so gut Freund gewesen war. Wo war sie jetzt, oder lag sie auch schon lange in der Erde, wie so viele Menschen?

Aber er konnte seinen Gedanken nicht nachhängen; als er vor dem Kellerfenster stand, durch das er einst in den Weinkeller geklettert war, merkte er, daß Peter und er nicht mehr allein waren. Hinter den aufgestapelten Brettern flüsterte es leise, und einige Laternen blitzten durch die Dunkelheit. Peter faßte ihn am Arm: »Nun zeige dein Versteck!« Also stieg er hinab in den Keller, nahm eine Laterne in die Hand und ging langsam, Schritt vor Schritt. Wahrlich, hinter einem großen, leeren Weinfaß gähnte eine Öffnung in der Erde, und langsam stieg er, gefolgt von Peter, dieselbe morsche Treppe hinunter, die er einst hinaufgegangen war. Damals, als er noch klein war und die Welt ein andres Gesicht hatte als jetzt. Doch heute lief ihm keine Ratte über den Weg, und als er die Laterne hob, um die Wände zu beleuchten, stieß er fast einen Schrei aus. Vor ihm auf dem Boden lag ein in Lumpen gehüllter Mensch, dessen blasses Gesicht aussah, als wäre er tot. Und dann erschienen neben Peter einige vermummte Gestalten, und einer von ihnen beugte sich zu dem Bewußtlosen hinunter, befühlte und betrachtete ihn.

»Er ist nicht tot,« sagte er dann leise, »aber hoffnungslos krank! Er kann nicht mehr lange leben!«

»Wer mag es sein?« fragte ein andrer, und Peter trat näher.

»Ich habe ihn wohl einmal gesehen, Bürger! Er nannte sich Henri und war immer dabei, wenn etwas los war. Einer von denen, die gern lange Finger machen, sobald sie dazu Gelegenheit haben. Einmal ist er beinahe totgeschossen worden, ich glaub', es war bei der Stürmung der Bastille; von der Geschichte hat er sich wohl nie ganz erholt. Später hat er noch zu einer Bande gehört, die immer in den leeren Häusern gestohlen hat, und nun ist er wohl so krank, daß er sich verkrochen hat, um in Ruhe sterben zu können!«

Während Peter sprach, leuchtete Michel in das fahle Gesicht des Schwerkranken. Er hätte Henri niemals erkannt, er schien ihm viel kleiner und magerer geworden zu sein, und er sah aus wie ein Knabe von vielleicht zehn Jahren. Aber er brauchte nichts zu sagen; einer der vermummten Männer machte ihm ein Zeichen.

»Faß an!«

Er gehorchte, und bald war der arme Henri aus dem Loch in der Erde getragen und wurde auf den Kellerboden hingelegt, während die Männer eifrig miteinander flüsterten. Es schien ihnen sehr angenehm zu sein, Henri gefunden zu haben. Dann wandte einer von ihnen sich an Michel.

»Hast du Mut, bei einer guten Tat zu helfen?«

Einen Augenblick zögerte Michel. »Ist es etwas gegen die Republik?«

Da stieß Peter ihn an.

»Du sollst helfen, den Königssohn zu befreien! Ist es nicht eine Schande für die Republik, wenn sie ihn elend umkommen läßt?«

Michel hörte in Gedanken das jämmerliche Schreien des armen kleinen Prinzen, er sah das rohe Gesicht des Schusters Simon vor sich.

»Ich will helfen!« sagte er ernsthaft.

Da mußte er seine Uniform ausziehen, eine blaue Bluse anlegen, eine rote Kappe aufsetzen, und dann saß er plötzlich in einem geschlossenen Wagen, und neben ihm lag der totkranke Henri.

Langsam fuhr der Kutscher in einen weiten Hof, fütterte die Pferde und setzte sich dann gleichfalls zu Michel in den Wagen. So saßen sie schweigend, bis es Morgen wurde. Dann stieg der Kutscher wieder auf den Bock und fuhr bis vor den Tempel.

Das Tor war noch geschlossen, er klopfte aber leise daran, da ging es offen, und vor Michel, der gleichfalls ausgestiegen war, standen zwei Männer, die einen großen, verdeckten Korb trugen. Aus diesem Korb kam ein schwacher Laut; dann wurde eine leichte, kleine Gestalt eilig herausgehoben und in den Wagen gelegt, während Henri, der noch immer bewußtlos auf seinem Platze lag, ebenso schnell in den Korb transportiert ward. Dieser Korb verschwand wieder im Tempel, der Kutscher stieg auf den Bock, und nach einer Stunde hielt der Wagen auf derselben Stelle, von der er gestern abend abgefahren war. Es war noch immer dämmrig, und hier im Garten war kein Mensch zu sehen. Nur Peter kam hinter einem Holzstoß hervor und half Michel, die kleine Gestalt, die gleichfalls keine Besinnung hatte, in den Keller und in das verborgene Loch zu tragen. Hier sah es etwas besser aus als vorher. Die Wände waren mit Brettern und Teppichen verkleidet, ein Bett stand dort, auf das der Prinz gelegt wurde, und eine brennende Öllampe verbreitete Licht.

.

Peter wischte sich die Augen, als er den abgezehrten Königssohn erblickte.

»Armes Kerlchen, sie haben dir übel mitgespielt. Nun, paß nur auf: wenn wir erst aus Paris heraus sind, wird's schon besser werden!«

Auch Michel wurde wütend, als er die Leidensgestalt Karl Ludwigs erblickte. Und dann fiel ihm ein, daß er zum Dienst nach seiner Kaserne müßte, und er sah sich nach seinen Kleidern um, sie wieder anzulegen.

Da drückte ihm ein Mann, den er gestern schon gesehen hatte, ein Stück Papier in die Hand.

»Der Korporal Michel Schneidewind ist bis auf weiteres von seinem Regiment beurlaubt!« sagte er.

Zweifelnd betrachtete Michel das Schriftstück; aber da stand's schwarz auf weiß zu lesen: er war wirklich beurlaubt, und das Siegel der Republik war darunter gedrückt.

Er wollte fragen, wie dies alles zuginge, aber Peter stieß ihn wieder an.

»Laß doch das Fragen, Michel! Ich tu's auch nicht. Den kleinen Prinzen haben wir nun, und Henri kann ebenso gut im Tempel als hier sterben. Dann werden die Leute sich freuen, daß der kleine Capet tot ist; wir aber haben den Königssohn mit uns, und er kann selbst noch einmal König werden!«

Michel hätte nun gar zu gern von dem fremden Herrn eine Erklärung gehört, weshalb er denn gerade gewählt war, um den Kronprinzen zu retten, und wer denn die ganze Flucht geplant hatte.

Er erfuhr aber gar nichts; er hatte zu gehorchen, wie ihm Peter sagte, und darin mußte er sich finden, gerade, wie er geduldig etliche Tage in der kleinen Höhle unter dem Keller auszuhalten und bei dem kleinen Prinzen zu bleiben hatte. Nur am Abend durfte er in den Garten gehen, wo ihm Peter Nahrung brachte. Manchmal sogar eine Flasche köstlichen Weines, den er gern mit dem Prinzen geteilt hätte. Aber Karl Ludwig war zu krank, um an einem Becher Wein Freude zu empfinden. Man hatte ihn eingeschläfert, um ihn geräuschlos transportieren zu können; aber da der Knabe sehr geschwächt war, so hatte er dieses Mittel schlecht vertragen und lag mehrere Tage, ohne sich zu rühren. In der Nacht kam ein Arzt, um ihn zu untersuchen und ihm einige Arzneien zu geben; dann öffnete der kleine Prinz wohl die Augen und sagte, wie im Traum: »Mutter!«

Seine Mutter war sein einziger Gedanke, und wenn er diesen Namen aussprach, dann ging ein Lächeln über sein abgezehrtes Gesicht. Und Peter dachte an seine eigene Mutter und daran, ob er sie jemals wiedersehen würde.

Es kam wieder ein dunkler Abend. Den ganzen Tag hatte es gewittert, und die Luft war schwer und feucht. Michel stand im Garten und sah nach Peter aus, der um die Zeit immer zu kommen pflegte, als wieder drei vermummte Männer vor ihm standen und ihm bedeuteten, ihnen zu folgen.

Zuerst mußte er helfen, den Prinzen aus dem Keller in einen Wagen zu tragen, dann setzten sich die Männer zu ihm, und der Wagen fuhr langsam davon. Keiner der Herren sprach ein Wort; ihre Gesichter waren mit Halbmasken bedeckt; wenn ein schwacher Lichtschein in den Wagen drang, dann konnte Michel ihre Züge nicht erkennen.

Nun wurde in einem einsamen Hofe Halt gemacht, und hier wartete eine leichte Halbchaise, mit zwei kräftigen Pferden bespannt, auf Michel. Er stieg hinein, der Prinz wurde neben ihn gesetzt, und ein großer Mann ergriff die Zügel. Durch die Straßen von Paris ging der Weg, nirgends war ein Mensch zu sehen, nur hier und da stand eine Schildwache, und Michel sah sie an mit Sehnsucht. Denn er ging einem ungewissen Leben entgegen und wußte nicht, was die Zukunft ihm bringen würde. Und war er nicht schon Korporal und konnte, wenn ihm das Glück hold war, einmal Leutnant werden? Langsam klapperte der Wagen durch das Tor des Nordens, und die Wache trat heran.

»Wer da?«

Peter Petersens Stimme klang vom Kutschersitz.

»Ich bin der Fuhrmann Peter aus Havre, und im Wagen sitzen meine beiden Jungen. Der eine ist mir in Paris krank geworden, ich will lieber mit ihm an die See.«

»Was fehlt ihm denn?« Neugierig sah der junge Soldat in den Wagen.

Peter lachte. »Ja, mein Freund, besieh ihn dir nur recht genau und sage mir dann, was ihm fehlt. Die klugen Pariser Ärzte können's nicht herausbringen, aber so ein Grünschnabel wie du, der weiß mehr davon!«

Der Soldat wollte ärgerlich werden, dann aber sah er in Peters gutmütiges Gesicht und mußte lachen.

»Nichts für ungut, Kamerad, daß ich fragte; ich hab zu Haus 'nen kleinen Bruder, der auch immer krank ist. Da möchte man immer wissen, was den andern Kindern fehlt. Und nun lasse mich deinen Paß sehen!«

Er betrachtete ernsthaft das große Stück Papier, das ihm Peter reichte, gab's zurück und salutierte.

»Glückliche Reise, Peter aus Havre, und gute Besserung!«

Und so fuhr der Wagen gemächlich aus Paris heraus.

Es war eine wunderliche Fahrt. Damals durften nur wenig Menschen Paris verlassen, und wenn die Bewohner der kleinen Städte diesen Wagen sahen und hörten, daß er aus der Hauptstadt käme, dann hielten sie ihn an und fragten, was es Neues gäbe. Wurden noch immer so viel Aristokraten hingerichtet, und wie ging es dem kleinen Capet?

War es der Fall, daß er schlecht von einem Schuster behandelt wurde, und durfte man sich das gefallen lassen?

Die Leute wurden ganz böse und sahen Peter zornig an, wenn er gleichmütig die Achseln zuckte.

»Ja, lieber Bürger, der kleine Capet wird nicht auf Rosen gebettet sein, aber das kommt davon, wenn man ein Königssohn ist. Dann kann man nicht verlangen, gut behandelt zu werden, und muß sein Schicksal tragen.«

Schweigend hörten die meisten diese Reden an; einmal aber hob ein alter Mann aus der Menge drohend seine Hand.

»Schäme dich, so von unserem jungen König zu reden! Kommt, laßt uns den Kerl totstechen!«

Zum Glück hatten die anderen Leute keine Lust, Peter zu töten, und er fuhr eilig weiter.

Der Prinz wurde unterwegs ein wenig besser. Er aß und schlief, und manchmal hob er den Kopf und atmete die frischere Luft ein. Und einmal, als ihm Michel einige Blumen vom Wege brachte, flog ein Lächeln über sein Gesicht. Michel lief manchmal neben dem Wagen her und dachte der Zeiten, daß er denselben Weg gekommen war. Es waren fast sechs Jahre vergangen, und was war in dieser Zeit geschehen? Jetzt fuhren keine goldenen Wagen mehr an ihm vorüber, und kein stolzer Herzog konnte ihnen die Pferde wegnehmen. Hunderte von Schlössern waren verbrannt; an vielen Orten waren die Felder nicht bestellt, und die neue Zeit hatte noch nicht viel Gutes gebracht. Einmal aber würde es vielleicht doch gut sein, daß die vornehmen Leute nicht mehr allein in Frankreich regierten und daß auch die niedriger Geborenen zu ihrem Recht kamen.

So dachte Michel, und er hätte gern gewußt, was Peter zu diesem Gedanken sagte. Doch dieser sprach erst wieder einen längeren Satz mit ihm, als die Türme von Havre am Horizont auftauchten.

Da stieg er vom Bock und faltete die Hände.

»Lieber Gott,« sagte er, »ich weiß, daß du eine Menge auf dieser Erde zu tun hast, und daher mag ich dir nicht oft deine Zeit wegnehmen. Aber ich muß dir doch danken, daß ich aus Paris weg bin, und daß wir den kleinen König bis hierher gebracht haben. Hilf uns nun weiter, und wenn es auch wohl unbescheiden ist, noch etwas mehr zu bitten, so sieh doch zu, daß meine Frau und meine Jungen irgendwo zu finden sind, so daß ich sie einmal wieder in meinem Leben zu sehen kriege. Ich will dann auch nicht mehr von ihnen weggehen, und wenn ich bloß mein Brot verdienen kann, so ist mir das angenehmer, als General zu werden! Dazu passe ich überhaupt nicht so recht, ich bin mehr für das Einfache, weil es mich glücklicher macht!«

Auch Michel war aus dem Wagen gestiegen und blickte auf einen grauen Streifen in der Ferne. Die Morgensonne schien darauf: es war das Meer, das er lange nicht gesehen hatte. Und er mußte an die Elbe denken, und ob sie wohl noch gerade so stolz an seinem Hamburg vorüber glitte wie einstmals. Und ob seine Mutter und Schwestern wohl manchmal an den Hafen gingen und an ihn dachten.

Aber er hatte keine Zeit, lange diesen Gedanken nachzuhängen. Wieder stand derselbe große Mann vor ihm, der schon oft mit ihm gesprochen hatte, und drückte ihm ein kleines Paket in die Hand.

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»Ich danke dir, Korporal, daß du deine Sache brav gemacht hast; ich hoffe, daß es dir in deinem weiteren Leben gleichfalls gut ergehen möge, und vielleicht kann ich dir später noch einmal meine Dankbarkeit erweisen. Nimm jetzt Abschied von dem jungen König; er wird eine andere Straße ziehen als du; vielleicht aber werdet ihr euch noch einmal im Leben begegnen. Das aber steht in einer höheren Hand als in der unseren!«

So also stieg Michel gehorsam wieder in den Wagen und beugte sich über den jungen Knaben, der aufrecht saß und mit großen Augen um sich blickte. Man konnte sehen, daß die Krankheit, die ihn umfangen hielt, noch nicht gehoben war; aber sein blasses Gesicht hatte einen guten Ausdruck, und er streckte Michel die schmale Hand entgegen.

»Mein guter Michel, ich werde Mama berichten, wie gut du gewesen bist!« Leise klangen die Worte an Michels Ohr, und er fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Aber war er nicht ein Soldat, und wußte er nicht, was sich gehörte?

Stramm salutierend stand er vor dem Knaben, den seine Anhänger Ludwig den Siebzehnten nannten, und vergaß, daß es für ihn eigentlich keinen König geben durfte.

»Ich freue mich, wenn ich Eurer Majestät dienen konnte!«

Der Wagen fuhr davon, zwei Männer waren in ihn eingestiegen, zwei hatten auf dem Bock Platz genommen. Von der Stadt Havre bog er ab und nahm einen Weg landeinwärts.

Michel sah ihm nach, bis er verschwunden war, und dann bemerkte er, daß Peter neben ihm stand und sich seine rote Mütze tiefer in die Augen drückte.

»Komm, mein Junge, nun wollen wir nach Havre hinein und sehen, ein Schiff nach Hamburg zu kriegen. Du kannst ja immer wieder zurück nach Frankreich; die hohen Herren, die die Flucht geplant haben, sorgten dafür, daß du nur beurlaubt bist, damit du nicht fahnenflüchtig genannt werden kannst. Ich aber will nach Holstein zurück und mich ein wenig ausruhen. Ich kehre vielleicht doch noch zurück; ich weiß nicht, wie es mir in einem Lande gefällt, wo kein ordentlicher Mensch französisch sprechen kann. Und an diese Sprache habe ich mich nun einmal gewöhnt!«

Michel achtete kaum auf das, was Peter sagte.

»Wer waren die Herren, die den Prinzen befreit haben?« fragte er.

Peter legte ihm die Hand auf den Mund.

»Schweig still, mein Junge! Ich weiß es nicht und will's auch nicht wissen. Uns muß es genug sein, daß es Freunde vom Königshaus sind, und derer gibt's mehr in Frankreich, als man denkt. Und nun wollen wir mal sehen, was sie uns geschenkt haben für unsere Mühe!«

Er hatte gleichfalls ein Päckchen in der Hand, und als er es öffnete, fiel ein kleiner Beutel, voll von Goldstücken, heraus, und in Michels Päckchen war ebensoviel Geld. Doch in Michels Päckchen war noch ein zusammengefaltetes Papier, und als er es auseinander nahm, stand darin zu lesen, daß der Korporal Michel Schneidewind zum Leutnant in der Armee der Republik ernannt wäre. Aber vorläufig war er auf unbestimmte Zeit beurlaubt.

»Alle Achtung!« Als Peter die Nachricht verstanden hatte, griff er an seine Kappe. »Habe ich dir nicht gesagt, daß es einflußreiche Herren sind, die den Prinzen gerettet haben? Sie wissen, daß andere Zeiten kommen werden, und darauf bereiten sie sich vor. Nun, hoffentlich wird der kleine Capet noch wieder gesund, und der Henri, den sie in den Tempel gebracht haben, mag meinetwegen als Prinz sterben. Aber nun zum Hafen! Wir müssen uns nach einem Schiff erkundigen!«


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