Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das vierzehnte Kapitel

.Das Leben im Tempel und in der Nähe der königlichen Familie wurde immer unangenehmer, und die wachthabenden Soldaten hatten schwere Zeit. Von mehreren Seiten wurde versucht, den König und die Königin zu befreien, und es galt, darauf zu achten, daß keine Fremden in das Gefängnis kamen. Mitten in der Nacht erschienen Aufpasser, um nachzusehen, ob die Familie Capet noch da wäre, und die Königin durfte keine Nacht ungestört schlafen. Das war schwer für die Soldaten, die nachts vorm Zimmer Marie Antoinettens zu sitzen hatten, und mancher von ihnen sehnte sich aus dem Gefängnis heraus. Auch Michel wäre gern einmal wieder ins »Gebratne Kaninchen« gegangen, besonders als die Weihnachtszeit herankam, wo man doch gern einmal die Füße unter einen andern Tisch als den im Gefängnis steckte. Aber Michel durfte nicht ans Weihnachtsfest denken und noch viel weniger von ihm sprechen. Denn die jetzige Regierung hatte alle christlichen Feste abgeschafft und mit ihm natürlich auch das Weihnachtsfest. Doch die Gedanken konnte die Regierung nicht verbieten, und Michels Gedanken gingen in die ferne Heimat und zu seiner Mutter. Lebte sie noch, und hatte er noch Schwestern? Er sah so viel Trauriges und hörte, wie jeden Tag die Guillotine ihre Arbeit verrichten mußte, daß es ihm vorkam, als müßten auch anderswo die Menschen nichts tun als sterben.

Es war gut, daß der kleine Prinz manchmal mit ihm sprach und ihm etwas erzählte. Der war eigentlich immer vergnügt, und als ein Soldat ihm heimlich eine Schachtel mit Soldaten zusteckte, da tanzte er im Zimmer umher. Und eine Stunde am Tage machte Michel es möglich, mit ihm zu spielen. Da gab's ein Kegelspiel, was Karl Ludwig großes Vergnügen machte, und er hatte zwei kleine Kanonen, mit denen er seine Soldaten totschoß. Wenn sie hinfielen, dann mußte Michel sie wieder aufstellen. Das Prinzlein war viel fröhlicher als seine ältere Schwester, die meistens still vor sich hinbrütete. Sie war viel zusammen mit ihrer Tante Elisabeth, der Schwester des Königs, und diese zwei hielten sich ebenso zurück wie Marie Antoinette, die nur sehr wenig sprach.

Michel saß oft lange in ihrem Zimmer, wenn sie las oder eine Handarbeit machte, und er hätte gern einmal lange mit ihr gesprochen. Aber sie war wohl freundlich gegen ihn, wie sie es gegen alle Menschen, die sie sah, war; aber sie liebte es nicht, angeredet zu werden, was wohl daher kam, daß sie so oft beleidigt wurde. Auch Michel hatte sie beleidigt und gescholten: damals, als er in den Tuilerien sie bewachen sollte; nun tat es ihm leid, und er würde es ihr gern gesagt haben. Doch die Gelegenheit ging vorüber, ehe er die passenden Worte fand. Darum nahm er sich vor, den kleinen Prinzen, den die Mutter über alles liebte, immer freundlich zu behandeln, und manchen kleinen Leckerbissen konnte er ihm zustecken. Denn außerhalb lebten noch immer Freunde, die sich bemühten, den Gefangenen im Verborgenen Freundlichkeiten zu erweisen, und wie Michel der Königin zwei schöne Rosen gebracht hatte, so wurde ihm vor dem Tempel, sobald er herauskam, immer wieder etwas zugesteckt, das er dem kleinen Prinzen oder der Königin geben sollte.

Auch war er nicht der einzige, der diese Botschaften übermittelte; mancher der andern Soldaten tat dasselbe, und wenn Peter erschien, dann hatte er noch etwas ganz Besonderes für die Gefangenen, eine schöne Frucht oder einen Kuchen.

Marie Antoinette freute sich über alles, weil es ihr sagte, daß viele Menschen in Paris noch treu ihrer gedachten; aber ihr Gesicht wurde immer ernster, ihr Haar immer weißer. Nur der kleine Prinz konnte noch lachen, und als der Neujahrstag des Jahres Dreiundneunzig kam, da lief er so lustig die Stufen zu seines Vaters Gefängnis hinauf, als wohnte er noch im Schloß und könnte sich wie andre Kinder seiner Freiheit freuen.

An diesem Tage erhielt Michel zum ersten Male wieder Urlaub und durfte zwölf Stunden frei sein. Natürlich ging er gleich ins »Gebratne Kaninchen« und atmete auf, als er das kleine Haus unversehrt liegen sah. Tante Male saß im Lehnstuhl unten und schalt den Kellner Karl aus, der, wie sie sagte, sich manchmal keine rechte Mühe gab, und dann regte sie sich gleichfalls über die Haushälterin auf, die nicht so sparsam wirtschaftete, wie es nötig war. Denn das Geschäft ging schlecht: die Leute hatten sich an ein andres Wirtshaus gewöhnt, das in einer benachbarten Straße lag und wo der Wein besser sein sollte als hier.

»Das kommt, weil ich nicht mehr nach dem Rechten sehen kann!« schalt Tante Male. »Eigentlich müßte ich mein Haus verkaufen und nach Hamburg ziehen. Was sagst du dazu, Michel? Kommst du mit?«

Er dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Ich bin Soldat und muß auf meinem Posten bleiben!«

»Warum willst du nicht gehen, Bürger?« fragte ihn nachher Clarissa. Sie trug weite, blaue Hosen, eine blaue Bluse und eine rote Mütze auf dem Kopf. Wer es nicht wußte, würde sie niemals für ein Mädchen gehalten haben, und selbst Michel vergaß beinahe, daß sie Clarissa hieß und nicht Karl.

»So gehe du doch!« antwortete er ihr, und sie zuckte die Achseln.

»Erstens würde ich wohl gleich wieder gefaßt werden, und dann will ich hier bleiben, solange der König und die Königin eingesperrt sind. Mein Vater hat zu ihnen gehalten, ich will das gleiche tun!«

»Dein Vater hat einmal gesagt, der französische König wäre eine Nachtmütze,« begann Michel, und Clarissa sah ihn zornig an.

»Ich habe nicht gehört, daß er es gesagt hat, und wenn er es dachte, so war der König damals noch im Glück; dann kann man wohl ein Wort gegen ihn sagen. Wenn er aber im Unglück ist, dann muß man zu ihm stehen, und wenn du das nicht tust, dann bist du kein guter Mensch!«

So also zankten sich die zwei von neuem, obgleich sie besseres zu tun hatten, als verschiedener Meinung zu sein. Sie versöhnten sich auch bald wieder, und Clarissa berichtete, daß Bürger Schmidt und Mutter Tilda heimlich zusammen aus Paris entwichen wären. Schmidt hatte sich eine alte Drehorgel verschafft, und Mutter Tilda wollte dazu singen. Ob es ihnen gelungen war zu entkommen, konnte Clarissa nicht sagen. Sie sprach mit wenigen Leuten und ging fast gar nicht vor die Tür. Mamsell Danneel tat es wohl; sie mußte ja einkaufen, und sie ging in die großen Hallen, wo viele Frauen saßen und mit den Nahrungsmitteln handelten. Sie wagte aber niemals, von Politik oder ähnlichen Dingen zu reden, und freute sich immer, wenn sie wieder im Hause war und niemand sich um sie bekümmerte.

»Ob's wohl immer hier so bleiben wird?« fuhr Clarissa fort. »Weißt du, Michel, dann wäre ich doch lieber zur Guillotine gegangen wie so viele meiner Freunde. Die Stelle bei deiner Tante ist ja nicht schlecht; aber sie kann tüchtig schelten, und auf die Länge kann ich doch kein Mann bleiben, obgleich ich einsehe, daß es besser ist, ein Junge zu sein als ein Mädchen.«

»Natürlich ist es besser!« Michel trank einen großen Schluck Wein: »Aber ihr armen Weiber könnt ja nicht für euer Unglück!«

Und dann berichtete er ihr vom Tempel, von der Königin, vom König und besonders vom Kronprinzen.

»So ein netter Kerl, Clarissa, und dann muß er immer im Gefängnis sitzen. Wenn man den doch herauskriegen könnte, wie ihr herausgekommen seid! Ich gäbe etwas darum!«

»Ich auch!« erwiderte das junge Mädchen, und dann saßen die zwei wohl eine Stunde zusammen und heckten Pläne aus, wie den armen Menschen im Tempel geholfen werden könnte. Clarissa berichtete, wie sie, Mamsell Danneel und Mutter Tilda eines Tages ganz gemütlich aus dem Gefängnis gegangen wären. Die Tür der Umfassungsmauer hatte gerade offen gestanden, weil ein neuer Gefangenentransport gebracht wurde und die Aufseher ihre Aufmerksamkeit nicht überall haben konnten. Mutter Tildas scharfe Augen hatten die Gelegenheit gesehen und gleich erfaßt. Und als die drei erst draußen gewesen waren, da hatte Mutter Tilda eine ihr bekannte Frau gesehen, die mit einem kleinen Wagen durch die Straßen zog, um Brennholz und Äpfel zu verkaufen. Sie hatte sich mit vor den Wagen gespannt, und Clarissa und Mamsell Danneel hatten ihn von hinten geschoben. Die Menschen aber, die das Gefährt gesehen hatten, waren sehr mitleidig gewesen.

»Seht die armen Weiber, die so elend zu vieren ihr Brot verdienen müssen! Wollen wir ihnen nicht eine Kleinigkeit geben?«

Da hatte Mutter Tilda erbärmlich angefangen zu heulen, aus Angst, daß sie noch von der Polizei erwischt würde, und als sie geweint hatte, da mußte Clarissa gleichfalls in Tränen ausbrechen, was die umstehenden Menschen noch mehr gerührt hatte. Es waren ihnen eine Menge Kupferstücke in die Hand gedrückt worden, und einige hatten auf die Aristokraten gescholten, die so arme Wesen ins Unglück brachten. Denn, wenn etwas nicht in Ordnung schien, dann waren es allemal die Aristokraten, die daran die Schuld trugen.

»Die Pariser sind nicht so böse, wie ich gedacht habe,« setzte Clarissa hinzu, »und das ganze Volk ist viel besser, als ich ahnte. Mutter Tilda sagt, es sind nur zu viele Machthaber, die groß und reich werden möchten. Und wie die Vornehmen ehemals das Volk geknechtet haben, so kommen jetzt einige aus dem Volk, die ihre Genossen regieren wollen.«

Michel sah die Sprecherin erstaunt an.

»Du redest ja entsetzlich klug, und ich muß mich wundern, daß ein Mädchen so viele Gedanken haben kann, an die ich selbst noch niemals gedacht habe. Aber Soldaten sollen auch nicht denken, die sollen bloß gehorchen!«

Doch ließ er sich herbei, wieder mit dem jungen Mädchen davon zu reden, ob die königliche Familie nicht gerettet werden könne. Aber Michel und Clarissa waren eben noch viel zu jung, um einen ernsthaften Plan fassen zu können, und mußten sich mit dem Wünschen begnügen.

Michel nahm sich indessen vor, die Sache im Auge zu behalten und einmal mit Peter darüber zu sprechen. Der war so viel klüger und älter als er, der mußte seinen Kopf in die Weiche legen und einen schönen Plan aushecken. Als er an diesem Abend spät in den Tempel ging, da kaufte er einen Kasten mit Schokolade, der in seinen Geldbeutel ein großes Loch riß. Der Kronprinz aß so gern Schokolade und kriegte niemals welche: er wollte sie ihm morgen zustecken.

Doch als er an das Tor des Tempels kam, stand dort ein Korporal, der ihm den Eintritt verwehrte.

»Alle, die ihr hier waret, seid mit heute abgelöst und müßt anderweitig Dienst tun,« sagte er. »Vorläufig kommt ihr in die Kaserne!«

So war es auch. Ein ganz anderes Regiment hatte die Wache bei der gefangenen Königsfamilie bezogen, und die anderen erhielten anderen Dienst. Auch Peter war mit einem Male entlassen und ging mit Michel in seine Kaserne. »Nun habe ich wieder meine Brotstelle verloren!« sagte er zornig. »Eben freute man sich, daß man warm sitzt, dann darf man wieder frieren und hungern! Und alles nur deswegen, weil wir alle nicht schlecht genug gegen die Capets gewesen sind. Nun ist der Schuster Simon in den Tempel eingezogen, mit dem ich mich einmal auf der Straße schon geprügelt habe, weil er so greulich über die Bürgerin Capet sprach. Das ist ein ganz gemeiner Kerl, und er kann gar nicht mit vornehmen Leuten umgehen, während ich doch beinahe General geworden bin und daher auch weiß, daß die Vornehmen anders behandelt werden wollen als unsereins. Wenn ich diesen Simon einmal sehe, dann werde ich versuchen, ihn totzuschlagen, weil dies das beste Mittel ist, um ihn unschädlich zu machen. Aber meine Brotstelle bin ich darum doch los!«

Auch Michel war traurig. Er saß mit seiner Schokolade, die er nun allein aufessen mußte, obgleich sie ihm nicht schmeckte, und er saß wieder in der schmutzigen Kaserne, wo die harten Betten voller Ungeziefer waren, und wo die Vorgesetzten scharf und unfreundlich mit ihm sprachen. Aber, was half es? Er war Soldat, er mußte gehorchen, und am folgenden Tage stand er schon mit einer Reihe von Kameraden in Reih und Glied, um an die Grenze zu marschieren. Denn es gab nun wirklich Krieg mit den Preußen und Östreichern, und die französische Regierung brauchte Kanonenfutter gerade wie die anderen Mächte. Die Soldaten der Republik waren tapfer, sie waren schon nach Deutschland hineingegangen und hatten dort manches erobert. Aber mancher gute Kamerad, den Michel kennen gelernt hatte, lag schon in der kühlen Erde.

Daran mußte Michel denken, wie er an diesem kalten Januartag von Paris weg und an die Grenze marschierte. Die meisten Soldaten froren wie er und hatten zerrissene Uniformen. Aber die Offiziere riefen ihnen zu, daß sie sich neue Uniformen von den Deutschen holen sollten. Über diese Worte ärgerte sich Michel, obgleich er nicht recht sagen konnte, weshalb. Denn eigentlich hatte er vergessen, daß auch er ein Deutscher war. Plötzlich sah er in Gedanken den Turm des alten Michel vor sich, der ihm den Namen gegeben hatte, und er hörte seinen Vater und seine Mutter deutsch zusammen sprechen. Zog er nun aus, um seine Landsleute zu plündern und totzuschießen? Es war ein Glück, daß nach zweitägigem Marsch ein General mit verschiedenen Aufträgen nach Paris zurückgeschickt wurde, und daß dieser mehrere Soldaten und auch Michel zur Bedeckung mit sich nahm. Denn in Frankreich selbst waren viele Einwohner nicht mit der Armee einverstanden, und es war schon vorgekommen, daß Offiziere angegriffen wurden, weil sie zur Republik hielten.

So also fuhr der General in einem geschlossenen Wagen der Hauptstadt wieder zu und ließ sich von etwa hundert Soldaten begleiten.

Als Michel Paris wiedersah, war er's zufrieden; er brauchte auch, wie einige seiner Kameraden, nicht wieder hinauszuziehen und stand nach wenigen Tagen mit in den Straßen, als der Wagen vorüberfuhr, auf dem der König Ludwig von Frankreich auf die Guillotine gefahren wurde.

Das war ein schrecklicher Tag. Vom Himmel fiel ein leichter Schnee, und die Luft war grau und trübe. Vom frühen Morgen an waren die Straßen durch Soldaten besetzt, die regungslos auf ihrem Posten standen und keinen Menschen durchließen. Michel stand ganz in der Nähe des Platzes, auf dem der König hingerichtet wurde. Von hier aus konnte man das Königsschloß sehen, in dem Ludwig gewohnt hatte. Von hier aus sah man die große Stadt, die einst festlich geschmückt war, als Ludwig mit seiner jungen Gemahlin einzog. Nun war alles düster und stumm: eine schweigende Volksmenge drängte sich in den Straßen, achtzigtausend Soldaten standen unter den Waffen. Und dann sah Michel einen kurzen Augenblick die Gestalt des Königs, der dem Wagen entstieg. Er schien größer geworden zu sein: majestätischer. Das war kein schwacher Mann mehr, der einstmals durch seine Schwäche jenes Unheil nicht hatte verhüten können, das über sein Haus gekommen war; hochaufgerichtet bestieg er das Schaffot und wandte sich noch einmal um, zu dem Volk zu sprechen.

»Franzosen, ich sterbe unschuldig! Ich –«

Ein Trommelwirbel unterbrach ihn. Und wenig Sekunden darauf wurde sein abgeschnittenes Haupt in der Menge gezeigt.

Ein Mann stieß Michel an.

»Du weinst, Kamerad! Schäme dich!«

Aber Michel antwortete ihm trotzig.

»Und du weinst nicht, wenn eine so große Sünde begangen wird?«

Da schlich der Fremde von dannen. Michel aber sah, wie die Kleider des Königs zerrissen und geteilt wurden. Da griff auch er nach einem mit Blut befleckten Seidenlappen und hat ihn bewahrt bis an sein Lebensende.

Der Nebel legte sich noch dichter über die Stadt, und als Michel mit seiner Kompagnie der Kaserne wieder zuschritt, gingen die Soldaten so schweigsam nebeneinander her, daß ihr Kapitän endlich stille stand und ein Lied befahl, aber er sang es ganz allein.

Weiter ging die Zeit. Einmal wurde Michel mit andern Soldaten nach Südfrankreich geschickt, weil dort Unruhen ausgebrochen waren. Er sah viel Greuel und Elend, und manchmal konnte er sich kaum denken, daß er der Michel Schneidewind aus Hamburg war, der nun mit seinen Kameraden versuchen sollte, Ordnung und Frieden zu stiften.

Und wenn er nicht den Oberst Napoleon Bonaparte wieder gesehen hätte, der hier ein Regiment befehligte, dann würde er wahrscheinlich versucht haben wegzulaufen. Das aber war ein Oberst, den alle Soldaten leiden konnten, und von dem sie sich Geschichten erzählten, wie tapfer er wäre und wie gut gegen seine Untergebnen. Wohin er kam, da siegte er, und er war weder stolz noch aufgeblasen wie die andern Offiziere. Denn beim Militär galt keine Brüderlichkeit und Gleichheit: wer nicht gehorchte, der wurde einfach totgeschossen. Dem Bonaparte aber gehorchten alle mit Freuden, und Michel wäre sehr gern zu seinem Regiment gekommen. Dies gelang ihm aber nicht, und er freute sich nur, daß er einen neuen Leutnant erhielt, der Bernadotte hieß; und der viel netter war als ein anderer, der vor ihm die Kompagnie befehligt hatte.

Als Michel wieder nach Paris zurückgeschickt wurde, weil sein Regiment dort seinen festen Sitz hatte, da war es schon wieder November, und die Königin war vor wenig Tagen hingerichtet worden.

Michel wollte es kaum glauben, aber Peter, der ihm gleich begegnete, berichtete ihm von allem und fluchte auf alle Gewalthaber.

Ihm selbst ging es nicht schlecht; er war Türhüter in einem Ministerium geworden und hatte eine ganz ordentliche Einnahme. Allerdings wäre er am liebsten aus Paris weggegangen, aber noch immer war die Stadt gesperrt, und man konnte sie nur verlassen, wenn man einen Paß hatte, den nur die erhielten, die schwer dafür bezahlten.

»Michel, Michel!« Peter seufzte schwer. »Wenn ich doch wieder zu Hause in meinem guten Holstein wäre! Dafür wollte ich den General gern an den Nagel hängen. Denn seitdem so viele vornehme Leute zur Guillotine müssen, habe ich eingesehen, daß es verkehrt ist, auf Vornehmheit zu sehen. Wenn ich noch einmal in meinem Heimatdorf durch die Straßen gehen und in der Kirche sitzen könnte, in der ich getauft bin, dann würde ich Gott danken!« Michel antwortete nicht viel. Er war eben Korporal geworden, und er hoffte, noch einmal Leutnant zu werden. Da mochte er die Klagen des alten Peter nicht hören. Aber er ging, so bald er konnte, ins »Gebratne Kaninchen«, um nach Tante Male, nach Clarissa und Mamsell Danneel zu sehen. Aber er kam vor ein leeres Haus. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen, und die Tür ließ sich nicht öffnen. Auch die Nachbarschaft hatte sich verändert, und die Leute waren weggezogen, die in der Nähe gewohnt hatten.

Wie war das alles geschehen? Michel fragte herum, aber niemand wußte ihm zu antworten. Vor einiger Zeit waren einmal zwanzig Menschen aus der Straße ins Gefängnis geführt worden. Was sie getan hatten, wußte kein Mensch zu sagen. Sie waren eben verschwunden, und es gehörte sich nicht, danach zu fragen. Wer fragte, dem saß der Kopf so lose zwischen den Schultern, daß er bald abfiel. Und der Mann, der Michel geantwortet hatte, lief eilig davon.

Da stand Michel also vor seiner ehemaligen Heimat. Er war Korporal geworden und wollte noch viel mehr werden. Aber in diesem Augenblick fühlte er sich so unglücklich und verlassen, daß er sogar die Generalswürde ausgeschlagen hätte, wenn sie ihm angeboten wäre.


 << zurück weiter >>