Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXXII

Das Fieber brach ins Lager ein und die Hungersnot kam ihm zuhilfe. Wir beiden Europäer lagen hilflos in uns begraben. Unsere Macht ging nicht über unsere Fingerspitzen hinaus und unter unseren Leuten hauste die Empörung. Ein wüster Tumult war unter ihnen ausgebrochen. Einer der Männer lag von Messerstichen zerfleischt neben uns; Zanas weibliche Natur kam zum Durchbruch, sie nahm sich seiner an und heilte ihn mit den Künsten der Priesterin. Sie sprach viel und in erregtem Ton: sie hatte eine Rolle unter den Männern. Plötzlich schoß mir, der ich alle diese Dinge im Zustand des Halbbewußtseins wahrnahm, der Gedanke durch den Kopf: wie, wenn sie nun den Vorschlag gemacht hätte, die beiden höchst überflüssigen Europäer aus dem Wege zu räumen?

Zuzeiten konnte man sie jetzt singen hören. Sie sang einförmige tiefe Lieder, eine natürliche singvogelartige Schwermut lag in ihnen. Vielleicht besang sie ihr Heimatdorf, vielleicht waren diese halben Noten die Sehnsucht nach dem Stamme und nach den Tänzen des herrlichen, allgewaltigen Moki? Ach, ich hatte die süße Emanzipierte nie gehabt! Mit allen war sie auf behenden Knöcheln in den Djungle geschlüpft, allen hatte sie sich in ihrer wilden Lust gezeigt, rings herum hatte sie ihre Liebe verschenkt und niemand hatte sie richtig gewürdigt. Ich aber, der ich allein Verständnis für die Art ihrer Leidenschaft gehabt hätte, ich hatte sie niemals besessen. Ich war an ihr verdorben und verhungert. Denn jetzt war es Zeit, jetzt kam es zutage: dürr und unbefruchtet war meine Männlichkeit geblieben. Es war die alleinige Ursache aller meiner Schwächen gewesen. Meine Herren, Sie wissen, das bringt herunter – und ich hatte ja Zana nie gehabt! Erfolglosigkeit untergräbt den besten Charakter, in der Liebe aber ist es eine unmögliche Position. Slim hat behauptet, unser Geschlecht kenne die Sehnsucht nicht mehr. Dies bleibe dahingestellt. Sicher ist, daß es tausend Gründe für einen Mann gibt, sich zu verlieren, und diese tausend Gründe sind oft nur ein Weib. Ich habe Zana nie bekommen. Das genügt, um alle diese Verwickelungen zu erklären und eine Geschichte zu schreiben.

Es genügt, um sich in Träumen zu nehmen, was einem in der Wirklichkeit versagt ist. Die Zwiebackkaissons waren erbrochen, die Konservenbüchsen geleert und eingetreten. Niemand brachte Wildbret ins Lager. Aber je stärker der Hunger sich meldete und je dünner ich um die Hüften wurde, desto unwiderstehlicher wurde die gleichfalls magere Schönheit Zanas, diese Hungerschönheit, diese krankhafte asketische Zärtlichkeit, die in ihren Körperformen festgehalten war. Ich liebte Zana mit dem Geschmacke, ihr Anblick zerlief mir am Gaumen. In meinen Hungerdelirien beschäftigte ich mich mit den Reizen ihrer Knochen, über denen die Haut gespannt lag. In meiner eigenen Bauchhöhle wurden die edlen Organe muskulös, ich konnte sie gebrauchen wie dressierte Bestien, und ich gebrauchte sie, um mir auf Grund ihrer originellen Kräfte die unerhörtesten Zärtlichkeiten für Zana vorzustellen. Der Zusammenhang zwischen den primitiven Nöten der Menschheit war hergestellt. Jawohl, ich schmeckte damals den Liebreiz Zanas. Ich umarmte sie mit meinen Eingeweiden, ich bewegte mein Herz aus dem Brustkasten und legte es sanft an ihre Wange, ich ließ es eine Weile stillstehen vor Jubel und ließ es wieder tanzen zum Preise Zanas, ich zog meinen Körper in Demut zu einem einzigen sehnigen Splitter zusammen und sprengte ihn in die Luft durch einen einzigen heftigen Willensakt. Dies alles tat ich und viel andere Muskelkunststücke mehr um Zanas willen, und weil der Hunger mir die Männlichkeit zurückgab, die ungestillte Liebe mir genommen hatte.

Träume kamen und Tage. Sie glichen sich und enthielten einander. Aber dann kam ein Tag, und an diesem Tage bekam ich Zana doch. Nichts hatte ich im Magen, ich war nüchtern bis auf die Knochen aber voll Glut, und ich erfaßte die scharfsinnigsten Dinge im Fluge. Es war die leere Wärme, mit der mein Mastdarm sich beschäftigte. Doch dieser Dunstumschlag von innen her tat gut, er bewirkte eine einigermaßen lebhafte Verdauung, so daß ich meine eigenen Gifte zu schlucken und zu fressen anhub. Am zweiten Tage, da ich nichts gegessen hatte, war ich soweit, daß ich mich inmitten der lustigen Hitze, die mich umgab, zu dehnen und zu strecken begann, Herz, Leber, Darm und Milz einzeln springen ließ, wie gesagt, und einen deutlichen Aufschwung meiner Energie wahrnahm. Dies war der Höhepunkt, mußte ich mir sagen. Die Hitze war gut aufgelegt, sie krachte, sie sprudelte vor Klapperdürre. In diesen Tagen hatte ich keine Empfindungen. Es war, als wäre ich an eine Vergrößerungsvorrichtung angeschnallt, so unermeßlich und ewig war der Ausschlag, den alle Reize in ihrer Art hervorriefen. In diesen Tagen fiel die Sonne vom Himmel zur Erde herab. Dort lag sie am Buckel wie eine ungeheure vollgesogene Wanze und zappelte mit tausend Beinen, stach mit tausend Rüsseln und konnte sich nicht mehr erheben. Ich fühlte nun genau, wie sie am Rücken lag und nicht mehr aufkonnte. Ich fühlte sie am eigenen Leibe, ihre Verlassenheit und Breitspurigkeit, es war eine ungeheuer wirkliche Mitempfindung trotz ihrer Seltsamkeit, die mir übrigens nicht weiter auffiel. Manchmal fühlte ich, ich selbst wäre die Sonne. Als aber während des Tages die bissige Riesenwanze sich doch einmal zusammenraffte und langsam in den Schatten hinter der grünen Laubwand kroch, kam eilig der Mond gefedert und wurde immer deutlicher und schwerer. Zuletzt spießte er sich an einen hervorragenden Ast und beutelte sich zu Tode wie ein kleiner Vogel. In ein paar Zuckungen war es getan. Der flockige Seidenballon platzte entzwei und daraus schlüpfte zart eine dünne weiße Frau, die sich bald in Zanas schmachtende Formen verwandelte.

Sie wechselte die Farbe und wurde rot. Wolken dampfenden Sonnenunterganges brachen aus ihr hervor und hüllten sie ein. Ich entsinne mich dieser Vision genau. Plötzlich gingen diese Wolken auf und nieder. Sie trugen etwas dahin, sie waren Wasser, und was sie trugen, war der Körper eines bärtigen Mannes. Ich strengte mich an, das Bild zu verfolgen. Und da es Abend war und mein Kopf sich scharf und klar fühlte, gelang es mir, lückenlose Verläufe zu bilden von Dingen, die das unberauschte Gehirn nur als Fragmente und Rätsel erlebt. Atemlos folgte ich den Bewegungen des Körpers, indem ich mich mit Spannung wie in Erinnerungen verlor. Der Körper tauchte ein paarmal auf und nieder und kam dann wieder über Wasser. Man konnte sehen, daß er lebte. In mich gehend stellte ich mir vor, was nun geschehen müßte. Der Mann im Wasser streckte die eine Hand empor und ballte sie zu einem Griffe. An seiner linken Schläfe klaffte eine lange Wunde, aus der Blut floß. Diese Wunde speiste das umliegende Wasser mit einem trüben Rot. Dann kam eine kleine Verwirrung, ein Rudel von Bewegungen, das ich nicht zergliedern konnte, weil es zu schnell aufeinander folgte. An diesem Punkte war meine Phantasie etwas weniger exakt. Ich hatte immerhin Zeit genug, zu bemerken, daß von irgendwoher aus der Luft der Schaft eines Ruders sich löste und mit Vehemenz auf die linke Schädelseite des Mannes herabsenkte. Der Getroffene hatte einen Seufzer ausgestoßen, einen unbedeutenden melodischen Schrei, der alle Töne einer Brust umfaßte. Diesen Ton kannte ich, hihi. Es ist das Liebesflöten des Kakaduweibchens, wenn der leidenschaftliche Herr und Gebieter von ihm Besitz nimmt, wenn sein scharfer Schnabel die Geliebte am Halse, an den Augen, an der großen Schlagader kitzelt. Diesen tiefen Brunstschrei stieß der Mann aus, dann sah ich ihn ruhig im Boote sitzen.

Dort saß ich selbst. Das Boot glitt über zwei Welten dahin. In der einen konnte ich nur vorwärts und nicht hinter mich sehen. Die untere Welt aber eröffnete mir ungeheure Möglichkeiten von Teilnahme. Ich war bei verschiedenen Dingen, zum Beispiel bei mir selbst, gegenwärtig, ich konnte eine ganz eigenartige reichhaltige Kontrolle über das Leben ausüben. Dort saß ich und hielt einen großen berühmten Monolog über Spiegelungen und Phantoplasmen. Inzwischen kamen die Sterne zu mir herab, sie dufteten warm und waren rot und grün und bläulich, sie bewirkten eine sanfte Harmonie, während sie flogen. Manche aber hatten einen giftigen Atem, sie stießen mich an und bissen mich ins Blut. Ich schlug sie mit der flachen Hand tot. Dann gab es einen lauten Klatsch, sie erhoben sich jedoch und verließen mich in meiner Undankbarkeit. Wenn ich munter und für Augenblicke kühler wurde, wischte ich mir die blutigen Leichen zerschmetterter Moskitos von Kinn und Händen. Ich hatte sie unglückseligerweise mitgetroffen, während ich nach bösen Sternen jagte.

Das war der Zauberer Hunger. Er machte mich zur Vergrößerungslinie für Ereignisse des Lebens unbedeutender und brutaler Art. Er stürzte mich ins tiefste Elend und in die schmutzigste Schmach. Zugleich aber gaukelte er Trug vor mich hin, und als ich am tiefsten in mich und meinen Niedergang getaucht war, da riß er mich empor in die Ekstase und gab mir verzweifelte Kräfte. Eine große, schwarze Sammethummel brummte, und da war es wieder wie vor Jahren, als ich ein Bub war und lag daheim zwischen hohen Gräsern in der Wiese. Das Hummelchen in dem schönen, schwarzen Pelze mit den goldenen Tressen brachte seinen kleinen, kräftigen Körper vor einer Blüte zum Stillstand und summte eine Honigweise. Der Bub lauschte; es war wie die Stimme einer alten Frau hinterm Walde. Da wußte er, daß er allein sei und ein zärtliches Gefühl zog ihm über den Magen herauf Alle die Heimlichkeiten seines Körpers kamen da über ihn, seine Intelligenz wurde scharf und findig, und er erkannte, wer er war. Er erkannte sich als einen Körper.

Wenn man die vielen seltsamen Dinge, die man an seinem Körper erlebt, erzählen könnte, welches Märchen, welche wunderbare, unglaubliche Geschichte würde das werden, welches wichtige Werk für die Menschheit! Gibt es Abenteuer? Alle Abenteuer sind nur Abenteuer der Nerven. Hier lag ich unter dem glühenden Himmel, dessen ich mich damals in meinen Träumereien gleichsam entsonnen hatte. Nun war da wirklich jenes Blühen und Gedeihen, das mir der heimische Wald nur ahnungsvoll versprochen hatte. Ein summendes Insekt, ein mystischer Mechanismus, wie eine kleine fellige Hand, die durch die Luft fliegen und Blüten ergreifen konnte, hatte die Stimmung der Hummel wieder. Hier war das Original knabenhafter Wollust der Ahnung. Und nun kamen alle die himmlischen Gefühle wieder und rumorten in meinen Eingeweiden. O, mein nüchterner Magen war schwer von Liebe! Ich war mager wie ein Asket, aber meine Nerven waren so fein, daß ich an der Art, wie das Leinen meines Anzuges sich an ihnen scheuerte, mich über meine dünnen Sehnen unterrichten konnte, die gute Kraft beherbergten. Ich war biegsam wie ein Fakir und ekstatisch wie nur ein Hungernder. In diesem Zustande hatte ich dann mit mir und meinen Nerven ein Abenteuer, das mir bis heute nicht genügend aufgeklärt erscheint, um Schlüsse für die Wirklichkeit daran zu knüpfen.

Mir ist, als hätte ich Zana doch bekommen. Ich fühle mich frei und bereue nichts. Ich habe nicht die Empfindung, als wäre diese Reise in irgendeiner Art ein Minderwertigkeitsbeweis für mich geworden. Wäre ich unbefriedigt, so dürfte ich daraus wohl schließen, daß ich Zana niemals bekam. Ich fühle mich aber wohl, und es geht mir gut. Ich möchte es hier gleichwohl nicht als Tatsache hinschreiben, daß ich Zana bekam. Denn ich weiß über diese letzten Ereignisse so wenig, wie über die wichtigsten äußeren Ereignisse während dieser Fahrt überhaupt. Sie sind für mich in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, den ich noch heute oft genug zu lüften mich bemühe. Aber ich habe nichts behalten als die Erinnerung an Gedanken und unerklärliche Vorgänge, die mich seelisch beeinflußten. Man muß in Rechnung ziehen, daß ich wahrscheinlich von allem Anfange an bereits unter dem Fieber litt, ohne es in bestimmender Weise zu merken. Ich erzähle, was ich erfuhr und dachte. Die einzelnen Vorgänge durch ein sachliches und detektivartiges Schließen zu verbinden, liegt nicht in meinem Interesse. Ich kann und darf nicht die letzten Konsequenzen aus den Vorgängen ziehen, so wie sie sich mir eingeprägt haben. Ich gelangte sonst zu Ergebnissen, die mich abhalten müßten, dieses Buch zu schreiben. Auf der anderen Seite habe ich mir bei meiner Berichterstattung schonungslose Aufrichtigkeit zur Pflicht gemacht. Ich halte es daher für einen wesentlichen Teil dieser Geschichte, meine damaligen Zustände und Empfindungen in ihrer ganzen Verschwommenheit festzuhalten.

Van den Dusen wälzte sich von einer Seite auf die andere, erhob sich und blickte mich starr aus roten Augen an, als ahne er, was in mir vorging. Er hielt um diese Zeit lange Selbstgespräche, in denen geheimnisvolle Sätze vorkamen. Er war irr, und ich gebe sie hier nicht wieder. Ich sprang auf und lief hinaus an die Sandbänke des Flusses. Dort stand Zanas lange Gestalt. Sie stand mit beiden Füßen im Wasser. Der Strom war im Steigen und überflutete die verwischten Dünen. Ein heller Ton, ein Klingen lag in der Luft, an verschiedenen Stellen rieselte ein seichtes Gefälle über das Geröll, haha, hoho! und Zana stand mit den Füßen im Wasser. Ihr im Rücken lagen verstreut einige Blöcke. Dahinter duckte ich mich und pirschte mich an. Bei dem letzten Stein hatte ich eine Begegnung. Dort saß, Zana zugewandt, unsere alte Rothaut. Der alte Kerl saß ziemlich welk und vergrämt da und sang leise, sah zu, wie Zana im Wasser stapfte. War vielleicht verliebt und besang ihre Beine, der alte Herr. O Gott, sie waren jetzt so dünn wie sein eigener alter Arm. Ich sprang unversehens hervor und verursachte für Zana ein kleines Bad, sie zeigte sich aber durchaus nicht erschrocken, als ob sie mich geahnt hätte. »Was hat er denn?« frug ich, auf den alten Indianer weisend, dessen Anwesenheit mich ein wenig enttäuschte. Ich frug es englisch und eigentlich nur, um einen Anknüpfungspunkt zu finden, obwohl alle Verständigung mit solchen bürgerlichen Mitteln hier hoffnungslos war. Zana verstand es aber nun doch, antwortete zischend und fauchend und legte die Hand auf den Magen, indem sie ihn einzog.


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