Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXIII

Der Spitzhund, der draußen auf einer Klippe gewartet hatte, weil er sich vor dem Wasser und dem schäumenden Fall fürchtete, empfing uns mit Zeichen von Unruhe. Er unterließ ein Freudegebell, das er sozusagen schon auf der Zunge hatte, beroch uns vielmals und auf verschiedene Arten, um seinem Mißtrauen Genüge zu tun, und warf uns verdrehte, gespenstische Blicke zu. Vielleicht rochen wir zu sehr nach Feuchtigkeit, nach Moder und Schimmel, nach apfelgrünem Licht, nach Gift. Wir schienen ihm nicht vertrauenerweckend und seine Liebe und sein Lebensgefühl welkten sichtlich dahin. Wir beide zumal machten einen starken Eindruck aufeinander. Er mied mich, nachdem er mich beschnüffelt hatte, wie einen Kranken. Ich aber faßte plötzlich einen scharfen Haß gegen ihn, den ich mit einem tückischen Fußtritte einleitete. Er war zu feige gewesen, in die Höhle zu gehen. Gewiß blieb er nun allein von der ganzen Expedition unversehrt. Er heulte auf und bellte mich aus der Ferne an, ohne mich jedoch anzusehen; er dirigierte seinen Protest vielmehr in eine durchaus neutrale Richtung, als ob er weiß Gott welches Stück in der Natur für diesen Unfug verantwortlich machte. Und von nun an war mir dieser Hunderest, ein bettelarmes, räudiges Tier, interessant, ich ließ es nicht aus den Augen. Unsere Leben standen im Zusammenhang. Denn er würde gerettet werden.

Ich blieb nicht allein. Auch den Holländer und Slim ärgerte das Tier. Sie behandelten es schlechter als bislang, darauf wollte ich schwören. Da wir alle recht schweigsam lebten, wurde der Hund ein Gegenstand der Beobachtung. Und eines Tages war es für mich erkennbar, daß wir uns seit geraumer Zeit in einem Niedergangszustande befanden. Die Enttäuschung über den mißglückten Schatzfund demoralisierte uns. Wir lagen zusammen in einer der Höhlen am Ufer und faulenzten liebe Tage lang. Die Indianer taten hin und wieder ein paar Handgriffe. Sie richteten die Mahlzeiten her, die aus mitgebrachten Vorräten bereitet wurden, und pflückten Früchte vom Rand des Djungles. Aber wir Weiße und Zana ließen die Zeit verstreichen und taten nichts. Die Steine, ungeheuere kantige Blöcke, die das Wasser vom Tafellande abgesägt hatte, gaben uns Schatten. Agaven wuchsen über unseren Köpfen schräg hinweg. In diese Höhlen kam nie ein Schüppchen Sonne, sie blieben immer noch verhältnismäßig kühl. Draußen aber tanzte die fiebernde Luft über dem Flußbett. Wir vermieden es, da hinauszutreten. Eine schwergerüstete Trägheit war über uns gekommen.

Nachts aber, wo es frischer gewesen wäre, erschien die Gegend zu gefährlich. Die Indianer zündeten Feuerkreise an, und jenseits hörten wir die Tiere bei Tag- und Nachtanbruch zur Tränke ziehen. Das Leben ging dort seinen unbarmherzigen Gang. Vor Anbruch des flinken Abends spielten sich auf diesen Fährten und Karawanenstraßen der Tierwelt blutige Schlachten ab. Man hörte die Schreie von Sterbenden, Kommandorufe und Fluchtmahnungen. Wir lagen hinter dem Feuer und lauschten diese Viertelstunde lang mit gespanntem Ohre. Ein Panther, der im Trabe über uns herangekommen sein mochte, sah plötzlich unser Feuer vor sich. Es war noch knapp vor Torschluß, er nahm seinen blindlings angesetzten Sprung zurück, seine Hinterpfoten glitten am Steine aus, wir hörten ihn kratzen und atmen und sahen einen Schweif. Einer der Indianer sprang auf, um ihn mit einem brennenden Scheit zu schlagen. Das verlieh ihm ungeheuere Energie, an einem Minimum von Widerstand und Halt arbeitete er sich, rasend vor Angst, empor.

Und Tag auf Tag blieb das gleiche Bild vor uns haften. Die Sonne war ein glühendes Bronzestück, das lanzenweise Hitze verschoß, in grellen Bündeln, in schlohweißen Zacken. Warum standen wir nicht auf und gingen fort, was hatten wir hier zu suchen, was ging vor mit uns? In Augenblicken tauchte dieser Gedanke in uns auf und wurde ausgesponnen. Was wir hätten unternehmen sollen? Wir hätten auf der Stelle aufbrechen können, nichts hätte uns daran gehindert! Aber wir verschlampten unsere Willen, wir nahmen uns nicht mehr ernst, wir fanden unsere Energielosigkeit selbstverständlich. Waren wir krank? Kalte und warme Schauer liefen mir vom Scheitel bis zu den Zehen. In meinen Pulsen war trotz aller Behäbigkeit Jagen und Unrast. Ich betrachtete die Gefährten. Ihr Blick lag blöde zwischen den halbgeschlossenen Lidern. Und Slim stand auf, untersuchte die Apotheke und holte eine Trockendose hervor. Darauf begannen wir an diesem Tage Chinin zu fressen.

Aber das Fieber, das uns gepackt zu haben schien, war nicht der einzige Grund, warum wir nicht vom Flecke kamen. Zana weigerte sich, uns irgendwohin, wo Slim hinwollte, zu führen. Sie hatten Auftritte. Er begann sie zu schlagen. Sie beugte sich demütig und ließ mit undeutbaren, verhäßlichten Mienen alles über sich ergehen. Sie wollte zurück. Slim wollte nicht. Er behauptete, es würde unsere Köpfe kosten. Wir hätten die Schlangen auf Rulc gehetzt. Moki selbst könne uns nicht gegen das Gesetz der Dämonen schützen. So blieben wir denn und warteten ab, ob Zana anderen Sinnes würde.

Sie wurde es nicht. Sie lag mit ihrem praktischen Körper zwischen runde Steine wie zwischen Kissen gebettet, klaubte Asche und Abfall mit den Händen rings um sich her auf und warf es hinaus in das Flußbett. Den Hund hetzte sie hinterher. Aber er benahm sich dumm. Er war zu keinem kultivierten Apport erzogen. Mit seinen von der Sonne verdorbenen Augen rannte er an dem Gegenstande vorbei und Zana grinste. Unbestürzt vor der Sonne, die ihn anprallte, sooft er sich im Jagdeifer hinausbegab, flog er hin und her. Wenn er etwas gefunden zu haben glaubte, das man ihm seiner Meinung nach als allegorische Beute zumuten durfte, ohne den Respekt vor seiner Urteilskraft zu verletzen, legte er sich mit seinem schier enthaarten, violetten Bauche auf die heißen Steine und hielt das Ding gemütlich zwischen den Vorderpfoten. Als ich ihn einmal in dieser Lage sah, überkam mich die Sehnsucht, ihm eine Kugel in seinen dummen, glücklichen Bauch zu jagen. Der Revolver lag dicht bei mir. Meine Finger lechzten nach seiner handlichen Form, ein schmackhaftes Vorgefühl bemächtigte sich meiner. Ja ja, ich wollte doch wieder einmal schießen hören, ich wollte einen kleinen Todeskampf mitanschauen, ich wollte endlich wieder einmal ein menschenwürdiges Erlebnis haben. Fiebrig griff ich nach der Waffe und wog sie kennerisch. Das, was nun geschehen würde, kam mir als von ungeheuer differenziertem Geschmacke vor, es schmeichelte mir, daß ich solche Gelüste hatte, es lag eine gewisse, originelle Romantik in der Sache. Zufällig sah ich zu Zana hinüber. Ihre Augen grinsten erwartungsvoll. Dieser Umstand machte mich kalt, er entgeisterte mich. Es war mir unappetitlich, den Genuß zu teilen. Und so würde ich den Hund denn nicht erschießen. Um aber auf meine Rechnung zu kommen, führte ich doch einen kleinen Coup aus. Ich brannte die Pistole gegen ein x-beliebiges Ziel ab. Neunmal hintereinander krachte der Schuß. Die Hülsen hüpften energisch über uns weg. Ein leichter, blauer Dunst lag vor der Sonne, die Detonation klang betäubend von den Steinen zurück, und ich dachte, nun singt das Blut in ihren Ohren. Ich fühlte aber auch etwas anderes, eine neue, frische Belebung. Ich stand schnell auf und machte Bewegung.

Ich war voll Teufelei und Unternehmungslust. Zwar wütete ein Ozean von Kopfweh an meinen Schläfen und meine Glieder waren nicht ganz sicher. Aber ich fühlte den Rausch der Tat. Heute wollte ich mal spazieren gehen. Marsch hinaus! Auf da! Reise, Reise, Reise...! fort mit dem faulen, aasigen Luderleben! Schwankend, aber unbekümmert um meinen Zustand, galoppierte ich das Flußbett abwärts entlang. Ich lud die Pistole und entleerte sie auf müßige Ziele. Da, an den Seiten, etwas über dem Lehmbruch des Flußbettes, starrte der Djungle. Er war fremd und gefährlich. Konnte man in ihn eindringen? War es möglich, ihn ohne furchtbare Todesstrafe zu betreten? Eine Angstvision erfaßte mich bei der Vorstellung eines Lebens zwischen seinen Tieren und Pflanzen, und es wurde mir unerinnerlich, wie ich es jemals hatte ertragen können, ohne vor Furcht zugrunde zu gehen. Ich vermied es, ihm nahe zu kommen. Ich war ein Ausgeschlossener, der trübe Betrachter eines überlegenen und gesperrten Geheimnisses. Hatte ich wirklich jemals den Djungle von innen gesehen oder war es ein sanfter und harmloser Traum? Alles verwirrte sich. Alles wuchs ins Riesengroße. Ich fühlte mich dem Walde gegenüber gefährdet in meiner Schwäche, ich erkannte seine moralische Überlegenheit, seine Größe, seine Dämonie und sein Elementares zaghaft an. Nein, ich war nicht für den Djungle und ein poweres Geschöpf vor dem Djungle, zu schlecht und zu elend, um meinen Fuß in ihn zu setzen. Das geziemte nur Riesen und Unerschrockenen wie Slim, oder einem Indianer, braun, stark und wild und mit einem Herzen von Eisen. Lockte es mich? Zurück in deinen Winkel, schleimiger, weißer Mann, altes, schwankes Fieberroß! Ein Ekel faßte mich vor meiner weißen Haut, ein Abscheu vor meinem talgigen, widerstandslosen Fleische. Soll ich, muß ich, darf ich in den Djungle? Ich kapituliere. Ich gebe mich geschlagen. Ich bin die letzte Lehmknolle in Gottes Natur. Ich bin ein Paria gegen den Djungle. Retraite, altes Fieberroß!

Ich war vor ungefähr zehn Minuten aufgestanden und nicht so sonderlich weit gekommen, als ich glaubte. Und nun wurde mir trübe zumute, das Elend packte mich in seiner heillosesten Form. Körperlich ging es mir keineswegs schlechter, der Rausch der Aktion drängte sogar das Kopfweh zurück. Aber der Zustand war seltsam genug, mir war einfach fade, ich war in dieser Sekunde das Opfer einer trostlosen Langeweile. Ich warf mich nieder und weinte. Und hob in purer, schlechter Laune, im Zorn, im Exzeß der Langeweile einen mannschweren Block auf und zertrümmerte ihn an den Klippen. Nach diesem Erfolge affektierte ich Freude. Meine physischen Kräfte waren keineswegs geschwächt! Aber nun wollte ich nicht mehr weiter. Ich hatte des Gehens genug. Ich war des Anblickes dieses Flußbettes und des starren, undurchdringlichen Djungles mit seiner imponierenden Teufelei müde. Eine heftige Unlust, die Beine zu bewegen, in denen ich doch zu gleicher Zeit die Kraft von Maschinenkolben fühlte, ergriff mich. Ich hatte gerade noch genug Willenskraft zurückzukehren. Slim und van den Dusen empfingen mich lächelnd. Die Indianer schliefen. Der Hund drückte sich schielend beiseite. Der Fieberhauch, der von mir ausging, imitierte ihn. Oder ahnte er meine menschlichen Bosheiten?


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