Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XV

Meine Anstrengungen, meine Siege, meine Einfälle waren fruchtlos. Ich war der Schwächere in diesem Kampfe mit der fremden wilden Seele, die aus Land, Tier und Mensch zu mir flüsterte. Ich rang mit einer Erde, mit einem Klima, mit einer Existenz, mit einem Prinzip von all diesem, das höhere Art darstellte, als die, aus der ich lebte. Bald faßte ich den Feind mit meinem Denken, bald ließ er mich klein unter sich zurück. Ich erledigte ihn endgültig mit einer Handvoll prachtvoller Thesen, da schnellte er mich mit einer Empfindung in den bösen Zustand der Verlassenheit. Verfolgte mich seine Seele, weil sie in mir den Fremden ahnte? Wer und wo war dieser Feind? Ich griff ihn nicht. Er verfolgte mich in Wassern, Tieren, Urwäldern und sprang in rätselhafte Weiberknochen, die mich unter anderen Umständen wohl mehr als abgestoßen hätten.

Es wurde Abend. Der Nachmittag, die warme Zeit, verging mit Schlafen und Lungern. Aus Nervosität begann ich zu träumen, aus purer Langeweile, um mich mit irgend etwas zu beschäftigen. In Gedanken an meinen Coup rieb ich mir die Hände, ich wiederholte ihn mehrere Male von Anfang an, bis er glatt und rund und praktisch war wie ein Kiesel, geschliffen und sicher wie Memorierstoff, mit Vergangenheit und Zukunft und Gründen und Möglichkeit, geradezu etwas Klassisches von einem Coup, an dem man seine Freude haben konnte. Wie ein Kind vor seinem Schatze begann ich in Erwägung zu ziehen, wozu man ihn möglicherweise verwerten könnte. Sollte ich mit Hilfe meines Klemmers und des Mausers das Land der Dumaraleute erobern, eine Stadt gründen, Eisenbahnen anlegen, Kaffee- und Maniokplantagen errichten, eine Armee nach preußischem Muster formieren mit van den Dusen an der Spitze, oder eine Ingenieurschule für heranwachsende Indianer unter meiner höchsteigenen Leitung? O, Brasilien ist ungeheuer und ein Land der Zukunft, wer aber weiß etwas von Brasilien und wer kennt seine Seele als ich, der Dichter? Ich bin dazu geschaffen, sein Kaiser zu werden, ich gründe nicht bloß ein Reich, ich gründe eine neue Rasse, ich erfinde ihr eine eigene moderne Seele nach dem neuesten Schnitte, ich kreiere einen brasilianischen und menschlichen Erztypus, in dem die Talente aller Organismen vereinigt sind. Wir schießen mit Dreadnoughts und gehen mit den Waden, wir philosophieren und singen einfältige wilde Indianergesänge, die ins Blut gehen. Wir haben schlanke demütige Weiber und stürzen uns für sie in den Tod. Wir sind die Schnellsten, wir sind die Wildesten, wir sind die Geistigsten und wir besitzen die stärksten und tiefsten Lüste. – Oder soll ich bescheidener sein und nur das ganze Dorf zusammenpacken und eine Zirkusturnee durch heimatliche europäische Großstädte antreten? War Herr Hagenbeck nicht reich und angesehen geworden, nachdem er nur erst einmal den commis voyageur in Wildnis gemacht hatte? Ich konnte dabei als Scharfschütze in elegantem Tropengewande auftreten und mit den bekannten Kniffen aus fünf Meter Höhe Glaseier mittels Rehposten herabholen. Doch nein, das sollte mir nicht passieren. Der heutige Tag hat gezeigt, daß ich Talent habe; und von nun an würde ich mit äußerster Sorgfalt und geradezu wissenschaftlicher Umsicht an die Ausbildung meiner Schießkunst gehen – ferner könnte ich als Impressario Kelwas der modernen Kunst einen großen Dienst erweisen. Es galt, einen neuen Standpunkt einzuführen, das Auge zu verbessern, und dazu war ich sozusagen als der Scharfschütze unter den Künstlern gerade der richtige Mann. Ich würde den Leuten beweisen, daß sie nicht sehen können, wenn sie die primitive und wilde Kunst unterschätzen. Nachdem wir bereits alles reformiert, verändert und renasziert haben, gilt es noch, unsere Augen, die letzte Zuflucht der Konvention, zum Teufel zu jagen und eine wieder unbefangene Netzhaut an ihre Stelle einzusetzen. Kelwa, dieser große reinmenschliche Künstler, müßte der Menschheit den grauen Star stechen. Er hatte einen neuen anatomischen Schlüssel zu geben, einen viel wesentlicheren formalen Kern zu entdecken, als es der alte und schon fad gewordene war. War es möglich, daß sehende Augen, wenn sie sich nicht gerade borniert auf ein gewisses eingelerntes Schema beschränken, die Farben in den Gesichtern der Menschen nicht wahrnehmen mochten, die betroffen machende, nur scheinbar disharmonische Anmut verrenkter Gliedmaßen, diese Tiergesichter, Katzen oder Schmetterlinge, die aus Physiognomien glotzten, diese Körper, die sich in Flächen ereigneten, statt in kubischer Dreifaltigkeit? Jawohl ja, die artistische und vitale Wahrheit Kelwascher Figuren war durchdringend, peinigend und erlösend. So wie er hatte noch kein Pariser Akademiker Menschen gemalt, die modern waren aus dem Effeff, ja, ganz Jäger, ganz Beobachter, ganz sinnliche Lebensfreude waren bis in die infamsten Regungen ihrer Seele. Daß die Mittel, mit denen er arbeitete, unsäglich elend waren, was verschlug das? Seine Kunst war so ganz Form, daß er sich wohl kaum darüber Rechenschaft gab, es gäbe so etwas wie Mittel. Und nun würde ich sagen, nehmen Sie dieses – wie soll man sagen – diesen Harm Kelwascher Frauengestalten, diese Katzenverliebtheit jedes einzelnen Müskelchens, das Feste feiert, die Sie Verrenkung nennen, Herr, weil Sie nicht sehen können, Herr, nun wissen Sie es, würde ich sagen. Ich würde Pamphlete schreiben, eine neue Theorie aufstellen, das Fleisch im Menschen erlösen, diese oft angekündigte Auferstehung endlich einmal stattfinden lassen!

Und ich würde eine neue unantastbare Menschlichkeit begründen, eine gesunde unsentimentale Humanität, bei der auch einmal einer draufgehen dürfte. Leben links und Leben rechts, Leben auf allen Seiten, Leben mit und gegen das Leben! Die Bewegung macht den Atem rein. Wie diese Luft sich köstlich schnappen ließ! Im Suchen nach etwas an und für sich Belanglosem stieß ich auf mich. Wie ein Berg erhob ich mich plötzlich vor mir selber! Was ist das Leben des Menschen? Jahrelang schlägt er sich mit Nutzlosem und Verfehltem herum, schwankend und irrend, mit seinem kleinen Sehkreise die Taktik nicht begreifend, die das Generalhauptquartier irgendwo in seinem Zwerchfell ihm peinlich und blindlings vorgeschrieben hat. Und eines Tages, in der sanftmütigsten Minute seines Lebens ist die Frucht aller dieser Übung reif geworden und fällt ihm in den Schoß. Die glückliche Idee kommt spät, ein gutes Stück hinter den Qualen. Zum Wohlsein! sagt dann alles zu einem, der sich jahrelang gekitzelt hat, um zu niesen. Er hat jetzt etwas Neues zu sagen, eine Technik zu geben, einen Gebrauchsgegenstand zu lehren. Zu diesem Zwecke hält seine Phantasie eine Handvoll Unternehmungen geläufig bereit.

Wir gründen einen neuen Kultus der Astarte, retten die Gesellschaft und die heraufkommende Jugend vor dem körperlichen Untergange, in den sie die verdorbenen Liebessitten der bürgerlichen Gesellschaft gestürzt haben. Einen Titel, einen Titel, schnell, ein lebenskräftiges Wort, das die Gehirne in Schwung bringt. Sagen wir, zum Beispiel, also: Tropische Nächte. Aber das »tropisch« weckt vielleicht eine falsche Stimmung, einen kitschigen und ganz lebensfalschen Dunst. Man muß den irreführenden und laxen Impressionismus tunlichst vermeiden. Tropen gibt es nicht; das ist ein Wortspiel, wir aber entdecken von Tag zu Tag die Wirklichkeit und den ehrlichen Stil. »Tropen« ist ein Appell an das Gedächtnis meiner Eingeweide, aus den Zeiten, da ich noch aus nichts anderem denn jenen bestand; die biographische Erinnerung an die Faulenzerperiode, als auf Nowaja Semlja noch meine Krokodile im warmen Flußbad plätscherten. Alles dies ist jetzt internisiert, die ganze Tropenlandschaft fahrbar gemacht auf zwei Hinterfüßen, und nur innerlich ist die Sonne poetisch, da gibt es glutige Seufzer und wuchernde Pracht, mannshohes Dickicht, ein Jägerleben, Lauerposten, Überfälle und Wildhatzen. Und dort haben wir auch die ganze gärende Poesie; die Tatsachen draußen aber stehen für sich da. Dieses Land hier liegt unter dem Äquator, ist ein wenig heiß, spröde und langweilig und wird erst vernünftig sein, wenn eine Eisenbahnschiene quer durch den Djungle gelegt ist. Tropen, Tropen, das ist ein verdammtes Wort, ein Salonvokabel, um für die paar Orchideen Platz zu machen, die an diesem Platze herumwelken. Auf die Wahrheit angewandt, ist es eine Ausrede vor der Arbeit, die in diesem Sonnenstrich wartet. Aber ich kenne meine Miteuropäer. Sie möchten nichts daraus machen als eine Mondscheinpartie am Urwaldfluß, moskitolos, oder eine Liebesgeschichte frei nach Pierre Loti, wobei der Kreuzfahrer einen exotischen Bund einzugehen hat. Ich bin fanatisch dagegen. Sind wir Journalisten? Im Gegenteil. Das Leben ist schon nicht so sauber und es gehört ein gut Stück Gehirnmasse dazu, um auf das Einfache draufzukommen. Nein, meine poetischen Kontrakte mit der Welt erachte ich als gelöst. Das Dichten ist nicht mein Beruf. Ich fühle mich aller Pflichten als Kalfakter los und ledig. Ich eröffne mein Etablissement in Berlin unter einem würdigen, ernsten Titel, der die Prinzipien meines Liebeskults schlagend zusammenfaßt. Sagen wir »Emanzipation des Fleisches« oder so ähnlich. Übrigens, wenn mir kein geeigneter Titel einfällt, kann ich das Unternehmen auch fallen lassen. Ich bin mein eigener Herr, bin moralisch niemandem verpflichtet, mich zu blamieren. Einmal werde ich das ernste Wort mit dem Gesindel reden. Und dann will ich dem Menschen vom Menschen sprechen, ein kleines Liedchen in der Umgangssprache singen, einen Tanz vom Leben lehren, in den ein ganzer Menschenkörper mit allen seinen herrlichen Funktionen hineingetrommelt und gepfiffen ist, wovon aber Grasaffen nichts verstehen. So und so habe ich ihn kennen gelernt, den Menschen, wohlverstanden, dort unten, wo alles so hell und wirklich ist, wo Mensch sein heißt, ein Gliederspiel sein, und wo das Leben restlos aufgeht in der Gesundheit der unbeschadeten Lust!

Wahrscheinlich würde ich mein Etablissement mit einem Stab von Dumaraweibern nun doch errichten. Eine Lehrkanzel für die Bestrebungen einer neuen physiologischen Kultur. Am naheliegendsten aber unter den gegenwärtigen günstigen Umständen und der Hochkonjunktur meiner Seele war es, Zana zu erobern. Es war die nützlichste Verwendung meines neugewonnenen Ruhmes und schwebte mir schon seit langem vor. Ach Mensch, du bist ein losgerissenes Stück Klima und ereignest dich, ob schön, ob Regen, mit Sonne, Nacht und Winden zusammen. Gelber, quälender, brasilianischer Nachmittag, Träumer über wolkenloser, herber Wirklichkeit!


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