Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXIV

Die Sonne stach mit einem steifen durchdringenden Lichte herab; die Landschaft stand, mit bitterem Realismus in diese schräge angegilbte Wand vor unseren Stirnen hineingesetzt, da. Fluch allen Malern und Fälschern! Das Leben war eine Zeichnung, und Bitterkeit steigt aus den trockenen zähen Stengeln auf, die, eng und planlos zusammengepackt, den Djungle darstellten. Alles Wesen war erschreckend sachlich in diesem Lichte, befangen im nüchternen Ernste seines Daseins. Blüten von unerhörter Farbe, ereignislos, reihten sich buschig auf, sie waren ohne eigenen Glanz und Ton, gefressen waren sie von dem alles verschluckenden, alles einschmelzenden Lichte. Bunte Arasvögel steckten ihre Köpfe mit den wilden erregten Federgeweihen durchs Laub und fixierten uns gehässig; lauernd vor Bosheit duckten sie sich wagrecht auf Äste nieder und führten mit ihren angelförmigen Schnäbeln einen verzweifelten Phantasiekampf, ein leidenschaftliches Scheingefecht gegen unsere verhaßte Anwesenheit aus. Ein Storchenpaar stolzierte in den Wassertümpeln abseits vom Stromgerinne und harpunierte in der Frühe und am Nachmittag Frösche, Frösche als Vor- und Nachspeise und Frösche zur Verdauung. Diese Sparsamkeit angesichts der mutmaßlichen Delikatessen des Djungles war heroisch. Aber sie lag in der Natur. Sie bestimmte den Stil, die Entfaltung. Die unerhörtesten Mittel wurden hier nur einer andeutungsweisen, gleichsam fleckenden Verwendung für wert gehalten. Ein magisches Verwischen aller letztlich doch so brutalen Triebe zeichnete den Wald aus, eine redselige Heimlichtuerei nutzte oberflächlich alle die mystischen und tiefen Kräfte seines Getriebes. Die Natur war überschüssig, gleichsam geistreich; darum brauchten es hier die Menschen nicht zu sein und nicht das Faultier, das da oben mit menschlichen Gebärden, zu träge selbst zu einer Grimasse seines ewig schnauzigen Gesichtes zwischen den dreimannshohen Stengeln mit Bedacht emporkroch. Die Natur als Totalität war geistreich. Darum brauchten es ihre Geschöpfe nicht zu sein. Sie durften außer Betrieb gesetzt im Schatten liegen und gähnen und weiß Gott wie es zuwege bringen und keinen verständigen Gedanken mehr produzieren.

Herrgott, diese Störche speisten Frösche mit Leib und Seele, und indes war der Djungle, ein Riesenbraten, für sie aufgetragen. Und so war diese Natur, sparsam trotz großen Reichtums; sie war nun einmal eben gar nicht, wie man auch denken könnte, Stil, sondern ganz Wesen, ganz Sache. Es war eine durchaus praktische, unästhetische Natur, sie kümmerte sich keinen Schimmer um den Effekt ihrer Schönheit, sondern war ganz auf Glück eingestellt, ja, auf das Glück sommerlicher Körper. Ich aber protestierte heftig gegen die Partei, die sie nahm. Ich wurde krank an ihr und fühlte schwere Hemmungen aus ihren Rückständen an Phantasie und Romantik aufsteigen. Denn in mir herrschten Frühling und Herbst, in mir war kein Sommersein, wohl aber Frühlingswerden, ich reifte zum Blonden, zum Prinzip des Blonden, nur Sommerglück war nicht in mir. Darum zehrte mich der Ärger auf, das Ärgerfieber, wogegen es Chininpastillen gab, die ich mit Ausdauer schluckte. Aber es war doch immer dasselbe Bild; wieder drückten sich die polsterigen Brüste feistleibiger Vögel durchs Laub, sie entfalteten mächtige Garnituren von Federn in allen Farben, steckten ihre Schwanzstutzen aus dem Busch heraus und schlugen Räder. Aber diese Schönheit war ein gelüftetes, ein zu durchsichtiges Geheimnis; es war eine magazinierte Schönheit, sozusagen kaufmännisch, aber ein bißchen unsolid ausgestellt, ich konnte mich mit ihrem nüchternen Zuge nicht befreunden. Der Schauer fehlte. Das war es.

Alles war ein gelöstes Rätsel. Alles war klar. Ich begriff alles. Ich begriff es, wenn eines Tages plötzlich zwei Kakadumännchen aufeinander loszusäbeln begannen, bis das Gehirn des einen bloßgelegt war. Das langweilte mich. Es langweilte mich auch – ich erinnerte mich schwach, daß das nicht immer der Fall gewesen war – saß der Geköpfte in einem letzten Sterbeschauer ein süßes Piepsen ausstieß, während er in gesünderen Zeiten eine schnurrende Stimme hatte hören lassen.

Die Klarheit, die auf Stadien der Verwirrung gefolgt war, wurde lähmend. Mittendrein begann ich unruhig zu werden, die Angst kam schwül an mich heran und ich sprang auf. Das heißt, nein, ich sprang eigentlich nicht auf, ich wollte nur aufspringen und es stand mir sehr augenscheinlich vor Augen, was dann geschehen würde. Ich würde flüchten, würde die Freunde verlassen und mich irgendwohin zurückziehen, um allein zu sein, nur um allein zu sein. Denn in dieser Zeit machte sich wieder der Kontakt mit Slim bemerkbar. Ich wußte, daß er sozusagen stets mit mir dachte, mit den Kräften meines Gehirns gleichsam seine Gedanken und Leidenschaften dachte. Das war vielleicht auch die Erklärung, daß nichts von alledem, was mir durch den Kopf ging, geschah. Ich verbrauchte die ganze Handlung in der Anschauung und Slim zehrte mit. Mein Vegetieren war ein schäbiger Rest von Wirklichkeit. Alles andere fand allein in meinem Gehirn statt. Ich dachte ein feines Ding von Vergnügen aus, ein bis zum Zerreißen dieses süß gespannten Gehirnes verfeinertes Ding. Und blieb an Ort und Stelle liegen, obwohl die Leidenschaft mich durchwühlte und die Fröste der Langeweile mich aufjagten.

Mein Zustand war bekannt. Das Wort Tropenkoller fiel mir wie ein Gnadengeschenk zu. Damit konnte ich arbeiten, erklären. Jetzt also wußte ich, woran ich war. Ich würde schleunigst Abhilfe schaffen, aufstehen, arbeiten, sozusagen ein anständiges Leben führen und so praktisch wie möglich mich den gegebenen Verhältnissen anpassen. Eingerichtet werden mußte das Leben! Hatte ich nicht die Möglichkeiten einer unendlichen, natürlichen Praxis vor mir, das weiße Blatt einer unbeschriebenen Robinsonade? Ich konnte ein Kanoe bauen und mich den Fluß hinabbegeben. Oder mit Zana durchbrennen, sie heiraten und das Leben eines Djunglemenschen führen. Meine ungeheure Assimilationsfähigkeit, mein Rückbildungsgenie kamen mir hier zugute. War ich nicht voll guten vertrauensvollen Willens?

Nach einer Stunde der kühnsten Unternehmungen und Aufpeitschungen war mir der Begriff Koller so fade wie nur je ein Wort. Mit hysterischer Lust glitt ich in die Tiefen meines Zustandes. Ich war eitel auf mich; ich war es auf mein Affengesicht; auf meinen Mangel an Willenskraft und Persönlichkeit, das heißt, auf meine geniale Assimilationsfähigkeit: denn, in der Tat, wenn ich die anderen um mich her betrachtete, so wußte ich, daß wir bereits Affengesichter besaßen. Wir verzwickten die Gesichter, weil die Sonne uns blendete. Das Tierische in Zanas glatten Zügen reizte mich zu einer prickelnden Nachahmung. Ich buhlte um den Ausdruck ihrer Lüste; diese Lüste müssen erschlichen werden, man muß unter einer Art Mimikry an sie herankommen. Wohlan, präparieren wir uns im Hinblick auf den Indianer! Wenn Zana mein Weib ist, werde ich sie bei den Haaren ziehen und auf ihrem Gesichte spazieren gehen. Ich habe infame Pläne mit ihr vor. Ich nehme keine Rücksichten mehr. Ich halte mich an die ältere Humanität; was die Lust der Rassen anbetrifft, geht es nach Anciennität.

Mit den Vorsätzen war es getan. Die Natur produzierte hier, draußen und in meinem Hirn, in überschwenglichem Maße. Aber sie verlumpte die Million aus Sparsamkeit, um Bewegung zu sparen und die alten Formen zu schonen, die sonst zu schnell ausstarben. Diese Natur war nicht auf den Europäer berechnet, auf nichts Avanciertes, Humanes, Intelligibles. O, sie haßte die Maschine, diesen paradoxen Vogel des Nordens, und ihre andersartige Ökonomie. Sie hatte es eilig wie ein Krösus, der so schnell als möglich zum Bettler avanciert, um vom guten Leben nicht draufzugehen und genügsam sein zu können. Diese Natur war, wie gesagt, geistreich, geistreich als solche, obwohl ihrer Geschöpfe Mangel gerade in diesem Punkte auffiel. Sie war darum in ihrer Fülle auch ein Dichter, ein solcher Praktiker, der das Leben lieber schnell theoretisch absolviert, um nur ja sich selbst aufzusparen und nicht in Stücke zu gehen. Der Dichter ist ja bekanntlich der feinste Kaufmann, er kauft alles und bezahlt mit Phantasie. Ein solcher Dichter, ein solches Stück Tropennatur, bitte zu bemerken, ein solcher Verfertiger von Tropen bin ich. Ich habe Zana schon längst glücklich geheiratet, aber gleichwohl, ich liege noch immer hier. Da sieht sie her, so schmachtend wie möglich, mit einem Blick, als würde ich ihr sofort, auf der Stelle, mit einem Messer den Bauch schlitzen. Ich aber liege hier, bin faul wie ein Alligator und von meinen Knochen fällt langsam das Fleisch ab.

Die Zeit hatte die Auszehrung, und wir verstorben an galoppierender Langeweile. Über unseren Köpfen zog ein Storchenpärchen seine Kreise. In diesem Zeichen stand unsere Lage; es war eine wirkliche Lage, die wir nun in der Welt einnahmen, und das Kreiseln über uns war der Singsang unseres Blutes. Die zwei Störche stiegen herab, ach, da hatten sie lange rote Schnäbel, und so rot waren ihre Schnäbel, daß einem wirklich bei ihrer Betrachtung nichts anderes einfiel, als daß sie rot waren. Zwei wunderschöne rote Griffel, die rapide klapperten, waren das, zwei Zinnoberstempel aus elegantem, einförmigem Farbstoff, zwei grelle Blutfasern in der Lichttafel, die uns vor den Stirnen schwamm. Sie beschäftigten die Phantasie, anderseits aber waren sie so anschaulich, daß sie ganz sie selbst waren, ganz Sache, ganz Schnäbel, rote Storchenschnäbel, eine praktische Angelegenheit, zum Klappern etwa! Ich weiß nicht, warum wir über den Unsinn soviel nachdachten, warum wir insbesondere über diesen roten Schnabel soviel Wesens machten, der uns gar nichts anging. Das Rot war so eigen, und es erregte uns anscheinend mächtig. Es hing den Vögeln ein dünner erstarrter Fleischlappen mitten aus dem Gesichte und machte uns sieden. Vielleicht weil wir kollerig waren. Ich dachte an den zerstückelten Kopf des piepsenden Arasmännchens, an seinen blutenden Kamm. Es ist merkwürdig, daß es Tiere gibt, die mit dem Zeichen ihrer Blutgier unverhüllt umherlaufen. Aber das ist gar nicht merkwürdig. Bei den Säugetieren sind es die Lippen, Blutfetische, und die Geschlechtsorgane, in ihnen tritt die grundlegende Blutsympathie der Leiber nackt zutage. Ha, wie wir morden, wenn wir küssen! Wie wir dieses süße Überbleibsel eines Bisses schlauerweise ungestillt lassen, in unserer unerhörten, listigen Ökonomie der Lust! Der Kuß der Vögel nähert sich dem älteren Ideal. Wenn der Kakaduhahn das Huhn unter Geflatter belegt, führt er flagellantische Hiebe gegen die roten Teile ihres Gesichtes, markierte Hiebe, er kraut sie leidenschaftlich an den feinen roten Häuten über den Nasenlöchern. Ich blickte seitwärts. Da prangten Zanas künstlich aufgestülpte Lippen, sie enthüllten ein breites Stück Rot wie eine Blutorange; zwei Eberzähne waren durch das Nasenbein gebrochen, und die Narben zerrten die Lippen hoch. Nun mußte ich finden, wer von den Männern die verfänglichsten Lippen hatte. Slim besaß dünne, herbe Exemplare, scharf wie zwei Messer. Damit schied er aus der Konkurrenz aus. Der Holländer hatte ein paar himbeerfarbener unter seinem Struppbarte. Ich erschrak tödlich, als ich es bemerkte. Im gleichen Augenblicke hatten wir uns auf den Mund gesehen. Es war erklärlich, daß er sich der offenen Aufmerksamkeit Zanas erfreute. Sie schielte wie eine Äffin mit schräg gestellten Blicken zu ihm hinüber. Slims Gesicht, das unter einem rötlichen Barte vollständig gelb war, drückte in diesem Augenblicke eine Katastrophe aus.

Die Sonne fuhr wie ein weißglühendes Projektil über den zwölfstündigen Himmel dahin, Tag um Tag den Weg, den wir verfolgen konnten. Zur Linken unserer Robinsonade tönte fern das Zischen der Fälle. Vor uns lag der weiße Flußsand im halbberieselten Bette, gegenüber brodelte der Djungle, die Luft dazwischen war vor Hitze in beständigem Flittern begriffen und zerfranste farbig. Wir hatten schmerzliche, eintönige Erlebnisse, oh. Ich sagte »wir« in jener Zeit, hm. Die Langeweile rotierte, und dann schoß das Storchenpärchen in Kreisen, Schrauben und Korkenziehern über uns hin. Und dann stand Slim plötzlich auf, es kam Leben in ihn, er kommandierte die Indianer, man schlug einen Baum und begann ein Boot auszuheben. Ich aber stand nicht auf und half. Ich haßte die Tat und alle Tat. Die Energie Slims machte mich schwächer, während er sich gleichsam an der Ursprünglichkeit des Unternehmens berauschte. Er schlug ein Kanoe. Er entfernte sich mit meiner Lebenskraft, verbrauste mein Vermögen und ließ mich mit Passiven zurück. Und ich haßte ihn, diesmal vielleicht zum ersten Male aus vollem Gemüte, ohne dialektische Umwege, aus dem vollen Gemütshasse des Beraubten. Er jedoch gedieh dabei. Er begann am Lagerfeuer Debatten zu eröffnen und traktierte seine Lieblingsidee, seine funkelnagelneue Dimensionenlehre. Warte Mal, ich gebe ihm den Todesstoß. »Sie sind ein Dialektiker«, sagte ich drohend. Ich war ein großer Entlarver. Dabei schüttelte mich das Fieber, und meine Pulse evaporierten, sie rauchten förmlich vor Arbeit.


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