Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXV

Die Indianer strichen den lieben Tag lang unnütz am Flusse herum oder lagen im tropischen Halbschlafe. Zana pflegte desgleichen, wenn sie nicht die Wirtschaft besorgte. Nun, und am dritten Tage traf Slim bei uns ein. Er war voll Leben, sah ungeheuer vergnügt aus und schlug gleich einen energischen Ton an. Die Indianer wurden an das halbfertig im Stich gelassene Boot geschickt. »Das ist geradezu unsittlich, ihr faulenzt ja nach Noten!« sagte Slim. »Ja, ich habe nun einen Plan. Wenn wir von hier flußab gehen, müssen wir an den Amazonas kommen, das ist klar. Und laßt uns nur einmal dort sein: dann bekommt die Sache noch immer ein gemütliches Gesicht.«

Am Abend saßen wir innerhalb des Feuerkreises und knabberten an den Gräten eines Fisches, der eine Beute von Chechos Geschicklichkeit geworden war. Slim aß mit verzücktem Gesicht. Er blinzelte; um seine Augenwinkel war ein Kranz von lustigen Falten. Er hatte etwas Lallendes in den Zügen, den Ausdruck eines sonderbaren Zustandes, etwas Neues und Unerklärliches. Ich dachte an die komische Situation im Walde und lächelte in mich hinein. Wie seltsam das Leben war! Da saßen wir drei mit langen Bärten, die Gesichter dicht beieinander im Feuerschein, wackelten mit den Köpfen und – hahaha, es war zum herausplatzen. Ich wollte ein Wort darüber fallen lassen. Da erstarrte ich plötzlich bis ins Mark. Ein Gedanke war in mir aufgetaucht. Ich betrachtete Slim. War es möglich, war er nun irrsinnig oder nicht?

Mein entsetzter Blick hatte eine verwirrende Folge. Slim unterbrach sich im Kauen, sah mich mit nackter Verwunderung an und begann vergnügt zu nicken. Sein Blick besaß einen so klaren naiven Glanz, daß ich ihn nicht vertrug. Ich sah weg, sah zu van den Dusen hinüber. Dieser aß mit trägen Bewegungen, seine Augen schielten kreuzweis übers Nasenbein auf das Skelett, das er in der Hand hielt, und aus dem er mit seinen Fingern das Fleisch herausbohrte. Slims Augen wanderten von mir zu ihm. Als der Holländer bemerkte, daß wir uns mit ihm beschäftigten, hob er seine Blicke zu uns auf, aber langsam, in Etappen, als ob sie eine Wendeltreppe emporgingen. Dabei fuhr er mit der gleichen trägen Gelassenheit fort zu kauen und das Fleisch zu seinem Munde zu führen. Er sah tierisch aus und aus seinem Kopfe blickte der Schädel einer Katze oder einer Schlange. In seinen Augen war gleichsam eine fremdartige Tageszeit, nicht die milde menschliche Nacht und vertrauter Lagerschein. Im gleichen Augenblicke, da ich dies erfaßte, fühlte ich ein warmes zwanghaftes Gefühl auf meinem Gesichte. Es war, als ob mir eine fremde Maske aufgedrückt würde, mein Gesicht nahm krampfhafte Formen an, mein Hals wurde dick und meine Augen schoben sich wie auf Stielen vor. Sie wurden mir von einem Magneten fortgezogen und ich konnte ihnen nicht folgen. Während ich zu van den Dusen hinflog und unsere Augen sich ineinanderschraubten, erwartete ich ängstlich die Kollision unserer Stirnen. Aber wir kamen einander nicht näher. Der Holländer lenkte seinen Blick langsam auf Slim ab. Schließlich wandte er sich fort, er zeigte uns den Rücken und atmete mit starken Hebungen des Brustkorbs. In der Hand hielt er eine Portion Fisch, die ekelhaft zerpflückt und zerquetscht war. Sein Gesicht gewann einen Zug unendlicher Qual.

Wir sind irrsinnig, überlegte ich. Ein Wohlgefühl überkam mich. Ich befand mich auf der Höhe meiner Pflicht. Ich grinste, ich fletschte die Zähne, ich stieß schnalzende Laute aus. Wir waren irrsinnig! Wir waren sämtlicher Verantwortlichkeiten los und ledig! Wenn uns jetzt jemand sehen könnte, wenn doch ein einziger dagewesen wäre, uns zu bewundern! Die Indianer verstanden es nicht. Wir waren die Helden unseres Berufes, unsere Tropenfahrt hatte uns irrsinnig gemacht, der Djungle hatte uns durch Gemütserschütterungen aus dem Gleichgewichte gebracht! Wir armen Seelen, wie hoch standen wir über dem gesunden Durchschnittsmaß! Wir waren den entgegengesetztesten Affekten zugänglich...

Ja, wir Irre sind ein schlaues Volk. Wir sind doppelt so schlau als die Klügsten unter den Menschen. Wir wissen im Grunde unserer Seele sehr wohl, daß wir nicht eigentlich irrsinnig sind, sondern daß wir das Ganze nur aus Vergnügen betreiben. Wer dumm genug ist, nicht zu wissen, welcher Spaß Irrsinn ist! Immer noch einen Schritt sind wir vor dem Dutzendverstande voraus. Wir Narren halten alle zum Narren. Wir sind die Geschöpfe der Sprache, die Windhunde des Begriffes; wir sehen die Welt mit Worten und durchdringen die Wahrheit im System der Laute. Wir können uns zurücknehmen; aber wir nehmen uns niemals zurück. Ihr könnt uns keinen Ersatz bieten für den Rausch unserer spitzfindigen Logik und die Schadenfreude unserer krassen Schlüsse. Die Komödie, mit der wir unsere Lüste fristen, geht nicht in euer Hirn. Darum sind wir Narren, wir perfekte und menschlichere Menschen, am Ende nur die Klügeren. Wir denken das, wozu wir Lust haben. Wir lassen uns tief in unsere Seligkeit fallen. Ein recht fideler Trübsinn, wie der van den Dusens, ist ein Stück wohlgefälliger Übung inmitten der Einsamkeit zu dreien. Recht so, laßt uns irrsinnig sein, laßt uns die Langeweile und die Furcht vorm Dasein durch phantasievolle Grimassen vertreiben! Stürzen wir uns kopfüber in alle verkehrten Methoden, hängen wir das Leben und seinen Verstand bei den Beinen auf! Ah, wie ich sie alle durchschaute, sie und mich, wie ich mich mit ihnen auf derselben Staffel bewegte und mit ihren Sensationen im Schritt blieb! Irrsinnig wollten sie nun zur Abwechselung einmal sein und waren es auch, und irrsinnig wollte auch ich sein, und, Gott verdamme mich, die Geschichte entwickelte sich! War es nicht an und für sich schon eine verrückte Idee, Irrsinn zu simulieren! Es geht, es geht! Endlich sind wir vom Verstande erlöst! Wir lösen uns in das wildeste Denken auf. Die Worte tanzen wie Götter, jeder Klang hat einen meilenweiten Geruch nach Himmel oder Hölle, der Wortegeist ist in uns gefahren, im Wortschwall sprudeln wir die Welt noch einmal hervor. Und dennoch sind wir nicht irrsinnig. Wollt ihr es bewiesen sehen? Wir können vernünftig sein. Doch scheint es uns nicht wünschenswert. Wir sind seliger im Irrsinn. Adieu, Räson, öffne dich, flackernde Nacht der Intellekte! Auf Erden geschieht alles nur aus Angst vor der Langeweile! Die Erde, nein, ist das Fiebern eines Gottes! Er ist durstig, er will saufen; er will leben und alles ist öde; da schneidet er seine Kehle auf, einen zweiten großen, einen größeren Mund, und er hört sein Blut quellen und glaubt eine Oase damit zu tränken, er hört es in der großen Stille, die um ihn ist, klirren wie Metall, seine Rhythmen schlagen gegeneinander und er tanzt, tanzt Worte, daß sie wie rote Kugeln von ihm fliegen, und fängt mit den Lippen durstig auf, was dunkel aus seinem eigenen Munde an der Kehle brach. Er nährt, schluckt und verdaut sich selbst, der Gott der Erde, welcher ist gleich dem Gotte des Irrsinns und der Worte! Sein Fieber ist Erde, und darum werde ich ein Buch schreiben und es »Fieber« heißen, ein Buch für alle jene, die nicht dabei sind, wenn ich irrsinnig bin und in Lauten rase!

In meinem pythischen Wahnsinn ist Tiefe. Die Nacht ist still, die Lagerfeuer kreisen. Auf Slims bärtigem Gesicht liegt das Lächeln süß und frisch wie bei einem Naturkinde. Und er wandte sich an mich: »Dieser melancholische Dutchman kann mich nicht ausstehen. Ich mache ihn krank, er kann mein Gesicht nicht verknusen. Eines Tages wird er mir im Schlafe den Kopf abschneiden. Ich kenne ihn; er ist harmlos, das ist stets gefährlich. Er kann wütend werden, dieser Trübselige; und, sehen Sie, Johnny, das kann unsereiner nicht. Wir haben Phantasie. Wir tun keinem Vogel was zuleide, sofern es nicht gerade praktisch ist. Aber als Praktiker sind dann wir gefährlich. Wir Phantasien haben das Pulver erfunden. Man traut uns nichts zu. Aber wir sind es, die den Anstoß geben. Wir haben's als erste herausbekommen, daß es keine Realität gibt, und wir sind auch die ersten, die alle jeweils neuen erfinden!«

»Ach, Slim, Sie sind doch kein Phantast. Ich denke, Sie sind gerade das Gegenteil. Ich habe Sie wohl einmal unter dieser Marke beschimpft. Aber damals war ich schlechter Laune. Das müssen Sie mir zugute halten, Slim, ich bin jetzt manchmal recht nervös. Ich weiß nicht, was das ist. Ich glaube, es fehlt mir an Anregung. Oder ist es die Hitze? Ich weiß nicht – gerade vorhin habe ich einen solchen Anfall gehabt. Ihr beide waret so merkwürdig, ich hielt euch für irrsinnig, geradeheraus gesagt. Das lag aber wohl nur an mir. Ich kann übrigens bemerken, daß wir alle unter dieser Überreizung leiden. Auch Sie, Slim, was sagen Sie dazu?«

Slim lächelte und starrte versonnen ins Feuer. Als van den Dusen die Harmonie gewahrte, die sich zwischen uns anspann, zog er sich verletzt in die Interieurs des Lagers zurück und demonstrierte das Opfer. Der arme van den Dusen! Da saßen die zwei und machten Partei gegen ihn!

Die schlechte Lebensart des Holländers brachte uns unwillkürlich einander näher. Slim bekam einen biederen Ton in die Stimme, der mich anheimelte. »Sie sind ein pedantischer Geist«, sagte er gutmütig, »Sie versuchen eine kleinherzige Ordnung in Dinge zu bringen, die in einer größeren sinnvoller aufgehoben sind. Sie denken zuviel und zu wahllos. Träumen Sie stark?... Ja ja, ich weiß, Sie verachten den Traum. Sie mißtrauen den Resten, die davon in Ihrer Erfahrung zurückgeblieben sind. Das tut jeder. Aber tun Sie es nicht. Es wird Ihnen dann manches selbstverständlicher werden und Sie werden sich unerklärliche Dinge von innenheraus geschmeidig machen.«

»Das ist es, was ich Ihnen nicht glaube, Slim. Sie sind gar nicht so – fraulich, hätte ich beinahe gesagt, wie Sie sich oft äußern. Aber fraulich ist nicht das richtige...«


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