Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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Aber nun sah ich auch meinen Irrtum über Mokis Hände ein. Es waren ja keine Hände, sondern Flügel. Zana tanzte sie, und darum verstand ich sie. Ich verstand alles, was Zana tanzte, ich las deutlich das Gesicht des Gottes, so wie sie es beschrieb, ich folgte bezwungen den Schauern ihrer Sinne und fühlte Sinn und Macht des allmächtigen Gottes sich mir unzweideutig gestalten. Da, was war das? Seine Zufriedenheit, seine allerhöchste Zufriedenheit kundgebend, begann er aus seinem Leibe wie eine unerhört große Trompete zu röhren, erhob aus seiner monumentalen Seelenruhe sozusagen einen Mückengesang in Vergrößerung. Er schlug mit den Ärmchen witzig Takt, hob sich zwei Fuß hoch über die glänzende Erdbacke, auf der Zana tanzte, schwebte getragen umher und stieß mit einem heftigen Ruck durchs Dach hinaus in die sternige Nacht. Als er in das blaue Licht gelangte, sah ich, daß seine Flügel hübsch glasuriert waren, sie vergrößerten sich, gewannen Proportion, er schlug mit blendenden Feuern um sich und benahm sich mit dem großartigen Glanze eines echten Liebhabers von Metzeleien. Seine Knäufe wuchsen sich zu Fängen aus, von denen jeder ein Elementarereignis für sich bedeutete, und die Rudimente an seinem Schädel wurden Rammstifte der gefährlichsten Art. Seine Augen glotzten wie eine Riesentraube von grünen Laternen. Da erkannte ich ihn wieder. Seine ganze Geschichte lag klar vor mir. Hier also stehst du, altes Prinzip der Seelenruhe, herabgekommener Greis antiquarischer Furchtbarkeiten, und heimsest von den regsamen Pantherkindern den konventionellen Tribut deiner harmlos gewordenen Launen? Spielst, alter Mechanismus der Göttlichkeit, mit Prinzmädchen wie ehemals, läßt dich von tanzenden Gebärden ankurbeln und beziehst deine Wirkung aus den Händen einer gerissenen Pantherin? Steifer, alter Drachenochse, bettelhaft gewordener Sauggott, verholztes Monument der Seelenruhe! Ich habe dich jüngst mit einer Pistole erledigt, nun stehst du wieder da und foppst mich? Aber du foppst mich nicht. Du bringst mich über die Erkenntnis nicht weg, daß Gott sein Leben dem Blute verdankt, daß Wunder und Erleuchtungen aus dem Rhythmus schnellen, den reelle Menschenbeine stampfen, daß du, Moki, dein Leben den dünnen Knochen Zanas verdankst. In ihrem Spiel sitzt die Kraft der Elevation. Sie deutet, und du fliegst. Sie blickt schief aus ihren Augen, und du schleuderst Blitze. Dein Gesicht ist töricht ohne sie; wenn sie seine Wirkungen tanzt, heben dich die Schauer ihres Urtanzes, ihres endgültigen Leibes, ins Grauen der Götter. O, du Gott, du Geschöpf des in seinem Blute tanzenden Menschen, du Drachenhohn vor dem Wahnwitz des Panthersohnes und seines Weibes!

Als ich aus dem Qualm verbrannter Blumen, ölig schwitzender Körper, abschüssiger wilder Bewegungen des Mädchenleibes zu mir kam, stand Moki ruhig, gesättigt und verkommen wie früher an seinem Platze in der sechseckigen Hütte und markierte den letzten stoischen Sprößling aus Drachenblut. Nicht weit von ihm saß ein ekstatischer, alter Indianer und böhte in eine lange, lange Röhre, eine zusammengerollte steife Reismatte. Oben im Dache wurde eine Luke, die plötzlich entstanden war, von geheimnisvoller Hand geschlossen. Ich mußte mich der Bewegung Zanas erinnern, hatte deutlich zu merken, was sie mit ihren Gebärden, ihrem Grausen, ihrem Jubel, ihrem Flügelschlag und ihrem lüstern vorgebeugten Rumpfe von meiner Phantasie verlangte. Gern, liebe, hübsche Mücke, sollst du mein Blut und meinen Glauben haben. Alle hatten wie besessen zum Dache hinaufgeschaut, als Zana dort hinauswies, und es wäre nur unanständig von mir gewesen, mich dem allgemeinen Ereignis nicht anzuschließen. Ich war vollauf befriedigt von mir. Furcht und Hohn standen in den Gesichtern der Dumaraleute zu lesen. Und, war es nicht auch eine kleine Bosheit, daß sie den großen, bösen Gott so nach Belieben mit seinem schäbigen Flügelpaar in die Lüfte steigen ließen, daß sie ihre Demut und ihr echtestes Erschauern von ihrem guten Willen abhängig machten, daß sie ihren Übermut schärften, indem sie ihm plump die Spitze abbrachen und anbeteten? Menschenseele, von wilder Deutlichkeit in der Seele des Wilden!

So standen die Dinge. Nämlich, Moki stand wieder fragmentarisch dort in seiner Ecke, und Zana – Zana aber war tot. Man hatte die Mücke erschlagen. Man hatte ihr den Garaus gemacht. Umgebracht hatte man sie, mit Orchideenzweigen hatte man sie totgeworfen. Die Mücke war tot.

Zana tanzte den Pumatanz und den Mückentanz. Sie tanzte den Blutdurst ihrer Seele. Aber Zana war auch eine sehnsüchtige Grille und legte die Arme, nein, die schmalen, langen Flügel dicht hinten an den Leib. Sie bog den Kopf zurück in den Nacken, ihre Brust trat hervor, stark, stärker, in unendlichem Schmerze, und nun gewahrte man an dem bloßen Spiel ihrer Brüste und ihres Magens, daß sie schluchzte.

Zana, kleine Grillenfrau,
Weint um ihren
Fernen Liebsten,

sangen die Jäger. Sie rasselten und feilten schrill mit allem Metall, das sie hatten aufbringen können, und hierbei war es, daß unsere leeren Sardinenbüchsen sich als ingeniös musikalisch erwiesen.

Die Folge davon, daß Grillen um den Liebsten weinen, ist, daß man die wundervolle Architektur ihrer Eingeweide zu sehen bekommt. Zana hatte zwischen den Lenden einen weiblichen Anflug von Wölbung; eine flache Schale bildete den Unterleib. Aber sie war so flach, daß sie mehr ein dunklerer Schmelz der flaumigen Haut als eine plastische Erhebung schien. Der Tätowierkünstler hatte der bildhauerischen Natur überflüssig nachgearbeitet. Jetzt aber wurde seine Kunst ganz zuschanden. Denn die Grille litt unsagbar und ihr eingezogener Magen unter der verdrängenden kleinen Büste zeigte fibröse Rillen wie bei einem Knaben. Die ganze Monotonie ihres Schmerzes lag in den Hüpfschritten, mit denen sie unzählige Male im Schwirren der Instrumente denselben Kreis vollendete. Dann aber schlug sie hin und war tot vor Schmerz. Abermals war Zana heute gestorben.

Und nun geschah an diesem unvergeßlichen Abende etwas Entscheidendes. Zana tanzte zum vierten Male. Sie war nicht umzubringen, elastisch und unermüdlich war sie wie ein wirklicher Künstler; die Anstrengung glückte ihr spielend, ihre Konzentration vertiefte sich; morgen aber, fürchte ich, wird sie einen trüben Tag haben. Aus ihrem formenreichen, sanft ergiebigen Körper holte sie einen neuen Sinn heraus. Als sie wieder aufkam, stand Luluac da, ihr Bruder. Sie ging ihm bis zu den Hüften. Er war hoch, und sein Oberkörper war wie ein Keil in Hüften und Gesäß gepflanzt, die, aus der Wurzel der gewölbten Schenkel geeinigt, den kräftigen Stamm trugen. Seine Brust war mehr hoch als breit und hob sich hart von dem muskulösen Rückenschilde vor, zu dem die Rippenbänder zurückstrebten. Der Brustkorb selbst, dessen Bügel eng standen und eine tiefe männliche Busenkerbe bildeten, war ein stumpfer Kegel. Darunter fiel der Felsenbruch des Magens ab. Der Kopf war klein und rund, mit starkem Hinterschädel, glatt rasiert, und nur über der Stirn stand ein Besen dünner spröder Haare erhalten. Wie dieser Kopf waren auch die übrigen Teile seines Knochenbaues von einem raumsparenden Prinzipe gebildet, als typisches Produkt einer langen blutwählerischen Zucht. Diese Knochen waren verbesserte Urinstrumente, bei denen an Masse zugunsten der Widerstandskraft durch Biegungen, Schwellungen, Verkolbungen gespart war. Sie wurden von einem übersichtlichen Muskelsystem in Bewegung gesetzt. Ihr Hauptantrieb saß an den Gelenken; die Kraft- und Nervenherde in deren Nähe; und hier war es auch, wo der Mann seine Stärke hatte. Alle anderen Teile schienen von Masse entblößt und unansehnlich, er war nicht einmal übertrieben muskulös. Über den Knochen spannte sich die Haut, aber er konnte sie an der Brust wie ein Halstuch in Falten legen. Der Magen war als sichtbarer Muskel in den Rost der Taille eingefügt. Die Waden waren hoch, nicht geballt, sondern lang gestreckt. Das Gesicht erschien häßlich, lauschend, schlau, gierig wie das eines Tieres. Wenn seine Lippen sich unter einer physischen Anstrengung von den Zähnen zurückzogen, sah man die weißkantigen Trapeze der Kiefer. Die Zähne waren künstlich geschärft. Dadurch erhielt der Mund dieses Menschen etwas Verlangendes, sein Gesicht wurde kindlich. Auf seinem kleinen buchtigen Schädel saß die Krone aller indianischen Federkronen. Die wildesten und buntesten Flügel des Djungles hatten zu der wilden Gravität dieses Häuptlings beigesteuert. Die geringste Neigung erhielt in dieser Weise eine gespenstische Bedeutung, ein ganzer kleiner Wald nickte bunt, und menschliche Motive wurden in etwas eigentlich Lebloses hineingebracht. Ja, ja, sagte der Federbusch, wenn er sich ein Stück nach rechts hin schüttelte; und nein, nein! wenn er sich wie ein steilwerdender Garten gegen den Rücken hin aufmachte. Und wehe, wehe! hieß es, wenn er auf dem hitzigen Kopfe des jungen Häuptlings durch die Luft fuhr.

Dieses Prachtstück von einem Federbusche machte den langen Luluac übermenschlich, als er mit seiner Schwester Zana zum Tanz antrat. Die groteske Überlegenheit des Mannes war ein Genuß für alle, die es sahen. Zana selbst schien bis in die letzten Fasern ihrer weiblichen Demut davon berührt. Gefällig bog sie sich unter ihm. Ihre familiären Beziehungen schienen etwas seltsamer Art. Andeutungen kamen mir in Erinnerung. Während sie tanzten, traten an ihren Körpern die Merkmale wilder geschlechtlicher Erregung zutage. Sie betrachteten einander aus den Augenschlitzen mit bestialischer Verliebtheit. Der Instinkt der Inzucht, der bei primitiven oder bei überfeinerten Rassen, die noch gesund sind, auftritt, machte sich in ihren Sympathien geltend. War es Spiel oder Ernst? Obwohl Zana klein war, zeigte ihr Körper doch auffallende Gemeinsamkeiten mit dem ihres Bruders. Sie waren beide lang, ihre Gesichter waren nahezu gleich im Ausdruck. Sie waren in die eigene Art verliebt, und wie sie da tanzten, gaben sie der Wollust über die Absolutheit und Rassigkeit ihrer Wesen Ausdruck.

War die Narzißlaune, das Prinzip der Eigenverehrung, nicht eine Verbesserungs- oder Erhaltungstendenz der Schönheit? Ähnlichkeit wirkt bei differenzierten Säugetieren abstoßend auf die Phantasie. Aber darüber hinaus wirkt sie bei ausgebauten Rassen mit Gleichgewicht und gereiftem Geschmacke anziehend, denn sie wird Kern der klassischen Entwickelung. Innerhalb edler Rassen genügt der verschärfte Geschlechtsunterschied, der in harte und zarte Typen scheidet, der Sehnsucht nach der Variation.

Zana tanzte tief und hingegeben. Es verlangte sie nach dem gefiederten Pfeile Luluac. Unwillkürlich sah ich zu Slim hinüber. Sein Gesicht war verzogen. In seine nordischen Züge mischte sich der Indianer, unter seinem Barte lauerte das Tier, das ich hier in allen Gesichtern sich ergötzen sah. Mit einem kranken Blicke folgte er dem Paare. Van den Dusen aber war hochrot im Gesicht und sah gezwängt aus; er folgte den Vorgängen mit offenem Munde, förmlich hinten am Gaumen. Luluac bewegte sich in männlichen kühlen Kurven, mit sichtbarer technischer Meisterschaft, er blieb hart, rhythmisch, formell, nur seine Augen gaben sich feurig. Man verstand, er begehrte Zana, er turnte um sie, er warb um sie, aber er verhielt sich vor ihren Lockungen reserviert; man konnte nicht wissen, wie gefährlich das kleine Frauenzimmer war, und ob es erlaubt war, sie zu berühren. Eine Prinzessin, eine Priesterin konnte sie sein und dem Sterblichen, der sie nahm, konnte Unheil drohen. Zanas Knöchel waren gefesselt, dies verstärkte ihren demütigen und harmlosen Anblick; die Bracelets waren ineinander verhakt. Sie sprang mit kurzen federnden Schritten, die wie Bälle waren, auf ihren Fersen; sie umkreiste Luluac, sank in die Knie, und verschränkte die Arme hinter dem Nacken. Rührte ihr demütiges Anerbieten den Häuptling nicht? Soviel war klar, sie war ein Weib, sie war gefesselt, die Konvention klimperte um ihre Knöchel, und sie hatte nicht die Freiheit ihrer Wahl und ihrer Lust zum Manne.

Luluac ließ sie nahe herankommen. Schon ergreift er sie in einer Pose, die seine Nacktheit drastisch preisgibt, als er sich wieder zurückzieht. Er verwahrt sich gegen die Wirklichkeit eines solchen überirdisch begehrlichen Wesens, er stellt die ganze schöne Tatsache in Frage. Es ist ausgeschlossen, daß soviel Wünschbarkeit wirklich ist. Sie ist ein Trug der Sinne, der Untergang bedeutet. Vielleicht ist Zana eine Pantherfrau? Sie zerreißt den menschlichen Geliebten, der sich von ihr betören läßt. Oh über ihre Zahmheit! Er schwingt die Arme und zückt Speer und Schild, denn es gilt, einen Puma sich vom Leibe zu halten. Er fällt plötzlich in den bekannten Kriegstanz, hebt die Beine mit wagerechten Schenkeln und spielt ein Rennen am Ort. Teuflisch, hu! Zana umschmeichelt ihn in vollendeten Linien. Ihre gehobbelten Knöchel folgen mit unterwürfigen kleinen Schritten; traurig ist es, wie die Knorpel der gespannten Kniekehlen sich berühren! Rührend ist es, und es wird uns allen das Herz brechen! Da kann auch Luluac nicht länger widerstehen. Eine suggestiv getanzte Umarmung bedeutet Besitznahme. Er hat sie nicht berührt, die Gebärde blieb ästhetisch. Und alle verstehen die Anspielung, die in den gerungenen Armen liegt! Luluac nimmt das Werben der Pantherin an! lautet die Losung. Die geschlechtliche Spannung der beiden Körper ist gestiegen, Oh, oh, oh, beide sind selig, beide sind nahe daran, sich zu vergehen. Zana roßt wie eine junge Stute. Eine monotone Musik schwellt die Nerven und Muskeln und weckt den Stich und die Unschuld der männlichen Empfindung. Der kreisrunde Verfolgungswahnsinn dieser Noten erzeugt gelinden Schwindel, die Schläfen hämmern und die Augen laufen mit dem Gehirn zu einer einzigen sehnsüchtigen Masse zusammen. Das Fleisch an den Körpern der Männer beginnt gleichsam zu gären, ein lauer, niederträchtiger, menschlicher Geruch macht sich in der Hütte fühlbar. Luluac schreit rasend auf und die Männer fallen triumphierend und befriedigt ein. Der Höhepunkt ist vorüber. Der wilde, schöne Krieger hat nun Zana in seine Hütte geführt. Sie hockt hinterm Feuer. Er ist fortan ihr Herr. Prahlerisch pflanzt er sich im Vordergrunde auf. Wer will sie ihm entreißen? Niemand; dies ist so Sitte. Schluß! Weg mit dem Tanz und Spiel und bringet Mandiokamet, daß wir Heiseren und Feurigen uns kühlen und laben! Da geschieht etwas Unerwartetes; etwas, das nicht ins Programm gehörte. Slim erhob sich und legte die rußige, weiße Jacke ab. Dann zieht er das dünne Netzhemd über den Kopf und steht mit nacktem Oberkörper da. Slim!


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