Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXVIII

Auf zum Fischfang!

Das Boot rollte, als wir es bestiegen.

»Oho«, sagte Slim und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Das kann gut werden. Wenn es nur nicht schief geht. Das ist eine faul gemachte Sache.« Und zu van den Dusen: »Donnerwetter, geben Sie acht, geben Sie acht – – –«

Van den Dusen wandte ihm sein kupferiges Gesicht mit roten lodernden Flecken an den Backen und an der Stirne zu. Er wollte etwas erwidern, aber plötzlich verlor er die Energie. Slim fuhr fort: »Das Dickchen kommt achteraus. Er wird uns, wenn er einmal verstaut ist, vermittelst seines Tiefganges die nötige Stabilität verleihen. Sie, Johnny, besetzen am besten den Vordersteven. Und ich – –«

Er nahm die Mitte des Kanoes ein und wir paddelten in den Fluß hinaus; wir befanden uns auf der seeartigen Ausweitung oberhalb der Wasserfälle, wohin wir das Boot hatten bringen lassen. Der Spiegel lag geglättet vor uns. Kleine Kreissysteme fältelten ihn, wo ein Fisch nach Beute geschnappt hatte. Jeden Augenblick flitzte ein großer Kerl aus dem stilliegenden häutigen Wasser. Die Ruder, die herzförmige Blätter an langen Stielen darstellten, verursachten kleine Wirbel. Der Strom zwängte hier mächtige seebreite Buchten ins Land. Dort wo der Trichter des Baches, der hier einmündete, herzukam, schlossen hohe grüne Djunglemauern diese glatte Wasserarena im geräumigen Rund ein. Die Natur hatte hier die Bühne für ein Menschendrama errichtet, sie hatte aus Wald und ziehenden Wassern eine Falle aufgestellt. Diese Falle war nach der vierten, südöstlichen Seite, die flußab verlief, von der natürlichen Felsenschwelle begrenzt, über die der zähe weißschimmernde Reifen der Wasser mit ununterbrochener Eile dahinglitt.

Wir trieben hinaus und schon begann die Strömung leise, ganz leise aber beharrlich wie eine mystische Kraft am Boote zu ziehen. Wir mußten sicher und mit solidem Schlag rudern, wenn wir dort in die Tiefen oberhalb der Felsenkante wollten, wo die allerschönste Beute, kräftige elastische Fischjungfern mit vielversprechenden Leibern, sirenengleich über den Spiegel emporschnellten. Aber wir waren aufgeregt und machten Fehler. Der Holländer hatte heute seinen lieben Tag; er patzte ein paarmal mit dem Steuerruder und das Kanoe neigte sich zu stark: wir faßten Wasser. Slim schnalzte ungeduldig mit der Zunge. Im Wasserspiegel vor mir konnte ich ihn sehen. Sein Gesicht war vom Spiegel gefälscht, blaß und mit einem Zug des Staunens oder der Angst. Vorsichtig warfen wir die mitgebrachten Reusen aus, Zanas widerwillige Fleißaufgabe aus biegsamen Ruten. Was war das doch? Wenn man in die glitzernde Sonne hinterm Wasserspiegel sah, raubte es einem Überlegung und Gedächtnis. Man mußte alle Kräfte zusammennehmen, um bei Bewußtsein zu bleiben. Leise schaukelte das Boot und eine schwere Trägheit fesselte die Gedanken.

Der Gedanke fing sich in den Reusen und glitt mit ihnen zu Boden. Die Reusen! Zana hatte Prügel ihretwegen bekommen. Heraus mit der Vorstellung! Zana und – Prügel? Gut. Was weiter? O, Zana wollte nicht heran, die Prinzessin war faul und vornehm und wollte keine Fischreusen für die weißen Scheusale machen. Sie legte sich auf den Boden und trotzte. Lieber wollte sie da verhungern und verdorren, bevor sie hülfe, einen Fisch zu fangen. Da hatte Slim die entblätterten Ranken, die zusammengebracht worden waren, pfiffig geprüft, eine kurze schmale Gerte ausgesucht und Zana über die Beine geschlagen. Als es zu weh tat, schlich sie demütig und mit einem Tierblick an die Arbeit. Binnen eines Vormittags hatte sie mit Hilfe der Männer mehrere Reusen hergestellt; aber die Maschen saßen schlampig und es war nicht viel Hoffnung, daß wir damit einen großen Fang machen würden. Die Stimmung war gedrückt. Langsam verankerten wir die Reusen, an denen sozusagen Zanas Blut und Schweiß hingen. Vielleicht knüpfte sich das Jagdglück gerade daran, es hatte sonderbare Launen. Hoffen wir das Beste! Die Strömung wurde stärker. Dort war der weißschaumige Scheitel des Falles. Aufgepaßt da!

Die gleichmäßig samtene Oberfläche bekam Flicken, zerdehnte reißende Stellen, lange eilige Streifen mit glotzenden Schaumaugen, die dahinschossen. Wenn das Kanoe hineingeriet, zog es wie Gummibänder an ihm. »Hallo, Johnny, was ist los mit Ihnen, wo steuern Sie denn hin? Kräftig, Jungens – Zurück! Zurück! Schaut nur, daß ihr kehrt macht, wir kippen um!« Man war ein wenig dumm von all dem Glanz und Reflex. Es benahm die Gedanken und den Lebensernst, es gehörte moralische Anstrengung dazu, die Lage nicht für nebensächlich zu halten und geradewegs die schäumende Wirklichkeit da vorne hinabzusausen. Der Himmel im rosafarbenen Wasser war eine ungeheure weiße erhitzte Scheibe, die irritierte. Ich sah mich selbst in übernatürlicher Schärfe der Umrisse wieder, erkannte mich in mehrmals übertriebener Wirklichkeit, stach mit meinem Gegenüber zugleich und taktmäßig auf den Strich nieder, an dem wir trennend verwachsen waren und starrte fasziniert das Doppelgängerbild an, das mich unten mit seiner verfluchten Klarheit bannte. Und plötzlich spielte sich da unten etwas Überraschendes ab, dessen traumhafte Sicherheit und Schärfe mich schwanken macht, so oft ich daran als an etwas Wirkliches zurückdenke.

»Ah, Charlie, you fool«, hörte ich Slim plötzlich schreien. »Sind Sie verrückt?« Ich sah im Wasser seinen Kopf hinter meinem verschwinden und erscheinen; das andere sank in eine Verkürzung zusammen. Da erhob sich weiter rückwärts ein mannshoher Schatten, der in den imaginären Himmel hinabragte. Ich hörte Slim rufen und fühlte, daß das Boot sich zu drehen begann. Ich starrte auf das Wasser. Irgend etwas stieg blitzschnell wie ein Projektil aus dem Grunde auf, so schnell, daß es kaum wahrzunehmen und möglicherweise nur eine Täuschung, eine dunklere Stelle im Wasser selbst war – sie senkte sich schnurgerade auf Slims Scheitel nieder. Ein Ton sang mir in den Ohren. Im gleichen Augenblicke rollte das Boot links, dann rechts, und zog einen dicken faltigen Wasserschwaden in seinen Bauch ein. Noch immer hafteten meine Augen gebannt an der Welt unter mir; mit einem aufdämmernden Instinkt für die Gefahr sah ich zu den grünen Bänken unterm Wasserspiegel, die ihn weit draußen einrahmten. Klatsch – mir war, als wäre jemand ins Wasser gefallen. Ich neigte mich sitzend in eine laue fühlbare Umgebung hinein, die Welt stieg an meinem Ohr empor, ich streckte die Hand aus, und schwamm. Zugleich gewahrte ich, wie ein Mann kopfüber aus dem verschwindenden Boote ins Wasser flog, ich sah ihn kräftig schwimmen und erkannte den Holländer. Ha, ich fühlte mich getragen, unter die Arme gegriffen; es war die Strömung, die mich bugsierte und mit sich nahm. Ich arbeitete mich heftig gegen das Ufer hin, im Winkel zur Strömung, die mich an Backbord aufhob. Sie trieb mich abwärts und preßte mich an die Klippe, die kahl und hart vor mir aufstieg. Sie spaltete den Strom. Als ich nach oben geklettert war, tauchte an der Klippe gegenüber im Strome der Holländer auf.

Wo war Slim? Ich ergründete den Kanal zwischen den beiden strategischen Punkten, die wir besetzt hielten. Ich war überanstrengt, rote Wolken stiegen mir vor den Augen auf und trübten mir den Blick ins Wasser. Ich hatte zu lange in die gleitende Scheibe im Wasserspiegel gesehen. Aber Slim – mein Gott, was war das? Slim hing wie ein geschlachtetes Tier an der Felsenkante, die eilende Wassermassen im Schuß übersprangen. Sein nasses Hinterteil stand in die Luft, Kopf und Beine waren von schäumenden Wassern umbrandet. Ein paar Sekunden vergingen; dann drehte der Strom die Beine wie ein Steuer herum und hob den Körper über die Zinke. Slim schoß den steilen Bogen mit dem Wasserschwall in die Tiefen hinab.

Wir trugen unsere Pistolen am Leibe und eröffneten ein andauerndes Schießen, bis die Indianer mit dem halbfertigen zweiten Boot und geflickten und gedrehten Lianensträngen uns holten. Als van den Dusen und ich am Lande standen, sahen wir uns wortlos an und sahen schnell weg. Der Holländer lachte. Das Wasser hatte ihn erfrischt.

Wir verloren kein Wort über das Ereignis. Kein Wort des Bedauerns kam über unsere Lippen, wenn wir an Slim dachten. Wir dachten gar nicht an ihn. Träge blickten wir in das heiße Wetter. Wir waren von dem Ereignisreichen der letzten Stunde gesättigt, unsere Einbildungskraft besaß keinen Spielraum mehr. Unser Gemüt behandelte die Angelegenheit als glatte Rechnung.


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