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XXIV.

So viel nahm Steward noch von den Vorgängen wahr. Er flog an allen Aufschriften in den Gängen vorbei und enterte die Telephonzelle. Es rasselte, er sprach. Die Lederpolster erstickten seinen fordernden Ton. Als er heraustrat, war er gebrochen. Die Polizei verweigerte Hilfe. Klar, er war verraten. Diesmal konnte er seine Verzweiflung kaum verbergen. Er zündete sich eine Zigarette an, mit der berühmten langen Bewegung des zum Löschen geschwenkten Streichholzes und dem gierigen beschaulichen ersten Zuge. So lebte er auf den Films. Teufel, seine Laufbahn war verdorben, oder in Frage gestellt, die erste große Blamage. Was tun? Er ließ sein Repertoire spielen. Nun ging's um die Wurst. Einmal nicht geistreich, sondern gewöhnlicher Detektiv sein.

Er wußte, wie er zu handeln hatte.

Die Jagd nach den Aufschriften hatte ihn irregeführt. Er ging das Spalier der weißen Türen ab, schließlich orientierte er sich nach dem elektrischen Schaltbrett. Der Hausmeister, den er rief, sperrte ihm gegen eine verpflichtende Handbewegung ans kleine Portefeuille die Tür zur Dunkelkammer auf.

Die Gäste flossen durch die Hauptstiege ab, die Lifts pumpten sie hinauf in den großen Flur und die Speisesäle. Steward wartete. Seine Detektivrechnung mußte stimmen.

Sie stimmte. Als Slim gefolgt von Nitra um die Gangecke bog und diebisch kurz durch den Nebenausgang in den Garagehof entgleiten wollte, tauchte Steward gelassen zwei Schritte vor ihm aus der Fläche hervor, rechtlich und öde wie eine Mode ans ihrem Kanal.

Slim stand. Man hörte Schritte und Stimmen. Steward streckte die Hand, erfaßte eine Falte seines Rockärmels.

»Jack Slim, im Namen des Gesetzes, des Staates, der menschlichen Gesellschaft … ich verhafte Sie!«

Jack Slim drehte das Gesicht von der Türfläche zu Steward herüber. In seinen Augen, die grün schimmerten, kreisten stählerne Ringe, ein ungewöhnlicher harter Glanz, unmenschlich; Steward hatte derlei nur bei großem Entsetzen beobachtet. Er hielt den Coup für gemacht, kniff fest in den Stoff, aber höflich, nicht allzusehr belästigend, die Geste ist es, die Kraft ausstrahlt und siegt.

Slim sagte halblaut und fragend: »James Steward?«

In diesem Augenblicke verlosch das Licht. Dieser Zufall überraschte und blendete die Augen. Steward wagte nicht, den Anstoß zu einer Gewalttat zu geben, er kannte Slims Fähigkeiten. Ihn festhalten, zum Reden zwingen um jeden Preis. Er mußte ihn ködern.

»Ich verhafte Sie, Jack Slim, als Urheber des Mordes im Gesandtenpalais. Sie spielen mit der menschlichen Ordnung. Den heutigen Abend haben Sie veranstaltet, wie alles bisher, um die Spuren zu verwischen … Sie möchten Selbstmord glaubhaft machen. Sie lassen Ihre eigene Suggestionskraft einfältig und harmlos erscheinen. Aber dieser Abend hat Sie gerichtet. Sie allein sind einer solchen geistigen Organisation fähig und einer solchen Ranküne an einer von Ihnen verachteten bürgerlichen Gesellschaft …«

Steward spürte eine Bewegung des Rockes. Er zog den Zipfel an sich; Slim folgte ohne Widerstand, Steward zog vorsichtig weiter, der Rock gehorchte. Da fuhr Steward ein kalter Stab in den Arm, er ließ voll Grausens los: griff mit beiden Händen nach, der Rock war leer, er schlotterte in der Luft.

Nun gewahrte Steward in dem deutlicher werdenden Gang ein Funkeln wie von einem kleinen schwachen Docht und Umrisse einer Gestalt. Der Turban!

Er fiel mit beiden Händen um eine Schulter.

»Nitra, im Namen des Gesetzes …«

»Ah, Pardon,« sagte eine Mannesstimme an Stewards Brust. Das Licht zuckte an, trillerte, und stand steif zwischen den weißen Gangwänden mit ihren zwei Rotten von Türen, die wie Männer dalehnten. An der Türangel hing Slims Rock. Vor Steward fügte ein kleiner Herr, der den Turban trug, irritiert hinzu, während er auf die Dame wies, die eine schwere Lederkappe, braun und viel zu groß, über die Augen kippen hatte:

Excusez. Je n'ai pas volé le tourban, que voulez vous m'sieur. C'est ça, j'ai donné ma cappe à madame Philomène qui n'a plus son shawl. En outre le pierre ne vaudrait pas une fortune, Mademoiselle Nitra n'est pas si riche, fait à fout pas, elle est la fille d'un mendiant Tibetien, çela

Es war Professor Schmerz, den Steward geschüttelt hatte. Dieser hielt die hochmütig blasse Lady San Remo unter die Achsel gefaßt und drängte sie durch die Tür in den Hof. Steward ließ sie gaffend passieren. Er weinte beinahe vor Scham.

Professor Schmerz, wußte er, stammte aus dem Osten, er war seiner der vielen Levantinier, die jetzt Europa überfluteten. Er mochte schon öfter Fez und Turban getragen haben. –

Diese gewalttätige und schlecht vorbereitete Attacke auf Jack Slim mußte bestraft werden. Steward zog sich gebrochen und grübelnd vierundzwanzig Stunden lang auf sein Zimmer zurück.

Am nächsten Tage um sechs Uhr erschien Kovary, raubte ihm dass Dossier und führte ihn mit einem Automobil auf das Landhaus weg.

Da saß nun Steward und sah die Bilder, durchsichtig wie für einen geheimen Sinn, real und doch unkörperlich über den Schirm seiner Vorstellungskraft wandern.

Acht Tage lang hatte sich der Minister nicht blicken lassen.

In der darauffolgenden Woche fuhr er an. Er öffnete die Tür, ließ den Flügel weit offen.

»Mister Steward, verehrter Herr Kollege, es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Ihr Alibi ist erwiesen. Wir wissen jetzt genau, wo Sie sich zur Zeit, als an San Remo Gewalt verübt wurde, aufgehalten haben. Es war zwischen zwei und sechs nachmittags. Bis genau fünf Uhr standen Sie in dem Pärkchen gegenüber der Gesandtenvilla, hinter einem Haselbusch, an der künstlichen Kaskade … Wir wissen genau, wo es war. Professor Schmerz und Jack Slim, die dort promenierten, haben Sie beobachtet und setzen sich für Sie ein. Sie meinen, ah, Schmerz … in der Tat, Schmerz war damals schon in Oaxa, inkognito. Ihr Mißgeschick ist bedauerlich. Um fünf Uhr verließen Sie ihren Posten und fuhren mit der Untergrundbahn in das Café Mansion. Um ein Viertel Sieben wurden Sie geholt. In der Tat, der Diener Morel hat Argwohn gegen Sie geäußert. Sie schienen ihm gleich verdächtig. Außerdem sprachen die Abdrücke gegen Sie. Und nun denken Sie: in der Zwischenzeit, als Sie Ihren Beobachtungsposten verließen und durch Kovary bestellt wurden, geschah das Unglück …

Lassen wir den Fall. Ich bin Slims Meinung, daß Selbstmord vorliegt. Der Gesandte hatte einen Streit mit seiner … na, Sie wissen ja, der Skandal mit diesem Simpson. Ihr Anteil an dem Fall ist ganz inoffiziell, Mister. Ihr Prestige ist nicht geschädigt. Die Abdrücke stammen von Ihrem ersten Besuche. In unseren Augen haben Sie genial und sehr tüchtig gehandelt … und eine Lösung ist schließlich niemandem geglückt. Lassen wir es bei der Diplomatie bewenden. Es ist nicht gut, daß die Geheimbautatsachen in die breite Öffentlichkeit kommen. Derlei Geschehnissse säen nationale Zwietracht. Die Japaner lauern nur darauf. Und unser einfaches Volk greift gierig nach solchen Haßgenüssen. Erinnern Sie sich, wie noch vor kurzer historischer Zeit tiefgehende Feindschaften in den Völkern durch privaten Hofklatsch aufglühten – besonders wenn er eine erotische Seite hatte. Missis Philomena hätte nicht diesen absonderlichen Geschmack haben sollen …«

Er öffnete die Türe, bot Steward einen Sitz in seinem Coupé.

Der dankte, war höflich ohne Bitterkeit, sehr ernst und entschieden. Sie plauschten weiter. Steward paßte scharf auf, ob der Justizgreis nicht wieder Spionage auf seine Weise treibe.

Steward war also von einer Reise in das Hotel Mansion zurückgekehrt. Er beschrieb das Meldeformular auf Zimmer 27. Der Oberkellner verbeugte sich, gespreizt wie ein Schlips, in Erwartung zukünftiger Trinkgelder. Der Hausmeister im Souterrain ließ zwinkend den Schlüssel zu zwei benachbarten Türen in Stewards Tasche gleiten.

Man soll doch den Schlüssel zur Dunkelkammer jederzeit bei sich tragen.


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