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XIV.

Im blauen Glast einer schroffen Gebirgslandschaft des nördlichen Indien lag die britische Kolonie, ein beliebter Kurort und internationaler Sammelpunkt. Die weiße Straße vom Süden krümmt sich zwischen barem Felseinerlei an der Steigung empor. Der grüne Garten im Süden unten war weit draußen im Verlöschen. Tagelang schnörkelte der schmal geböschte Automobilweg durch karges Schroffenland. Plötzlich lachte wieder eine grüne Plombe aus der zackigen Backe, die seelenlos in den denkbar azursten Himmel blekte wie das immense Fossil eines urtoten Geschöpfes Aus einem Steinrachen quoll gleichsam ein grüner Tropfen, der beim Näherkommen über kleine Hügel überfloß. Ringsum starrte die Barte weiter. Aber von dem Grün, das sie umfraß, blendete ein türkisener Schein am Saum des Firmaments, wo rissig das hohe Gebirge in es hineinstieg. Von schrägen Flächen dieses Bergerdteils, der sich aufschüssig weit hinstreckte, schlugen die Wetter eines spiegelnden Farbensees zurück. Es waren die Gletscherhänge des Himalaya, vom Nebelring in halber Höhe durchschnitten. Von dort sprangen unsichtbare Tretwege über Geröll und Halden. Auf einem von diesen schoben sich zwei Gestalten nordher an die grünende Kolonie heran.

Sie kamen zur unrechten Zeit. Viel Bettlervolk vom Ganges und aus Tibet hatte sich in der kleinen Stadt versammelt, um den Giaurs und Sahibs zur Last zu fallen und seine dumpfe Neugierde zu stillen. Daß sie bettelten, war nicht ihr vorwiegender Trieb. Sie waren anspruchslos. Ihr Weiterkommen und ihr Verschieben in den unendlichen Räumen Hindostans geschah nicht aus Wanderlust, die in den Tropen fehlte, sondern aus Schwerfälligkeit. Sie blieben, wenn sie konnten; und sie gingen, wenn Mensch oder Umstände sie versagten.

Den beiden Wanderern vom tibetanischen Bergpfad geschah dies bald. Sie gerieten ins Villenviertel, wo die Konsulen und die großen Geschäftsleute der europäischen Staaten wohnen. Kaum standen sie mit ihren Bettelschalen unter ihresgleichen vor den Staketen der Konsulatsvilla San Remo, unter den Rädern nobler Palmen, als in einem vom Kuli gezogenen hochachsigen Rickshaw der Konsul und seine Frau durch die Straße wehten. Die amerikanische weißverflorte Dame, ein Bukett von Tüll und Rüschen, mit verwöhntem Ausdruck ins Geflecht geschmiegt und ihre Aufregung suchend, stieß dem Begleiter spitzige Worte über den farbigen Pöbel ins Ohr. Das Zusammenleben mit Schwarzen hat den Amerikaner noch unduldsamer gegen dunklere Komplexion gemacht als seinen englischen Bruder. Jung verheiratet gab der gegen Landessitten sonst tolerante Gesandte zwei turbanverschalten langen Wächtern vor seinem Tore einen Befehl. Sofort strömten ein Dutzend der Konsulatswachen mit Bambusstäben hervor. Es waren lange edle Männer mit nackten geraden Beinen, beknöpften bunten Uniformen und einem hohen, kunstvollen Turban, unter dem im braunen energischen Gesicht klare Augen hell hervorsprangen, Angehörige der Shiksstämme und mohammedanische Afghanesen, voll Würde und strenger Gefaßtheit, kriegerisch, ruhig, hart. Der Konsul ging durch den Garten schnell zur Veranda hinter den Oleanderstauden, wo seiner das Arbeitspensum harrte. Die Dame aber sah, auf dem Karriol thronend, begehrlich den ebenmäßigen Privatsoldaten zu, die ihr zu Dienst und zu Willen waren. Sie lächelte heute das erste Mal, genießend, kapriziös, von einem Strahl Leben und Freude getroffen. Die Stimmen der Shikpolizisten klangen barsch an die Lagerergruppen heran, die sich langsam in Bewegung setzten und die krachenden Bambusscheite kaum oder gar nicht abwehrten.

Unter den Fortgeprügelten befand sich auch der Joghi aus Tibet mit seiner jungen Begleiterin. Er war just die Straße heraufgepilgert und hatte sich, die Tonscherbe aufstellend, unterm Volk niedergelassen. Der Bambusstab fiel, wohl ein wenig ehrfürchtig, von dem sehnigen Afghanesen auf des Joghis Schulter. Er wehrte nicht ab und erhob sich langsam und ohne Unzufriedenheit, ein mittelgroßer unbeträchtlicher Mann mit glattrasiertem Schädel und mehr tatarischen als indischen Zügen. Aber seine Begleiterin stieß einen kleinen Schrei aus und fiel mit bittenden Händen in den Bambus. Sie war nach europäischen Begriffen noch ein Kind.

In diesem Augenblick galoppierte ein anderer Rickshaw vorbei. In ihm saß ein großer Mann mit Khakihelm und Botanisiertrommel, ein stadtbekannter amerikanischer Forscher. Er hielt bei dem Joghi und seinem Mädchen. Aus Achtung vor dem Amerikaner stoppte der Polizist sein Handeln. Die Lady des Konsuls lächelte mokant. Der Botaniker sprach gute Worte zu den beiden Tibetanern. Da erhob sich der Joghi, er schwoll förmlich über seine sonstige Größe empor, er war nun ein mächtiger muskulöser Mann, voll Adel und Herrentums. Der Lady erschien er plötzlich erschreckend groß und mächtig, wie einen Traum faßte sie den seltsamen Vorgang, der sie in eine krankhafte Stimmung stürzte. Wohl kannte sie diese Übertriebenheit, die infolge des Einflusses der enormen Hitze auf das europäische oder amerikanische Nervensystem manchen Eindrücken in den Tropen ganz unmotiviert anhaftet. Aber das wesentliche dabei ist, daß die gewohnte Kritik aussetzt. Bei der Lady blieb ein Trauma zurück. In ihren frivolen Wünschen umgangen, spitzte sie sich auf das gegen ihren Eigensinn vollzogene Ereignis zu, ihre eigene Besessenheit füllte es aus.

Steward erinnerte sich ähnlicher Dinge von Studien und Reisen, als er in der Zeitung die neueste Geschichte aus dem Prozeß las und kommentierte.


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