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[Erster Teil.]

I.

Jack Slim, als er in die Stadt kam und seine ersten Einführungsbesuche bei den Persönlichkeiten der kultivierten Kreise erledigte, wurde vom Gesandten San Remo empfangen, um seine verschiedenen epochalen Theorien vorzutragen.

Der Gesandte, um diese nachmittäglich arbeitsame Stunde in einen einfachen hellgrauen Sakkoanzug gekleidet, kam ihm scharmant und ohne Förmlichkeiten entgegen, mehr wie ein moderner Geschäftsmann als wie der Erbe einer seit Jahrhunderten verfeinerten bureaukratischen Routine. Die beiden Männer schlugen ihre beobachtungstüchtigen guten Augen fest ineinander. Beide Teile waren von wohlwollender und prüfender Neugier erfüllt. Jack Slims graugrüne kleine Kugeln mit auffallend wenigem Weiß sträubten eine unruhige, aber jetzt erstarrte Buntheit in die braunen Ringe, die ihm der an Wuchs wesentlich geringere San Remo bei der zuvorkommenden Verbeugung näherte. San Remo war von der Eigentümlichkeit dieses Blickes überrascht und beinahe wie erleichtert; ein geübter Menschenkenner in seinem weltumspannenden Wanderberuf als Diplomat, hatte er sich die Physiognomie des berühmten Forschers selbst nach den Bildern in den Journalen anders gedacht. Das war ja die Iris eines jungen schönen Mädchens, die ihn da mit einer beinahe sinnlichen Wärme anhauchte! San Remo war, ohne daß er sich über das eigentümliche Ausmaß dieser Erregung klar war, die ihn unvorbereitet traf, wie er sich hätte gestehen müssen, hätte er Rechenschaft über seinen Eindruck abgelegt, er war davon so verblüfft und beglückt, daß er vor dem höflich darin nicht zurückstehenden Jack Slim seine Verbeugungen wiederholte. Die beiden Herren dienerten sich gegenseitig an, bis sie schulterhoch in zwei bereitstehende Klubfauteuils versunken waren, über deren krokodilledernen Randwülsten schwebend jetzt ihre Köpfe das lockerenergische geistige Spiel fortsetzten.

Schon hatte der Einfluß des chinesischen Taktes sich ausgebreitet und sich Eingang verschafft in die internationalen Umgangsformen.

»Ja China, unser China, unser liebes China, nicht wahr, Mister Slim,« sagte der Gesandte, offenbar im Gefühl, ihre intimste Gemeinsamkeit zu berühren und arglos Verrat übend an der kleinen Prahlerei, die der feingebildete Weltmann gerne mit exotischen Manieren treibt. Jack Slims Blick wurde noch ruhiger und milder, als er die kleine Schwäche des andern erfaßte, etwas das ursprünglich Absicht war, unabsichtlich preisgeben zu können. Der Mann verlor sozusagen trotz seiner rationalen Anlage die Absichten unterwegs. Daraus konnte man schließen, er würde auch Absichten, die für ihn zufällig abgelegt waren, als eigenen Fund behalten und fremder Absicht zugänglich sein.

Aber Jack Slim verschaffte sich außer der körperlichen Wirkung, deren ihn die zutunlichen Blicke des Wirtes versicherten, noch die grausame Überlegenheit, diese Wirkungstatsachen aufzuklären. Erst wenn der Eindruck seiner Persönlichkeit so stark war, daß eine Lektion über Eitelkeit und ein Taktfehler ihm die neugewonnene Neigung nicht verscherzten, konnte er sich auf sie verlassen.

»Well,« antwortete Jack Slim, »ich staune, seit ich vom Osten wieder einmal nach Europa zurück bin, wie sehr man hier Fortschritte in jener Zivilisation gemacht hat, die ja vermutlich doch eines Tages wenigstens in ihren ästhetischen und moralischen Erscheinungen den Welttyp der Vornehmheit und der Vollendung bestimmen wird. Vorläufig ist das europäische Chinesentum noch etwas parvenühaft und es sind vor allem die Snobs, die sich in einer äußerlichen Nachahmung des asiatischen feinen Zeremoniells hervortun. Aber die Psychologie lehrt ja, daß zu den Äußerlichkeiten, zu Gebärden und rhythmischen Handlungen sich nachträglich das Gefühl regeneriert, aus dem sie schöpferisch entsprungen sind; es war das nebenbei gesagt der so oft angestaunte Grund, aus dem ich das Sinnliche und Kultische stets der reinen informellen Reflexion vorgezogen habe. Wenn ich eine Hartgummischeibe rotieren lasse, so sammeln sich an den Kathoden der Elektrisiermaschine elektrische Spannungen, die sich funkend entladen. Und wenn ich umgekehrt den elektrischen Strom über die Kathoden leite, so beginnt sich die Hartgummischeibe zu drehen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß Kleider Leute machen. Wenn der Europäer chinesische Gewohnheiten annimmt, so ist er auf dem besten Wege, das Problem der Weltrasse friedlich zu lösen – freilich nicht zugunsten seiner Konservation. Ein Rhythmus ist, motivisch gesehen, eine Folge aus vorbedingenden Umständen; wer aber einen Rhythmus annimmt, assimiliert sich dessen Voraussetzungen. Daß Sie, Herr Legationsrat, gerade auf China zu sprechen kommen und zwar abrupt, ohne Übergang, läßt darauf schließen, daß Sie über die Aneignung asiatischen Schliffs Genugtuung empfinden …«

Die Augen des Gegenübers wurden stumpf und quollen etwas hervor wie unter einer großen gedanklichen Anstrengung. Slim aber trieb diesen Zustand durch eine weitere Taktlosigkeit, indem er sich verschämt zur ersten bekannte, bis zur Gefahr des Platzens. Er lächelte, verlegen stotternd, als wüßte er, daß darüber besser zu schweigen wäre, er aber sei von einer skrupulösen Wahrheitsliebe besessen, die Dinge bei ihrem schamlosen Namen zu nennen.

»Verzeihen Sie, Sir … verzeihen Sie vielmals, ich weiß wohl, daß ich gerade in diesem Augenblicke mich nichts weniger denn einer asiatischen Höflichkeit befleißige. Aber ich bin so sehr von dem hohen Werte der östlichen Tugenden durchdrungen, daß ich mich oft gereizt fühle, ihre leichte und oberflächliche Anwendung im heutigen Europa zu stören. Ich tue es diesmal, gerade diesmal nicht zufällig. Ich will nicht im Vorhinein als ein umgänglicher und wohlerzogener Mensch erscheinen, um die Wirkung der Aufgabe nicht abzuschwächen, die mich zu Ihnen geführt hat.«

Der Gesandte zog seine Augen wie eine berührte Schnecke zurück, es blieb ein glotziger verständnisloser Ausdruck in ihnen. Es ist möglich, daß er damals die Gedankengänge Slims nicht verstanden hat; er hätte als feinfühliger und scharfsinniger Mann, der er zweifelsohne war, über die Kette zudringlicher Psychologie verletzt sein müssen; möglich, daß er jetzt seine Diplomatennerven in die Gewalt bekam und nun nicht mehr nur äußerlich auswies, wie sehr er in den Geist des Ostens und dessen Haltung, die hinweggleitend und versöhnend ist, eingedrungen war; möglich auch, daß Jack Slims infame Berechnungen gestimmt hatten und der widerspruchsvolle Blick, den eine mädchenhafte unschuldige Iris aus den herben tiefliegenden Stirnhöhlen eines männlichen Forscherkopfes senden kann, über alle Versuchungen hinweg behexend triumphiert hatte: die stumpfe Verwirrung in den braunen Ringen des legationsrätlichen Auges schien nur eine Pause, und sogleich kehrte in sie wieder die komische verliebte Glut zurück, mit der sie auf die befremdende Person des berüchtigten Forschers und Abenteurers gerichtet waren.

»Was ist da weiter Aufgabe, Mister Slim,« sagte San Remo liebenswürdig. »Sie sind gekommen, um mir Ihre Visite zu machen, nun einmal unsere Stadt Ihre ehrenvolle Anwesenheit verzeichnet. Sie wollen mir Ihre neuesten Theorien vorlegen, bin ich recht? Ein Mann wie Sie kann das nicht als Aufgabe, sondern als Herablassung ansehen. Nichts wird für mich interessanter sein, als Ihnen zu lauschen, und wenn ich für Sie etwas tun kann … Ich bitte, meine Höflichkeit ist diesmal ganz unchinesisch, ha ha« – die beiden Köpfe über den Lederrahmen der Fauteuils, deren offene Seiten einander zugewandt die leger gekrümmten Leiber für das übrige Zimmer wegnahmen und diese in eine sozusagen geheime intime Front brachten, aus der nur die Beine mit den wehenden wadenhohen Hosen fahnenflüchtig wurden, tanzten grinsend aufeinander zu – »ich bin diesmal nur ein europäischer Böotier … und was unser China anlangt, ich weiß nicht, ob Sie recht haben, ob es mir nur auf die Zunge kam, weil ich mich als der asiatischen Herzensbildung mächtig legitimieren wollte; es ist nicht ausgeschlossen, daß ich Sie beinahe instinktiv als einen fernorientalischen Repräsentanten empfand und mein Ehrgeiz mir den Streich spielte, vor Ihnen meine Kenntnisse der östlichen Welt ebenso wie meine östliche Erziehung zur Schau zu tragen. Aber ist das nicht auffallend? Warum empfand ich Sie so … sagen wir ›chinesisch‹? Verweilen wir dabei! Im ersten Augenblick erinnerten Sie mich gerader an einen alten chinesischen Freund, der sehr amerikanisiert war … ja, das ist es. Gerade diese Zusammenstellung, die ich an Ihnen antreffe, verwundert mich nun schon die ganze Zeit. Man hatte mich bereits früher, sooft von Ihnen die Rede war, auf Ihre eigentümliche Physiognomie aufmerksam gemacht. Aber trugen Sie früher nicht einen Vollbart? Ich erinnere mich, auf einer Photographie. Vielleicht hat aber nur die Bezeichnung eines Professors der Magie, die Sie auf Ihrer Visitkarte verwenden, in mir die Vorstellung eines dunklen Magierbartes hervorgerufen. Wie? Ja, Sie trugen also doch Vollbart. Übrigens, wenn ich nachdenke … man bezeichnete Sie als einen indianischen Halbbluttypus. Als Sie hier bei der Tür hereinkamen, machten Sie mir einen zwiespältigen Eindruck; Sie konnten der übliche lange sehnige Angelsachse sein, wenn Ihr Teint dazu nicht zu getönt gewesen wäre … Ihre Art, Ihre Kopfbildung, die Bewegungen und die stylische Amerikanerkleidung verkünden Sie von fern als angelsächsischen Weltmann. Aber wenn man Ihr Gesicht sieht, so beginnt der Widerspruch von Neuem. Ihre Nase könnte römisch sein, Ihr Auge, ich kann es nicht anders bezeichnen, ist das ideale fränkische Auge, mit den Augen sind Sie geradezu die reine Inkarnation des Germanentums, dieser taciteisch helle, auffallend kindliche Blick, den man nur bei den nordischen Rassen findet, diese unberührte Harmlosigkeit … aber dann plötzlich diese fremdartige Faltung an den Augen, das Mienenspiel, das Maskenartige in Ihrem Gesichte … Sie. verzeihen wohl. Seien Sie nicht ungehalten, daß ich Sie zum Gegenstand der Schilderung mache, es ist lauterstes Interesse. Ach, ich wollte ja bloß erklären, warum ich gleich auf unser China geriet. Sie sind ganz anders, als ich Sie nach den Berichten erwartet hätte, und anstatt eines amerikanischen Rassesportsmannes mit einem indianischen Bullengesicht sehe ich einen abgeklärten, etwas emanzipierten Orientalen mit den menschenfreundlichsten Augen …«

»Vertrauen Sie dieser Menschenfreundlichkeit nicht, Sir, und hören Sie lieber das Geständnis meiner Aufgabe an,« sagte der Kopf Jack Slims, der ohne eine Muskel zu verändern und nur mit einem stereotypen Lächeln östlicher Menschen auf dem eigentümlich verblühten Munde die Galanterie des warmgewordenen Gesandten hingenommen hatte. Da dieser die Wollust seiner Abhängigkeit ohne Mißtrauen preisgab, konnte man ja in der Behandlung einer solchen Seele noch einen Schritt weitergehen. »Ich bin nämlich gekommen, Sie um Entschuldigung zu bitten.«

»Wo nicht gar,« rief der Gesandte, zu jedem Verzeihnis eines gesellschaftlichen Verstoßes aufs liebenswürdigste bereit, »um Entschuldigung bitten, wofür?«

»Für nichts, das ich schon verbrochen habe; für etwas, das ich Ihnen erst werde antun müssen, für einige kleine Unannehmlichkeiten, die nicht zu verhindern sein werden, wenn das Wichtige durchgeführt werden soll. Erinnern Sie sich im gegebenen Augenblicke daran, daß ich im voraus Ablaß für meine Sünden eskomptiert habe.«

»Oh, ich verstehe, Mister Slim, Sie können sich auf meinen berufsmäßigen Mangel an offizieller Neugierde verlassen; Sie würden mich für dumm halten müssen, wollte ich jetzt fragen, was Sie beabsichtigen. Man gibt sich vor Jack Slim nicht gern eine Blöße. Was immer es sein wird, dear Sir, ich stehe zu Ihrer Verfügung. Aber nun haben Sie den formalen Teil einer selbstgesetzten Aufgabe erfüllt, den von mir erwarteten haben Sie noch nicht erfüllt. Darf ich Sie nach dem letzten Ergebnis Ihrer historischen Forschungen fragen?«

Um dem Gaste die gemütlichsten Umstände zu vermitteln, erhob sich San Remo und tat ungewiß suchend einige Schritte in das klubmäßig eingerichtete Zimmer, bis er sich des genauen Ziels erinnerte und auf eine eiserne hohe Kasse an der Rückwand des Raumes zuging. Warum war er eigentlich aufgestanden? Er vermerkte eine ihm peinliche Verworrenheit im Kopfe; er führte die Hand in der Richtung zum Kopfe, wie man zu tun pflegt, um sich zu besinnen. Er hatte doch soeben eine Absicht gehabt – er blickte auf den Gast, von dem ausgehend er den Anlaß wahrgenommen hatte. Wohl aus Höflichkeit hatte sich Jack Slim gleichfalls in ganzer Größe erhoben. Die beiden Männer standen voreinander und sahen sich, durch die Vergeßlichkeit des Gesandten komisch in ihrer Unterredung unterbrochen, eine Weile in die Augen. Jack Slim bemerkte die Lebemannsfalten und Krähenfüße in dem glatt pergamentenen Napoleonsgesichte mit dem Ansatz zur Fettigkeit an Wangen und Nacken, die zur seßhaft aufgegangenen Statur des kleinen Körpers paßte. San Remo lächelte ein zu seinem Imperatorengesichte kontrastierendes treuherziges Lächeln aus diesen vielen Falten, die von fremden Sonnen und Lüsten stammten. Auch der Blick selbst stammte aus jener flotten Zeit, wo er als junger Elegant das große Leben gekostet haben mochte. Jetzt hatten Ruhe und gleichmäßige verteilte Arbeit seinen Körper zur gestauten Massigkeit aufgetrieben.


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