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XXI.

Ladies und Gentlemen!

Suggestion ist kein Ausnahmefall, sondern das Gesetz menschlichen Allverkehres. Wenn eine Versammlung zusammenströmt, so kristallisiert sie sich um ein Interesse. Das Interesse ist vital. Wer das Vitale erfaßt, verfügt über suggestive Kräfte. Das Vitale ist bei den biologischen Typen verschieden. Es ist bei Geistigen anders als bei Leiblichen. Das Geheimnis der Suggestion ist Konzentration. Es gibt keine gewaltsame mechanische Übertragung von Wille oder Gedanke. Voraussetzung jeder Suggestion ist die Willfährigkeit des Objektes. Suggestion ist immer Autosuggestion des – scheinbar – passiven Teiles. Die Spitze des Vorganges liegt in diesem passiven Partner, nur die breite allgemeine Basis im aktiven, der seelischer Kenner sein muß. Er kann durch äußere Umstände die Konzentration des passiven Partners herbeiführen, durch Farbe, Rhythmus, Ton, Raumverteilung. Alle Kunst und ordinärere Sensation bedient sich dieser Tatsachen. Besonders schwierige Experimente lassen sich nur mit einem in der Konzentration vorgeschrittenen Publikum lösen. Nitra wird Ihnen die bemerkenswertesten Phänomene der indischen Verführungskunst vorführen. Es ist keine Gewähr für Wirkung vorhanden, so wenig wie eine bestimmte Kunstgattung oder ein Stil auf jeden Menschen wirken muß.

Die Aufgabe bleibt, den Anschluß übersphärischer Tatsachen an unsere rationale Sphäre, die ein Phantoplasma für sich ist, zu finden. Die mechanische Erklärung ist falsch, die da voraussetzt, Gehirn oder Seele wirke antennenhaft auf Hirn und Seele. Diese Wirkungen bleiben rein im Bereich der uns mitgegebenen Sinnesorgane. Aber ein auf diese Weise vermittelter Inhalt, Bild, Wort oder Geschmack, wirkt im Partner bei entsprechender Konzentration rekonstruktiv. Jede personale Existenz ist der Ausläufer des entfächerten, lamellenartig sprießendem identischen Weltzentrums. Geologen, Propheten, Dichter verinnigen sich auf die letzte Gemeinsamkeit des Bewußtseins. Die Menschen sind sozusagen Zweige eines Stammbaumes. Im tiefsten Bewußtsein kehren sie auf den Urzustand zurück. Der Urzustand ist nicht eine historische Stufe, sondern eine konkave Gipfelform des täglichen Bewußtseins. Die auseinanderprojizierte Welt liegt für das normale Tagesbewußtsein auf den Schirmen von Zeit und Raum. Bei Verengerung des Bewußtseins durch Selbstversenken ist jener Schnittpunkt erreichbar, wo räumlich und zeitlich die Einzelheiten in einem immateriellen Punkt Summe sind, die einheitlich ungemessen zu Bewußtsein genommen werden kann. Darauf beruhen die berühmten Auskünfte der jetzt modern gewordenen Graphologie. Die allen Motiven zugrunde liegende Kraft, die Gehirnwulst, Körperkontur und Schriftzeichen bildet, ist sinnfällig, einmalig-symbolisch ergreifbar. Die prophetische Begabung ebenso wie die dichterische und die eines besonderen erkennenden Scharfsinnes sind also introspektive beziehungsweise retrospektive Anlagen in einem nicht historischen Sinn. Alles ist zugleich da, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und zwar nicht fatal, als Präformation, sondern als Identität des Vitalen, des Urphänomens, nicht im Duell mit einem Erkennungsfaktor: vielmehr ist der Erkennungsfaktor selbst vital. Das zuständliche Diesseits aller Projektion, also virtuell versammelt im Punkte, ist der aktive Schöpfungswille selbst. Der Fatalismus des Orients allein ist eine falsche Folgerung. Die Philosophie der Zukunft und der verhältnismäßigen Vollendung wird gebildet sein aus der Vereinigung von deutscher und indischer Philosophie, aus Energismus und Fatalismus.

Der Punkt, den ich zur plastischen Schilderung zu Hilfe nehme, ist kein geometrischer Punkt, – er ist nur ein Anhaltspunkt für den Verstand. Wir sind noch schwerfällig. Leichter fassen wir durch Bilder und Symbole. Auch das Rationale ist nur Bild. Die Welt ist eine Verwicklung vom Figürlichen ins Figürlichere wie die chinesische Sprache und Mentalität. Alles Abstrakte ist blasseres Bild, Graphik, Buntheit liegt in der Relation

Lassen Sie mich im Symbol sprechen. Wollen Sie tief steigen, so verlieren Sie sich hinab zur Bewußtseinsöse. Steigen Sie in die Camera obscura. Was Sie leben, ist Projektion. Zwischen den beiden Bildern des Vorgangs und der Bemerkung fließt das Leben dünn, unstofflich dünn, zum zeit- und raumlosen Nichts verdünnt durch den Lichthals der camera obscura. Wollen Sie Weisheit auch des Praktischen, so suchen Sie den absoluten Zustand der indischen Seele auf, jene Bewußtseinsöse zwischen den beiden Weltlichtkegeln des Geschehens und der Reflexion.

Die Zukunft liegt, biologisch gesprochen, in einer derartigen Ausgestaltung und Verfeinerung des Stoffes, daß Denken auch Geschehen sein wird und nichts geschieht, das nicht gedacht wird.

Die Vorahnung dieser hohen biologischen Stufe bilden alle Phänomene der Suggestion, Telepathie, Prophezeiung, des Mesmerismus, siderischen Pendels, der Graphologie, des Spiritismus.

Adepten der aktiven Suggestion müssen von der Betörnis persönlicher Erlesenheit, auf der Variétéakrobaten der Seele bestehen, Abstand nehmen. Suggestion ohne die Kraft des passiven Partners ist unmöglich. In der Liebe ist der Kräftige der Liebende, nicht der Geliebte.

Das tägliche Leben besteht aus allen Graden solcher Wirkung. Die Kriminalistik hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Übertragung einer Absicht auf Medien zu Verbrechen führen kann. Oberflächlich gesehen, kann Alles Alles beeinflussen. Lektüre, Beispiele, Bildeindrücke können ebenso zum Mord wie zum Selbstmord führen. Zur Prophylaxe des organisierten Friedens, der Europa seit drei Jahrzehnten beherrscht, aber heute leider bedroht ist, gehört das Maskieren der Waffe. Nirgendmehr in unserer Zivilisation begegnen Sie offen einer scharfen Waffe. Die Waffe ist unanständig geworden. Die Polizei trägt Knüttel, nicht Säbel. Das kriegerische Äußere ist auf ein Mindestmaß beschränkt, denn die Waffe verführt. Daß Kriege trotzdem möglich sind, beweist nichts gegen die Tüchtigkeit dieser Maßregel. Der Krieg droht erst wieder, seit in einem neuen Kampfmittel, der planmäßigen Unterminierung des zivilisierten Kontinents, eine die Phantasie verlockende Waffe erfunden worden ist. Die Diplomatie tut recht daran, das Mittel, wo es aus Sicherheitsgründen unerläßlich ist, vor der Öffentlichkeit zu kaschieren. Versuche aus irgendwelchem Grunde, es weiteren Kreisen bewußt werden zu lassen, sind unheilvoll und müssen verhindert werden. Der Guerilla der Zukunft, den Jack Slim selbst vorhergesagt hat, wird nicht zwischen Staaten, die bis dahin befriedet sind, sondern zwischen Staaten und Geheimbünden geführt werden. Dumm werdend an der Genialität dieser Verbrecher, mag der Staat zu gewalttätigen anachronistischen Mitteln greifen. Nur durch einen Höchstaufwand an Logik aber wird die menschliche Gesellschaft diesen Destruktoren widerstehen, die mit einer Leidenschaft sondergleichen arbeiten werden. Die modernen Anarchisten sind pflanzenfressende Nazarener, an den Dämonen dieser Leidenschaftlichkeit gemessen. Die erste mechanische Waffe, die gegen sie angewendet wird, muß technische Katastrophen an Erfindergeist hervorrufen. Kriminalisten, die für die Erhaltung der Ordnung vorzusorgen haben, werden mit der seelischen Entwicklung ihres Wildes gleichen Schritt halten und sie immer um einen Grad übertreffen müssen.

Zur Höherbildung der Gesellschaft ist eine Desuggestion von der Waffe notwendig.

Die Kriminalistik muß auf die höchste Stufe gebracht, zur akademischen Fakultät erhoben und mit den geistig und körperlich begabtesten Individuen bestückt werden. Ich verlange eine vorgreifende Aufzucht des kriminalistischen Typus.

Zur Disziplin des idealen Kriminalisten gehört die genaue Kenntnis aller denkbaren menschlichen Gedanken. In Dostojewkys Raskolnikow haben wir den Urvater der philosophischen Verbrecher zu sehen, von dem jene geheime Rasse von eigentlichen, sozial bisher undefinierbaren Menschen stammt, die seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa und Amerika auftritt und mit einer plumpen historischen Etikette Bolschewiken genannt wird. Sie sind das Vorgeschlecht einer geistigen Verbrecherrasse.

Die Mittel zur Bekämpfung dieses Schreckens sind in den psychotechnischen Erscheinungen und Lehren gegeben.


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