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XX.

Der Blick gelang. Steward sah wie durch den dünnen Visierhals einer Camera obscura im Bündel sich die Gestalten drängen und in Beziehungen zu einem Vorgang zerfallen. Er fädelte seine Erinnerungen auf.

Der Saal, in dem Professor Jack Slim seinen Vortrag gehalten hatte, war eine der Souterrain-Lokalitäten des Hotel Mansion. Steward promenierte soeben suchend und den Anschlägen und Fingerzeigen folgend durch den Korridor. Da sprang eine weiße Tür auf. In den Gang trat Jack Slim. Er zog den Schlüssel ab und nahm ihn an sich, Steward blieb, wo er stand, angewurzelt stehen. Ein rotes Loch von der Tür daneben bohrte sich in ihn. Darüber stand: Dunkelkammer. Durch die nächste Tür war Slim eingetreten. Er bewegte sich sicher durch die Gänge. Steward begriff, er hatte hier schon seit Tagen zu tun gehabt, mit der Ausstaffierung des Saales, Vorbereitungen zum Abend. Er mochte diesen Gang mit den klatschweißen Türen öfters passiert haben. Als Steward ihm folgte und in den Saal tauchte, berechnete er, daß Arbeit geleistet worden war. Der Saal lag in rotem Lichte. Die Beleuchtungskörper waren mit Gaze und Seide umflort. Die zwei grünen Birnen über den Notausgängen brannten beinahe schwarz in diese abgeschiedene Kirchenstimmung. Die starke Farbenkonzentration übte sofort ihre Wirkung auf die Gäste. Das fashionable Publikum der oberirdischen Räume füllte die Intervalle der Sitzreihen halb voll, wie mit Noten auf einem Notenblatte. Der Raum war wohl absichtlich zu diesem Effekte gewählt worden. Slim war ein guter Manager und Regisseur; er verstand sich darauf, anzulocken. Binnen zehn Minuten kamen die eleganten Damen und Herren in Soiréetoilette mit dem Lift talab geschleust, in Klumpen, bei den Garderoben laut konversierend, verstopften sie die Tür, staken dort überraschte Augenblicke lang und fielen sofort in ein gedämpftes und getragenes Gehaben. Die Ausrufe, die sie in ihren Briefboxen, auf den Sitzen ihrer Automobile, auf ihrem gleißend gedeckten Tisch oben im Restaurant gefunden hatten, zupften sie an den Schößen, gedankenlos wurden sie von den gedruckten Papieren an der Hand genommen und, als ob es nicht anders möglich wäre, auf die Treppen, die Galerien, in die Liftschächte des Hotel Mansion gezogen. Hier begann ja schon das Suggestions-Experiment. Ein Mann erscheint in einer Stadt und magnetisiert die gute Gesellschaft, sie stellt sich ihm. Es war eine jener Verabredungen, deren Entstehen niemand kennt, die einen Mann über Nacht berühmt machen, ganz unabhängig von dem wirklichen Wert seiner Tat oder Leistung, aufbrechend aus einem Gesetz, das Politiker, Verleger und Journalisten zu fassen bemüht sind. Der Saal also rauschte in der kürzesten Zeit von allen Seiten her zusammen, und obwohl er keine sonderlichen Veränderungen zu seiner kahlen Vierlokal-Natur aufwies, genügte der Einfall mit dem roten Licht, um ihm eine stramme innere Achse zu geben, an der sich Jeder willig aufreihte.

Als das Gong ertönte, ebbte das Brodeln aus der roten Materie ab. Da durchzog plötzlich eine Welle den Raum. Die Menschen spürten sie in der Höhe der Lenden. Ein kleiner Regen von lieblichen elektrischen Schlägen; sie brachen an einem Punkt in die Nerven ein, spinterten wie Sankt Elmsfeuer um die Zeichnung des einzelnen Körpers, griffen wie eine kleine süße Tatze bohrend in das Zwerchfell, in die Brust, in das Gehirn und streckten sich im Ohr als eine Tonfülle aus. Alles war hypnotisiert. Was war das? Solch üppiger Schmelz war unerhört, eine versenkende Sensation. Langsam kamen die Schnellen und Schlauen darauf, daß es drei in Akkord gebrachte Harfen waren, deren Klänge aus der durch den roten Vorhang abgesägten Saalecke hervorgondelten. Die Erkenntnis dieses Reizes war befriedigend. Eine kleine Bewegung: die Körper sanken von Haltung in Hingabe hinüber. Slim hatte sein Spiel begonnen und schon halb gewonnen.

Steward lag seitwärts an der Wand in einem Fauteuil. Die Harfen spielten einen Choral. Von der Bewegung der hingerissenen Menschen stieg ein Dunst empor aus Hautgeruch und Parfüm. Einen anstößigen Quertrieb, ungeistig, materiell, erhielt er durch den faden Geschmack, der ihn von durchnäßtem Tuch durchschoß. Die Harfen erklangen tröpfelnd. Steward fühlte sich der Farbe unterliegen. Scharf erinnerte er sich an den purpurnen Schattendruck der Dunkelkammer. Abgetäubt lag auch dieser Saal.

Hinter einem Pult im Halboval eines Hintergrundes aus gefaltetem weißen Schleier, den das Licht rot durchbrämte, entstand Jack Slim. Er entstand. Er löste sich aus einer Falte in Materie los. Der Vortrag begann. Slims Stimme hielt die Note und Klangfarbe des letzten Harfentons, mit dessen Schwinden er erschienen war. Manchmal klang in seine sonore Sprache ein saitenes Schwingen, von dem man nicht wissen konnte, ob es zur Regie gehörte oder von einer zufälligen Bewegung des Harfenspielers herrührte. Es klang rapsodisch begleitend.

Zur Poesie des Mittels im Gegensatz stand der Inhalt dessen, was Slim sagte. Er führte das Geheimnis auf die rationalsten Erklärungen zurück. In seiner Ableitung war nur ein mystischer Punkt; wenn er auf die Selbstversenkung zu sprechen kam. Er sprach englisch, für die große Gesellschaft.


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