Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Und wieder war der Frühling gekommen, wieder hatte der Mai das Eis geschmolzen, wieder kleidete er mit wunderbarer Schnelle diesen Norden in seine grünen lieblichen Gewänder, schmückte seine Felsenstirnen mit jungen Reisern, seinen düsteren Leib mit frischen Blüthen. Und nicht mehr rollte der Donner der Kanonen über die Meereswellen, nur im hohen Norden kamen noch einzelne Kriegsscenen vor, doch wurde nicht mehr um Finnland gestritten, sondern was die Russen weiter diesseits des bottnischen Meerbusens vom altschwedischen Lande Westerbotten behalten sollten. In Stockholm hörte man wenig mehr davon. Der Reichstag hatte begonnen und aller Streit drängte sich darin zusammen, ob der Sohn des abgesetzten Königs Erbe des Reichs sein sollte oder die ganze Königsfamilie in Verbannung wandern müsse. Für den Kronprinzen regte sich eine starke Partei und eines ihrer Häupter war Adlercreutz, der Held der Verschwörung vom 13. März; ihm entgegen aber stand ein noch mächtigerer Bund von Offizieren und Reichstagsherren von Adel, deren Haupt, Jöran Adlersparre, Stockholm an der Spitze seiner Soldaten bewachte.

815 Während dieser Zeit hatten Otho Waimon und Erich Randal in Zurückgezogenheit gelebt. Es war ein Glück zu nennen, daß der Feldmarschall Toll Wort gehalten und gleich darauf, als er von den Alandinseln nach Schonen zurückgekehrt, Ebba's Erbtheil in Ordnung gebracht und in Stockholm niedergelegt hatte, da in der Verwirrung, welche bald darauf ausbrach, ihm dies schwerlich möglich gewesen wäre. Was Erich Randal betraf, so erlangte er bald die Gewißheit, daß alle seine Habe auf immer verloren sei. Die Briefe wurden ihm ausgehändigt, in welchen Halset seiner Tochter ankündigte, daß er sich von ihr lossage und sie enterbe. Eingezogene Nachrichten bestätigten, daß Arwed Bungen sich im Besitz von Halljala befinde, welches die russische Regierung ihm zugesprochen, als nächsten Verwandten des hochverrätherischen letzten Besitzers und wegen besonderer Verdienste und deren Belohnung. Nichts war dem jungen Paare geblieben, als Mary's kleines Vermögen, doch fürchteten sie nicht die ungewisse Zukunft. Immer blieb es genug zu einem Anfange und alle schienen entschlossen, diesen zu beginnen, wo er sich günstig zeige. Manche Hoffnungen regten sich dabei, daß eine neue bessere Zukunft kommen müsse, eine Zeit der Entwicklungen neuer Kräfte, des Aufschwungs zu neuer freier Bewegung, vor welcher die alten versteinten Einrichtungen des schwedischen Staates, die Privilegien und Vorurtheile der Klassen und Stände, deren es so viele gab, zu Boden fallen müßten. Eine neue Verfassung war im Werke. Es gab auf dem Reichstage feurige Geister, die von gleicher gesetzlicher Freiheit, von gleichen Rechten und Lasten, von einer Erhebung des gesammten Volks auf dem Boden der Freiheit sprachen. Der Schutt der Vergangenheit sollte fortgeräumt werden, die vier verschiedenen Häuser des Adels, der Priester, der Bürger und Bauern sollten in einem Hause von Abgeordneten sich vereinigen, die das Volk wählt, und alle die Einrichtungen wurden lebhaft angeregt und in Clubbs und Gesellschaften verhandelt, welche die französische Revolution ins Leben gerufen hatte.

Otho Waimon war von solchen Hoffnungen besonders angefüllt, denn sie stimmten mit dem zu sehr überein, was er von Jugend auf gedacht und ersehnt, wofür sein Vater gelebt und was seine Mutter ihn gelehrt, um nicht daran zu glauben. Er sah sein Vaterland zu 816 einer russischen Provinz werden, doch was konnte die Wiedergeburt und Befreiung Finnlands besser sichern, als wenn das Mutterland Schweden einer edlen Auferstehung entgegen ging. Wenn Schweden aufblühte in junger Freiheit, wenn es alle seine Bürger frei und rechtsgleich machte, wenn es mit neuen, guten Gesetzen die veralteten, verrotteten ersetzte; wenn Ackerbau, Handel und Gewerbe in dieser Freiheit sich entwickelten, alle menschliche Thätigkeit vom alten Zwang erlöst wurde und in diesem harten Norden neue, nie geahnte Lebenstriebe aufkeimten, dann war auch Finnlands Wiedereroberung gewiß. Die erste günstige Gelegenheit mußte es von den russischen Fesseln erlösen. Erich Randal unterstützte diese Schwärmereien nicht. Seinem kälteren Blicke war es deutlich genug, wie wenig von allen diesen Träumen wahr werden würde. Er sah die Enttäuschungen kommen, die seinen armen Freund treffen mußten; allein er ließ es bei ruhigen Warnungen bewenden, die Jenen darauf vorbereiten sollten, ohne ihm streitend zu widerlegen, was er doch nicht zugegeben hätte. Otho besuchte die Clubbs und Casinos der Offiziere, des Adels und anderer Kreise, er besuchte auch öfter seine beiden vornehmen Freunde Adlercreutz und Adlersparre, welche ihm noch immer wohl wollten und mancherlei Vorschläge für seinen Wiedereintritt in's Heer machten, die er nicht annahm, da sie mit seinen Neigungen nicht übereinstimmten. Als jedoch die Zwistigkeiten zwischen diesen beiden Parteihäuptern immer größer und feindlicher wurden, zog er sich von Beiden mehr zurück, um nicht als Anhänger des Einen, oder als Zeichenträger des Andern zu gelten. Die beiden Revolutionsmacher hatten ihrerseits mehr zu thun, als sich viel um einen so gering wiegenden unzufriedenen Mann zu kümmern, wie dieser war. Sie wurden von den bedeutendsten Personen des Reichstags und des Reichs gesucht, wurden mit Ämtern, Orden und Ehren überhäuft; denn Adlercreutz ward erster Generaladjutant des Reichsverwesers, der bald als König gesalbt und gekrönt werden sollte, und Adlersparre ebenso schnell General und Freiherr. Beiden votirte der Reichstag den Dank des Vaterlandes, Beiden wurden Naturalgüter als Nationalbelohnung zu Theil, was Wunder also, daß sie in dem Gewühl des politischen Kampfes, der Parteiungen, der Hoffeste und ihrer ehrgeizigen Entwürfe den 817 armen Finnen vergaßen, der sich nicht mehr in ihren Vorzimmern blicken ließ.

Eines Tages kam Otho besonders freudig nach Haus und brachte Nachrichten mit, die ihm den Kopf berauschten. Der Graf de la Gardie hatte im Adelshause den Antrag gestellt, alle Standesprivilegien aufzuheben, eine allgemeine Grundsteuer einzuführen und eine allgemeine Volksvertretung einzusetzen. Mehrere andere Barone und Grafen hatten ihn unterstützt. Es war ein Comite ernannt worden und die jungen Herren in den Clubbs und Casinos befanden sich in großer Aufregung.

Du hast bis jetzt verzögert, deinen Platz im Ritterhause einzunehmen, rief er Erich umarmend aus, jetzt ist es Zeit, jetzt mußt du es thun. Der elende Regierungsentwurf, der alle die alten Vorrechte wieder erneut, wird verworfen werden, die tüchtigsten und besten Männer werden sich dazu vereinigen und die Stimme des Volkes wird sie unterstützen. Du mußt ins Ritterhaus, du mußt dabei helfen, Erich!

Mein lieber Otho, erwiederte Erich Randal in seiner sanften und festen Weise, ich werde nicht dabei sein, weil meine Gegenwart dem Guten nichts nützen würde.

Wie kannst du das behaupten! rief Otho zürnend.

Ist denn diese Versammlung im Stande, ein Land und ein Volk mit neuem Geiste zu beleben? fuhr Erich fort. Sind es nicht dieselben Elemente der Vergangenheit, dieselben Privilegirten mit demselben Ehrgeiz, denselben Verurtheilten, denselben Leidenschaften und derselben Gier, das Verlorene wieder zu erobern? Glaubst du denn, daß diese Revolution edle Beweggründe hätte? Waren die Männer, welche sie gemacht und ausgeführt haben, von Ideen begeistert und ist dies Volk eines, das so weit entwickelt ist, um davon begeistert zu werden?

Ehe Otho antworten konnte, pochte Jemand an der Thür und ein langer schmaler Mann trat herein. Ein schmaler spitzer Kopf mit kleinen Augen, die äußerst listig blitzten, nickte und grinste ihnen zu.

Feldwebel Roth! riefen die beiden Männer zugleich und die Frauen eilten herbei; der Feldwebel wurde mit herzlichen Grüßen und Worten empfangen. Unverändert zeigte er auch jetzt dasselbe blasse, faltige Gesicht, kein Zug 818 anders. Die schattenähnliche Gestalt, die dem tapferen Spuf so viel Anlaß zum Spott gegeben, stand ganz wie sie gewesen, vor den Freunden, aber in dem zerrissenen und vielgeflickten Rocke schien dieser ausgedörrte Körper doch überflüssigen Raum zu haben. Immer hatte Feldwebel Roth auf seinen Anzug gehalten, selbst mitten in der finnischen Wildniß und den Schrecken des Krieges, jetzt aber sah er entsetzlich schäbig und heruntergekommen aus.

Wo kommen Sie her? fragte Otho.

Ja so! antwortete Roth, wo ich her komme. Ich denke geraden Weges von Umäa und von den Ufern des Skellefte, meine lieben Herrn und Damen. Es ist das keine ganz angenehme Reise durch Wälder und Sümpfe, Eis und Nebel gewesen, fuhr, er fort, indem er die Hand an sein spitzes Kinn legte und seltsamlich grinste. Am 15. Mai lag der bottnische Golf noch tief unter Eis und grausame Kälte, wildes Wetter bedeckte Land und See. Seit der Capitulation bei Kalix, am 25. März, ging es uns nicht gut, Herr Otho. Man hat diese Capitulation eine schändliche Verrätherei genannt, ähnlich der von Sweaborg, und ich will nicht behaupten, daß es etwas Besseres war. Oberst Palmfeld machte das Stückchen dem Oberst Jägerhorn nach und General Griepenberg unterschrieb, wie der Admiral unterschrieben hatte. Achttausend Schweden und Finnen streckten das Gewehr vor kaum dreitausend Russen.

Wir haben genug von dieser Schandthat gehört! sagte Otho düster blickend. Die Finnen wurden von den Russen nach Finnland transportirt.

Viertausend Finnen! Die armen Burschen, die nichts fürchteten, weder die Russen noch den grausigen Winter, die in Lumpen und ohne Schuhe über Eis und Schnee liefen und gefochten hatten, wie's Korporal Spuf nicht besser gekonnt hätte, sie weinten in ihre rauhen Bärte, als sie die Waffen zusammenstellen mußten, und der alte Oberst Eck sagte: Lebt wohl, meine braven Jungen. Kehrt zurück in eure blutbespritzten Hütten. Gott sei mit euch, vergeßt das schwedische Vaterland nicht!

Und Sie, Feldwebel Roth? fragte Otho sehr bewegt.

819 Ja so! ich. Nun, ich machte es, wie manche Andere. Ich lief in die eisige Wüste hinein, denn vor dem Gefangenwerden habe ich immer eine so schreckliche Furcht gehabt, daß ich jedesmal lieber davon lief. Ich kam auch glücklich zum Corps des Grafen Cronstedt, aber ich sagte es schon, Herr Waimon, es ging uns schlecht, und ging durchaus nicht länger. Die Besten lagen todt, wie der arme Spuf, und ich habe ihn bisweilen beneidet, da er nichts mehr nöthig hatte für seinen immer begehrlichen Magen, allein es half doch nichts; dieweil man lebt, muß man munter sein und für sich sorgen. Und als wir umzingelt waren am Skellefte, siebentausend Russen über uns herfielen und wiederum eine Capitulation unterzeichnet wurde, sorgte ich für mich, und bin hier angekommen. Es kamen so einige russische Offiziere zu mir und sprachen allerlei, daß ihr Kaiser die Sorge für mich übernehmen würde, wenn ich in seine Dienste treten wollte, aber, ich hatte es einmal in den Beinen. Wenn ich diese langen Beine nicht hätte, Herr Otho, wäre sicher noch etwas aus mir geworden!

Das Vaterland, Schweden, wird für Sie sorgen, Feldwebel Roth, fiel Otho ein. Sie haben ihm größere Dienste geleistet, als mancher General.

Ja so! das Vaterland! sagte Roth in seiner Weise grinsend. Ich bin jetzt seit mehreren Tagen hier, habe erst jetzt erfahren, daß Sie auch in Stockholm sind. Nun ging ich zu einigen der vornehmen Herren, meldete mich da und da, aber die Herren Revolutionsmacher, wie wir im Norden sie nannten, haben zu viel zu thun; vom Feldwebel Roth hatten wohl die Meisten auch nichts gehört. Einige riethen mir nach Finnland zu gehen, denn das Land sei doch für Schweden verloren. Ein bissel krank und elend bin ich auch, in ein Regiment eintreten könnt' ich sobald nicht. Sie wollten mich auch nicht haben und ein Paar gute Seelen drückten mir eine vorläufige Nationalbelohnung in die Hand. Christ und Herr! was ist es gut, Herr Otho, daß der arme Spuf nicht hier ist und bei seinem Hunger auf eine Nationalbelohnung wartet!

Sie werden die, welche für sie bluteten, jetzt zum Lohn auf den Bettel schicken, wie es immer geschieht, rief Otho heftig aus. Davor aber wollen wir Sie bewahren. Bleiben Sie bei uns, Roth. Theilen 820 Sie mit Ihren Freunden deren Brod. Theilen Sie deren Schicksal, wie es auch kommen möge.

Ja so! rief der Feldwebel, und es war, als ob seine Augen trüber würden, aber es ging vorüber, und seine Laune erholte sich. Ich nehm's an, Herr Waimon, und wenn's jemals wieder so kommen sollte, wie damals, wo wir zusammen nach Ecknäs fuhren – es fehlte uns nicht an Speise und Trank und Lustigkeit, und der arme Spuf machte es zum Besten – so theile ich auch wieder mit Ihnen. Gott helf uns Alle, Herr Waimon, daß wir wieder froh sein können und ein Ende haben, wie Major Munk.

Munk! riefen sie Alle, wie mit einer Stimme.

In meinem Arm ist er so sanft gestorben und so freudig, wie ein Held, sagte Roth. Es war das letztemal, da wir die Russen bei Idensalmi schlugen, und da lag der alte Major, schrie: Sieg! Sieg! Es lebe Schweden! und wie ich ihn aufhob, sah er aus, wie ein junger Bräutigam, rief: Sieg! Sieg! und war todt.

Die Thränen flossen aus allen Augen, es war feierlich still. Viele Worte der Liebe und der tiefen Rührung folgten aber dann dem Andenken des tapferen Invaliden nach, von dem Roth Alles erzählte, was er wußte. Gott war mit ihm! sagte er endlich, denn er nahm ihn fort in unserer letzten frohen Stunde. Von da ab ging das Unglück los. Schlag auf Schlag kam's Elend aller Art und Hunger dazu. Und es ist eine richtige Wahrheit, meine lieben Herren und Damen, daß auch der allermäßigste Mann von dieser Zeit an niemals wieder satt wurde.

Seine Anspielungen auf Speise und Trank wurden verstanden. Die Frauen führten den verhungerten Feldwebel in ihre Küche und bald war er reichlich versorgt, getränkt und gekleidet, so daß er als ein anderes Wesen wieder zum Vorschein kann.

Während dessen aber hatte Otho einen anderen Besuch erhalten, und es war ein entscheidender Tag für die Schicksale dieser finnischen Flüchtlinge geworden, wie sie es nicht geahnet hatten.

Nach einer Stunde saß auf derselben Stelle, wo der Feldwebel gesessen hatte, der erste Generaladjutant des Reichsverwesers, General Adlercreutz und ihm gegenüber hatte eine andere wichtige Person Platz genommen, General Adlersparre, der Chef der Revolutionsarmee. Der 821 riesenhafte General blickte mit überlegener Kälte auf seinen lebhaften Gegner, der sichtlich bestürzt, verdüstert und erhitzt aussah. Otho und Erich mit ihren Frauen waren die schweigsamen Zuhörer der Unterredung, welche zwischen den beiden Häuptern der Revolution statt fand.

Es ist mir lieb, General Adlercreutz, sagte Jöran Adlersparre, daß ich hier unverhofft die Ehre habe, mit Ihnen zusammen zu treffen.

Ich theile diese Freude, General, erwiederte Adlercreutz, um so mehr, da ich vielleicht auf längere Zeit dieselbe entbehren werde.

Über Adlersparre's markiges Gesicht lief das eigenthümliche Lächeln, das von seinen Augen ausging. Nun, sagte er, ich bin hier, wie wenig man mich auch gern sehen mag, und alles Mögliche gethan hat, mich von Stockholm entfernt zu halten.

Es war bekannt genug, daß Adlercreutz, nachdem der König gefangen, ganz besonders darauf drang, daß die empörte Westarmee und ihr Anführer Halt machen und umkehren sollten, weil ein Militärdespotismus zu besorgen sei. Adlersparre kehrte sich aber nicht daran. Er zog mit seinen Soldaten ein, und war allerdings damit eine mächtigere Person geworden als Adlercreutz und die Männer der Palastrevolution.

Ich will nicht glauben, daß es wahr sein könnte, was man sich erzählt, fuhr Jöran Adlersparre fort, daß General Adlercreutz so unzufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse in Schweden sein soll, daß er die Absicht habe, sein Vaterland zu verlassen.

Es gehört nicht viel dazu, um soweit zu kommen! antwortete Adlercreutz, indem sein edles Gesicht sich dunkler röthete. Sie haben es dahin gebracht, General, daß unsere gerechtfertigte That gegen einen völlig unfähigen König sich umwandelt in einen Act himmelschreiender Gewalt. Sie verbannen nicht allein den Schuldigen, auch sein unschuldiger Sohn und alle seine Nachkommen werden verbannt und ihrer Rechte beraubt.

Ja, antwortete Adlersparre kalt, Sie müssen Alle fort, es darf Keiner übrig bleiben, der an uns und an Schweden einmal zum Büttel würde, um seinen Vater zu rächen. Der Reichstag hat dem Gefangenen in Gripsholm den Gehorsam aufgekündigt und seine 822 Absetzung ausgesprochen, er wird auch den Kronprinzen und alle Andern ihm nachschicken.

Weil Sie schon einen anderen Kronprinzen in Bereitschaft haben.

Sehr wahr! antwortete Adlersparre mit seinem leuchtenden, hohnvollen Lächeln. Man sagt von mir, ich hätte den neuen König in der Tasche gehabt, als ich von Karlstad aufbrach; gewisser ist es, daß ich den neuen Kronprinzen mitbrachte.

Noch hoffe ich! rief General Adlercreutz lebhaft aus, daß der Herzog sich nicht dazu bewegen läßt, selbst um einer Krone Glanz auf seinem grauen Kopf, seinen eigenen Neffen, seinen eigenen Stamm erblos zu machen. Er, der so oft geschworen hat, diese Kinder als seine Kinder zu betrachten, wird nicht darin willigen, sie zu enterben.

Er wird darin willigen, erwiederte Adlersparre. Er hat schon eingewilligt. Die Krone könnte sonst leicht weder auf seinen Kopf, noch auf einen andern aus seinem Blute gelangen und Herzog Karl von Südermannland ist ein klügerer Herr, als diejenigen, welche einen Stein hartnäckig über Wasser halten wollen.

Ein höhnisches Zucken lief durch sein eisenhartes Gesicht. Jeder sollte bedenken, daß dieser Stein ihn zermalmen kann, fuhr er fort, wenn man ihn nicht zerklopft, da man den Hammer in der Hand hat. Glauben Sie denn, daß dieser junge Prinz jemals vergessen könnte, was hier geschah? Glauben Sie nicht, daß wenn er als Kronprinz hier bleibt, sich bald eine Partei um ihn sammeln wird? Und ist diese Partei nicht schon da? Gibt es nicht Leute, wie die Grafen Gardie, Armfeld, Ruth und manche Andere, die sich um dies königliche Kind schaaren und von ihm wie von einem Heiligen sprechen? Sollen wir uns die Contrerevolution mit ihren Galgen an den Hals binden und warten, bis sie die Schlingen daran knüpft? Wer kann alsdann gewiß sein, daß, was er auch thun möge, die Schlinge für ihn nicht fehlen wird! Und ist diese Partei der Getreuen, wie sie sich nennt, nicht schon mit ihren pfiffigen Anschlägen bereit, um uns das Volk auf den Hals zu hetzen. Schreien diese Königsmänner nicht nach einer freien Verfassung, nach Aufhebung aller Privilegien, aller Standesrechte, und wollen mit solchem Köder uns entzweien, verwirren und ins Verderben stürzen.

823 Sie werden schon dafür sorgen, General, daß alle die alten, vermoderten Satzungen und Einrichtungen bleiben, wie sie sind, antwortete Adlercreutz, erbittert grollend.

Ja, dafür werde ich sorgen, versetzte Adlersparre. Der Adel hat diese Revolution gemacht, um seine Privilegien zurück zu erobern, es wäre Unsinn, wollte man sie ihm nehmen. Jeder Stand soll haben, was sein war, und jeder soll es behalten. Zum Teufel! mit allen Freiheitstheorien, wir wollen uns die Köpfe nicht daran zerbrechen. Was ist das Volk hier? Ein roher, wüster Haufen. Der Adel hat Schweden Jahrhunderte lang regiert, es müssen andere Zeiten und andere Menschen kommen, wenn dies nicht mehr so sein soll. Für jetzt bleibt Alles wie es war und ist. Karl der Dreizehnte wird König werden und Christian August, Prinz von Holstein-Augustenburg, Kronprinz. Das ist ein Kronprinz, wie ihn Schweden braucht. Beide werden die Verfassung beschwören, wie sie der Reichstag macht. Nichts Anderes.

Denn dies ist Jöran Adlersparre's Wille! rief der General, indem er aufstand.

Ja, das ist mein Wille und der Wille der großen Majorität des Reichstags. Daher wird es auch der Wille unseres neuen Königs sein, der immer weiß, was recht und was klug ist.

Adlercreutz unterdrückte einen Seufzer und blieb nachsinnend stehen. Ich bin hierher gekommen, sagte er nach einer schweigenden Minute, um mit Ihnen, mein lieber Waimon, zu sprechen. In Frederiksham werden die Friedensunterhandlungen mit Rußland eröffnet; wahrscheinlich bin ich dazu bestimmt, daran Theil zu nehmen.

Allein Sie werden es, wie ich vermuthe, ausschlagen, fiel Adlersparre ein, und als der Generaladjutant ihn fragend anblickte, fuhr er fort: Aus alter Freundschaft rathe ich es Ihnen, Stockholm nicht zu verlassen. Diese Friedensunterhandlungen werden peinlich sein und was dabei herauskommt wird man einen schimpflichen Frieden nennen, obwohl die schwersten Opfer gebracht werden müssen, weil es nicht anders geht.

Noch kann sich Manches ändern, sagte Adlercreutz vor sich hin.

824 Nichts kann, nichts wird sich ändern. Unsere letzte Hoffnung war der Beistand Napoleons, sein mächtiges, entscheidendes Wort zu unserer Hilfe gegen Rußland. Heute früh ist der Oberst Rosen von Stuttgart zurückgekehrt, wo er den Kaiser der Franzosen getroffen hat; aber wie ist er aufgenommen worden! Napoleon hat ihn kaum angehört, die Stirn gerunzelt, ist auf und abgegangen und hat dann gesagt: Ihr seid ein sonderbares Volk. Zuweilen seid ihr tapfer wie die Tapfersten, doch plötzlich fällt es euch ein, des Krieges müde zu werden, und ihr geht nach Haus und entthront oder ermordet dafür eure Könige. Ich wünsche dem Herrn Reichsverweser Glück, weiter kann ich nichts thun. Will er Frieden machen, so hat er sich allein mit dem Kaiser Alexander zu verständigen.

So sind alle Aussichten auf französische Hilfe vorbei! rief Adlercreutz betroffen.

Die Franzosen des Nordens haben nichts von ihren lieben Herren Brüdern in Paris zu erwarten, erwiederte der General kalt spottend, daher müssen wir den Russen geben, was sie haben wollen.

So ist Finnland verloren! murmelte Adlercreutz.

Und die Alandinseln sind es auch.

Nimmermehr! Die Alandinseln nehmen wir wieder, sobald der Sommer da ist. Sie sind die Brücke, um Finnland einst zurückzuerobern.

Das weiß Alexander so gut wie wir, sagte Adlersparre. Graf Alopäus ist hier angekommen, in aller Stille. Er bringt den festen Entschluß seines Kaisers, keinen Frieden zu schließen, der ihm nicht die Alandinseln überläßt. Für diesen Preis willigt er darin – daß der ganze Stamm der Holsteiner ausgetrieben wird.

Und für einen solchen Preis sind die Alandinseln feil! rief Adlercreutz voll Zorn und Schmerz.

Der General machte ein bejahendes Zeichen ohne einen Zug in seinem harten Gesichte zu ändern. Man hat Ihnen das Alles noch verschwiegen, sagte er, allein Sie werden heut noch mehr davon erfahren. Wir müssen uns fügen, warten und handeln, wie es Staatsmännern geziemt. Aber Niemand kann uns zwingen, unter eine solche Friedensacte unseren Namen zu setzen.

825 Ich habe Zeit zu überlegen, murmelte Adlercreutz. Ich kam zu Ihnen, Waimon, um Sie aufzufordern, wieder mein Adjutant zu sein, und bin versichert, daß der Herzog Ihnen eine militärische Rangerhöhung bewilligen wird.

Ich danke Ihnen, mein General, erwiederte Otho mit Entschiedenheit, allein ich werde niemals mehr Soldat sein.

Adlercreutz reichte ihm mild und betrübt die Hand. So will ich nicht weiter in Sie dringen, sagte er, denn ich weiß, daß es vergebens sein würde, und es ist mir so, als haben Sie Recht, als sei es besser, weit fort in irgend einem Winkel der Welt als freier Mann seinen Kohl zu pflanzen.

Er nahm kurzen, raschen Abschied und ging. Jöran Adlersparre sah ihm mit einem Blick unverkennbarer Geringschätzung nach und sagte dann wie mit sich selbst sprechend: Da geht er hin, ein Mann voll Muth, ein tüchtiger General, ein Mensch von vielen edlen, liebenswürdigen Eigenschaften, dem nur Eines mangelt: Charakterstärke! was er zu viel im Herzen hat, fehlt ihm im Kopfe. Zu viel leichtes Blut, zu wenig fester Sinn, das sind die Fehler unseres Volks. Morgen wird er nach Frederiksham gehen, wenn sie es von ihm verlangen. Er wird sich einbilden das Vaterland ruft ihn und wird sich damit trösten. Niemals wird er in einem Winkel seinen Kohl bauen, wenn es nicht in großer lustiger Gesellschaft geschehen kann. Sie haben Recht gethan, sich nicht mit ihm einzulassen, Herr Waimon. Er würde Sie mitgenommen haben auf den Friedenshandel und Sie hätten ansehen müssen, wie Finnland jämmerlich verschachert wird, nachdem es zehnfach verrathen war. Ich will Ihnen einen anderen Vorschlag machen. Bleiben Sie bei mir. Es wird nicht lange dauern, so wird der König gekrönt und der Kronprinz kommt. Ich habe den Prinzen kennen lernen, habe mit seiner Bewilligung den Zug nach Stockholm angetreten; er weiß, wozu er bestimmt ist. Bleiben Sie bei mir, ich bringe Sie in seine Nähe. Er, selbst ein rascher junger Mann, von großen Fähigkeiten, braucht rasche Männer, die ihm gleichen. Was kommen wird, weiß Gott allein, aber auf diesem Prinzen ruhen große Hoffnungen; vielleicht die dreifache Krone von Schweden, Dänemark und 826 Norwegen, das einige vereinte Skandinavien. Eine glänzende Zukunft kann Ihnen nicht fehlen.

Nein, General Adlersparre, antwortete Otho mit derselben Entschiedenheit. Alles, was ich jetzt von Ihnen gehört habe, ist nicht geeignet meine Hoffnungen zu beleben. Mich lockt keine glänzende Zukunft, keine Fürstengunst. Was ich brauche zu meinem Glücke habe ich hier. Wie mein Vater glücklich war mit der Frau, die den Bauer liebte und allen Glanz vergaß, so will ich wie er glücklich sein, ein freier Mann, wenn auch ein ganz geringer.

Adlersparre saß einige Minuten in stillen Gedanken. Otho hatte Ebba umfaßt, die ihm stolz und zärtlich zulächelte.

Ich habe auch auf meinem Hofe gesessen, habe gepflanzt und gegraben und Abends meine saure Milch getrunken, sagte der General. Wenn Sie es aushalten können ohne Reue, dann immerhin; aber es ist nicht so schwer ein Philosoph in grober Jacke zu werden, als einer zu bleiben. Bedenken Sie das wohl.

Was habe ich zu bedenken, geliebte Ebba? fragte er. Was muß ich thun für dein und mein Heil?

Was ein Mann thun muß, der in sich selbst seinen Frieden finden will, sagte sie, der sinken und fallen sieht, was er für wahr und gerecht hält, dessen Hoffnungen zerschmettert wurden und der zu stolz ist, um zu heucheln und zu lügen.

Otho wandte seine glänzenden Augen auf Adlersparre, welcher ohne merklich vermehrten Antheil die junge Frau anblickte. So gehört denn zu denen, die warten, entbehren und weiter hoffen, bis sie begraben werden, sagte er. Ein Menschenleben verrinnt bald, Alles Glück gehört dem Augenblick an, alle Zukunft ist ungewiß; wer sich darüber zu erheben vermag, der gehört zu den Weisen. – Und noch hat es keinen Weisen gegeben, fuhr er fort, indem er sich erhob, der nicht endlich wie jener alte Herr in Rom sein Tusculum über alle Hoheit und allen Glanz setzte. Lebt wohl! Wenn der ehemalige Einsiedler von Aludden noch etwas für euch thun kann, wird es mit Freuden geschehen; wenn er durch euch noch einmal bekehrt wird, wird er euch nachfolgen. An der Thür blieb er stehen und kehrte noch einmal zurück. Ich habe noch etwas vergessen, sagte er, indem er einen 827 Brief hervorzog. Graf Alopäus, der ehemalige russische Gesandte, ist, wie ich schon sagte, seit gestern hier, morgen reist er in aller Stille wieder ab. Sein Kaiser, der jetzt in Finnland verweilt, um seine neuen Unterthanen durch seine Huld zu gewinnen, hat ihn der Friedensverhandlungen wegen hergeschickt, uns seinen Willen kund zu thun. Der Graf hat aber auch andere Briefe mitgebracht, unter anderen einen an den Freiherrn Randal. Diesen Brief hat er mir gegeben, als ich ihm sagte, daß ich diesen Freiherrn kenne. Hier ist er, Antwort will er mitnehmen, wenn sie ihm bis heut Abend gebracht wird.

Er gab den Brief an Erich, theilte ihm mit, wo der russische Graf zu finden sei, und entfernte sich dann.

Dieser Brief ist von Constanze Gurschin, sagte Erich das Blatt entfaltend, und als alle mit freudigen Ausrufungen ihn umringten, las er den Inhalt laut:

»Da Sie glücklich nach Schweden entkommen sind, Cousin Erich, und, wie ich erfahren habe, auch die anderen Verräther und Hochverräther sich bei Ihnen befinden, so gebe ich dem Grafen A. diese Zeilen mit, der mir versprochen hat, sie zu befördern. Ich halte mich nicht mit euren Verbrechen und euren Thorheiten auf, weil daran nichts mehr zu ändern ist; aber wenn Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben klug sein können, Cousin Erich, so ist jetzt die Gelegenheit zum letzten Male günstig. Der Kaiser ist hier und streut großmüthig im reichsten Maße seine Gnaden aus. Bereuen Sie Ihre Sünden, bitten Sie ihn, vor seinem Angesicht erscheinen und um Vergebung flehen zu dürfen. Rechtfertigen können Sie sich nicht, machen Sie keinen Versuch dazu. Demüthigen Sie Ihren Stolz oder vielmehr Ihren Eigensinn, so verspreche ich Ihnen gute Früchte. Noch ist nicht Alles verloren; wahrscheinlich sogar, daß Sie Halljala wieder bekommen, wenn Sie die Mittel und Wege einschlagen, welche ich Ihnen öffnen werde; eben so wie der Hochverräther, dem Louisa gehörte, dort noch einmal Pferdehandel, Fischfang und Jagd treiben könnte. Vor allen Dingen suchen Sie demüthig und ehrfurchtsvoll, wie es sich geziemt, Verzeihung zu erlangen; ich hoffe, daß dies nicht allzuschwer sein wird. Dann kommen Sie herüber zu uns; trotz des noch fortdauernden Krieges gibt es Verbindungen genug. Bringen 828 Sie natürlich auch die Verrätherin mit, welche mit Ihnen entfloh. Jedermann weiß jetzt, daß sie schwedische Seeleute bestach und einen geheimen Weg in das alte Schloß benutzte, um Sie zu befreien. Der arme Commandant Annenkoff, der in Untersuchung gerieth, ist freigesprochen worden und befindet sich jetzt in Rußland, wo er durch meine Vermittlung, da mich der unschuldige Mann dauerte, eine Stelle bei der Regierung in Moskau erhalten hat, wo er sich gewiß gut zu nehmen wissen wird. – Auch der Verrätherin wird verziehen werden und selbst der würdige schwer beleidigte Herr Sam Halset wird sich erweichen lassen, wenn Sie sich ihm unbedingt zu Füßen werfen. Wer verdient es mehr, daß Sie ihm gehorchen, als dieser vortreffliche Schwiegervater, der Tochter und Sohn nicht allein segnen, sondern auch reichen Segen hinterlassen und Ihnen Halljala wieder verschaffen wird, wenn auch diese Herrschaft dem Herrn Baron Arwed Bungen gegeben wurde, nachdem sie als Vermögen eines Hochverräthers von der Regierung eingezogen ward. Die Unterstützungskasse für den Adel, welche der Kaiser stiftete, hat Herrn Halset gezahlt, was er zu fordern berechtigt war, und die neue Landbank in Borgo streckte dem Herrn Baron Bungen bedeutende Summen vor, welche dieser allerdings niemals wieder herausgeben wird. Sollte nun der liebenswürdige Herr Halset, wie ich nicht zweifle, einigen Ehrenmännern der Regierung freundschaftlich die Hände drücken, so wird mit der Gnade des Kaisers auch die Vermögensconfiscation aufgehoben werden, und Baron Arwed, wie ich versichern kann, geneigt sein, Halljala und Louisa seinen theuren Verwandten zurückzugeben, wogegen diese natürlich die bei der Bank gemachten Schulden übernehmen. Das ist ein vortreffliches Arrangement, ein anderes gibt es nicht. Schlagen Sie rasch ein, Cousin Erich, und seien Sie diesmal klug. Gehen Sie sogleich zum Grafen Alopäus, sprechen Sie mit ihm und vertrauen Sie ihm. Nach Ihrer Antwort, der Sie und Mary eine Unterwerfungspetition an den mit so vielem Recht erzürnten Vater beilegen werden, sollen Sie mehr hören. Jetzt nur noch ein Wort von mir und Arwed. Er ist leidend und erregt mein Mitgefühl. Der tölpelhafte Bauer, der seinen Arm zerschmetterte, hat zwar seinen Lohn dafür erhalten, allein der Arm ist dadurch nicht hergestellt worden. 829 Er ist gelähmt und wird es bleiben. Da er nun liebende Pflege bedarf, meine Nähe sein schönster Trost ist und er diesen immer zu besitzen wünscht, auch mein Vater und mein Onkel ihm beipflichten, so kann ich seinen Bitten nicht widerstehen. Ich werde ihn heirathen und wir werden dann nach Petersburg gehen, sobald wir die allgemeine Versöhnung begründet, Ihnen Halljala zurückgegeben haben. Antworten Sie also, glücklicher Cousin, und seien Sie so weise wie Ihre Freundin Constanze.«

Erich ließ diesen bedeutungsvollen Brief sinken und sah mit seinem sanften Lächeln auf Mary. – Dein Vater ruft uns zum letztenmal zurück, sagte er, denn sicher weiß er darum.

Du wirst diesem Rufe aber nicht folgen, antwortete sie.

Nein, war seine ruhige Antwort. Kann ich demüthig um Gnade bitten, wo ich so lange für mein Recht litt? Welche Reihe von Demüthigungen stünde mir bevor! Wie würde Halset uns empfangen? Was müßte ich thun, um ihm zu gefallen? Wie mein Erbe, das man mir entrissen, zurückerlangen? Mit welchen Menschen soll ich heucheln, lügen, Judasküsse tauschen! Er legte sinnend die Hände an seine hohe Stirne und sagte ruhig: Ich kann nicht zurück. Was verloren ist, muß auf immer verloren bleiben. Gott mag mich in Gnaden behüten, das nicht zu verlieren, was ich dafür gewann.

Kannst du zweifeln, erwiederte Mary indem sie ihre Arme um ihn schlang. Geh wohin du willst, mein Freund, ich folge dir nach. In Amerika's Einöden, im fernsten Winkel der Welt, bleibe ich dein treuer Kamerad!

Nach Amerika! sagte Otho Waimon, ist manch Verfolgter schon geflohen, der Freiheit und Frieden suchte.

Hat dein Vater ihn dort gefunden! rief Ebba, hat er jenseits des weiten Weltmeers diesen geliebten Norden vergessen können, nach dem selbst die Vögel, welche darin geboren sind, immer wieder zurückkehren müssen. Bleibe, mein Otho! bleibe, Erich. An seinem Vaterlande soll kein Mann verzweifeln. Sein Vaterland soll kein Mann verlassen, der Muth hat ihm beizustehen in seiner Noth, und tapfer auszuharren, damit es besser werde. Nach Wärend laßt uns ziehen, wo ich geboren wurde. Da stehen die hohen Tannen Finnlands, da liegen seine grünen 830 Blumenmatten, da blitzen seine Seen und seine Felsen ragen in den Himmel und seine Wasser brausen daran nieder. Dort wollen wir wohnen, dort hoffen und harren, vertrauend auf Gottes Gerechtigkeit, bis die Stunde der Erlösung schlägt.

Und so geschah es. – In diesem innersten Kerne des alten Schwedenlandes, in Schmolands Bergen, an dem Ufer eines schönen Sees, liegen zwei große Höfe von ihren Feldern umringt, von Gärten eingefaßt und von Bergweiden, auf denen das gefleckte Vieh ausruht, Wasserfälle stürzen von hohen Felswänden nieder, rothe, nackte Klippen steigen aus mächtigen Waldketten auf, und das stolze trotzige Geschlecht, das diese romantischen Thäler und Berge bewohnt, erinnert noch durch seine Körperstärke und seinen Freiheitssinn an die Riesen, deren Nachkommen es sein soll! In diesen beiden Höfen am See haben Erich Randal und Mary, Otho Waimon und Ebba bis vor wenigen Jahren gelebt und noch jetzt erzählen alle ihre Nachbarn weit umher von ihnen, von ihrer Liebe und von ihrem reichen Lebensfrieden. Wie viel Gutes sie gethan, wie mild und gesegnet ihre Hände waren, wie verständig ihr Rath, wie bereitwillig ihre Hilfe. Und sie erzählen von einem alten Priester, der mehr als einmal fernher von den Inseln im Meere kam, und in seinen weißen Locken wie ein Gottgesandter aussah, vor dem die Wildesten sich beugten. Fast noch mehr erzählen sie vom Schiffskapitän Lindström, einem verwetterten alten Seemann, der schrecklich fluchen konnte, aber ein so unerschrockener Bären- und Wolfsjäger war, wie Otho Waimon, der es allen zuvorthat. Endlich auch erzählen sie von einem alten Feldwebel, der Mary's und Ebba's Buben, wie manchen andern Kindern das Lesen und Schreiben beibrachte, und so viele lustige und schöne Geschichten vorzutragen wußte, vom tapferen Korporal Spuf und vom finnischen Kriege, daß Jedermann ihn lieb hatte, doch immer magerer und spitzer wurde, bis sie ihn endlich hinaustrugen auf den kleinen Friedhof. Und dort ruhen sie nun Alle unter den rauschenden hohen Tannen, aber in den Höfen am See warten ihre Kinder und Enkel noch immer auf die Stunde der Erlösung, wo Finnland frei sein wird vom Russenjoche!


 << zurück