Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Drittes Kapitel.

Das also ist das Schloß von Stockholm, das Wunderwerk, von dem ich so viel gehört habe, sagte Otho Waimon, als er vor dem mächtigen Gebäude stand, und lächelnd fügte er hinzu: Ich habe es mir allerdings noch größer und schöner gedacht, weil es Ebba gar zu sehr rühmte. Aber schön ist es dennoch, und geschmackvoller nach meinem Sinn, als gewöhnlich diese Steinklumpen aufgebaut werden. Er stand vor der Seite des königlichen Hauses, welche auf den Hafen schaut, und die allerdings die anmuthigste und zierlichste ist. Die vorspringenden Pavillons und die breite Terrasse zwischen ihnen, wie der italienische Charakter des ganzen Baustyls sagten ihm besonders zu, und waren auch nach Gustav's des Dritten Geschmack gewesen, während die anderen Seiten des großen Vierecks lange gerade Linien bilden. Die Vorgärten dieser italienischen Seite, welche zur Sommerzeit so freundlich sind, lagen jedoch jetzt, wie ganz Schweden, tief unter dem Schnee, der von der Terrasse sorgsam abgefegt war. Oben schritten Wachen auf und nieder, und Otho hatte auf seiner Wanderung um das Schloß wohl bemerkt, daß alle Eingänge und Höfe mit Soldaten verschiedener Art besetzt waren. Als er aufmerksam hinauf sah, schritt ein Herr bei ihm vorüber, der einen scharfen Blick auf ihn warf, welcher eben so fest von ihm erwiedert wurde.

Es mochte dem Herrn wohl Gestalt und Gesicht des jungen Mannes auffallen, welche zu dem bäuerischen Schaafpelz und der dazu gehörigen Pelzmütze nicht recht zu passen schienen. Der Herr selbst war von gewaltiger Länge und hatte ein eigenthümlich strenges, gebietendes Ansehn, eine eckige hohe Stirn und stolzblickende Augen, deren funkelnde Schärfe jedoch, indem er Otho anschaute, plötzlich einen freundlichen Ausdruck erhielten. Er stand still, denn er mochte dem Fremdling anmerken, daß dieser Lust hatte ihn anzureden, und in der 497 That geschah dies auch; Otho trat ihm näher und sagte höflich: Was sind das für Soldaten, mein Herr, die dort auf der Terrasse stehen.

Sie sind von den Leibkürassieren des Königs, antwortete der Fremde.

Man sieht es an ihrem Silberputz, daß es Garden sind, sagte Otho. Unsere Regimenter sehen einfacher aus.

Sie sind fremd hier? fragte der Herr.

Ich bin ein Finne, war die Antwort.

Ich höre es. Und wahrscheinlich erst kurze Zeit in Stockholm.

Gestern angekommen, sagte Otho.

Über das Eis? Es ist also fest?

Fest und sicher.

Sie sind aber doch kein Bauer, der Holz oder Heu gebracht hat, fuhr der Herr lächelnd fort.

Holz oder Heu, nein; aber ein finnischer Bauer bin ich bei alledem, erwiederte Otho in derselben Weise.

Zum erstenmale bei uns wie ich denke. Wie gefällt es Ihnen?

Ehrlich gestanden schlecht genug, ich hätte es mir schöner gedacht, antwortete Otho in seiner offenen Weise. Die innere Stadt mit ihren engen Gassen, hügelig und winkelig, und obenein voll Schnee und Eis, ist schlechter als Abo. Tausendmal lieber bin ich in meinen Heimatsbergen, in freier Luft.

Sie haben Recht, sagte der Herr. Die Städte sind Gefängnisse, wer nicht darin wohnen muß, thut wohl sie zu fliehen.

Das will ich auch, sobald ich den König gesprochen habe.

Der Herr blickte ihm in seiner eigenthümlichen scharfen und lächelnden Weise ins Gesicht. Sie wollen den König sprechen? fragte er dann.

Das will ich, und bitte Sie mir zu sagen, ob er im Schlosse ist, wenn Sie es wissen.

Der Herr behielt den hellen Glanz in seinen Augen, und dieser verstärkte sich, je länger er Otho musterte. Er suchte offenbar zu erforschen, wer dieser Fremdling sei, und wußte nicht recht, was er aus 498 ihm machen sollte. – Wissen Sie auch, sagte er endlich, daß es nicht so leicht ist vor den König gelassen zu werden? Man muß zunächst durch Wachen und Wachtmeister dringen, ehe man zum Hofmarschall oder Ceremonienmeister gelangt, muß diesem Herrn sein Anliegen vortragen und seine Entscheidung abwarten.

Das werde ich nicht thun, fiel Otho ein.

Einen anderen Weg gibt es nicht. Warum wollen Sie diesen nicht einschlagen?

Weil, was ich dem Könige zu sagen habe, er allein erfahren soll.

Es sind also Geheimnisse? fragte der Herr mit einem gewissen, mitleidigen und belustigten Lächeln.

Ja, mein Herr, sagte Otho, es sind Geheimnisse von Wichtigkeit für den König.

Die Antwort schien einigen Eindruck zu machen. Sie sehen nicht danach aus, als ob Sie geringfügigen Dingen Wichtigkeit beilegten, erwiederte der Herr mit größerem Ernst, auch sind Sie, wie ich merke, ein Mann von Bildung, trotz des Bauernpelzes, den Sie tragen. Wollen Sie mir Vertrauen schenken, so können wir gemeinsam überlegen, was am besten zu thun sein wird.

Ich habe kein Bedenken, sagte Otho, Ihnen mitzutheilen, daß ich Waimon heiße und einen Hof am Pajänesee besitze.

Ist das Alles?

Ja, Alles. Mein Vater war der Oberst Ingar Waimon.

Oberst Waimon, sagte der Fremde nachsinnend.

Haben Sie ihn gekannt? fragte Otho lebhaft.

Nein, ich weiß nichts von ihm. Aber der Sohn eines Soldaten erregt immer meinen Antheil. Wo haben Sie Ihre Wohnung genommen? Wer sind Ihre Freunde?

Ich habe keine Freunde hier, kenne keinen Menschen und was meine Wohnung anbelangt, so bin ich bis jetzt bei den Bauern geblieben, welche mich nach Stockholm geführt haben, da es kein Gasthaus in Stockholm gibt.

Das ist in der That ein Beweis, daß wir in der Nähe des Nordpols liegen, und Fremde bei uns eine Seltenheit sind, lachte der riesige Herr. Er wickelte sich fester in seinen großen Blaufuchspelz und zeigte 499 beim Aufschlagen, daß er einen mit Gold gestickten Rock trug. Haben Sie denn auch keine andere Kleider als diese? fragte er dann.

Nichts weiter, sagte Otho. Alles was ich besaß ist bei einem Schiffbruche verloren gegangen.

Und keine Empfehlung, keine Bekanntschaften?

Nein. Doch ja, eine Empfehlung habe ich mitgebracht an einen gewissen Herrn Rittmeister. Er griff in die Tasche und holte ein Papier heraus, aus dessen Umschlag er ein Briefchen, aus gelbem groben Papier bestehend, nahm. An den Rittmeister Jöran Adlersparre. Bis jetzt aber hat mir noch Niemand sagen können, wo er zu finden ist.

Der Herr griff nach dem Papier, las die Aufschrift, öffnete ohne Umstände dann die Falten und blickte hinein. Alter ehrlicher Axel Jönsson! rief er freudig laut. Sie können wohl denken, Herr Otho Waimon, daß diese Empfehlung in die rechten Hände gelangt ist. Ein glücklicher Zufall, in der That! Denn ich lebe seit mehreren Jahren nicht mehr in Stockholm, wo man mich vergessen hat. Ich bin wie Sie, ein Landmann, baue meinen Kohl in einem abgelegenen Winkel, und kam wie Sie, hierher, um den König zu sprechen in meinen und seinen Angelegenheiten. Als ich Sie zuerst sah, gefielen Sie mir so gut, daß ich meine Augen nicht abwenden konnte. Es muß etwas vom sogenannten höheren Willen dabei gewesen sein, daß wir uns begegnen sollten.

Otho war äußerst erstaunt und erfreut. Ja, meiner Treu! rief er, ich glaube selbst daß es etwas ist, was man eine Gottesfügung nennt! Ich fange an zu glauben, daß ich Glück bei meinem Unternehmen habe.

Wollen Sie mir jetzt sagen, was Sie hierher getrieben hat? fragte der Rittmeister Jöran Adlersparre.

Otho schüttelte den Kopf. Sein neuer Beschützer, so freundlich er auch war, flößte ihm doch nicht das Vertrauen ein, um sich ihm ganz zu überlassen. Jöran Adlersparre war ungefähr fünfzig Jahre alt und sein Gesicht trug noch die Spuren früherer Jugendschönheit; seine Züge aber waren hart und stolz und seine Augen mit ihrem leuchtenden, unstäten Feuer erinnerten Otho, daß dieser Mann, wie er gehört, das Haupt einer politischen Partei gewesen sei, die von der Regierung verfolgt wurde. Sein finnisches Mißtrauen hielt es daher 500 für räthlich, ihm vor der Hand nicht allzuviele Offenherzigkeit zu zeigen. Verzeihen Sie mir, sagte er, wenn ich solange schweige, bis ich den König gesprochen habe. Ich halte mich dazu verpflichtet.

Der Rittmeister nickte lächelnd. So wollen wir sehen, was sich dafür thun läßt, erwiederte er. Es ist wahrscheinlich eine politische Mittheilung, die Sie dem Könige zu machen haben?

Ich denke ja.

Und bezieht sich auf die Verhältnisse in Finnland?

Auf Finnland, ja.

Sie haben also eine Sendung übernommen in Angelegenheiten Ihrer Landsleute.

Es betrifft allerdings unser Aller Wohl.

Adlersparre ließ seine Augen feuriger blitzen. Verlangt ihr Waffen, Soldaten, einen tüchtigen General, sagte er, der alte Marschall Klingspor muß ja schon bei euch angelangt sein. Nehmen Sie sich in Acht, mein junger Freund! Der König kann solche Forderungen nicht vertragen. Was er thut und beschließt ist wie von Gott beschlossen und Frevel, wenn seine Unterthanen es nicht eben so finden wollen.

Ein höhnisches Zucken bewegte seine Lippen, Otho erwiederte jedoch, daß wenn die Finnen Forderungen machen wollten, sie ihn nicht geschickt haben würden. Aus eigenem Antriebe komme er her, um dem Könige etwas anzuvertrauen, das er erfahren habe und von Wichtigkeit für Finnlands Schicksal sei.

Adlersparre schwieg einige Augenblicke. Also Liebe zu Ihrem Vaterlande trieb Sie über das Wintereis, begann er darauf. Ich traue es Ihnen zu, Sie sehen aus wie ein Mann, der für sein Vaterland etwas wagt, was andere kluge Leute vielleicht Narrheit oder Verbrechen nennen. Ich denke und fühle wie Sie, Herr Otho Waimon, das Vaterland hat heilige Rechte an uns. Meines Volkes Ehre ist meine Ehre, meines Volkes Wohl mein Wohl! Sie wissen Näheres über die russischen Pläne und wollen sie dem Könige mittheilen.

Die Frage wurde so plötzlich und mit solcher Bestimmtheit gethan, daß Otho davon überrascht eine beistimmende Antwort gab. Dies und Anderes weiß ich, sagte er, fragen Sie mich nicht weiter darum. 501 Helfen Sie mir, daß ich in diesen Palast gelange. Gott weiß es, ob nicht Alles doch schon verloren ist.

Ich will es versuchen, sagte der Rittmeister, und vielleicht ist der Bauernrock Ihnen behilflicher als trügen Sie Stern und Band. Folgen Sie mir nach, und da es Ihnen nicht an Muth fehlt, darf ich nicht sagen, fürchten Sie sich nicht vor dem Hofgeschmeiß. Im Übrigen wird es besser sein, wenn wir unsere Bekanntschaft einstweilen aufgeben; denn meine Freunde, setzte er mit seinem eigenthümlichen Lächeln hinzu, können auf Hofgunst nicht rechnen.

Er ging die Terrasse hinauf, blieb aber fast auf jeder Stufe stehen und that Fragen, durch welche er, ehe Beide oben anlangten, so ziemlich Alles über die Reise des jungen Mannes und dessen erzwungenen Aufenthalt bei dem guten Pfarrer Jönsson erfuhr. – Ihre Neuigkeiten sind durch den unglücklichen Schiffbruch alt geworden, sagte er dann. Was Sie bringen muß ganz besonderer Art sein, doch, da wir wirklich noch nichts von den Russen wissen –

Und nichts von Sweaborg, fiel Otho ein. Ich habe Erkundigungen eingezogen, so viel ich vermochte, und glaube, was ich dem Könige sagen werde, wird ihm eben so neu wie überraschend vorkommen.

Nur nichts von Admiral Cronstedt, murmelte der Rittmeister, der eine besondere Gabe zu besitzen schien, nach allen Seiten hin zu rathen. Cronstedt, fügte er mit dem höhnenden Zug um seine Lippen hinzu, ist einer von den Heiligen, die Niemand anrühren darf. Sonderbar genug, daß dieser König, der keinem Menschen traut, eben so blindgläubig an ihm hängt wie alle Anderen; dennoch aber – er brach seine Bemerkung ab, die er mehr mit sich selbst sprechend machte, und fuhr laut fort: Wir dürfen hier nicht stehen bleiben, auch schlägt es eben elf Uhr. Damit beginnt die Audienz, wenn der König von Haga herein kommt, wie dies heute der Fall ist. Und wenn man ihm jede Tugend absprechen mag, so bleibt ihm doch die der Pünktlichkeit. Hören Sie das Trommeln auf der Hauptwache?

Was hat das zu bedeuten?

Daß der König soeben gekommen ist, sagte Adlersparre. Wir wollen gehen, es werden viele Andere schon warten. Ich will den Ceremonienmeister und Adjutanten, den Oberst Mellin, auf Sie 502 aufmerksam machen, das ist Alles was ich thun kann. Stellen Sie sich an der Thür so auf, daß er Sie bemerken muß.

Bei den Wachen vorüber gelangten sie zu einem großen Portal im Schloßhofe, aus welchem so eben ein schwerfälliger alter Wagen mit vier dampfenden Pferden bespannt, in welchem der König gekommen war, sich entfernte. Eine Schaar Leibgrenadiere stand auf dem viereckigen, geräumigen Hofe und wurde von Offizieren besichtigt. Der König, sagte der Rittmeister, hält jeden Tag eine Musterung oder Wachtparade ab, und wehe dem Verbrecher, der in den Gamaschen eine Falte hat, oder dem eine Haarspitze nicht so sitzt, wie es als dienstmäßig in dem Reglement steht. Doch was geht das uns an, sagte er lachend. Es ist teufelmäßig kalt, die armen Bursche werden entsetzlich frieren, denn Pelze stehen eben nicht im Reglement. – Bleiben Sie hier stehen, mein junger Freund, und danken Sie Gott, kein Leibgrenadier Sr. Majestät zu sein; immer aber ist das noch besser, als zu seinen Lieblingen zu gehören.

Mit diesen Worten verließ Jöran Adlersparre den jungen Abenteurer, der in der Nähe des Portals, neben der Treppe, stehen blieb und zu den hohen Fenstern hinaufschaute, hinter welchen er viele Menschen in Uniformen und gestickten Röcken erblickte. Nach einigen Minuten erkannte er auch den Rittmeister, der auf ihn nieder sah und ihm zunickte, als wollte er sich überzeugen, daß er auf seinem Posten sei.

Ein unmuthiges Gefühl, das seine Unruhe überwältigte, regte sich in Otho. Er hätte davonlaufen mögen, und doch sagte ihm seine Klugheit, daß er das nicht dürfe. Denn er sah wohl ein, daß sein Beschützer Recht hatte, und zu dem Könige zu gelangen, wirklich nicht so leicht war, wie er es sich gedacht. Der Mann, den er in so glücklicher Weise aufgefunden, durfte auch nicht beleidigt werden; dennoch gefiel ihm dessen Benehmen nicht allzusehr. Das höhnende Lachen in dem stolzen, harten Gesicht hatte nichts Wohlthuendes für einen so offenen, einfachen Jüngling, der allerdings von Vielem, was er sah, unangenehm berührt wurde. Die Menschen, welche an ihm vorüber gingen, starrten ihn neugierig an, betreßte Diener liefen hin und her und schrien ihm zu aus dem Wege zu gehen; ein paar Offiziere 503 wiesen mit Fingern auf ihn und riefen einem Andern entgegen, daß hier ein prächtiger Rekrut für die Leibgrenadiere zu sehen sei. Mit seiner hohen Gestalt, seiner breiten Brust und dem männlichen Gesicht, war er allerdings selbst in dem Bauernpelz eine auffallende Erscheinung, und grollend drehte er den Herren den Rücken zu und sagte zu sich selbst: Das muß ich mir Alles gefallen lassen, weil ich ein Bauer bin und weil der Rock, nicht der Mann hier etwas gilt. Hätte ich Borten an meinen Hosen und Mehl in meinem Haar, wie die ausgedörrten Bursche dort hinter den Scheiben, wie würden alle diese Tagediebe sich bücken und dienstfertig aus dem Wege springen. Wird's jemals wohl dahin kommen, daß jeder Mann nach seinem Werthe gilt, wie meine arme Mutter hoffte? Was sagt Lars Normark: Betrug ist schon im Paradiese gewesen. Das Menschenwesen bringt's so mit sich, also betrügt nur in Gottes Namen weiter. – Aber länger halt ich's hier nicht mehr aus! rief er ärgerlich. Kommt's nicht bald, so lauf' ich hinein und melde mich selbst, allen den gaffenden Narren zum Trotz.

Er blickte dabei nach den Fenstern hinauf, wo soeben viele Köpfe hinter den Scheiben auf ihn niederschauten und ihn anlachten. Ein Herr mit einer großen Perrücke, zu beiden Kopfseiten dickwulstige Locken daran, und über die Brust ein breites gelbes Band, stand in der Mitte der einen Gruppe, neben ihm der Rittmeister, der mit ihm sprach und das Gelächter wahrscheinlich erregte. Der Herr war dürr und schmal, und Otho merkte sogleich, daß es der Hofmarschall sein müsse. Gleich darauf winkte ihm der Herr, und getrosten Muthes folgte er diesem Zeichen, indem er in das Portal ging und die Stufen hinaufstieg. Ein paar Trabanten mit großen Stöcken standen vor der Gallerie, zu welcher die Treppe führte, und Otho würde schwerlich hier Eingang gefunden haben, wenn nicht mit ihm zugleich ein betreßter Diener angelangt wäre, der ihm gebot hereinzutreten. Otho folgte diesem Befehl, und als die Flügelthür des Empfangszimmers geöffnet wurde, stand er vor einem Halbkreis vornehmer Herren, die ihn lächelnd und neugierig anstarrten und die gute Absicht zu haben schienen, sich an einem tölpelhaften Bauer zu belustigen.

Bescheiden nahm der junge Mann seine Pelzmütze ab und ließ sein langes, dunkelgoldiges Haar über seine Schultern fallen. Sein 504 Ansehen war vortheilhaft. Der Ceremonienmeister, Oberst Mellin, streckte seinen schwarzen Amtsstab aus und sagte, indem er auf den Eintretenden deutete, zu einem schönen, freundlich blickenden Herrn in Generalsuniform, der neben ihm stand: Das ist ja ein prächtiger Bursche. Gewachsen wie eine finnische Tanne. Den könnten Sie brauchen, Adlercreutz.

Die Länge thut's nicht, antwortete der General. Diese verteufelten Franzosen sind klein wie Grashüpfer, und doch schlägt Napoleon damit die Welt zusammen.

Der Hofmarschall mit dem gelben Ordensbande, Herr von Silversparre, nahm eine Prise aus seiner goldenen Dose und verzog dabei sein dürres, langes Gesicht, als wollte er lächeln. Die Herren sprachen französisch, und Herr von Silversparre antwortete in dieser Sprache: Schweigen Sie, General, das ist ein Name, der hier nicht ausgesprochen werden darf. Du, mein Sohn, fuhr er hierauf schwedisch fort – du verstehst doch schwedisch?

Ja, Herr, antwortete Otho.

Aber du bist ein Finne?

Ein Finne, Herr.

Und von echtem Gepräge, sagte der Hofmarschall, sich zu dem Ceremonienmeister wendend. Blaue, feurige Augen, gelbes Haar, eine Haut von merkwürdiger Frische, trotz des Rauches in ihren abscheulichen Hütten. Wo bist du her, mein Sohn?

Aus dem obern Tavasteland vom Pajänesee.

Den König willst du sprechen?

Das möchte ich.

Was willst du denn bei ihm? Dein Herz ausschütten?

Ja, Herr, das möchte ich.

Der Hofmarschall hatte seine Frage schon spöttelnd gethan, bei der Antwort brach das Gelächter los, aber es geschah fast ohne gehört zu werden, denn nicht weit davon war der König.

Es ist wohl eine sehr traurige Geschichte? fuhr der Hofmarschall fort.

Ja, Herr. Traurig genug für Jeden, der ein Herz hat, was freilich den Meisten hier zu fehlen scheint.

505 Alle Wetter! rief Herr von Silversparre, halb belustigt von dieser Antwort, halb überrascht. Er blickte den jungen Abenteurer schärfer an und sagte darauf: Haben wir es denn wirklich mit einem finnischen Bauer zu thun? Bist du was du vorstellen willst?

Ja, Herr, ein Bauer bin ich, nichts mehr, nichts weniger, versetzte Otho; doch darauf kommt's hoffentlich nicht an, da ich nichts erbitten will, oder Privilegien geltend mache. Ich wünsche nur den König zu sprechen.

Die Antwort und die Sprache bestärkten den Hofmarschall, daß er keinen Bauer vor sich habe. Wie heißen Sie? fragte er.

Das werde ich dem Könige sagen, antwortete Otho.

Aber, ich glaube, der Herr Ceremonienmeister wird Sie dem Könige nicht anmelden, versetzte Herr von Silversparre, wenn er nicht weiß, welches Ihr Anliegen ist. Worüber wollen Sie denn vor Sr. Majestät Ihr Herz ausschütten?

Über etwas, was ich keinem Andern sagen will.

In diesem Falle bin ich bereit, es allein zu hören, erwiederte Oberst Mellin.

Auch Sie, mein Herr, werden es nicht erfahren.

Es ist also jedenfalls wohl ein höchst wichtiges Geheimniß? sagte der Hofmarschall fein lächelnd, indem er nach dem Kreis der Umstehenden blickte, der sich ausnehmend belustigte.

Mag es sein, was es will, entgegnete Otho, dessen Gesicht sich immer unmuthiger röthete, gewiß aber ist es nichts, was Ihnen das Recht geben könnte, Ihren Scherz mit mir treiben zu wollen. Kein Finne würde einen Mann verhöhnen, und wäre es auch nur ein Bauer, der bittend zu ihm kommt und Beistand in einer gerechten Sache fordert.

Diese Zurechtweisung des mächtigen Hofmarschalls machte, daß die lachenden Gesichter plötzlich ernsthaft wurden. Herr von Silversparre allein verzog sein Gesicht noch spottlustiger, und indem er seine Dose öffnete, zuckte er die Achseln und sah in bedeutsamer Weise nach der Thür.

Sie wissen nicht was hier Sitte und strenges Gebot ist, sagte der General Adlercreutz, welcher bisher geschwiegen hatte. Man kann den König nicht sprechen, ehe Se. Majestät nicht vorher unterrichtet ist, was man von ihm will.

506 Das ist eine sehr schlechte Einrichtung, erwiederte Otho unerschrocken, denn auf diese Weise wird der König nur hören, was ihm gefällt, oder was seine Umgebungen für passend befinden.

Der General sah aus, als wenn ihm die Antwort außerordentlich gefiele. Sein Blick auf den Hofmarschall und den Ceremonienmeister hatte etwas Boshaftes, zugleich aber winkte er Otho zu und sagte zutraulich: Hier darf Niemand sich zum Beurtheiler aufwerfen, junger Mann, sondern Jeder muß gehorchen. Der Herr Oberst Mellin kann Ihnen keinen Zutritt zum Könige gewähren, wenn Sie ihm nicht sagen, wer Sie sind und was Sie wollen. Da ich aber auch in der Nähe Sr. Majestät bin, sein Generaladjutant, so kann ich es ebenfalls übernehmen, wenn Sie meine Dienste vorziehen.

Es ist doch wahr! rief Otho, indem er seiner natürlichen Heftigkeit sich überließ. Könige sehen nicht mit eigenen Augen, und hören nicht mit eigenen Ohren; das ist ihr Unglück und das Unglück der Völker. Gehen Sie zu Ihrem Herrn. Melden Sie ihm, ein finnischer Bauer bitte um Gehör. Was er zu sagen habe, wolle er ihm allein mittheilen. Ich habe den Glauben, daß er mich nicht fortweisen läßt.

Die unerhörte Art dieses Benehmens brachte Schrecken und Ärger über die Zuhörer. Ein Mensch, der nichts war, ein Mensch in einem Bauernpelze und einer Troddelmütze, wagte Äußerungen und stellte Forderungen, welche die größten Herren im Lande nicht gethan hätten. Das unwillige Gemurmel über diese Frechheit machte dem anfänglichen Erstarren Platz; nur dieser junge Mensch selbst sah so stolz und unbefangen aus, als habe er gar keine Ahndung, wie unschicklich er sich benommen. Niemand schien jetzt noch ein wohlwollendes Mitleid für ihn zu empfinden, als der General, welcher lächelnd den Kopf schüttelte und freundlich fortfuhr: Sie kennen den Gebrauch nicht, der hier herrscht, ich wiederhole Ihnen also nach einmal: Niemand darf Sr. Majestät eine solche Meldung machen. Es wäre gegen das Reglement.

Otho dachte daran, was Adlersparre vom Reglement gesagt hatte. Kann man denn Alles nach Vorschriften abmessen? rief er unmuthig. Wenns Unglück hereinbricht, muß das auch reglementmäßig kommen? Ich danke Ihnen, Herr, Sie meinen es gut mit mir; aber lieber will ich hingehen, woher ich gekommen bin.

507 Eben wurde die Thür mit Geräusch geöffnet und vor dem Hereintretenden zog sich der ganze Kreis zurück. Alle verbeugten sich unterthänig.

Der neue Ankömmling war ein alter Herr mit weißen Haaren, die zu einem mächtigen Zopf gebunden, lang über seinen Rücken fielen. Es war ein gewaltiger Körper, der sich ein wenig vorn überbeugte, und zwischen den breiten Schultern saß ein Kopf, mit dickem rothen Gesicht, markigen, faltigen Zügen und einer Stirn von außerordentlicher Breite. Seine Augen leuchteten groß und lebhaft, die vielen rothen Adern darin vermehrten jedoch den Ausdruck reizbarer Heftigkeit, der ihm aufgedrückt war. Er trug Generalsuniform, dicke goldene Achselschnüre, hohe Stiefeln mit Sporen und einen Federhut in der Hand. Als er hereintrat machte sein Kopf eine kleine Neigung gegen den Generaladjutanten Adlercreutz. – Der König ist doch schon hier? sagte er.

Ja, Excellenz, war die Antwort.

Wer ist bei ihm? fragte der alte Herr.

Der Hofkanzler, erwiederte Adlercreutz mit gedämpfter Stimme, der Kanzeleipräsident und Excellenz Cederström.

Der alte General hatte inzwischen die Anwesenden überblickt. Er sah den Rittmeister Adlersparre im Hintergrunde und that einen Schritt auf ihn zu, indem sein groteskes Gesicht freundlicher wurde.

Sie sind hier, Rittmeister? sagte er, das ist gut. Ich will Sie selbst dem Könige vorstellen. Habe ihm schon gestern davon gesprochen. Majestät war erfreut über Ihren Entschluß. Sie können der Erfüllung gewiß sein.

Adlersparre verbeugte sich, seine glänzenden Augen hefteten sich auf den alten General, der verstehen mußte, was sie ihm sagten. Besorgen Sie nichts, murmelte er, aber begleiten Sie mich in das Cabinet. Ich mag nicht warten bis Zibet und Ehrenheim fertig sind.

Der Mann, der sich dies vermaß, wandte sich um und sah gerade vor sich den sonderbaren Gast in diesem Raum, der kein hochzeitlich Kleid anhatte.

Was ist das? fragte er.

Ein junger Mensch, der vorgibt ein finnischer Bauer zu sein, sicherlich aber keiner ist, antwortete Adlercreutz französisch. Er 508 verschweigt seinen Namen wie sein Anliegen, will aber dennoch durchaus den König sprechen.

Wozu ich gute Gründe habe, antwortete Otho ebenfalls französisch, die der König anerkennen wird.

Ein seltsamer Bauer, der französisch spricht! rief der General lachend. Wer, zum Henker! sitzt eigentlich darunter?

Indem er dicht zu ihm heran trat, sah er ihn scharf an, hob dann das riesige rothe Gesicht auf, und es war als ob er zurückprallte. Oho! Wie? rief er. Sie heißen Waimon?

Otho Waimon.

Ingar Waimon's Sohn, ist es nicht so?

Mein Vater hieß Ingar, ja.

Oberst in englischen Diensten. Er ist todt.

Todt, seit langer Zeit.

Ich habe davon gehört, sagte der Herr, indem er Otho starr anblickte als suche er in seinem Gesicht alte Erinnerungen. Ihre Mutter aber?

Sie ist im letzten Jahre von uns gegangen.

Auch todt – wir sterben Alle! murmelte der Herr, ohne seine Augen abzuwenden.

Sie haben meine Eltern gekannt?

Der General nickte eine Anzahl Male vor sich hin, wie in Gedanken.

Und wer sind Sie, mein Herr?

Ich heiße Toll!

Feldmarschall Toll! rief Otho, und als er den Namen aussprach, fühlte er eine Anwandlung des Abscheus und Zornes, mit denen er oft genug den gefürchteten und gehaßten Günstling des Königs geschmäht hatte.

Feldmarschall Toll! wiederholte der alte General, und in dem rothen grimmigen Gesicht zuckte ein übermüthiges verächtliches Lachen, als wüßte er, was in der Seele des Finnen vorging. Was treibt Sie denn hierher? fragte er. Ich weiß es schon, Sie wollen den König sprechen. Was ist es? Eine eigene Angelegenheit?

Nein. Was den König angeht.

509 Was den König angeht? Er heftete die Augen auf ihn, als wolle er die Wahrheit erforschen. Wenn es Se. Majestät angeht, sollen Sie ihn sprechen. Kommen Sie, wir wollen sehen, was zu machen ist.

Er ging den Saal entlang, und Otho folgte seinem Wink, ebenso folgte der Rittmeister Adlersparre, der, als der Feldmarschall die Thür erreicht hatte, leise sagte: Nehmen Sie sich in Acht!

An den Saal stieß ein kleines Cabinet, aus welchem eine andere Thür weiter führte. Niemand, weder der Hofmarschall noch der Ceremonienmeister hatten dem Willen des allmächtigen Mannes widersprochen, der ohne eine Anmeldung zu begehren, den König in seiner Berathung mit seinen Ministern unterbrechen wollte. – Eine harte laute Stimme schallte durch die Thür; als er die Hand auf den Drücker legte, wandte er den Kopf zurück und sah den Abenteurer noch einmal so rasch und finster an, als hänge an seinem Blick eine schwere Drohung, dann klopfte er, indem er zugleich die Thür offen ließ, als er hinein trat. Der Rittmeister stand vor Otho, welcher über dessen Schulter fort neugierig in das königliche Zimmer blickte. Ein alter Herr saß steif und würdig an einem Tische, auf welchem viele Papiere lagen, und schien darin zu lesen; an der andern Seite stand ein kleiner ausgetrockneter Mann mit dürrem vergilbten Gesicht, welches die große Perrücke mit Taubenflügeln noch häßlicher machte. Er schien im Begriff zu sein, sich entfernen zu wollen, denn er schloß eine große Maroquinmappe, die mit Schriftstücken gefüllt war. Vor diesem Tische, in der Nähe der Fenster, sah Otho einen General in Uniform, der seine Brieftasche in der Hand hielt, und darin etwas bemerkte, was Bezug haben mochte auf die laut gesprochenen Worte eines vierten Anwesenden, welcher an den Tisch gelehnt zu ihm sprach.

Als der Feldmarschall hereintrat, wandte dieser Herr sich nach dem Geräusch um, und wie dies geschah, ließ vermuthen, daß er unwillig über eine unerwünschte Störung sei; kaum aber hatte er gesehen, wer er war, als er mit großer Freudigkeit des Tones rief: Mein lieber Marschall! Es ist mir sehr erwünscht, Sie zu sehen. Wir haben Nachrichten, daß die Dänen rüsten. In Norwegen haben sie bei Fredrikshall fünf Regimenter zusammengezogen und sammeln Verstärkungen. Ich bestimme so eben, daß eine Westarmee gebildet 510 werden soll. Cederström soll alle Mittel anwenden, die Regimenter rasch zusammenzubringen. Aus Schonen sollen keine Truppen fortgezogen werden, aber die aus dem Norden was da ist. Wir müssen dem Feinde zuvorkommen.

Majestät, sagte Toll, finden in Ihrer Weisheit immer das Beste, und wenn nicht etwa in Finnland –

Nichts da! rief der König, in Finnland steht Alles gut. Stedingk schreibt mir aus Petersburg, er sei endlich hinter die russischen Schliche gekommen. Tagtäglich läßt man Soldaten bei ihm vorübermarschiren mit Sack und Pack, Artillerie und Munitionscolonnen, aber er hat herausgebracht, daß es immer dieselben sind, die zur Nachtzeit wieder in die Stadt einrücken. Die Russen thun uns nichts, Marschall, aber die Dänen! die Dänen, die den Erzfeind der Menschheit hinter sich haben.

Otho stand regungslos und blickte den König an. Gustav der Vierte blieb noch immer an dem Tisch, die linke Hand aufgestützt, mit der Rechten, während er sprach, einige abgemessene Bewegungen machend. Er war noch nicht dreißig Jahre alt, ziemlich groß, schlank und wohlgebaut; das lange regelmäßige Gesicht, die gerade lange Nase und die hohe steile Stirn der Oldenburger fehlten ihm nicht. Otho erinnerte sich an ein altes Bild Karl's des Zwölften, das in Halljala hing, und er fand, daß dieser späte Abkömmling dem großen Ahnherrn ähnlich sehe. Inzwischen wandte sich der König um und sah zunächst den Rittmeister stehen.

Wer ist da? fragte er mit seinem rauhen Organ.

Majestät, fiel Toll ein, ich bitte um die Gnade, Ihnen zwei Männer vorstellen zu dürfen. Der eine ist der Rittmeister Adlersparre –

Näher! sagte der König.

Adlersparre trat herein, machte drei tiefe Verbeugungen und richtete sich dann militärisch auf. Der König kam ihm entgegen, blieb vor ihm stehen und sah ihn eine Minute lang mit stolzer Miene an. Sein Gesicht hatte äußerst unbewegliche, harte und kalte Züge, die tiefen Mundwinkel und festgeklemmten Lippen deuteten auf den eisernen Starrsinn, der so viele Leiden über diesen unglücklichen Fürsten gebracht hat. Wie er langsam vorschritt, den Kopf in den Nacken, steif 511 und feierlich, konnte man ihn eher für einen spanischen Granden, denn für einen schwedischen König halten.

Otho hatte Zeit ihn zu beobachten, da der König wenige Schritte von ihm verweilte, aber es war als bemerke Gustav Adolph ihn nicht. Es kam dem jungen Finnen vor, als wolle der Gebieter sein höchstes Ansehn gegen den Rittmeister geltend machen, oder ihn für begangene Sünden strafen und einschüchtern, ehe er ihm ein gnädiges Antlitz zeige, und er hatte es richtig errathen; denn nach einigen Minuten schmolz der Ernst in den harten Zügen des Königs, eine Art Lächeln machte seine Lippen weicher und die starr geradeaus blickenden Augen wurden beweglicher.

Adlersparre stand soldatisch aufgerichtet ohne sich zu regen und einen Augenblick lang konnte der neugierige Zuschauer die beiden Männer vergleichen. Sie sahen sich ähnlich in dem düstern Ausdruck ihrer Mienen und unwillkürlich überkam Otho der Gedanke, daß in Unbiegsamkeit und Hartnäckigkeit Keiner dem Anderen weichen würde. Aber aus den Augen des Rittmeisters leuchtete Etwas, das dem Könige fehlte. Es leuchtete ein Feuer darin, das seinem Gesicht den Ausdruck eines entschlossenen Charakters gab, und sein schöngewölbter Kopf war edel und kühn gebaut, während der König mit matten Augen und steilaufstrebender Stirn aussah, als ob es ihm sowohl an Geist, wie noch mehr an Charakter fehle.

Wenn der dort König von Schweden wäre, murmelte Otho heimlich sich zu, stände es besser um uns, und mit Aufmerksamkeit hörte er an, was vor ihm geschah.

Rittmeister Adlersparre, sagte der König, das Schweigen unterbrechend, Sie wollen wieder in meinen Dienst treten.

Ja, Majestät, antwortete der Rittmeister, ich halte es für Pflicht, jetzt, wo der Feind Schweden bedroht, Ihnen meine Dienste anzubieten.

Sie sind ein Mann von Gesinnung, das schätze ich, fiel der König ein. Sie haben sich aus der Armee und von mir zurückgezogen. Ich will nicht darauf eingehen, was Sie dazu bewog, aber ich freue mich, daß Sie zu mir zurückkehren. Ich will das Rechte und Gute. Gerechtigkeit gegen Alle! das ist mein Grundsatz und – ehrlich währt am längsten! Ja gewiß, ehrlich währt am längsten!

512 Indem der König seinen Lieblingsspruch wiederholte, klopfte er mit der Hand auf seine Brust und sah den Rittmeister wohlwollend an. Ich danke Ihnen, Herr Adlersparre, fuhr er dann fort, Sie sollen mir willkommen sein. Es wird ein Westheer gebildet, ich brauche tüchtige Offiziere. Sie sind ein solcher, ich weiß es, darum ernenne ich Sie zum Major; das Übrige wird der Kriegspräsident, General Cederström, anordnen.

In dem Augenblick, wo Adlersparre sich verbeugte und einige dankende Worte sagte, sah Gustav Adolph über ihn fort und seine Augen hefteten sich auf Otho.

Er that als erblicke er ihn erst jetzt und sagte freundlicher, als er bisher gewesen: Ein Finne! Komm her zu mir. Was führt dich nach Stockholm?

Dieser junge Mann ist, wie er sagt, gekommen, um Ew. Majestät Mittheilungen zu machen, welche er keinem Andern anvertrauen will, begann der Generalgouverneur von Schonen.

Wo ist Oberst Mellin? fragte der König.

Verzeihung, Majestät, antwortete der alte General, dem Ceremonienmeister wollte er seine Geheimnisse nicht sagen, somit –

Es ist reglementswidrig! rief der König im scharfen Tone. Warum wolltest du dem Herrn mit dem schwarzen Stabe nicht gehorchen? fuhr er gegen Otho gewandt fort. Er hat dir ohne Zweifel gesagt, wie die Vorschriften lauten.

Das hat er gethan, erwiederte Otho, ich hatte jedoch Gründe nicht zu gehorchen.

Ihr Finnen habt immer Gründe, wenn ihr thun wollt was euch beliebt, sagte der König die Lippen verziehend. So sage mir denn, junger Mann, was du für Gründe hattest?

Zunächst, versetzte Otho, glaubte ich nicht, daß man für wahr halten würde, was ich erzählen sollte, dann aber fürchtete ich auch die Folgen für mich selbst.

Vorsichtig, wie ein echter Finne! Wie heißt du?

Otho nannte seinen Namen. Der Herr Marschall, fuhr er fort, kannte meinen Vater, den Obersten Waimon.

Oberst Waimon? fragte der König sich an Toll wendend.

513 Ja, Majestät, erwiederte dieser. Sein Vater war der verstorbene Oberst Waimon, der eine Schwester des Freiherrn Randal in Tavastland geheirathet hat.

Er lebte in Stockholm während der ersten Regierungszeit Sr. Majestät Gustavs des Dritten, fuhr Otho fort. Man hat mir gesagt, daß mein Vater, der aus englischen Diensten zurückgekehrt war, von dem verewigten Könige gern gesehen wurde und in dessen Dienste treten sollte.

Und warum ist dies nicht geschehen?

Mein Vater verließ den Hof und Stockholm, als die Revolution erfolgte, ging nach Finnland und wurde ein Bauer.

Des Königs Gesicht verdüsterte sich, die Falte zwischen seinen Augen zog sich zusammen; der Marschall winkte hinter ihm dem Unbesonnenen zu, still zu schweigen.

Und wie kommt der Sohn des Obersten Waimon in diesen Bauernpelz? fragte der König.

Ich bin ein Landmann, Majestät, versetzte Otho unerschrocken, lebe auf meinem Gaard am Pajänesee und würde noch heut dort sein, wenn ich nicht von besonderen Umständen angetrieben wurde, nach Stockholm zu reisen, um den König zu sprechen.

So sprich! sagte der König befehlend.

Hier sind Viele, die es anhören werden.

Meine Minister können Alles hören was mich angeht. Hier ist mein Kanzeleipräsident, der Freiherr Ehrenheim, fuhr er fort, als mache es ihm Vergnügen, mit dem unerfahrenen Landmann zu scherzen und ihn in Verlegenheit zu setzen mit hohen Titeln und vornehmen Namen. Dort steht der Hofkanzler, Freiherr Zibet, und jener Herr ist der Kriegspräsident Cederström. An Adlersparre schien er nicht zu denken, der noch auf seinem Platze stand und, da er nicht entlassen war, nach den Regeln der Etiquette nicht eher sich entfernen durfte.

Wir sind begierig zu hören, lächelte der König, was Herr Waimon uns Neues vom Pajänesee bringt.

Daß Finnland verloren ist, Herr König, antwortete Otho mit fester starker Stimme, wenn Sie nicht eilen es zu retten.

Eine solche Antwort hatte der König so wenig erwartet, wie seine Minister, die bisher sich wenig um das Gespräch ihres Herrn mit dem 514 jungen Bauer bekümmerten. Jetzt legte der alte Minister des Auswärtigen, der Freiherr Ehrenheim, die Papiere nieder, in welchen er las, und wandte sich auf seinem Stuhle um, der Minister des Innern, Freiherr Zibet, ließ die Mappe fallen und der Kriegsminister steckte seine Brieftasche ein.

Was wißt Ihr davon! rief der König.

Ich weiß, Majestät, daß Finnland den Russen verkauft worden ist, fuhr Otho fort. Ein russischer General, General Suchtelen, hat vor meinen Ohren erzählt, daß Napoleon –

Der König stampfte heftig mit dem Fuße auf.

Daß Napoleon im Frieden zu Tilsit dem Kaiser Alexander seine Zustimmung ertheilt hat, es zu erobern und eben dieser General fügte hinzu, daß es niemals wieder aus den russischen Händen entkommen sollte.

Wem sagte er das?

Einem schwedischen Offizier, einem Obersten des Königs, dem Obersten Jägerhorn.

Jägerhorn? murmelte der König, zweifelnd ob das wahr sein könne und inne haltend, indem seine Augen in Otho's Gesicht umhersuchten. Weiter! rief er dann, wo war es?

Im Hause des Freiherrn Wright und gleich darauf kam der Oberst Wright herein, der nicht besser ist, als Jägerhorn.

Wright, sagte der König den Kopf schüttelnd. Ich gab ihm das Regiment. Wie ist das möglich?

Die Russen geben Geld, das ist besser für Leute, die viel brauchen, versetzte Otho. Sweaborg ist zwei Millionen werth. General Suchtelen bot sie Jägerhorn an und dieser machte sich anheischig, dafür den Admiral –

Halt! schrie der König mit größter Heftigkeit. Bist du ein Wahnsinniger, oder ein Schelm?!

Keines von beiden, antwortete der junge Mann, indem er sich stolz aufrichtete und sein Gesicht dunkel glühte. Ich sage die Wahrheit. Oberst Jägerhorn erbot sich, den Admiral dahin zu bringen, die Festung den Russen zu überliefern, denn seine Geldgier und seine Rachsucht seien größer als seine Ehre.

515 Der dürre grämliche Minister, welchen der König Freiherr Zibet genannt hatte, hob seine mageren Arme auf und faltete seine Hände. In dem faltiggrauen Gesicht des alten Staatsmannes malten sich Schmerz und Bestürzung. Großer Gott! meine Ahndung erfüllt sich, sagte er. Meine Warnung ist vergebens gewesen!

Der König wandte sich nach ihm um, fest und würdevoll hob er den Kopf auf. Ihr habt mich gewarnt, Zibet, erwiederte er, und damals sprach ich, wie ich jetzt spreche: Ich habe Cronstedt in Rang und Ehren erhöht; wenn er sich gekränkt fühlte, habe ich es gut gemacht, wie er aber auch gegen mich gesinnt sein mag, er wird nicht vergessen, daß er ein Schwede ist und daß er die Schlacht im Svensksund gewonnen hat.Eigene Worte des Königs.

Und wieder Otho anblickend, fuhr er fort: Wo sind deine Beweise?

Ich habe keine anderen als mein Wort, antwortete dieser.

Du lügst! rief der König und die Hand heftig schüttelnd schrie er noch lauter: Ich will dich strafen, wie du es verdienst, öffentlich, vor aller Welt sollst du sterben! Wie wagst du es, den Admiral zu beschimpfen, meine Obersten, Männer von reiner Ehre! – Aber mehr noch beschimpfst du den Kaiser, meinen Schwäher, einen großen Monarchen, daß er heimtückisch mir mein Land rauben wolle. Wer hat dich zu dieser Nichtswürdigkeit gedungen? Bekenne die Wahrheit! Ich lasse dich in Ketten werfen! Sprich! Bekenne!

In plötzlicher Wuth, wie sie diesen unglücklichen Fürsten öfter überkam, legte er die Hand an den Degen und verzerrte sein Gesicht als wollte er eine rasche That an dem Manne begehen, der ohne zu wanken und ohne zu zucken vor ihm stand.

Majestät! sagte der Marschall im mahnenden und bittenden Tone, indem er sich näherte; der alte Kanzler eilte ebenfalls herbei, der Freiherr Ehrenheim stand steif von seinem Stuhle auf.

Eben wurde die Thür des kleinen Vorzimmers geöffnet; der Generaladjutant Adlercreutz zeigte sich am Eingange.

516 Was wollen Sie? fragte der König, ihn finster anblickend, indem er die Hand sinken ließ.

Ein Adjutant des General Klerker, Graf Lövenkron, ist so eben eingetroffen, antwortete Adlercreutz.

Von Klerker! rief der König, der kommt zur rechten Zeit, herein mit ihm. Jetzt werden wir die Wahrheit hören.

Der Offizier, welcher vor der Thür stand, trat herein. Seine Kleider schienen lange nicht gesäubert, er kam aus dem Schlitten, der im Schloßhofe hielt.

Die ersten Worte des Königs, als er ihn sah, waren: Wo sind die Achselschnüre? Warum fehlen die Achselschnüre?

Der Offizier stammelte eine Entschuldigung.

Nicht dienstmäßig! murmelte der König. Was bringen Sie?

Die Russen, sagte der Adjutant, sind am 21. Februar an drei Stellen über den Kymene gegangen.

Ein tiefes Schweigen folgte. – Ohne Kriegserklärung! schrie der König plötzlich laut auf. Ha! Er drückte die Hand an seine hohe Stirn und ließ sie wieder fallen, indem er seine Aufgeregtheit zu bezwingen suchte. Fahren Sie fort, sagte er.

General Klerker wurde zuerst bei Forsby angegriffen, berichtete der Adjutant. Wir zogen uns von Stellung zu Stellung zurück, nach den Befehlen Ew. Majestät und des Kriegsplans wie auch bei der großen Übermacht des Feindes.

Wie stark ist er? fragte der König.

Nach der Aussage einiger Gefangenen führt General Buxthövden an der Küste auf Abo zu ein Heer von dreißigtausend Mann. Ein anderes Heer, das in Savolax unter General Tutschkoff eingedrungen ist, soll zwanzigtausend Mann betragen. Dies Heer ist bestimmt, uns den Rückzug nach dem Norden abzuschneiden und dringt in Eilmärschen vorwärts. Eine dritte Heerschaar endlich, zehntausend Mann stark, ist für die Belagerung von Sweaborg bestimmt. Im Ganzen also sechszigtausend Russen, während wir ihnen im freien Felde kaum sechstausend entgegen stellen können.

517 Der König hörte nicht darauf. Seine Augen starrten in die leere Luft, unbeweglich blieb er einige Minuten lang, bis die harten Züge seines Gesichts von Schmerz erweicht schienen. Das thut ein Verwandter an mir, ein Freund, Alexander! sagte er klagend als spräche er mit sich selbst. Wie lange ist es her, daß seine Briefe von Freundschaftsbetheuerungen überströmten? Und sie nennen ihn einen edlen, hochherzigen Mann, der für alles Große und Gerechte sich begeistert? O! wie ist das möglich, wenn er gerecht ist, wenn er ein Christ ist?! Ich bin betrogen, meine Herren, schändlich betrogen! schrie er plötzlich aus seinem Selbstgespräch auffahrend, aber ehrlich währt am längsten! das will ich beweisen. Finnland soll mir Niemand entreißen. Bei Gottes Thron! Gut und Blut will ich daransetzen. Meine Finnen sind treu, ich selbst will ihnen beistehen. Karl's des Zwölften Schwert ist noch nicht verrostet. Der Schwedenkönig ist noch da. – Wo haben Sie das Heer verlassen?

Bei Askela, antwortete der Adjutant.

Im besten Zustande?

Voller Entschlossenheit mit Ehren zu sterben. Nur –

Was noch? fragte der König.

Nur in dem Regimente Nyland Dragoner ist es vorgekommen, sagte der Offizier zögernd, daß einige Offiziere die Fahnen verlassen haben.

Wer?

Der Oberst Wright ist mit zehn seiner Offiziere zu den Russen entflohen, doch seine Versuche, das Regiment mitzunehmen, sind gescheitert, kein Mann hat sich dazu bewegen lassen.

Gustav Adolph schwieg, aber er blickte langsam zu Otho hinüber, als wollte er sich an diesen wenden; ehe es jedoch dazu kam, wurde er von anderen Gedanken ergriffen. Er winkte Adlercreutz und dem Adjutanten zu, sich zu entfernen. Die Adern an seiner Stirne schwollen auf, die zornige Gluth kehrte in sein Gesicht zurück, die Hände auf den Rücken gelegt, schritt er auf und nieder. Dieser Verrath wurde lange vorbereitet, sagte er dabei. Ich bin von Verräthern umgeben, von Spionen umringt. Dieser Herr Alopäus – Freiherr Ehrenheim! rief er dem Minister des Auswärtigen zu, schreibt ihm, heut noch, – hier – 518 gleich auf der Stelle. Er soll sein Haus nicht verlassen, nicht einen Schritt oder, bei Gottes Thron! ich will ihm ein festeres Quartier anweisen.

Majestät, antwortete der steife alte Mann mit einer würdevollen Verbeugung, halten Sie zu Gnaden, wenn ich unterthänigst bemerke – es ist dies ein Schritt –

Der ungewöhnlich ist, der den Herren Gesandten nicht gefallen wird, fiel der König ein. Aber haben diese Leute das Privilegium, ungestraft Schandthaten zu begehen? Hat dieser Herr von Alopäus nicht bis auf diese Stunde gelogen und geheuchelt, während er meine Unterthanen verführte und Verräthereien anzettelte! Fallen die Russen nicht wie Räuber in mein Land? Weiß ich nicht, daß sie alle Verräther beschützen? Georg Sprengporten und andere Verbrecher, die ich vergebens von ihnen forderte. Weiß ich etwa nicht, daß Herr Alopäus keine Mittel scheute, eine russische Partei aus meinen Feinden zu bilden? Denken Sie an den Baron Bungen! Nein, Ehrenheim, ich will es nicht dulden. Ich will diesen schlauen Russen festhalten, will der Welt ein Beispiel an ihm geben, an ihm und an seinen Helfershelfern, den Dänen! Alle Couriere sollen aufgefangen werden, vor aller Menschen Augen will ich zeigen wie man mich behandelte. Ich will nichts hören, Ehrenheim, thut, was ich Euch befehle. Gott ist mein Zeuge, ich bin ein schwer gekränkter Mann, aber ich zage nicht: ehrlich währt am längsten!

Mit langsamen feierlichen Schritten ging er durch das Zimmer, als bedächte er was er befohlen; dann sagte er trotzig bestimmt: Es bleibt dabei. Auf mein königliches Wort! es soll so sein. Was aber dich betrifft, fuhr er fort, indem er seine Stimme milderte und Otho ansah – Major Adlersparre, Euch übergebe ich diesen jungen Mann, Ihr sollt mir für ihn haften, bis ich ihn von Euch fordern lasse. Er stand vor Adlersparre still und legte die Hand auf dessen Arm. Ihr seid mein Freund auch nicht gewesen, sagte er, aber verrathen habt Ihr mich nicht, verrathen könnt Ihr mich nicht. Ich weiß es, Major. Es gibt noch Schweden von alter Art, die ihrem Könige treu sind.

Männer, Majestät, die Ihren Schmerz mit Ihnen fühlen! antwortete Adlersparre bewegt.

519 Der König blickte ihn dankbar an. Gott züchtigt mich, sagte er seufzend. Er zeigt mir, daß ich auch ein schwacher sündiger Mann bin. Alexander war mir ein hohes Vorbild. Ich glaubte an ihn, wie an eine höhere Macht; ich hielt ihn für den von Gott gesandten Retter der Völker und nun muß ich sehen, daß ich umsonst geglaubt und gehofft habe. Das thut wehe, das ist ein Zeichen wohin es mit der Menschheit geht. Gott ist mein Zeuge, ich hätte niemals an ihm so gethan! Er legte die Hand auf seine Brust und seine Worte hatten die überzeugende Macht der Wahrheit; es war Niemand, der daran zweifelte.

Einige Augenblicke darauf winkte er Adlersparre, sich zu entfernen und trat zu seinen Ministern an den Tisch. Der Major berührte Otho's Arm und flüsterte ihm zu, ihm zu folgen. Als sie die Thür erreicht hatten, schallte die harte rauhe Stimme des Königs ihnen nach.

Niemand kann mir nun noch rathen nachzugeben, wo ich in meinem Lande überfallen bin! rief er mit Heftigkeit aus. Bei Gottes Thron! wie mein Vater sagte, sage auch ich. Diese Hand soll eher verdorren, ehe ich die Erniedrigung meines Reiches unterschreibe. Es gibt Elende, welche lieber die Russen in Stockholm sähen und einen russischen Minister hier, der mir Gesetze vorschreibt, ehe sie ihrer schändlichen Pläne, ihrer Rachgier und ihren Verräthereien entsagten. Aber meine Krone soll man mir eher abreißen, ja zerschlagen soll man diese Krone Gustav Adolph's, die ich fleckenlos bewahrt habe, ehe ich mich erniedrigen lasse!Eigene Worte des Königs.

Adlersparre schob seinen Begleiter hinaus und führte ihn durch eine Seitenthür in den Corridor, ohne den Versammlungssaal zu berühren. 520


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