Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Achtes Kapitel.

Der Garten des Propstes Ridderstern zog an dem Hügel hinauf, auf welchem die Kirche stand, und von dort aus ließ sich der See nach allen Seiten hin überblicken. Eine Geisblattlaube bildete ein schönes geschütztes Plätzchen und in dieser saß Herr Ridderstern, seine Pfeife rauchend und in einem Briefe lesend, als er Schritte in der Nähe hörte. Er warf einen Blick durch das Geblätter und entdeckte den fremden russischen Herrn, aber er ließ sich dadurch nicht stören. Seine buschigen Augenbrauen dichter zusammenziehend, vertiefte er sich anscheinend noch mehr in seiner Beschäftigung und hörte erst auf, als Serbinoff vor ihm stand.

175 Wenn Sie mir verzeihen wollen, daß ich Sie unterbreche, sagte der Graf mit seiner geschmeidigen Höflichkeit nach der ersten Begrüßung, so nehme ich bei Ihnen Platz.

Ich muß bekennen, antwortete Herr Ridderstern, indem er nach seiner Gewohnheit seine Stirn in Falten zog und sehr würdig aussah, daß ich Sie schon seit einiger Zeit erwartet habe.

Vergeben Sie mir diese Verzögerung, fiel der Graf ein. Ich sehnte mich täglich danach, Sie wiederzusehen, denn nichts kann mir angenehmer sein als Ihre Belehrungen; allein ich wünschte dies Glück allein zu genießen und mußte daher abwarten, bis sich die Gelegenheit günstig zeigte.

Der Propst lächelte beifällig. Heut also fand sich diese günstige mir so schmeichelhafte Gelegenheit, sagte er.

Ja. Die beiden jungen Damen sind in der Obhut des Freiherrn, Herr Otho Waimon aber hat mit meinen Freunden den Major Munk aufgesucht. Ich habe mich davon los gemacht und denke dies zu benutzen. Zunächst, Herr Propst, berufe ich mich auf die Empfehlung Ihres Freundes Halset. Kann ich Ihnen Briefe übergeben, welche sicher in seine Hände gelangen?

So sicher, als wenn Sie selbst der Überbringer wären.

Serbinoff zog ein Päckchen aus der Tasche und übergab es dem Geistlichen. Ich vertraue es Ihrer Güte an, sagte er, und versichere dagegen, daß ich diese niemals vergessen werde. Haben Sie Nachrichten aus Abo erhalten?

Ich lese so eben einen Brief meines lieben guten Halset, antwortete der Propst. Er schreibt mir, daß er bald uns in Halljala besuchen will. Auch eine Neuigkeit steht darin, welche von Stockholm herübergekommen ist. Der König soll in einen erbitterten Briefwechsel mit seinem Schwager, dem Kaiser Alexander, gerathen sein und dessen Anerbieten, ihn mit dem großen Napoleon auszusöhnen, in heftiger Weise abgelehnt haben. Er soll sogar Willens sein, es mit Ihrem edlen Kaiser eben so zu machen, wie mit dem Könige von Preußen, als dieser sich mit Napoleon versöhnte. Damals schickte er den schwarzen Adlerorden nach Berlin zurück, jetzt soll der Annenorden nach Petersburg gesandt werden.

176 Dergleichen läßt sich wohl voraussehen, erwiederte Serbinoff lächelnd. Ich bedaure diese Hartnäckigkeit, die zu seinem und Schwedens Unglück ausschlagen muß. Wie denkt die Geistlichkeit in Finnland darüber?

Sie denkt, sagte der Propst, seine Hände faltend, wen der Herr züchtigen will, den schlägt er mit Blindheit.

Sehr wahr, ehrwürdiger Herr! Die vornehmsten Stützen jedes Thrones sind Geistlichkeit, Adel und Heer, und nur ein Blinder wird diese Stützen schwächen und unsicher machen. Ganz anders denkt und verfährt unser erhabener Kaiser. Sehen Sie hinüber nach Wiborg in das russische Finnland. Die Einkünfte der Geistlichkeit sind dort vermehrt, ihr Ansehn ist befestigt worden. Alle Privilegien sind verbürgt. Es gibt wenige Geistliche, welche nicht mit Orden und Gnaden bedacht wären.

Der Kaiser ist ein großmüthiger, weiser und von Gott gesegneter Monarch, sagte der Propst in seiner salbungsvollen Art.

Er weiß seine Freunde und Diener zu schätzen und zu belohnen, erwiederte Serbinoff, und unter den gegenwärtigen Umständen, wo es leicht sich begeben könnte, daß außerordentliche Ereignisse einträten, würde es Niemand bedauern, der dieser Großmuth und Weisheit vertraute.

Der Propst nickte ihm beifällig zu. Ich habe von meinem lieben Freunde Halset schon vernommen, sagte er dann, daß Sie Finnland kennen zu lernen wünschen, um sich von allen unseren Verhältnissen zu unterrichten. Was ich dazu beitragen kann, um Ihr Vorhaben zu unterstützen, soll mit Freuden geschehen, Herr Graf. Wahrscheinlich aber werden meine Urtheile vielfach von denen abweichen, welche Sie bis jetzt hörten; denn im Schlosse zu Halljala, oder in Louisa, sind Ansichten und Grundsätze heimisch, wie sie nicht von mir getheilt werden können.

Serbinoff drückte ihm verbindlich die Hand. Ich bin nicht hierher gekommen, Herr Ridderstern, war seine Antwort, um verdorbene Naturphilosophen oder wilde Aufschößlinge und deren Schwärmereien und Prahlereien zu hören. Weit lieber sind mir verständige klarblickende Männer von Welterfahrung, welche ohne alle Phantasie die Dinge betrachten, wie diese sind.

177 Wir sind ganz eines Sinnes, versetzte der Geistliche erfreut, und ich sehe, daß ich nicht nöthig habe, Sie vor Ihrer Umgebung zu warnen.

Um so mehr werden Sie mich verbinden, wenn Sie mir Ihre Ansichten über das, was wahr und falsch ist, offen mittheilen, sagte Graf Alexei. Was Finnland im Allgemeinen betrifft, so ist das Volk, wie ich schon von Ihnen hörte, zum Ungehorsam geneigt und moralisch verwildert.

Allerdings ist dies hier der Fall, wo es dazu aufgehetzt wird, war die Antwort, tiefer hinein in die großen Einsamkeiten des Nordens ist es folgsamer und demüthiger, auch der Kirche anhänglicher. Die Eroberung Finnlands ist eigentlich niemals ganz vollendet worden. Man hätte die Sprache ausrotten, die alten Sitten und Gebräuche zerstören müssen. Die schwedische Bevölkerung blieb jedoch an den Küsten und in dem nördlichen Theile des Landes stecken, das Innere ließ sie wie es war. Der Adel gründete Rittersitze, aber seine Bauern und Pächter verharrten in ihrer finnischen Starrsinnigkeit und Wildheit. Dazu kamen die vielen Kriege und endlich das sogenannte Licht der Aufklärung. Alle Leibeigenschaft wurde aufgehoben, schwedisches Recht eingeführt, zwischen Finnen und Schweden sollte kein Unterschied mehr sein, und obwohl die Schweden sich bis auf diese Stunde ihres Blutes rühmen und die finnische Abkunft ein Makel ist, den keine schwedische Familie gern duldet, kam es doch dahin, daß manche Finnen sich aus dem Bauer- oder Krämerstande höher aufschwangen, ihre Söhne sogar in Ämter und Würden brachten, oder wohl gar, wie es in Halljala geschehen ist, mit den Töchtern des Adels sich verheiratheten.

Das ist aber doch gewiß ein ziemlich seltener Fall, fiel Serbinoff ein.

Allerdings ein seltener Fall, über welchem auch jetzt noch ein gewisses Dunkel schwebt, lächelte Herr Ridderstern. Denn der Obrist Waimon erschien plötzlich hier mit der Dame, die seine Gattin geworden war.

Wie meinen Sie das? Woher kam er mit ihr? fragte Alexei.

178 Ich habe, was ich davon weiß, viel später gehört, fuhr der Propst fort, denn ich habe den Obersten nicht mehr gekannt; von Halset weiß ich jedoch, daß die Heirath in Stockholm erfolgte, und seinen Äußerungen nach wurde die Familie dadurch überrascht.

Man hat mir erzählt, daß der Freiherr Randal, der Vater des jetzigen, aufs innigste diesen Schwager geliebt habe, wandte Serbinoff ein.

Das mag wohl sein, versetzte der Propst, denn sie paßten zusammen, und die Frau des Obersten bildete die beste Vermittlung. Sie haßten Alle die Regierung und den König, verließen niemals ihre Besitzungen, nahmen aber so lebhaften Antheil an dem Aufstande von 1788, daß ein Prozeß gegen sie eingeleitet wurde, der ihnen Güter und Leben gekostet hätte, wenn er nicht niedergeschlagen worden wäre.

Ich glaube, daß sie dadurch nicht gebessert wurden, lachte der Graf.

Gewiß nicht. Ein großer Theil des finnländischen Adels hat seine Abkunft in so weit vergessen, daß er sich gern Finnen nennt und eine besondere Nationalität beansprucht. Manche lernen die finnische Sprache, und in solchen Köpfen ist der Gedanke aufgewacht, Finnland sei keine Provinz des schwedischen Reichs, welche man beliebig regieren und verwalten könne, sondern wenn nicht größer so doch reicher als Schweden selbst, dabei von einem ganz von jenem verschiedenen Volke bewohnt, das wohlberechtigt sei, ein eigenes Reich oder doch ein Nebenreich zu bilden.

Ich habe davon gehört, sagte Serbinoff.

In Halljalaschloß sind diese Ansichten von den Eltern den Kindern überliefert worden, sie sind damit aufgewachsen und haben sie zu verbreiten gesucht. Tavastland ist der reichste Theil Finnlands, die Bauern sind aber trotz dessen meist arm und verkommen, nur in Halljala sind sie wohlhabend und übermüthig geworden. Als der Oberst Waimon sich in Louisa niedergelassen hatte, fingen die Umtriebe an, um aus dem abergläubischen Landvolke freie denkende Menschen zu bilden, wie sie es nannten. Nicht allein Lasten wurden den Bauern abgenommen, sondern auch Grund und Boden billig verkauft und verschenkt. Man ließ Leute aus der Fremde kommen, welche den 179 Ackerbau besser verstanden, neue Geräthschaften zur Bestellung mitbrachten, neue Arten zu säen und zu ernten. Die Kartoffel wurde aus Deutschland eingeführt, Bauernschulen wurden angelegt, Unterstützungen erhielten Alle, die sich darum bemühten, und große Geldsummen wurden verschwendet, um allerlei Verbesserungen in Gang zu bringen, Mühlen zu bauen, Wege in die Wälder zu bahnen.

Und die Bauern fanden, daß es ihr Vortheil sei.

Der finnische Bauer ist so eigensinnig wie ein Stier, bei alledem aber hat er Verstand genug, um zu begreifen, was sein Vortheil ist. Hier war es obenein kein schwedischer Freiherr, sondern ein Mann seines Stammes, der ihm zeigte, wie es gemeint sei. Der Freiherr selbst, der solchen Schwager besaß, stieg damit in ihrem Vertrauen, und seine Schwester, des Obersten Frau, wurde fast abgöttisch von ihnen verehrt; denn sie ging in die Hütten, beschenkte die Kinder, belehrte die Weiber und sang finnische Lieder auf der Zither, was jeden Finnen glücklich macht. Ich habe es selbst gesehen, wie sie in dieser Art ihr Wesen trieb und dabei von ihren Kindern sowohl, wie von einem Landstreicher unterstützt wurde, der in dem ganzen Tavastlande bekannt ist.

Sie meinen den alten Schulmeister?

Denselben. Vertrauen Sie ihm niemals, fordern Sie ihn zu keinem Dienste auf und suchen Sie ihn eben so wenig durch Belohnungen zu gewinnen. Es ist ein lästerlicher Schelm, immer bereit Unfug anzurichten und Possen zu treiben, hinter denen sich seine Bosheit verbirgt.

Kaum hatte der Propst dies gesagt, als eine helle Stimme sich hören ließ, die eines jener Volks- und Bauernlieder sang, an denen Finnland so reich ist. Über der Laube, auf der Höhe des Hügels, lief dicht an dem Gartengehege ein Fußsteig, auf welchem der Sänger daherkam, welcher endlich durch das Geblätter erblickt werden konnte und kein Anderer war, als Lars Normark selbst. Er trug seinen Ranzen auf der Schulter und hielt seinen Knotenstock in der Hand. Rund und roth schaute sein schlaues Gesicht unter dem groben niedrigen Hut, aus dem weißen Kittel hervor und blickte in den Garten hinab.

180 Spricht man vom Bösen, so ist er nicht weit, murmelte Herr Ridderstern. Länger als ein halbes Jahrhundert zieht der Kerl schon umher, ohne sein Ende zu finden. Lars war stehen geblieben, als habe er diese anzügliche Bemerkung gehört. Ohne seinen Gesang zu unterbrechen, musterte er die Laube und wiegte seinen dicken Kopf. Plötzlich aber wechselte er die Sprache und statt der finnischen Worte brauchte er schwedische, in welche er sein Lied übersetzt hatte. Serbinoff sowohl, wie der Propst verstanden genau, was er sang:

Ich war noch jung, ich war noch klein,
Da fiel der Russe ins Land.
Er nahm die Kuh, er nahm das Schwein,
Nahm Alles, was er fand.

Meinen Vater hat er geschlagen todt,
Meine Mutter hat er verbrannt.
Die Bäche fließen so blutig roth,
Roth ist der finnische Sand.

Lauf in den Wald zu dem wilden Thier,
Du armer Knabe, flieh.
Bär und Wolf haben Mitleid mit dir,
Ein Russe hat es nie.

Die Messer nehmt und wehrt ihn ab,
Das Heulen laßt jetzt sein.
Der Sumpf hat Raum für manches Grab,
Werft Russ' und Verräther hinein.

Länger wollte Herr Ridderstern nicht zuhören. Er stand auf, trat aus der Laube und sah mit strenger Miene zu dem Schulmeister hinauf, der seinen Hut vom Schädel riß und vergnügt den geistlichem Hirten angrinste. Gott behüt's, hochwürdiger Herr! schrie er, es geht nichts über einen feinen Octobertag und ein fröhlich Gesicht. Gott behüt's! und während er sprach, kroch der Hahn aus dem Quersack, setzte sich auf den Gartenzaun und fing ein helles Gekrähe an.

181 Richtig, Hans, gibst dein Wort auch dazu, fuhr Lars lachend fort. Das Wetter ist fein und die Gesichter sind froh; denn die Ernte ist gesegnet eingebracht im ganzen Tavastland und der Preis ist heuer gut, darum wird's weiße Kuchen und fette Braten vollauf geben.

Hast du nichts Besseres zu thun, rief der Propst hinauf, als hier zu stehen und mir die Ohren vollzuschreien.

Wirklich, Herr, sagte Lars, ich weiß nichts Besseres, als das edle Lied vom Jahre 1714 zu singen. Es ist allerlei Gerede im Lande. Die Hexen fliegen durch die Luft, man hört's rauschen an allen Orten und vom Berge Tyrian Wuori ist der alte Gott Turri ausgezogen und trompetet und paukt alle Nächte, daß den Leuten die Haare aufrecht stehen. Aber es ist gut schwedisch Blut in mir und in dem Hans. Gott sei Dank! echt schwedisches Blut!

Geh deiner Wege und störe mich nicht länger, sagte Herr Ridderstern.

Und nächster Tags wird's ein Fest in Halljala geben, fuhr der Schulmeister fort. Es gibt Bärenfleisch in dem Kessel, Propst, die fette Zeit ist da. Und indem er seinen Hahn auf die Hand hüpfen ließ, sang er dazu:

Kommt und schmaust vom Waldesapfel,
Otho ladet euch zum Feste.
Sieh', Telervo Tapio's Tochter
Bringt die honigsüßen Händchen.
Mielicki streicht den Mund ihm,
Jumala gönnt euch das Beste.

Damit zog der Schulmeister weiter und wartete nicht ab, was dem grimmigen Stirnrunzeln des Propstes folgen möchte, der ihm eine Zeitlang nachblickte und dann zu seinem Gaste zurückkehrte. – Was sang das alte Geschöpf von Otho und Tapio's Tochter mit honigsüßen Händchen? fragte Serbinoff.

Er bestätigt, was ich Ihnen mittheilte, erwiederte der Geistliche, daß das Heidenthum in Finnland niemals ganz überwunden wurde; dem bei Allem, was die Finnen thun, rufen sie auch jetzt noch ihre 182 alten Götter an, und sie haben zahllose Gesänge zu ihren verschiedenen Festlichkeiten, zu Ernten, Hochzeiten und Kindtaufen, die ganz heidnisch lauten. So haben sie auch noch ein heidnisches Bärenfest, das jeden Herbst gefeiert wird. Irgendwo im Walde ist eine Bärenhöhle entdeckt, und sie ziehen hinaus, fangen und tödten den Bären unter den seltsamsten, unsinnigsten Gebräuchen und Gesängen. Hiisi, der finnische Teufel und Schirmherr aller wilden Bestien, wird darin angerufen. Mielicki und Tapio sind Waldgötter; Jumala, der Weltenschöpfer, spielt auch seine Rolle. Die Götter sind überhaupt zahllos, Ausgeburten des rohsten Aberglaubens, der die meisten Finnen noch immer beherrscht. Sie werden sehen, wie es zugeht; denn Ihre Freunde werden dabei nicht fehlen.

Aber was hat Otho damit zu thun? fragte der Graf.

Wissen Sie noch nicht, erwiederte Herr Ridderstern, daß das finnische Volk dem Bären diesen Namen gibt? Otho heißt eigentlich Breitstirn und ist ein besonderer Ehrenname für Menschen, welche an Gewalt und Rohheit dem Bären gleichkommen.

Es ist gut, daß Herr Otho Waimon diese Erklärung nicht hört, sagte Serbinoff lächelnd.

Möchte er sie hören, ich würde nichts davon zurücknehmen. Wie ich Sie vor diesem Landstreicher gewarnt habe, so warne ich Sie vor seinen Beschützern. Sie werden inne werden, daß ich Recht habe, ich kenne sie Alle. Hörten Sie, was der alte Kerl von den Russen sang?

Es wird eine Zeit kommen, wo er nicht mehr dergleichen singen wird, sagte Alexei.

Solche Lieder vernimmt man seit einiger Zeit mehr als je. Dabei soll der finnische wilde Jäger, der Gott Turri, der, wenn dem Lande Krieg und Unglück droht, nächtlich durch die Lüfte mit allerlei Kriegslärm zieht, sich wieder hören lassen. Wenn es auch wahr ist, daß ein Theil des Adels anders denkt, so ist es doch eben so wahr, daß von manchen Seiten der Russenhaß geflissentlich angefacht wird, der in dem Volke von alter Zeit her festsitzt. Die dies thun, sind größtentheils Schweden; dort aber – er deutete nach dem See hin – sind es Finnen, die von einem freien Finnland träumen, die finnische 183 Sprache zur Landessprache erheben möchten, und aus diesem schmutzigen heruntergekommenen Stamm ein Volk bilden wollen.

Ein erhabener Gedanke, sagte Serbinoff, der aber leider wenig Segen bringt.

Herr Otho wird verehrt und Herr Erich ist eine Art Heiliger dabei geworden; wenn aber Halset zufassen wollte, wie er es könnte, würde dem Freiherrn wenig übrig bleiben; denn er treibt es noch ärger als sein Vater.

Herr Halset kommt, wie Sie mir sagten, bald? fragte der Graf.

Ich denke ja. Er macht außerordentliche Getreideeinkäufe in diesem Jahre und seinen Schreiben nach hat er Lieferungen für die Regierungsmagazine in Helsingfors übernommen. Eben in dieser Angelegenheit verweilt Oberst Jägerhorn jetzt in Abo und wird mich bei seiner Rückreise wieder besuchen; denn ich habe die Ehre, mit dem Obersten verwandt zu sein.

Herr von Jägerhorn ist, wie ich vernommen habe, einer der ausgezeichnetsten Offiziere in der finnischen Armee, sagte Serbinoff.

Ein kluger, einsichtsvoller Mann, erwiederte der Propst, dabei von großer Welterfahrung und Menschenkenntniß.

Der Oberst gehört zur Besatzung von Sweaborg?

Er commandirt die Jäger von Nyland. Es würde für Ihre Absichten gewiß recht gut sein, wenn Sie Jägerhorn kennen lernten, und gerne würde ich dazu beitragen.

Ich danke Ihnen, hochwürdiger Herr, von ganzem Herzen, erwiederte Serbinoff. Mit Freuden nehme ich Ihren Beistand an, den ich hoch zu schätzen weiß.

Die vertrauliche Unterredung zwischen den beiden Herren wurde von jetzt ab längere Zeit leiser fortgeführt und erst beendet, als der Propst den Grafen bis auf die Höhe begleitet hatte. – Wenn Sie mich besuchen wollen, sagte Herr Ridderstern, können wir uns hier oben öfter finden. Aber noch eine Frage. Ist es wahr, was sich die Leute umher in ihrer neugierigen Geschwätzigkeit erzählen, daß Fräulein Ebba Bungen Halljala nicht wieder verlassen wird?

184 Ich bin der Vertraute dieser jungen Dame nicht, erwiederte Serbinoff; allein es könnte wohl sein, daß die Geschwätzigkeit Recht behielte.

Es ist finnische Art so, fuhr der Geistliche fort. Auch für Sie hat man schon gesorgt.

Auch für mich? Das ist erfreulich!

Der Propst lächelte ihm vertraulich zu. Nun, sagte er, es ist so übel nicht gemeint; die kleine Louisa ist ein artiges Kind. Doch nehmen Sie sich in Acht, mein theurer Herr.

Wovor? Vor wem?

Vor Nebenbuhler. Sie haben einen solchen, der sehr erzürnt über Ihre Anwesenheit ist.

Wen meinen Sie? fragte Serbinoff ernsthafter als es nöthig schien.

Sollte es Ihnen entgangen sein, daß der junge Herr Magnus Munk das nächste Recht auf Louisa zu haben glaubt?

Ich will es wahrlich dem Jungen nicht streitig machen, rief der Graf lachend, obwohl er zunächst an die Ruthe denken sollte.

Die Kinder sind zusammen aufgewachsen, sagte Herr Ridderstern, und man hat immer angenommen, daß sie einmal ein Paar geben würden. Der Major hat es sich fest in den Kopf gesetzt, und gewiß war es auch immer der Wunsch der Familie. Wir haben noch nicht von diesem alten Soldaten gesprochen. Er ist von anderem Schnitt als die Phantasten dort, und doch ist er ihnen ähnlich genug. Seinen Schwager, den Obersten Hästenskoe, ließ Gustav der Dritte erschießen, als einen der Hauptanstifter des Angelabundes. Hästenskoe war auch so ein Schwärmer, der mit Waimon und Randal innig befreundet war. Munk focht tapfer für den König, als jedoch der Krieg zu Ende ging, nahm er seinen Abschied und zog auf das kleine Gut Lomnäs. Seit dieser Zeit hat er in beständigem Streit mit den Waimons und Randals gelebt, hat ihre Grundsätze bekämpft und verspottet; ist aber dennoch ihr getreuster Nachbar und täglicher Gesellschafter geblieben. Alles, was der König thut, vertheidigt er, wenn er auch darüber flucht und schimpft. Schweden geht ihm über Alles und Rußland –

185 Wünscht er zur Hölle, fiel Serbinoff lachend ein. Ich weiß auch dies zu schätzen, würdiger Herr, und mich danach zu richten. Man muß jedem Narren seine Kappe lassen, so auch diesem vortrefflichen Major, dem ich niemals zumuthen werde, anders zu sein, wie er ist.

Er verabschiedete sich, und zwischen den Espenbüschen, welche den Fußsteig einfaßten, gelangte er bald an das Seeufer in die Nähe des Schlosses. Der Abend goß sein letztes Licht über das Thal von Halljala und deckte rosigen Frieden über alle die kleinen längs den Berglehnen zerstreuten Hütten. Über dem See stand der Mond in reiner Himmelsbläue, aus welcher ein mattes Gefunkel die ersten leise zitternden Sterne ankündigte. Der See lag in tiefer Ruhe ausgestreckt wie ein schlafender Riese unter seinem erzenen Schild. Lichte Säume hingen an den nackten Berghäuptern von Lugano, und an den Spitzen der hohen Bäume auf der Insel in der Bucht bildete das Geblätter goldig rothe Kränze.

Serbinoff blieb einen Augenblick stehen und betrachtete Thal und See. Man hätte glauben können, daß er nicht unempfindlich gegen diese Reize sei; doch seine Gedanken beschäftigten sich mit ganz anderen Dingen. Der Propst ist ein kluger Mann, murmelte er endlich vor sich hin, der seinen Vortheil erkennt; mit diesen Herren Republikanern aber muß man eine andere Sprache sprechen, wie sie ihren Thorheiten angemessen ist. Speck gibt es für alle Mäuse. Hat doch die Kaiserin Elisabeth ihn schon zu bereiten verstanden, und hat es doch schon damals Dummköpfe gegeben, die sich daran fingen; warum also nicht jetzt, wo die Franzosen ihre Feuerbrände ausgestreut haben. Ich werde ein Republikaner sein, den Keiner übertrifft, fuhr er lachend fort; fehlt es mir etwa an republikanischen Tugenden? Bin ich nicht der Freund und Gefährte eines finnischen Pferdehändlers, eines philosophischen bäuerischen Dorfjunkers und der Günstling einer Dorfschönheit, die meinetwegen einen Schuljungen und einen Schiffsfähnrich zurücksetzt? Er belustigte sich mit diesen Vorstellungen, bis er in den Garten des Schlosses gelangte und von der Insel herüber die Töne einer Querpfeife, begleitet von dem Gesange einer weiblichen Stimme, herüberschallten.

186 Eine Zeit lang hörte Serbinoff dieser Musik zu. Die Ruhe war so groß und die Luft so rein, daß ihm nichts davon entging. Das Mondlicht fiel heller glänzend auf den See, und es war ihm, als stiegen die Nixen aus ihren Korallengrotten und flüsterten ihre Zauberlieder in sein Ohr. – Endlich als der Gesang verhallte, trat er in einen der schmalen Kähne, und wohlvertraut mit dem Gebrauch der Ruder glitt das kleine Fahrzeug schnell durch die Fluth. Kein falscher Schlag und kein Geplätscher verriethen ihn, bald befand er sich im Schatten der hohen Bäume der Insel, und unbemerkt landete er an der Stelle, wo die Steintreppe hinauf führte. Nach einigen Minuten schlich er durch die Büsche bis in die Nähe des Maierhäuschens, dessen Thüren weit geöffnet waren, und auf dessen Herde ein helles Feuer brannte. Vor diesem saß der Hahn, seinen Hals in die Federn zurückgezogen, und schaute philosophisch ernsthaft in die Flamme, ein weiser Denker, der sich nicht an das lustige Gelächter des Leichtsinns kehrte, der draußen im Mondschein seine schwermüthigen Betrachtungen verspottete. Denn auf der Schwelle, wo dies feine Himmelslicht durch die Zweige und Dolden der Ebereschenbäume rieselte, und sich mit dem Feuerschein des Herdes vermischte, stand Louisa, den philosophischen Hahn anschauend, dem sie allerlei Spöttereien zurief, welche er nicht im Geringsten beachtete. Dann trat sie heraus, blickte über den Rasengrund fort, und zu den Sternen hinauf. Der Mond beleuchtete ihr Gesicht, und glänzte an ihrem reichen Haar, das bis auf den Rücken niederrollte. Über ihre Schulter hing an einer breiten Silberborte die Kandele, und ihre Finger berührten die Saiten, daß sie leise klangen. So schön war ihr Lächeln, so lieblich zart und schön ihr Gesicht und ihre Gestalt, daß Serbinoff es nicht wagte, hinter dem Baume, der ihn verbarg, seine Hand hervorzustrecken, um sie festzuhalten. – Wirklich, sagte er in sich hinein, sie haben so unrecht nicht, dies reizende Kind mit einem Sylph zu vergleichen. Die erste Liebe in sein Herz zu bringen, ist entzückend zu denken.

Louisa ging bei ihm vorüber, doch plötzlich wandte sie sich um; ihr scharfes Ohr hatte ein Geräusch gehört. Wer ist da? rief sie.

Wer kann es sein? Ein Unwillkommener! antwortete Serbinoff, indem er hervortrat.

187 Sie – Sie! rief Louisa mit strahlendem Gesicht ihm ihre Hände entgegenstreckend. Ich dachte es, doch wie grausam Sie sind. Wissen Sie nicht, wie lieb wir Sie alle haben?

Alle, Louisa? fragte er, ihre Hände nehmend und küssend. Gibt es keine Ausnahme?

Ich weiß keine, antwortete sie treuherzig. Mein Bruder Otho sprach heut noch so viel zu Ihrem Lobe und ich –

Nun Sie, meine theure Louisa?

O, ich – ich stimmte ihm bei, lachte sie fröhlich. Da Sie es wissen wollen, Herr Alexei, so hören Sie es noch einmal. Ja, ich stimmte ihm bei.

Das ist das Schönste, das ich hören kann, antwortete der Graf, nur zweifle ich.

Woran zweifeln Sie? fiel sie ein als er schwieg.

Ich zweifle, ob ich immer so beglückt sein werde.

An seinen Freunden soll Niemand zweifeln, rief sie ihm zu, sondern wie es in unseren alten finnischen Liedern heißt: Ilmareinen vertrauen – das ist der Gott der Lust, des Glücks und der Hoffnung, Herr Alexei. Ilmareinen muß man anrufen, der die Herzen lenkt und keine Falschheit duldet; jeden Abend aber muß man den Mahisets Geschenke geben, dann flüstern sie Nachts denen, die Böses an uns thun wollen, gute Gedanken ein.

Eine vortreffliche Einrichtung, um seine Feinde in Freunde zu verwandeln, lachte Serbinoff. Aber wer sind diese lieblichen Wesen, welche ihren Schützlingen so kostbare Dienste leisten?

Stille, stille! flüsterte Louisa ihm geheimnißvoll zuwinkend. Die Mahisets sind überall; es sind die kleinen Unterirdischen. Im Walde tanzen sie ihre Ringeltänze, im Mondschein baden sie im Wiesentau und durch die Häuser trippeln sie bei Nacht, holen Milch und Brod und Früchte, die man für sie hinstellt, und bringen Glück dafür hinein. Wen sie lieben, dem erfüllen sie alle Wünsche, und wer sich Abends nach allen Winkeln neigt und mit dem Spruch, den sie gern hören, ihnen seine Bitten zuflüstert, dem dienen sie dafür. In Freude und Glück gehen seine Tage hin, alles gedeiht unter seiner Hand, und Niemand kann ihm Leid zufügen.

188 Und diese guten Mahisets sind die Freunde meiner schönen Freundin, somit kann ich mich auch auf sie verlassen, scherzte Serbinoff weiter.

O, gewiß! rief Louisa. Wer in ihrem Schutze ist, an dem haben die bösen Capeetas keinen Theil mehr.

Vor denen also muß man sich hüten? fragte er.

Gar sehr! Wenn Hiisi, der Gott der Finsterniß und des Schreckens, durch die eisigen Wälder und Nebel seiner gräulichen Wohnung schreitet, entstehen die Capeetas aus dem Dampfe seines Athems. Wie Schneeflocken wirbeln sie durch die Lüfte, bis an den Mond auf, doch kein Auge kann sie sehen. In die Brust der Menschen dringen sie und winden sich um ihre Herzen. Daraus entstehen die bösen Vorsätze, die Lügen und alle Übel; wen aber die guten Mahisets beschirmen, dem dürfen sie nicht nahen.

Und meine kleine Freundin Louisa ist immer von diesen guten Mahisets umringt; sie erfüllen alle ihre Bitten.

Louisa blickte mit einem entzückten Lächeln zu ihm auf. Wirklich, flüsterte sie, heut erst habe ich sie angerufen, und sie haben sich gnädig gezeigt.

Welche Gnade war es denn, die sie so freigebig gewährten?

Ich will es Ihnen sagen, Herr Alexei. Als Sie mit meinem Bruder gingen, war es mir nicht lieb. Ich hätte gewünscht, Sie wären bei Ebba und bei mir geblieben. Und ich rief zu den Mahisets und sagte: Geht ihm nach und behütet ihn. Leise, ihr lieben Kleinen, schleicht euch an sein Ohr und flüstert ihm zu, daß er zurückkehren möge, weil wir ihn erwarten. Und als ich es hinter dem Baum rauschen hörte, da riefen feine Stimmen mir zu: Er ist da, wir haben deine Wünsche erfüllt? Das haben die guten Mahisets gethan, Herr Alexei, und ich danke euch schön dafür, ich danke euch!

Während sie sich im Kreise voll süßer Demuth neigte, überkam den stolzen, ungläubigen Mann eine wunderbare Rührung. Er, mit seiner rechnenden Schlauheit, seinem Spott und seiner Verachtung gegen einfältiges Wesen, abgehärtet vor allen Gefühlseindrücken, er stand vor dem Kinde, das in seiner Unschuld ihm sein Herz aufthat, zaghaft wie ein Anfänger. Er wußte, daß er nur den Arm auszustrecken brauchte, und diese lieblichen Lippen hätten sich seinen Küssen 189 nicht geweigert. Das süße Geheimniß des Lebens, das Geheimniß der Liebe schwebte um ihren lächelnden Mund, es leuchtete aus ihren Blicken, die so wonnig schalkhaft ihn betrachteten, daß eine Empfindung tugendhaften Mitleids, vielleicht zum erstenmale in seinem Leben, ihn anwandelte. Ahnungslos über die reine Freude ihres Herzens empfand Louisa ein nie empfundenes Glück in der Nähe dieses Mannes, ohne zu wissen warum, und ohne zu untersuchen woher es kam. Serbinoff hätte mit einem Schlage die Binde von ihren Augen reißen, die Gluth der Leidenschaft durch ihre Adern jagen können, allein er scheute davor zurück in der Anwandlung seines Gewissens, eben so schnell jedoch sagte ihm auch seine Klugheit, daß es thöricht, selbst gefährlich sein würde, ein Liebesabenteuer mit einem kaum zur Jungfrau herangereiften Mädchen zu beginnen, deren Freunde und Verwandten die Entdeckung gewiß nicht spaßhaft finden würden. Wäre Louisa älter und klüger gewesen, hätte er sich weniger besonnen, aber er bedachte viel zu gut, daß Unterricht dazu gehört, um eine schuldlose Seele zur Verstellung und Lüge abzurichten.

Er brach daher die Art der bisherigen Unterhaltung ab, und erzählte ihr, daß er sich von seinen Begleitern getrennt habe und zurückgekehrt sei, weil er sich ermüdet fühlte. Es waren vielleicht die guten Mahisets in meinen Beinen, fügte er lachend hinzu, vielleicht aber auch zu enge Schuhe. Nachdem ich von diesen mich befreit, bin ich nun hier frisch und munter eingetroffen, angelockt von dem Gesange, der mir den Weg zu dieser glücklichen Insel zeigte.

Lars Normark ist gekommen, antwortete Louisa, und Ebba verlangte von ihm, daß er das alte schwedische Lied blasen mußte, das ihre Mutter so oft gesungen hat.

Und wo ist Fräulein Ebba?

Mit Lars ist sie nach der Spitze der Insel gegangen. Da ist es schön. Es liegt ein hoher Stein dort, von ihm schaut man weit über den Pajäne hinaus.

Wir wollen gehen und sie aufsuchen, schlug Serbinoff vor, und zustimmend eilte sie voraus. Wie ein Elf schwebte sie vor ihm her, neckend und lachend, während der Wind leise ihr Haar bewegte, ihre 190 Gewänder die kleinen Füße umspielten, welche kaum den Boden zu berühren schienen, und die Zither unter ihren Fingern klang.

Serbinoff erinnerte sich eines Märchens, das er einmal gelesen hatte, von einem Königssohne, der in einem Zauberwalde verirrt, von der Tochter des Magiers gerettet wurde, die singend vor ihm herzog, und alle die Ungeheuer einschläferte, welche zu beiden Seiten auf ihn zufuhren, und ihn zerreißen wollten. Als er aus dem Walde war, fiel er vor ihr nieder, flehte sie an ihm zu folgen, und seine Königin zu sein. Und sie that es und floh mit ihm.

Alexei lächelte bei seinen Gedanken, und seine Blicke verfolgten das liebliche Geschöpf. Er überlegte, was ihm dabei weiter einfiel, und murmelte vor sich hin: Der Königssohn heirathete eine Prinzessin, wie es sich schickte, und die Tochter des Magiers lief zuletzt in den Zauberwald zurück, wo sie von den Ungeheuern zerrissen wurde. Das war das Ende der Geschichte, die aber jedenfalls ihre schönen und rührenden Seiten hat.

Als er dies sagte, kehrte Louisa zu ihm um und zog ihn in den Schatten der Bäume. Die Klippe lag vor ihnen und der weite und unbegrenzte See dehnte sich in dämmernde Fernen aus, die wie Träume sich auf ihn legten, und ihn bewegungslos machten. Von dem Steine herab stieg Ebba begleitet von einem Mann, der mit ihr Hand in Hand ging, und bald von Serbinoff erkannt wurde.

Es ist Erich, flüsterte Louisa. Ganz heimlich ist er gekommen.

Wir wollen ihn nicht stören, sagte Serbinoff.

Langsam kamen die beiden näher heran, und blieben an der Biegung des Weges stehen. Ebba blickte nach dem See zurück. Das ist der schönste Platz, den es gibt! rief sie laut. Lars hat mir gesagt, daß es der Lieblingsaufenthalt meiner Mutter war, auch der meine ist es.

An dieser Stelle hatte Ihre Mutter von meinem Vater Abschied genommen, theure Ebba, antwortete Erich mit seiner sanften, tiefen Stimme.

Auch wir wollen dort Abschied nehmen, wenn wir scheiden müssen, fiel das Fräulein ein.

191 Aber was sie ihm versprach hat sie nicht gehalten, fuhr er fort. Sie ist nicht wieder zurückgekehrt.

Sind wir armen Menschen denn immer so die Herren unseres Schicksals, daß wir halten können, was wir versprochen? erwiederte sie. Drängt sich zwischen unseren Willen und dessen Erfüllung nicht oft die Gewalt der Verhältnisse, der nichts zu widerstehen vermag? Klagen Sie meine Mutter nicht an, Erich. Sie würde Wort gehalten haben, ein fremder Wille zwang sie zu vergessen und zu gehorchen.

Ich klage nicht an, theure Ebba, antwortete er, ich habe Ihnen Alles gesagt, was ich darüber denke. Mein Vater hat seine Jugendliebe treu bewahrt; offen habe ich Ihnen gestanden, was sein letzter Wunsch war. Möge der Himmel geben, daß die Gewalt der Verhältnisse sich nicht auch zwischen uns stellt.

Das fürchte ich nicht, sagte sie, wenigstens können es nicht Verhältnisse sein, unter denen meine Mutter litt. Ich werde mich niemals zu einer Verbindung zwingen lassen, die meinen Neigungen entgegen ist. Verkaufen und verhandeln lasse ich mich nicht, wäre der Preis auch noch so hoch und verlockend.

Da ich nichts zu bieten habe als mich selbst, entgegnete er mit seiner freundlichen Ruhe, so bleibt nur übrig zu erforschen, ob ich im Stande bin, Ihre Neigung zu gewinnen.

Ich achte Sie, lieber Erich, ich schätze Sie sehr hoch, der guten und edlen Eigenschaften wegen, die Sie im so reichen Maße besitzen, fiel sie warm und lebhaft ein.

Haben Sie Dank für dies freundliche Urtheil, erwiederte er.

Geben Sie mir Zeit, fuhr sie fort, um noch mehr hinzuzufügen.

Ich werde warten, antwortete er sanftmüthig lächelnd, und werde Ihr getreuer Freund bleiben, theure Ebba, mag Ihre Entscheidung auch gegen mich ausfallen. Glänzende Vorzüge werden Sie nie an mir entdecken, allein auch keinen erborgten Schimmer.

Diese letzten Worte schienen das Fräulein zu einer schnellen Antwort zu bewegen. Glauben Sie mir, sagte sie, daß mein Herz sehr ruhig bei solchen glänzenden Vorzügen bleibt. Ich weiß den 192 äußern Schein gut genug von dem innern Werth zu unterscheiden und habe lange genug in der großen Welt gelebt, um Anstrich und Politur darin kennen zu lernen. Nein, Erich, ich weise Alles, was Sie andeuten könnten, von mir zurück. Ich bin nach Finnland gekommen, frei von geheimen Wünschen oder Hoffnungen; es gab Niemand, der mir diese eingeflößt hätte.

Und auch hier erwachten diese nicht? fragte er leiser.

Hier! Was soll ich Ihnen sagen – das ist eine grausame Frage! die ich mit nein beantworten muß.

Ein lautes Hahnengeschrei schallte von dem Häuschen her, und mehrere Stimmen ließen sich hören.

Das ist Otho, sagte Erich. Ihr Bruder ist mit ihm zurückgekehrt. Wir wollen ihnen entgegengehen.

Serbinoff trat mit Louisa aus dem Versteck hervor. Ihre Absicht, Ebba zu überraschen, war vereitelt worden. Der Inhalt des Gesprächs, das sie mit angehört hatten, war von der Art, daß Beide fühlten, es sei unmöglich gewesen, es zu unterbrechen, oder sich jetzt als unfreiwillige Zeugen zu stellen. Zwar hatte Louisa nicht Alles verstanden, allein dennoch genug, um zu wissen, warum es sich handelte; Serbinoff dagegen wußte um so besser, daß Ebba's letzte Antworten Bezug auf ihn selbst hatten, und daß sie in einer Weise gegeben wurden, die ihm wenig schmeichelhaft war.

Ein schönes Abenteuer haben wir zusammen bestanden, lachte er, indem er Louisa's Arm in den seinen legte. Was thun wir jetzt damit?

Wir müssen thun, als wüßten wir nichts davon, antwortete sie.

Meinen Sie?

Und müssen am Ufer fortgehen, damit man nicht bemerkt, daß wir hier waren.

Sie haben Recht, meine kleine Freundin, sagte Serbinoff, der sich über ihre Antworten freute. Wir müssen, uns geloben, darüber zu schweigen und nichts zu verrathen. Können Sie das?

Ihre Augen hefteten sich betheuernd auf ihn. Ich kann schweigen, erwiederte sie, denn es würde Erich und Ebba gewiß unlieb sein, wenn sie erführen, daß wir ihre Geheimnisse anhörten.

Liebesgeheimnisse, flüsterte Serbinoff, ihre Hand an sich drückend, sind die zartesten und heimlichsten auf Erden. Die Blume der Liebe blüht nur im Verborgenen.

193 Louisa! rief Otho mit starker Stimme, und durch die Büsche fliehend antwortete ihr Freudengeschrei. Serbinoff folgte langsam nach.

Nun wir werden ja sehen, sagte er, ob dies Elfenkind nicht auch einige der üblichen Tugenden anderer Evastöchter besitzt. Ein guter Anfang ist jedenfalls gemacht.


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