Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Achtzehntes Kapitel.

Zu dem großen Balle vermehrte sich die Gesellschaft durch viele neue Gäste, welche sowohl aus der Umgegend, wie aus weiter Ferne geladen, daran Theil nehmen wollten. Die Musik des Jägerregiments aus Sweaborg war dazu verschrieben worden, und traf pünktlich ein, in dem großen Schlosse blieb nun kein Raum unbesetzt, und bis zum Abend hatten sämmtliche Theilnehmer dieser Festlichkeiten hinreichend zu thun, um für die Vorbereitungen zu sorgen und ihre Anzüge in Bereitschaft zu setzen.

Der gastliche Freiherr suchte seinen Gästen die Stunden so viel als möglich zu erheitern und zu verkürzen. In dem großen Gewächshause wurde ein Frühstück eingenommen, bei welchem die Janitscharenmusik aufspielen mußte. Da eine Anzahl junger, hübscher Damen nun beisammen war, und die Mittagstafel schon einen glänzenden Kreis vereinigte, fanden die jungen Offiziere noch weit mehr Gelegenheit sich galant zu beweisen und sie thaten dies ohne Zweifel mit dem besten Erfolg. Die schwedischen Damen schienen sich bei weitem weniger vor den russischen Uniformen zu scheuen, wie der tapfere Admiral Cronstedt, der dem General Suchtelen auswich, so viel dies immer sich thun ließ, auch die anderen Russen vermied, dagegen wie gestern so auch heute von Frau von Gurschin gefesselt wurde. Um so mehr war der Oberst Wright um die fremden Gäste beschäftigt, und längere 364 Zeit nach dem Frühstück sah man den General Suchtelen mit dem Obersten Jägerhorn und Herrn Sam Halset im Freien auf dem schneebefreiten Raume auf und nieder gehen. Der Oberst entfernte sich jedoch sehr bald, und Halset's Gelächter, seine krähende Stimme, und die Art, wie er heftig mit den Händen umherfocht und Gesichter schnitt, zeigten genugsam, daß er lustige Geschichten erzählen müsse. Zu heimlichen Unterhaltungen war auch hier weder Zeit noch Gelegenheit. Durch alle Gänge streiften die Cavaliere und Damen umher, in allen Zimmern saßen sie, aus allen Räumen hörte man ihre Stimmen, und als endlich das Mittagsmahl vorüber gegangen war, brach die Finsterniß herein, und man trennte sich, um zum Balle auszuruhen.

Selbst Erich Randal hatte Sorge getragen, wie ein Mann seines Standes zu erscheinen. Seine bequeme einfache Tracht mußte einem feinen, nach französischer Art geschnittenen Rock weichen, der seidengestickt und mit großen goldrandigen Perlemutterknöpfen besetzt war.

So geschmückt in Schnallenschuhen und Seidenstrümpfen, sein Haar gebunden und den Galanteriedegen an der Seite, trat er bei Ebba ein, die ihn lächelnd staunend empfing. Fast schien es, als hätten Beide ihre äußere Erscheinung vertauscht, denn ohne allen Schmuck, nur eine schöne Blume im Haar, trat Ebba ihm entgegen. War es ihr silbergraues Gewand, oder war es wirklich so, er fand ihr Gesicht bleich und trübe.

Was fehlt Ihnen? fragte er. Soll ich Sie verlassen? Beistand rufen?

Sie sollen bleiben, erwiederte sie. Es ist mir lieb, daß Sie bei mir sind.

Der Druck ihrer Hand und die Innigkeit in dem Tone ihrer Worte drangen warm zu seinem Herzen. Mögen Sie immer so zu mir sprechen, theure Ebba, antwortete er, indem er seine freundliche Augen zu ihr aufhob.

Sie schwieg eine kleine Weile. Sind das Ihre Wünsche geblieben, Cousin Erich? fragte sie dann.

Können Sie daran zweifeln? war seine Antwort.

Und haben Sie Alles wohl geprüft?

Ich glaube, daß ich es gethan habe.

365 Sie blickten sich an, eine hellere Farbe trat in ihre Züge. Kennen Sie mich auch, Erich? fragte sie.

Ja, sagte er sanft lächelnd. Ich denke in einem offenen, schönen Buche zu lesen.

Und was sagt Ihnen die Schrift?

Daß ich glücklich sein werde, wenn ich Ihnen ganz vertraue.

Sie muß Ihnen mehr sagen, oder ich – ich muß es thun, fiel Ebba ein, und ihre Blicke drückten die Energie aus, die sie erfüllte. Ich will Ihre Wünsche erfüllen, Erich. Was Sie in dem Buche meines Lebens lesen, soll treu gehalten werden. Wie ich Sie ehre und achte, so will ich Sie lieben, was meine Mutter Ihrem Vater nicht sein konnte, das will ich Ihnen sein.

Theure, edle Ebba! antwortete er, als sich ihr Kopf zu ihm neigte, und ihre Arme auf seinen Schultern ruhten, Gott weiß es! Sie sollen diese Liebe nimmer bereuen. Alles, was ein Mensch thun kann, um sie zu erwerben, soll unablässig von mir erstrebt werden. – Er küßte ihren Mund und ihre Stirn, sie ließ es still geschehen.

Wir werden Glück und Leid tragen, fuhr sie dann mit einem Lächeln fort. Wir werden unser Loos erfüllen, wie es auch fallen möge. Ich gebe Ihnen vertrauend meine Hand, Erich, denn ich weiß, es gibt keinen besseren Mann, der sie nehmen könnte. Und was ist denn ein Menschenleben? Eine Spanne Zeit! Was kann eine Menschenbrust Größeres, Höheres in sich tragen, als das Bewußtsein, dem Besten zu gehören!

Friede und Freude blühen unter den Schritten der Lieblinge Jumala's, und wer ihnen naht ist gesegnet, sagte Erich, indem er mit Ausdruck tiefer Empfindung ihre Hände drückte.

Sie schüttelte den Kopf. Wir werden manche böse Tage erleben, erwiederte sie, manche Stürme, ich sehe sie kommen; aber wer Glück und Frieden liebt, darf auch den Streit nicht scheuen. Sehen Sie nicht, was uns nahe bevorsteht, Erich?

Wenigstens nichts, was mit Gewißheit zu sehen wäre.

Sprechen Sie mit meinem Bruder, antwortete Ebba. Sagen ihm, daß ich in Halljala mit Ihnen wohnen will, so lange es Gott 366 gefällt. Er wird mit seinen Glückwünschen Ihnen antworten, daß Halljala bald kein Ort sein wird, um eine Hochzeit zu feiern.

Sie glauben, daß der Krieg ausbricht?

Er wird ausbrechen, fiel das Fräulein ein. Merken Sie es nicht an diesem Schlosse, an diesen Gästen? Die Unzufriedenheit mit der Willkürwirthschaft des Königs und seiner Unfähigkeit ist so allgemein, daß selbst in den Regimentern kaum mehr der Gehorsam sich erhalten läßt. Wir werden vielleicht noch einige Zeit warten müssen, lieber Erich, ehe wir ein friedliches Leben in Halljala beginnen können, doch um so beglückter wird es dann sein. Auch der Freiherr Randal wird in diesen Strömen sein Recht und seines Volkes Rechte vertreten und vertheidigen helfen. Mit stolzer Freude werde ich ihn meinen Gatten nennen, mit allen Kränzen ihn schmücken, die ich für ihn winden kann.

Und bis dahin? fragte Erich wie mit leisem Vorwurf.

Ich bleibe bei Ihnen, fuhr sie fort, ich will nicht aufhören Sie zu mahnen, Ihr Vaterland nicht zu vergessen. Ich stehe zurück, Erich, denn Schweden hat bessere und höhere Ansprüche; Alle seine Söhne müssen sich vereinigen, um es aus den Händen der Tyrannei zu befreien. Dann will ich einem freien Manne angehören.

Erich stand nachsinnend vor ihr. Über seine klaren Augen schien ein Schleier zu sinken, den er zu bewältigen suchte. Ich fürchte, sagte er, daß, was Sie fordern, schwer sich erfüllen wird.

So scheint es, ja – doch Hilfe ist oft näher als man denkt. Erinnern Sie sich, was wir einst sprachen, als wir gemeinsam Hume's englische Geschichte lasen? Die Holländer kamen und erlösten England von den tyrannischen Stuart's.

Und jetzt meinen Sie –

Jetzt werden die Russen kommen und Schweden von den Wasa's befreien, die keine Wasa's mehr sind.

Das können Sie glauben, Ebba?

Sie hörte nicht darauf. Mit den Holländern verband sich der englische Adel, fuhr sie fort, und das Heer vereinigte sich mit ihnen. Selbst die Günstlinge des Tyrannen verließen ihn. Seine ersten Offiziere, seine nächsten Verwandten, gingen zu dem Befreier über.

367 Es war so, sagte Erich Randal, sie verriethen ihn Alle.

Und so wird es wiederum geschehen. Ein Mann, der sinnlos handelt, der kein Recht achtet, der Schweden seinen starrsinnigen Launen opfert, der da glaubt, er allein habe zu gebieten, alle Andern aber müßten blind gehorchen und sich unterwerfen, mögen Land und Volk auch darüber zu Grunde gehen, der kann nicht auf dauernde Treue hoffen; denn der Tag muß kommen, wo der Widerstand der Vernünftigen stärker wird, als sein gesetzloser Wille. Geben Sie Acht, wie lange es noch dauern wird. Hören Sie auf die Sprache, welche man um uns her führt. Ich meine, wir sind nahe daran, wo der Bogen in seiner Hand zerbricht. Glauben Sie, daß die Zusammenkunft in diesem Schlosse ganz absichtslos ist?

Welche Absichten – Erich Randal hielt ein, als er dies gesagt hatte. Wenn es so wäre, setzte er hinzu, dann freilich müßte aller Glaube an Treue und Ehre aufhören.

Warum? antwortete sie. Soll ein General, ein in Ehren alt gewordener Soldat, ein Mann von altem Adel, nicht daran denken, daß er kein Bedienter in königlicher Livree, sondern ein schwedischer Mann ist? Soll er für die Befreiung seines Volkes nicht seine Fahne erheben und gemeinschaftliche Sache mit denen machen, die sein Vaterland befreien wollen?

Das hat allerdings mehr als ein General gethan und die Geschichte hat seinen Verrath zu rechtfertigen versucht, antwortete der Freiherr.

Nicht versucht, Cousin Erich, sie hat ihn gerechtfertigt. Marlborough ist trotz dessen der große Mann geblieben und Olaf Cronstedt wird den Lorbeer der Unsterblichkeit erringen, wenn er den Krieg, mit dem die Russen uns drohen, in dieser Weise zum Segen umwandelt.

Erich blickte schweigend auf sie hin. Haben Ihre Muthmaßungen denn wirklich mehr für sich als Ihre Wünsche? fragte er dann.

Nichts weiter, als was Arwed mir andeutete.

Dann, theure Ebba, lassen Sie uns abwarten, bis wir die Entwickelung klarer vor uns sehen. Die Unzufriedenheit mit dem Verfahren des Königs ist allgemein, aber noch berechtigt uns nichts anzunehmen, daß so furchtbare Ereignisse nahe sein können.

368 Thatkräftige Männer führen Ereignisse herbei, fiel sie ein. Der Freiherr Wright und sein Bruder haben ihre Freunde, wie ich denke, nicht umsonst hier um sich versammelt.

Sind das denn die Männer, welche Schweden und Finnland frei machen können? fragte er traurig lächelnd. Für das Rechte zu streiten, mangelt es mir nicht an Muth, aber mit Unbesonnenheit oder leichtsinniger Schlechtigkeit habe ich nichts zu thun, liebe Muhme Ebba. – Ich will morgen mit Ihrem Bruder sprechen, will ihm Alles sagen, was ich denke und meine. Warum wollen wir uns mit Vorstellungen quälen, die bis jetzt doch nur Nebel und Schatten sind? Ich überlasse mich dem Glücke, das Sie mir verkündigten. Ich vertraue Ihnen, theure Ebba, vertrauen Sie auch mir.

In seinen Blicken lag eine überzeugende Gewalt, der Ebba nicht widerstehen konnte.

Ich glaube Ihnen, sagte sie, ihm ihre beiden Hände reichend. Was das Schicksal uns bringt, Erich, wir wollen es muthig tragen.

Während des ruhigen Gespräches, das nun folgte, in welchem Erich Randal seine Grundsätze und die Anschauungen darstellte, welche er von seinem Leben und seinen Pflichten gewonnen und die Hoffnungen damit verknüpfte, einer freundlichen Zukunft entgegen zu gehen, befand sich Otho Waimon bei Frau von Gurschin, welche ihn zu sich beschieden hatte. Sie war so reich und köstlich geschmückt, und sah so bezaubernd schön aus, daß Otho unter dem Eindrucke, dem er sich unterworfen fühlte, überrascht stehen blieb.

Sie haben gewünscht, gnädige Frau, sagte er, als sie sich näherte, daß ich bei Ihnen eintrete.

Ich wollte Sie sehen, Herr Waimon, antwortete sie erfreut lächelnd über seine Verwirrung, die sie richtig zu deuten wußte. Ich wollte mit Ihnen plaudern, ehe der Ball beginnt; ganz im Vertrauen als Ihre Freundin. Setzen Sie sich zu mir, wir haben noch Zeit. Sie führte ihn zu der seidenen Ottomane und schmiegte sich in die weichen Polster. Zunächst wollen wir von Ihrer Schwester sprechen, sagte sie. Wenige Tage noch, und die Feste von Liliendal werden ein Ende haben, meine liebliche Louisa darf mich jedoch nicht so bald verlassen. 369 Ich fordere Ihre Einwilligung, daß sie einige Zeit noch bei mir bleiben darf, und dulde keinen Widerspruch.

Dennoch muß ich ihn erheben, begann Otho. Erich –

Dennoch müssen Sie ihn einstellen, fiel Frau von Gurschin ein, weil meine Gründe stichhaltiger sind. Unser theurer Cousin Erich wird in Halljala wenig Zeit haben, da er mit seiner eigenen Angelegenheit genug beschäftigt ist. Die liebenswürdige Ebba wird ihn zurückbegleiten, sich ganz unter seinen Schutz stellen, denn, wie ich vernommen habe, hat der ehrbare Kammerherr die Absicht, mit Herrn Halset und Compagnie nach Abo zu reisen, um wo möglich in das Geschäft zu treten. Sie sehen so grimmig aus, Herr Waimon, als hörten Sie schreckliche Dinge. O weh! da fällt mir etwas ein. Tausendmal bitte ich um Verzeihung, Ihnen solche Schmerzen bereitet zu haben. Man hat mir einmal erzählt, daß Sie eine gewisse Anwartschaft auf das Glück hatten, diese unterhaltende, fröhliche Jungfrau Mary auf immer Ihr eigen zu nennen.

Man wird Ihnen dann auch gesagt haben, Madame, antwortete Otho, daß diese Anwartschaft auf Glück längst ein Ende genommen hat.

Es ist möglich, fuhr sie lachend fort, gewiß dagegen, daß Louisa vergehen würde, im Fall sie die Freuden des Brautpaares in Halljala als Zuschauerin mitgenießen müßte. Denken Sie sich, wie lustig es dort hergehen wird, wenn die beiden gelehrten Personen Tage lang in der Bibliothek sitzen und sich mit Studien beschäftigen. Es ist unmenschlich, das arme regsame Kind zu solchen Freuden verdammen zu wollen, die ihm das Leben kosten können. In Ihrem ländlichen Hause, allein und sich selbst überlassen, können Sie Louisa doch nicht einsperren, was bleibt also übrig, als sie in meine Obhut zu geben.

Major Munk bleibt übrig, sagte Otho.

Wie? rief Constanze Gurschin lachend, der alte Stelzfuß, der in der Hütte von Lomnäs wohnt, dessen Sohn hier umher läuft und Louisa aus allen Ecken und Winkeln anstiert, wie ein Toller? Sie ängstigt sich vor diesem Burschen, der in die Kaserne gehört, und wie ich weiß, hat er sich gegen den Grafen Serbinoff so albern benommen, daß er fortgeschafft werden mußte. Was wollen Sie denn, 370 Herr Waimon? Wollen Sie Ihre Schwester in Lomnäs räuchern lassen, bis dieser Junge kommt und sie heimführt? Haben Sie keine anderen Aussichten für Louisa? Ist kein besserer Mann da, der für meine liebliche kleine Freundin Alles wagen möchte? Sie müssen mir sie lassen. Darf ich fragen, was Sie noch zu erinnern haben? Gefalle ich Ihnen nicht?

O, Madame! was kann ich darauf erwiedern! rief der junge Mann lebhaft aufblickend, während sein Gesicht röther wurde.

Nun denn, fuhr sie ihre feurigen Augen auf ihn richtend fort, wenn Sie nicht dennoch größeres Vertrauen in Ihre geistvolle Freundin Ebba setzen –

Das ist nicht meine Meinung! stieß er mit der Bestimmtheit hervor, die in dem Tone seiner Sprache lag.

Und wenn es, was wir zwar noch nicht berührten, doch, wie ich glaube, beide voraussetzten, Ihr Entschluß ist, nicht in Ihre Einsamkeit am Pajäne zurückzukehren.

In der That! antwortete er, ich habe vergessen, daß meine Entschlüsse – Er schwieg und blickte sie fragend an.

Ich weiß auch wahrlich nichts davon, lachte die schöne Frau, allein was meine Ohren nicht hörten, das sahen meine Augen. Graf Serbinoff ist Ihr inniger Freund. Er spricht von Ihnen mit Bewunderung; er wünscht nichts sehnlicher, als immer in Ihrer Nähe zu sein. Mit dieser Kenntniß wurde es mir nicht schwer, weiter zu schließen, und was Louisa mir vertraute, vervollständigte mein Wissen sehr bedeutend und erhöhte den Antheil, welchen ich für Sie Beide hege.

Wie vermöchten wir solchen Antheil zu verdienen, sagte Otho. Und er küßte dabei die reizende Hand, die sie ihm reichte.

Weil Ihr Beide Günstlinge des Himmels seid, antwortete sie. Blumen, die wahrlich nicht auf diesen dürren Boden gehören. Sie müssen fort von hier. Wenn Sie es nicht wollten, würde ich in Sie dringen. Ich würde Sie bitten und beschwören, Ihrer Freundin zu glauben und ihr zu folgen.

Zu folgen? wiederholte Otho.

Nach Rußland, nach Petersburg, fuhr sie fort. Das ist der Platz, wohin Sie gehören. Was wollen Männer von solcher Kraft und 371 Kühnheit, von solcher lebendigen Phantasie, solchem geistigen Reichthum in diesen Sümpfen und Wüsten? Als ich Sie gestern betrachtete, da Sie mit dichterischer Begeisterung die finnische Sprache besangen, sagte ich mir: welchen Platz würde Otho in Rußland einnehmen, wenn ihm von seinen Freunden der Weg gebahnt würde? Es war entzückend, in Ihr Gesicht zu sehen, entzückend, diesen Schmerz und diesen Zorn mitzufühlen. Es gibt Männer, Herr Waimon, deren Anblick uns überwältigend zuruft: stellt diesen hin, wohin ihr wollt, er wird an seiner Stelle sein; aber je größer der Wirkungskreis, um so herrlicher wird er glänzen, und soll das nicht unseres Lebens Aufgabe sein. Nützt ein Baum, der mitten im Urwalde wächst? Jeder würde ihn anstaunen, allein Niemand kennt ihn, Niemand sieht ihn. Darum, mein schöner jugendlicher Baum, wollen wir Sie aus dieser Wildniß in einen edlen großen Garten versetzen, damit ein Jeder sich an den Blüthen freuen möge.

Otho hörte mit der Unruhe der Demuth die Lobeserhebungen, welche Frau von Gurschin ihm so reichlich zuwarf, und ihn dabei fortgesetzt so verlockend anschaute, daß sein Blut heiß durch alle Adern lief.

Sie machen mich stolz, sagte er, und doch faßt mich die Furcht, daß ich auf fremder Erde nimmer ausdauern kann.

In Rußland, sagte Frau von Gurschin, ist Niemand fremd. Wer dorthin kommt, hat nichts von der Anmaßung zu empfinden, welche man bei Engländern, Franzosen und selbst bei den kleinen Völkern des Nordens antrifft; jene eitle Selbstüberschätzung, welche man Nationalstolz getauft hat. Der Russe verlangt von dem Fremden nichts, als daß er sich ihm anschließen, sich bei ihm gefallen, daß er Rußland lieb gewinnen soll. Er thut dafür, was er vermag. Er weiß, daß die Fremden ihm in vielen Geschicklichkeiten überlegen sind, daß er von ihnen lernen kann, und er achtet sie dafür, liebt sie und gesteht ihnen gern große Vortheile zu. Wer hat die meisten der hohen Ämter und einträglichen Würden inne, wer anders als die Fremden. In der Flotte wie in den Heeren sind diese die besten Anführer; auch die Minister und hohen Räthe des Kaisers sind zum guten Theil fremden Ursprungs und ist der Kaiser nicht selbst von fremdem Stamme, war 372 die von allen Russen angebetete Katharina nicht eine Deutsche? Doch wie die Russen dies vergessen, vergessen die Fremden gern und schnell, daß ein anderes Land sie gebar. Das heilige Rußland wird ihr Vaterland; sie hängen daran mit aller Stärke, und werden Russen mit Leib und Leben.

Das ist seltsam, sagte Otho.

Es ist natürlich, antwortete Constanze, denn wo könnte es besser sein! Überall sind sie die Ersten, die Vorgezogenen, die Begünstigten. Freuden, Reichthum, Glück und Genüsse kommen ihnen überall entgegen. Es ist ein seltsames Land, ein seltsames Volk, mein lieber Freund, das sie kennen lernen werden; allein es wird Ihnen so gehen wie mir und Allen. Sie werden es lieb gewinnen und nicht wieder verlassen können.

So sagt Serbinoff auch, versetzte Otho. Es ist das größte Volk Europa's der Zahl nach, dem die Morgenröthe der Civilisation erst aufgeht.

Lassen Sie diese Morgenröthe bleiben, wo sie will, lachte Frau von Gurschin. Die Sonne der Civilisation bescheint längst die Gesellschaft, welche in Rußland die berechtigte Menschheit bildet. Es geht dort her wie am Himmel, mein Lieber. Der Czar verbreitet das erhaltende Licht; eine Zahl großer und kleiner Sterne leuchten neben ihm als Planeten. Fixsterne und Nebensonnen gibt es nicht. Kometen dagegen ziehen zahlreich umher, erlöschen jedoch oft plötzlich. Das ganze übrige Firmament bildet eine dunkle Masse, die höchst nützlich und zu allen möglichen Dingen anwendbar ist, auch durchaus so bleiben muß.

Die leibeigenen Seelen, murmelte Otho.

Man muß somit ein Stern sein! rief Constanze, um am Himmel zu schweben, und dahin will ich Sie versetzen. Was nützt Aufklärung oder Morgenröthe, oder mit welchem schönen Namen man es sonst nennen will, einem Volk, das gebraucht werden soll, um Rußlands Weltherrschaft zu begründen? Sein Gehorsam und seine Demuth würden sich verlieren, es würde für die großen Zwecke seiner Beherrscher nichts mehr taugen, wenn es denken und, wie die modernen Weisen sagen, sich zu Bürgern eines sogenannten freien Landes 373 machen wollte. Mein Gott, welche Thorheit! Man muß diese demüthigen Naturkinder sehen, um zu erkennen, daß sie nichts Anderes sein können. Wie wollte man die Türken aus Europa jagen, wenn diese Millionen stumpfsinnige Wesen nicht mit dem nöthigen Fanatismus auf die fanatischen Söhne Mohamed's gehetzt werden könnten? Das gefällt Ihnen nicht, wie ich bemerke?

Nein, es gefällt mir gar nicht, sagte Otho.

Weil Sie die neue Welt noch nicht begreifen, erwiederte sie. Sie werden sehen lernen und dann besser verstehen. Kommen Sie nach Petersburg, ich will Ihre Führerin sein. Peter der Große hat die Russen aus Horden der Steppe zu einem Volke gemacht. Er hat ihnen die Civilisation mit Gewalt über Kopf und Leib gezogen; aber den asiatischen Kern hat er weder mit Frack und Puder, noch mit Spitzen und Kanten zerstören können. Die asiatische Prachtlust, die Lust an asiatischen Genüssen ist den Russen geblieben, und asiatisch ist die Unterwürfigkeit der Masse gegen die Befehle ihrer Herren, diese stumme Erfüllung aller ihrer Gebote. Die große Katharina hat dies richtig erkannt. Sie hat das Volk gelassen, wie es war, und mit Begeisterung hat es ihr angehangen, obwohl sie für die französische Revolution schwärmte und sich dafür von den französischen leichtgläubigen Narren als ein Wunder der Aufklärung anbeten ließ. O! sie war aufgeklärt. Sie hat gelebt wie Semiramis, wunderbar herrlich. Sie hat Rußland mit einem Leben erfüllt, das nicht wieder vergehen wird. Sie liebte den Glanz, die Pracht, die Genüsse wie eine Asiatin und war doch geistig fein und regsam dabei wie eine Pariserin. Ihr Enkel herrscht jetzt über Rußland, und er ist von ihrem Blut. Genuß und Geist müssen sich verbinden. Kraft, Muth, Talent und Schönheit geben Recht, Alles zu erobern, was auf Erden zu erobern ist. Rußland ist ein Zauberland für die, welche dazu geboren sind, alle Zauber zu lösen. Wir wollen die Binden von Ihren Augen nehmen, mein Freund, Sie sollen sehen lernen, Sie sollen das Leben verstehen lernen.

Eine wunderbare Gluth lief durch Otho's Herz, als sie ihre Hand darauf legte und ihm zulächelte. Er faßte danach hin und preßte ihre Finger; plötzlich besann er sich, und erschrocken ließ er sie 374 los. Seine Bewegungen schienen die schöne Frau zu ergötzen. Sie lachte dazu, und ihre dunklen Augen bohrten sich auf ihn ein. Kommen Sie her, sagte sie, ich will gleich den Anfang machen, Sie in die Schule zu nehmen. Der Kaiserin Katharina gewährte es besonderes Vergnügen, ihrem bevorzugten Lieblinge die Halstuchschleife zu binden und für seinen Schmuck zu sorgen, woran leicht Jeder dann erkannte, daß die edle Gebieterin darauf bedacht war, ihn Gott und Menschen wohlgefälliger zu machen. Halten Sie also still, mein schöner Herr, ich will versuchen, der großen Kaiserin zu gleichen.

Bei diesen Worten deutete sie auf ein Kissen, das auf dem Teppich lag, und er folgte ihrem Winke, kniete vor ihr nieder und fühlte mit einem wonnigen Schauer den Hauch ihres Athems über seine Stirn wehen. – Halten Sie den Kopf höher, lachte sie, noch höher, so – jetzt sehen Sie mich an. – Ihre feinen Finger zogen die Schleife auf und banden sie; als er den Kopf wandte, rückte sie ihn gerade und nickte ihm zu. Stillgehalten, mein Herr Otho, ganz still! fuhr sie schalkhaft fort, ich verlange so willigen Gehorsam von Ihnen, wie eine Kaiserin von ihrem Unterthan.

Wo der Gehorsam so süß ist, will ich immer mit Vergnügen gehorchen, antwortete er.

Vortrefflich! rief Constanze, Sie machen Fortschritte, wir werden weiter gehen können. Eine feine Stickerei an Ihrem Colleret. Kein Petersburger Elegant kann sie besser haben. Ist es Louisa's Arbeit?

Meiner Mutter Arbeit, erwiederte Otho, und es war, als wollte er aufstehen.

Halt, mein Herr, halt! rief Frau von Gurschin, noch sind wir nicht fertig, noch fehlt der Schmuck; doch hier ist er schon. Sie zog eine Brillantnadel aus ihrer Busenschleife und steckte sie ihm an. Diese Nadel, sagte sie, sollen Sie tragen zum Andenken an Constanze Gurschin und als Pfand für diese Stunde.

Constanze! sagte er, die Sylben ihres Namens langsam flüsternd.

Da fühlte er ihre Locken an seinem Gesicht, ihre Arme um seinen Nacken und einen brennenden Druck auf seinen Lippen. Gleich darauf hörte er Stimmen draußen auf dem Gange, und aus dem Saale tönte die Musik.

375 Zum Tanz! rief sie lachend; lassen Sie uns gehen, mein tapferer Cavalier. Wir finden uns bald wieder, morgen, heut noch – merken Sie auf. O, da ist unsere liebenswürdige Ebba!

Die Thür wurde geöffnet. Ebba stand an Erich's Arme dort, neben ihr Mary Halset, von dem Kammerherrn begleitet.


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