Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Neuntes Kapitel.

Am zweiten Tage darauf wurde das Herbstfest oder Bärenfest gefeiert; alle rüstigen jungen Männer von Halljala versammelten sich dazu, frohlockend und jauchzend in übergroßer Freudigkeit, sobald der Morgen anbrach, denn es galt zunächst den Festbraten aus dem Walde zu holen, den feisten Bären, der dabei nicht fehlen durfte.

Auch Erich Randal war mit seinen Gästen bereit, sich dem Zuge anzuschließen. Otho mit Louisa fehlten nicht. Mitten unter dem Männerhaufen aber stand der Schulmeister Lars, seinen Quersack auf dem Rücken, seinen Knotenstock in der Faust und den Hahn auf seinem Arm, von wo aus dieser, seine Federn putzend und muthig umherblickend, von Zeit zu Zeit einen hellen Schrei hören ließ. Die meisten der Anwesenden betrachteten das kluge Thier mit Vergnügen und lachten ihm allerlei neckende Fragen über das Glück des Tages zu, manche aber sahen ihn auch scheu und ernsthaft darauf an, und ihre Mienen drückten genugsam aus, daß sie wenigstens irgend einen Kobold oder dergleichen darin vermutheten. Die Versammlung war übrigens wohl geeignet, die neugierige Aufmerksamkeit der fremden Gäste zu erregen. Die Männer trugen fast sämmtlich ihre dicht auf dem Haar liegende schräge Mütze oder Pitnilka, darüber den breiten niedrigen Hut. Ein kurzer Wollenrock flatterte über ihrer Knopfjacke, und die weiten blauen Hosen waren an den Halbstiefeln festgebunden, welche nach finnischer Sitte um die Knöchel geschnürt wurden. Meist waren es kräftige, gelenkige Gestalten, manche darunter vom schönsten 194 Ebenmaß und einnehmenden Gesichtszügen. Ihre lichten Augen drückten Schelmerei, ihre hohen Stirnen Verstand aus und ihre langen Piken und scharfen Beile wurden so gewandt von ihnen geschwungen, daß nicht leicht Einer es besser machen konnte.

Doch nicht allein Männer befanden sich in dieser Schaar, welche sich auf dem Schloßhof sammelte, auch Weiber und Mädchen stellten sich ein mit allerlei Scherz und Gelächter und guten Wünschen, welche ihren Helden Muth machen sollten. Mehr als eine trug auf ihren langen Zöpfen eine seidene Mütze mit bunt gesticktem Deckel und um ihren Hals ein seidenes Tuch von leuchtender Farbe. Das knappe Mieder von Baumwolle war mit rothen Bändern geschnürt, und die selbstgesponnenen dunklen Röcke mit zackigen rothen Kanten gerändert. Es sah gar nicht übel aus, wie ein paar hübsche Dirnen in dieser schmucken Tracht umhersprangen, ihre weißen Zähne zeigten und mit mehr Gewandtheit, als sonst dem Landvolk eigen, sich ihren Verfolgern zu entwinden wußten. Im Allgemeinen jedoch waren auch hier die Männer bei weitem schöner, als das weibliche Geschlecht.

Lars Normark hatte inzwischen einen Bekannten getroffen, mit dem er sich länger einließ, als mit anderen, und welcher auch von den Übrigen sich merklich unterschied. Wie es selbst unter Lappen und Hottentotten junge feine Herren gibt, die sich durch Gestalt und Tracht auszeichnen und die Bewunderung aller Schönen zu erwerben wissen, so auch hier Jem Olikainen, Otho's lustiger Diener, der Löwe von Halljala, mit welchem Keiner im Kirchspiel sich messen konnte. Sein jugendliches Gesicht, seine schlanke Gestalt und die feurigen tiefblauen Augen verschafften ihm jedoch nicht allein den Preis, mehr noch die ländliche Koketterie, welche er zur Schau trug. Seine Mütze war von Sammet mit Seidenschnüren besetzt, sein Hut saß schief darüber und im Bande steckte eine Auerhahnfeder; an seinem Jäckchen blitzten die Knöpfe wie Silber, und im Gürtel trug er zwei Messer mit glänzenden Griffen. Dazu schwang er einen doppelschneidigen Speer, auch hing über seiner Schulter eine buntverzierte Ledertasche, aus welcher der geschnitzte Griff eines Beils hervorsah.

Nun, Vater Lars, rief er den Schulmeister an, einen schönern Tag zum Bärenfeste kann es nicht geben. Hast du den lieben 195 Honigschmauser gesehen? Hat er dir nicht Grüße für mich aufgetragen? Ist es etwa ein Liebchen, wie das Schoßhündchen Tapiolama's, der Waldgöttin, oder gehört er wohl gar zu den Schatten, mit denen Turri, der wilde Jäger, nächtlich vom Savolax über den Pajäne jagt? Bei unserem Mütterchen! Lars Normark, ich wünschte, er käme grade her aus Hiisi's Wäldern, denn ich habe meinem süßen Schätzchen Fulla sein zuckersüßes Händchen versprochen.

So halt es auch, antwortete der Schulmeister. Was meinst du dazu, Hans, wird unser Gevatter sich nicht freuen, den tapfern Jem in seinem Hause zu sehen? Wird er ihn nicht an sein Herz drücken und ihm die süßen Pfötchen schenken? Ist er nicht so ein schmuckes Hühnchen, wie keines im ganzen Tavastlande umherschreit?

Der Hahn nickte gravitätisch und stieß dabei eine Art Gelächter aus, das von dem ganzen Kreise schallend wiederholt wurde. Jem sah ein wenig roth darein, aber er warf seinen Hut auf das andere Ohr und den Arm in die Seite stemmend, ließ er sich nicht irre machen. Ich will des Gevatters Vorsänger sein, rief er, und will ihm eine Einladung bringen, wie er sie noch nicht gehört hat.

Siehst du wohl, Hans, lachte Lars Normark, siehst du wohl! Sagen's nicht die wüsten Savolaxer und die Spitzbuben in Osterbotten, daß die feinsten Leute im Tavastlande wohnen, die das Gras wachsen hören, und denen die Kühe immer Milch geben? Er verzerrte sein rothes dickes Gesicht voll lustigster Spottsucht und ließ die runden blauen Augen über den ganzen Bauernschwarm fliegen. Die Tavastländer galten in Finnland weit eher als übermüthige, leichtgläubige Menschen, denn als besonders weise, und Lars verfehlte nicht, seinen Lieblingsausruf auch diesmal hinzuzufügen: Schwedisches Blut, echt schwedisches Blut! schrie er. Gott sei Dank, Hans, daß wir beide das echte Blut haben! Seine Freunde in Halljala nahmen ihm den Spott so übel nicht. Hier oben am Pajäne, wo das Land dicht an Savolar und das eigentliche Finnland streifte, wohnte ein hartes stolzes Geschlecht, das sich nicht mehr zu dem Süden rechnete, in welchem die Menschen weichlicher, und mit allerlei Narrheiten begabt sein sollten. Sie hatten auch genug zu lachen und sich zu freuen, als der Lustigmacher fortfuhr: Gebt Acht, Nachbarn und gute Freunde, 196 was sich begeben wird, wenn wir vor des Gevatters Haus kommen. Sobald er seine kleinen freundlichen Augen aufthun wird und Jem Olikainen kommen sieht, wird er vor Erstaunen nießen und schreien. So ein Federhütchen hat er noch nie gesehen, so ein feines Jäckchen möchte er selbst anziehen und in solche weite Höschen möchte er für sein Leben gern seine Beine stecken.

Ich will sie ihm anziehen helfen! rief Jem, und will sie ihm zuknöpfen, setzte er hinzu, indem er an seine Pike schlug.

Alle Wetter, Hans, siehst du wohl! schrie der Schulmeister unter dem allgemeinen Gelächter. Es wohnen viele kluge Leute im Tavastlande, aber dieser hier fängt den Mondschein in Säcken. Den Gevatter besieht er sich erst in der Nähe, wenn die süßen Tätzchen nicht mehr drücken und das süße Mündchen nicht mehr sprechen kann.

Falsch, Vater Lars, deine Rede ist eine Mühle ohne Rad! fiel Jem ein. Habe ich es nicht gesagt, daß ich des Gevatters Vorfänger sein will? Dicht an seinem süßen Mündchen will ich's ihm in die Ohren flüstern, was ich von ihm halte.

Nein, Jem, nein! rief neben ihm eines der hübschen Mädchen, das sollst du nicht thun; um meinetwegen sollst du nicht. Wenn die Honigtatzen von rothem Gold wären, möchte ich sie nicht haben.

Recht, du Leckermäulchen, recht, du Honigherzchen, lachte der alte Lars. Laß ihn nicht von deiner Seite, damit seine blanke Jacke keinen Fleck und sein hübsches Gesicht kein Loch bekommt.

Das Mädchen warf einen bittenden Blick auf den alten Spötter und dann einen ängstlichen auf ihren jungen geputzten Schatz, allein dieser ließ seine kecken Augen um so muthwilliger blitzen. Laßt es mich nur sehen, das Schoßhündchen, rief er, durch Verschieben geht die Zeit verloren und viele Worte macht ein Thor. Da kommt Herr Erich Randal, fertig sind wir Alle. Laß dich nicht erschrecken, meine Fulla, mit meinem Stabe will ich ihm die Zähne stochern. Ein niedliches Geschöpf wird es sein, nicht größer als eine Gans; artig wird es mir folgen, bis es zu deinen Füßen ausruht.

Aber Fulla schien trotz dieser prahlerischen Verheißungen des tapferen Jem ihre Sorge nicht los zu werden. Sie mochte keine weitere Einrede versuchen, denn sie sah wohl ein, daß diese fruchtlos 197 bleiben würde, doch ihre Lippen klemmten sich schmerzlich zusammen und ihre Hände falteten sich über der Schürze, denn sie wußte, daß ihr Geliebter sich in keine geringe Gefahr begeben wollte. Des Bären Vorsänger sein hieß so viel, als die Ehre des Angriffs auf sich nehmen, und an seiner Höhle zunächst das alte Lied anzustimmen, mit dem der wilde Geselle an das Tageslicht herausgelockt wurde. Einen solchen Kampf allein zu bestehen, brachte zwar nicht geringen Ruhm, allein es gehörten Glück und Geschicklichkeit dazu, um Sieger zu bleiben, und jedenfalls war es sicherer, wenn, wie es gewöhnlich geschah, die Masse der Spießträger über den grimmigen König der nordischen Wälder gemeinsam herfiel.

Das arme Mädchen behielt jedoch keine Zeit, um auf ein Mittel zu denken, den aufgeregten Jem Olikainen in seinen Entschlüssen wankend zu machen; denn der abscheuliche Pfeifer schlug ihn auf die Schulter und brachte eine neue ärgere Neckerei vor, welche seinen Ehrgeiz noch mehr aufregen mußte. Der Hahn mischte sich auch hinein, indem er ein entsetzliches Kriegsgeschrei anstimmte, und im Schloß öffneten sich die Thüren; der Freiherr mit allen seinen vornehmen Gästen und Nachbarn trat heraus, was den Lärm nicht wenig vermehrte.

Otho Waimon's große graue Hunde bellten und heulten, Pferde wurden herbeigeführt, viele Stimmen schrien durcheinander, und die Schaar der Jäger drängte sich um die Vortreppe, wo Erich Randal dem alten Lars ankündigte, daß er diesmal selbst bei dem Bärenfang zugegen sein wolle.

Es ist recht so, Freiherr Erich, antwortete der Alte. Dein Vater hat oft genug den Jagdspieß in seine Hand genommen und ist der Erste gewesen, der Hiisi und Tapio um Glück anrief.

Glaubst du, daß Damen uns begleiten können? fragte Erich.

Warum denn nicht? erwiederte der Schulmeister. Es ist echt schwedisches Blut in uns, Gott behüt's, schönes Fräulein! Echt schwedisches Blut, wie es sein muß. Kommt und seht die Felsen von Korpilax, bis dahin können Euch vier gute Beine tragen; steht es dann Euren eigenen beiden nicht an, weiter mitzuwandern, so bleibt und windet Kränze für Otho's süßes Haupt. Er wird es zu Euren Füßen legen, und da steht Jem, der unerschrockene Jem, der 198 geschworen hat, den brummenden Schelm so zahm und fein zu machen wie ein Schoßhündchen.

Was sagst du, alter närrischer Lars? rief Ebba lachend, indem sie nach Otho hinblickte.

Sie werden heut meinen Namen von vielen Liebkosungen und Schmeicheleien gefeiert sehen, versetzte dieser; aber ich verwahre mich vor allen Verwechselungen. Er wiederholte ihr, was Herr Ridderstern schon dem Grafen Serbinoff darüber mitgetheilt hatte, daß Otho der finnische Lieblingsname für den Bären sei, der eigentlich Kouwon heiße, doch in allen Liedern und Jagdgesängen Otho genannt werde.

Und danach hat man Sie getauft, mein armer Vetter? fragte sie spöttisch.

Diesen echt finnischen Ehrennamen hat man mir auf den Weg gegeben, erwiederte er.

Ein barbarischer Name! Lassen Sie ihn nicht zu Schanden werden, fuhr sie übermüthig fort.

Ein herrlicher Name! rief Louisa, an ihren Bruder aufstrebend, indem sie das dichte, leicht geringte Haar von seiner Stirn wischte. Er ist ganz für ihn passend; denn kühn und stark ist er, wie Otho es sein muß, und seht seine breite Stirn, seht, seht, wie seine Augen funkeln!

Kampflustig, wie es ihm geziemt! fiel Ebba ein, indem sie ihn anblickte und über den Unmuth spöttelte, den sie in seinem Gesichte zu entdecken glaubte. Ich begebe mich heut in Ihren Schutz, Vetter Otho; denn was ich sonst auch glauben mag, so glaube ich doch, daß ein Otho mich vor dem andern zum allerbesten beschirmen wird.

Die Pferde wurden herbeigeführt, die Damen schwangen sich auf, und ihre Begleiter folgten ihrem Beispiele; nur Erich Randal, gestützt auf seinem Bergmannsstocke, blieb seiner Sitte getreu und wanderte rüstig neben den Reitern her. Bald jedoch mußten diese sich sagen, daß Erich schneller und leichter fortkomme wie sie; denn als das Thal von Halljala hinter dem Jagdzuge lag, stieg dieser die steilen Waldhügel hinauf, in deren Gewinde manche Hindernisse zu bewältigen blieben. Aus allen Häusern und Hütten aber liefen Weiber und Kinder herbei, oder sie schrien den Jägern Glückwünsche nach – und 199 auf dem freien Platze hinter der Kirche schienen allerlei Anstalten zu einem Feste getroffen zu werden. Männer, welche die Jagd nicht mitmachten, trieben dort Pfähle in den Boden, die durch Ketten von Laub und Tannenzweigen verbunden wurden, andere bereiteten Sitze und Tische, noch andere gruben ein Loch und legten es mit Steinen aus, wie zu einer gewaltigen Feuerstelle. Daneben stand ein spitziger hoher Pfahl, der ganz mit Feldblumen umwunden war, auf der entgegengesetzten Seite aber lagen Holzvorräthe bei mächtigen Kesseln und Töpfen.

Der Kammerherr wäre ohne Zweifel am liebsten zu Haus geblieben; theils jedoch fürchtete er die Spöttereien, theils die langweilige Einsamkeit. Er hatte sich daher dem Zuge mit dem festen Vorsatze angeschlossen, in richtiger Entfernung der Erlegung des Bärs zuzusehen, und es nicht wie der närrische Lindström gemacht, der ein paar lange finnische Jagdspieße mit sich schleppte.

Diese Vorbereitungen, bemerkte er, als sie an dem Platze vorüberritten, sehen aus, als würde hier die Abendsonne eine schmausende und zechende Gesellschaft beleuchten.

Es ist Alles zum Empfange des theuren Otho eingerichtet, erwiederte Erich. Wenn, was freilich häufig der Fall ist, frühzeitig Schnee fällt, so muß das Bären- und Herbstfest in einem Hause gefeiert werden; ist jedoch, wie in diesem Jahre, das Wetter schön und mild, so geschieht es mit noch größerer Lust im Freien.

Und das bedeutet Glück! rief Louisa dazwischen. Das nächste Jahr wird ein schönes reiches Jahr sein. Alle Speicher werden sich füllen, alle Bäume voll Früchte hängen, alle Wünsche erhört werden.

Sackamieli, die Göttin der Liebe, sagte Erich, schweift in solchen Jahren, wie es in den alten Liedern heißt, leichtfüßig umher. Unter ihren Füßen sprossen Blumen auf, und sie sammelt diese in ihrem Gewande und wirft sie hartherzigen Mädchen zu, die dann nicht länger widerstehen können.

Wahrscheinlich hat die liebenswürdige Sackamieli auch diesen Pfahl mit Blumen bekleidet, und Heil dem, der daran festklebt! fiel Baron Arwed ein.

200 Falsch gerathen! lachte Louisa. Dieser Pfahl ist für Otho bestimmt. Sein Kopf soll darauf gesteckt werden, wenn er ihn nicht behütet.

Man muß immer den Kopf auf der richtigen Stelle behalten, sagte Ebba mit einem Seitenblick auf ihren schweigsamen ernsthaften Nachbar.

Was meine Sorge sein wird, murmelte Otho Waimon vor sich hin.

Und was soll dann mit dem prächtigen Kopf des Herrn Otho geschehen? fuhr der Kammerherr fort.

Ei, er wird gekocht, und jeder Finne wird Ihnen sagen, daß es nichts Köstlicheres in der Welt gibt, als wenn er mit seinem süßen Mäulchen und den allerliebsten Ohren aus dem Kessel voll Erbssuppe hervorsieht.

Ein helles Gelächter und andere Scherze auf Otho's Kosten folgten, während der Jagdzug an den Höhen aufstieg und das Waldgebiet erreichte. Die Bauernschaar in ihren weißen Röcken zog fröhlichen Muthes voran. Die schlanken rüstigen Männer, hoch von Körperbau, kräftig und doch leicht gegliedert, kletterten an den Bergkanten empor, und malerisch genug sah es aus, als sie zwischen Bergfichten und Sonnenschein sich fortbewegten. Sie schwangen ihre Spieße, und der Wald tönte von einem Gesange, den der Schulmeister auf seiner Querpfeife dann und wann begleitete.

Ich muß gestehen, sagte der Kammerherr, daß diese finnischen Bauern ein schönes und starkes Geschlecht sind, und begreife die Vorliebe, welche Gustav Adolph, Karl der Zwölfte und andere kriegerische Fürsten für die finnischen Regimenter hatten, obwohl, was Ausdauer anbelangt, diese von jeher mehr den Schweden zugesprochen wurde.

Es hat auch den Finnen niemals daran gefehlt, antwortete der junge Waimon, und wenn über die finnische Unbeständigkeit geklagt wurde, lag die Schuld an denen, die es nicht verstanden, wie man mit Finnen umgehen muß.

Und wie muß man denn mit den finnischen Helden umgehen, damit sie die Dauerbarkeit nicht verlieren? fragte Ebba.

201 Man muß Vertrauen zu ihnen haben, sagte Otho, muß sie nicht in ihren Rechten kränken und verspotten; muß glauben, daß sie warme Herzen für Freundschaft, Treue und Ehre besitzen.

Die Finnen müssen tapfere Männer sein, erwiederte Serbinoff, als Keiner antwortete, da sie, mit diesen Bohnenstangen bewaffnet, einen Bären angreifen, der, wenn er von starker Art ist, sich nicht allzusehr davor zu fürchten braucht.

Sie werden bald sehen, wie man mit ihm fertig wird, versetzte Otho. Man hat das finnische Volk von alten Zeiten her entwaffnet, ihm keine Feuerwaffen gestattet, sogar zu öfteren selbst die Schwerter und Messer verboten, angeblich, um zu verhindern, daß sie in Trunk und Leidenschaft nicht ihre Feste zu Schlachtfeldern machten, in Wahrheit aber, weil man fürchtete, das Volk könnte aufstehen gegen seine Herren. Als Peter der Große in Finnland einfiel und die Finnen erbarmungslos gebraten und geröstet wurden, hatten sie in ihrer Verzweiflung nichts als diese Bohnenstangen, ihre Schlingen und ihre Hunde. Damit wehrten sie sich, so gut sie konnten. Auch im Jahre 1743 fing der Krieg damit an, daß das finnische Volk auf Befehl des schwedischen Reichsraths wehrlos gemacht wurde, statt es aufzurufen gegen den Feind, und noch ist den Finnen meist nichts weiter geblieben als Beil und Spieß, während die Jäger in Savolax und Carelien häufig noch Pfeil und Bogen gebrauchen. Dadurch, fuhr er fort, hat man es dahin gebracht, daß jährlich viele tausend Pferde, Rinder, Ziegen, Hausthiere aller Art von den wilden Bestien zerrissen werden, und trotz des wunderbaren Überflusses von köstlichem Gras und Heu der Viehstand in Finnland ein erbärmlicher ist, weil es unmöglich wird, die reißenden Thiere zu verfolgen und auszurotten.

Wer zu viel anklagt, beweist wenig, sagte der Kammerherr lächelnd. Seit Gustav des Dritten Zeiten hat Finnland nicht mehr über Unrecht zu klagen. Es ist mit Sorgfalt damals Alles geschehen, was geschehen konnte. Unter der jetzigen Herrschaft geht freilich Finnland wie Schweden zu Grunde.

Wenn man gerecht sein will, versetzte Otho, so hat Finnland über den jetzt regierenden König am wenigsten zu klagen. Er that, was er konnte, ist öfter auch selbst hier gewesen und hat die Liebe der 202 Bauern erworben, die ihn als einen Mann ehren, der kein Unrecht der Mächtigen dulden will.

Aus Haß gegen die Schweden hat er es gethan, fiel Ebba ein. Deutsche und Finnland hat er immer vorgezogen. Der Freiheitssinn der Schweden gefiel ihm niemals.

Otho unterdrückte die Antwort, welche er geben wollte; aber sie war in seinem Gesichte deutlich genug zu lesen. Als der König vor fünf Jahren hier im Lande war, sagte er, sprach er in Tavastehuus zu den Bauern: Keinem meiner Unterthanen soll Unrecht geschehen. Niemand, wer er auch sei, soll sich unterstehen, die Gesetze zu verachten. Ich selbst stehe unter dem Gesetz.

Schöne Worte, lachte der Kammerherr.

Als Gustav der Dritte im Jahre 1776 das neue Hofgericht in Wasa einführte, fuhr Otho fort, sagte er zu den Räthen: Berücksichtigt die Vorrechte des Adels; leidet es aber nicht, daß der Bauer unterdrückt werde. – Ein solcher Widerspruch war unlösbar und änderte sehr wenig; erst seit zwanzig Jahren kaum hat sich das Land gehoben, weil es besser unterstützt wurde, weil Männer im Lande selbst aufstanden, die, wie Erich's Vater, Hand ans Werk legten, nach Gerechtigkeit strebten, Einöden urbar machten, Sümpfe trockneten, den Ackerbau verbesserten, die Industrie belebten und die ökonomische Gesellschaft gründeten, die in wenigen Jahren für des finnischen Volkes Wohl mehr gethan hat, als alle Könige zusammengenommen.

Das Schweigen, welches dieser trotzigen Rede folgte, wurde von Erich Randal's milder Stimme unterbrochen. Wir dürfen die Vergangenheit nicht mit dem Maßstab unserer Ansprüche messen, sagte er. Manches ist zu verschiedenen Zeiten für unser Vaterland geschehen; allein es blieb ungenügend und ging verloren in den vielen Kriegen und Leiden, welche Finnland immer wieder heimsuchten. Wer die Geschichte unseres armen kleinen Volkes durchblättert, muß erstaunen über sein endloses Unglück; eben so wohl aber muß er erstaunen über den Muth und die Geduld, mit welchen das Schwerste ertragen wurde. Viele hundert Jahre lang war kaum eine Heimsuchung überwunden, und die Wüsten belebten sich wieder, so folgte ein neuer, alles aufkeimende Leben vernichtender Stoß. Fast kein 203 Geschlecht wurde alt in Finnland, ohne Krieg und Kriegesnoth zu erfahren, und daher kommt es, daß unser Vaterland noch jetzt weniger bevölkert ist, als vor alten Zeiten, daß man noch jetzt viele verlassene Höfe findet, über welche Wald wächst und von deren Eignern Niemand mehr weiß. Dieser spärlichen Bevölkerung würden auch die Feuerwaffen wenig helfen, um die Schaaren gefräßiger Raubthiere zu vertilgen. Wie sollte dies da geschehen, wo oft viele Meilen Wald, Sumpf und Einöde zwischen wenigen menschlichen Wohnungen liegen? Erst wenn Finnland einmal von dauerndem Frieden beglückt ist, wenn es zahlreiche Bewohner ernährt, wenn die fruchtbaren Äcker davon Zeugniß geben, dann werden die wilden Thiere, wie überall, so auch hier, der fortschreitenden menschlichen Cultur weichen. Und dies zu bewirken, setzte er lächelnd hinzu, muß unsere Aufgabe bleiben, um dessentwegen lasse ich mich gern auch einen Bauer nennen; denn wenn der Freiherr ein Bauer ist, werden die Bauern endlich Freiherren sein, was ich von ganzem Herzen wünsche.

Das Gewinde hoher felsiger Hügel und Felsenmassen rückte näher heran und sah wild und öde auf die Jägerschaar herunter. Der schmale Weg, der durch diese Bergwälder führte, wandte sich jetzt dem Pajäne zu, der mit seinem tiefen Becken diese Felsen spaltet und nach Norden hin sich mit anderen Seen und Gewässern verbindet. Bis hierher hatte deutlich genug die menschliche Hand da und dort sich sichtbar gemacht und durch Niederbrennen des Waldes Raum für neuen Anbau geschaffen. Ganze Strecken waren mit gefällten Stämmen bedeckt, die reihenweise neben einander lagen, andere standen voll abgestorbener Bäume, welche rund um ihre Rinde tief eingehauen ihr verdorrtes Gezweig senkten, während an einigen Orten der Boden schon umgegraben und bestellt war, und nur die hervorragenden Baumstubben bewiesen, daß vor nicht langer Zeit auch hier das grüne Walddach lustig rauschte.

Der Kammerherr machte eine Bemerkung darüber, und Erich sagte erklärend: So macht man es in Finnland um Ackerland zu bekommen. Es ist eine gräuliche Holzverwüstung von alter Zeit her daraus entstanden, denn schonungslos sind die schönsten Wälder niedergebrannt und höchstens hat der Bauer Theer und Pottasche damit 204 gewonnen. Jetzt hindert man die Verwüstung so viel es angeht; hier habe ich, wie Sie sehen, die Stämme fällen lassen, um sie auf meinen Sägemühlen zu Balken und Brettern zu schneiden.

Das muß kostspielig sein und keinen großen Gewinn bringen, bemerkte Serbinoff.

Es würde reichlichen Gewinn bringen, wenn wir Kanäle für unsere Seen und Schleusenwerke hätten, um die Wasserfälle zu vermeiden, und eine leichte Verbindung mit der Küste. Dahin muß es doch endlich kommen, und Finnland wird dann seinen Reichthum verwerthen können. Ich habe diese Industrie begonnen, um zu zeigen, daß es geht, wenn ich auch gegen große Schwierigkeiten kämpfe. Ich gebe vielen Menschen Arbeit, lehre sie, wie sie es machen müssen, und helfe ihnen, wenn sie es nachmachen wollen.

Daher ist es natürlich, sagte Ebba mit einem warmen Lächeln, daß alle diese armen Leute mit solcher Liebe Ihnen zugethan sind, Vetter Erich. Es ist schön, ein Wohlthäter der Hilfsbedürftigen zu sein; ich begreife es, warum Sie Ihr Glück darin suchen und finden, und wünschte andere wilde und trotzige Herren, die so gern streiten und hadern, besäßen etwas von Ihrem milden Sinn. Wahrlich, Sie ähneln dem alten Pfarrer Jönsson in Ihrer Menschenliebe.

Jönsson? fragte Erich. Kennen Sie einen Pfarrer, der so heißt?

Der Kammerherr warf seiner Schwester einen Blick zu, der ihr zu schweigen gebot. Es gab einmal einen alten Geistlichen in Schweden, sagte er, der für die Bauern väterlich sorgte, und den sie dafür wie einen Heiligen verehren. Der heilige Erich ist aber ein Freiherr und kein Pfarrer, und – was ist das? Wer kommt dort?

Es war der Schulmeister Lars, der an der Biegung des Weges stand. Sein Hahn krähte laut den Reitern entgegen. Hier gehts hinauf, sagte er, und es ist ein sanfter angenehmer Weg für jedes Wesen mit zwei gesunden Füßen.

Baron Arwed blickte nach der Bergwand, welche steil in die Höhe stieg, und er fühlte ein Mißbehagen in allen Gliedern. Gibt es denn keinen Weg, auf dem ein Pferd gehen kann? fragte er.

Was meinst du dazu, Hans? fragte der Alte seinen Hahn, der gar nichts darauf antwortete. Es ist echt schwedisch Blut in ihm, 205 rief er, darum vertraut er auf sich selbst. Gott behüt's! schöne Dame, willig genug sind zwei Füße, wenn sie vorwärts wollen. Des Menschen Seele hat Flügel und nimmt den Körper mit, sagen die Finnen. Kommt, kommt! schlagt's dem Otho nicht ab, er wird euch dafür sein Herz schenken.

Es ist unmöglich anders in diese Felsen zu gelangen, sagte Erich. Selbst der beste Reiter würde es kaum wagen, da hinauf und hinab zu klimmen. Bleiben Sie lieber hier, Cousine Ebba, oder kehren Sie mit Louisa nach Halljala zurück.

Allein das Fräulein sprang in seine Arme und rief fröhlich lachend: Um Otho's Herz muß ich es versuchen, und will nichts scheuen, um es zu erobern.

Die Pferde wurden nun unter der Obhut eines Knaben gelassen und Lars Normark stieg voran und führte die Nachfolgenden in einen Spalt der Felsen aufwärts, wo diese am Bequemsten gangbar schienen. Ein Wasser kam von oben, und plätscherte über Gerölle und Blöcke, welche, über einander gestürzt und verwittert, mit Moos, Flechten und Birkengebüsch bewachsen waren. Bald wurde der Spalt so schmal, und so jäh, daß es Mühe kostete, weiter zu kommen. Serbinoff hob Louisa von Stein zu Stein, aber Ebba wies Waimon's Beistand zurück, und wandte sich an Erich, auf den sie sich stützte, während Lars zuweilen seinen langen Wanderstab Beiden zureichte, an dem sie sich hinauf und weiter halfen. Länger als eine Viertelstunde währte das angestrengte Steigen, und mehr als einmal blieb der Kammerherr athemlos stehen und verwünschte diese entsetzliche Jagdparthie.

In meinem Leben gebe ich mich nicht wieder dazu her! rief er aus, als er endlich oben stand, und bei alledem ist es ein abscheulich Land. Wenn es noch hohe Gebirge wären wie bei uns in Schweden, doch nein, Hügel sind es, an denen man sich abmüht, weil sie steil wie Mauern in die Höhe gehen, und auf ihnen liegen arme Wüsten.

Ebba hatte ihren Hut abgenommen, und ließ den Wind durch ihre Locken wehen. Der Kammerherr hatte Unrecht mit seinen Anklagen, denn auf diesen Felsen war es schöner als man es erwarten durfte. Hohe Bergtannen besetzten in voller Herrlichkeit den weiten welligen Plan, der sich in unbekannte Fernen verlor. Wie Klippen in einem 206 wogenden Meere ragten ungeheure Felsstücke aus dem grünen Walde auf, und stiegen da und dort bis über die Spitzen der Bäume. Manche dieser Klippen waren kahl und von phantastischer Gestalt, andere hingen schief und gebeugt, als wollten sie jeden Augenblick zusammenstürzen, und doch trugen sie auf ihren Scheiteln riesige Stämme, welche manches Jahr schon dort gestanden hatten. Waldwiesen, die vom Sonnenglanz überstrahlt wurden, durchsetzten und trennten dies Felsenmeer, und gaben ihm einen Schimmer idyllischer Lieblichkeit, der um so überraschender wirkte. Die tiefgrünen Flächen waren auch noch immer mit mancherlei Herbstblumen durchstickt, welche im verschiedenartigsten Farbenschmelz schimmerten. Kein rauher Wind hatte sie zerrissen, kein Fuß hatte sie zertreten; lautlos friedlich lag diese Einsamkeit, als gehörte sie einem anderen besseren Himmel an. Daß hier ein grimmiger Räuber hausen sollte war nicht zu vermuthen, kein von Gestrüpp umwucherter Versteck war zu bemerken, kein Thier hatte seine Spuren hinterlassen. Nur von einigen hohen Bäumen kam das Girren wilder Tauben, und der Luftzug brachte dann und wann einen Ton mit, den Otho für das Geschrei des Auerhahns erklärte. – Zur Rechten hob sich in der Ferne eine andere nackte Felsenmauer auf, deren rothe Farbe fast blutig aussah. In ihrer viereckigen Form erschien sie wie ein ungeheures mit Thürmen besetztes Schloß, deren Zinken und Zacken sich drohend kühn in der klaren Luft abzeichneten. Auf Ebba's Frage antwortete Louisa: Das ist Lully's Burg. Weit sieht man von ihr nach allen Seiten hin; alte, grausame Sagen werden von dem Orte erzählt.

In diesem Augenblicke erhoben Otho's Hunde an ihren Leinen ein heftiges, kurzes Gebell, und rissen mit Gewalt ihren Führer fort. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Ihre Nasen suchten auf der Erde umher, die langen Schweife peitschten ihre Weichen, ihre Augen unter dem struppigen Haar blitzten wild und feurig, und Ebba deutete auf einen braunen Hügel, der wie eine Hütte hinter den Bäumen hervorsah.

Der Kammerherr fuhr erschrocken zurück, und war im Begriff die Flucht zu ergreifen, als Otho ihn festhielt. Der Bär ist noch nicht da, lachte er, aber er ist hier gewesen, und zwar vor ganz kurzer Zeit, was meine Hunde recht gut wissen. Die Hütte dort wird von 207 einem Staate fleißiger Republikaner bewohnt, denen er seinen Besuch gemacht, doch nach der Sitte großer Herren ihnen und ihren Kindern übel mitgespielt hat.

Sehen Sie da, fuhr er fort, es ist ein Ameisenhaufen von der großen, braunen Art, welche in unseren Wäldern lebt, und oft ganze Städte zusammenbaut. Als Feinschmecker liebt der Bär die Ameiseneier so leidenschaftlich, wie unsere Feinschmecker Austern und Caviar; auch macht er sich nichts daraus, wenn seine gebildete Zunge einige tausend Ameisen dabei mit herunter schluckt, deren citronensaurer Geschmack ihm wohl behagt. Dieser hier hat es ungebührlich arg gemacht. Die ganze Seite des Hügels hat er eingerissen, und nach seinen Füßen zu urtheilen, muß es ein gewaltiger Herr sein. Er deutete auf die verschiedene breite, tiefe Löcher in den trockenen Fichtennadeln, auch von den Bauern wurden diese mit Freudengeschrei als die Tatzenspuren des Bären erklärt.

Er hat seine Morgenpromenade gemacht, sagte der Schulmeister, und eine kleine Herzstärkung zu sich genommen. Jem, mein Junge, nimm dich in Acht, daß du keine Ameise für den lieben Schelm ansiehst, und sie dich dafür in die Nase beißt.

Jem hatte seinen Speer mitten in den wimmelnden Haufen gestoßen, der die Reste seiner Gier fortzuschleppen und zu retten suchte, während viele der kleinen muthigen Thiere sich auf ihren Hinterbeinen aufrichteten, und kampflustig die Stange angriffen.

Es ist ein edles, merkwürdiges Thier, Hans, fuhr der alte Mann fort, indem er seinen Hahn festhielt, thue ihm nichts zu Leide. So klein und so schwach es ist, verzagt es doch niemals. Gegen den stärksten und größten Feind vertheidigt es sein Haus und sein Leben, und hört nicht auf damit, bis es verschlungen und zerstampft ist. Es ist nichts dabei zu lachen, ihr Tröpfe. Gott sei Dank, Hans, daß echt schwedisch Blut in uns ist; lernen aber kann ein Jeder etwas davon. Zwei gesegnete Gottesgeschöpfe gibt's in Finnland in Hülle und Fülle, als wollte der Herr im Himmel euch absonderlich daran zeigen, wie ihr sein sollt. Die Biene und die Ameise arbeiten früh und spät, sammeln ohne Rast und ohne Ruh, sind klug und friedfertig, gelehrig und geduldig; wer sie aber angreift, gegen den wehren sie 208 sich unverzagt, mag es sein wer es will, mag's ein Bär sein oder ein Russe. Lars ließ bei dem letzten Worte seine schelmischen Augen umher rollen, und zeigte sein Gebiß. Die Bauern lachten mit ihm, und ihre Blicke hefteten sich auf Serbinoff, der wohl merkte, daß von ihm die Rede sein mußte, obwohl er nicht verstand was der Alte sagte.

Und Russen und Bären gibt's leider allzuviel für Finnland, fuhr der Schulmeister fort, darum wollen wir jetzt hingehen und den lieben Honigesser freundlich fragen, ob er nicht mit uns gehen, und andere Speisen kosten will, als arme Ameiseneier. Sicher sitzt er vor seinem Hause, putzt sein Mäulchen und wartet auf uns.

Du hast ihn schon dort besucht? fragte Otho.

Freilich, Herr, ja freilich! rief Lars. Gestern erst sah ich ihn, spielte ihm ein Tänzchen, und er bat mich zu Gaste.

So müssen wir höflich mit ihm umgehen und nichts versäumen, damit wir ihn in seiner Wohnung treffen. Wo liegt diese?

Dort oben vor uns, hinter dem hängenden Horn.

Ein mächtiges, wie ein Horn gebogenes Felsstück überragte den Wald, welcher den Gesichtskreis umzog. Blöcke und Trümmer bedeckten den Boden und bezeugten die seltsamen Zerstörungen und Zerklüftungen, welche hier in Zeiten, von denen Niemand etwas weiß, stattgefunden haben, und über deren Ursprung, ob durch Feuer oder durch Wasser, die Gelehrten sich noch immer die Köpfe zerbrechen. Je näher an dem steilen Bergkamme, um so gewaltiger und chaotischer wurden die über einander geworfenen Rollsteine und Felsensplitter, und nicht ohne Mühe und nur mit Hilfe ihrer Begleiter gelang es den beiden jungen Damen, diesen zu folgen und die Höhe zu erreichen, auf der abermals eine von vielen Trümmern besäete Ebene sich ausbreitete. Serbinoff widmete dabei seine Dienste ohne Unterlaß der kleinen schnellen Louisa, während Erich Randal von Ebba beschäftigt wurde, und den Kammerherrn zu trösten hatte, der nur aus Besorgniß, allein zu bleiben und ärgeren Gefahren zu begegnen, unter fortgesetztem Klagen und Schmähen sich weiter bewegte. Otho Waimon befand sich, von Lindström begleitet, bei dem Jägerhaufen. Er hatte seine Hunde freigelassen, die jetzt ein wildes Gebell erhoben und über das Gestein setzend voran eilten.

209 Diese entsetzlichen Hunde werden uns den Bären auf den Hals hetzen, rief der Baron in seinem Ärger.

Oder er wird sich, wenn er sie hört, so schnell als möglich davon machen, lachte Ebba.

Keines von beiden, sagte Erich. Wo er auch sein mag, im Fall er nicht in seinem Lager ist, wird er, sobald er das Gebell der Hunde hört, dahin zurückkehren.

Das ist sehr dumm von ihm, meinte Arwed.

Er fühlt sich am sichersten in seinem Hause und kämpft am tapfersten auf dessen Schwelle.

Es geht ihm also wie manchen Anderen, scherzte Ebba mit einem Blick auf Erich. Er muß in seiner Wohnung angegriffen werden, wenn er seinen Feinden die Stirn bieten soll.

Und er hat wohl Recht, lächelte der Freiherr sanftmüthig. So lange er es vermeiden kann, liebt er den Frieden und ist in seiner Art ein Philosoph, der gern ein stilles und beschauliches Leben führt. Denn wie ein Eremit lebt der Bär von Wurzeln, Beeren und Honig, und nur in seiner Noth greift er nach Fleisch.

Wie das einladend klingt, lachte das Fräulein, und welch beneidenswerthes Loos! Sechs Monate im Jahre verträumt er, die andern sechs Monate brummt er lieblich und sanftmüthig umher. Aber, Vetter Erich, auch die Träumer und Philosophen werden nicht mehr geduldet, auch sie werden verfolgt und gehetzt; man fragt nicht nach ihren friedlichen und sanftmüthigen Tugenden.

Diese sind auch nicht besonders groß, fiel Arwed ein. Haben wir nicht eben erst gesehen, mit welcher Seelenruhe dieser weise Einsiedler den ganzen Ameisenhaufen verschlungen hat, und hat uns Waimon nicht obenein geklagt, daß in Finnland jedes Schaaf und jeder Stier zittern muß?

Ein vielstimmiges Geschrei machte diesem Gespräch ein Ende und beeilte die Schritte der Zurückgebliebenen. Als sie sich dem Felsenhorn näherten, sahen sie wie die Bauern in ihren weißen Kitteln von allen Seiten zusammenliefen, während das Bellen der Hunde mit größter Heftigkeit aus dem Walde herüberschallte.

210 Ich wette, sie haben den Meister Braun beim Pelz! rief der Kammerherr.

Gewiß nicht, sagte Erich. Otho's Hunde sind von der trefflichsten Art und viel zu klug und gewandt, um sich mit einem Tatzenschlage niederstrecken zu lassen. Ein solcher Hund wird bei Erbschaftstheilungen in Finnland der besten Milchkuh gleich geachtet, die Erben streiten sich eifrig darum. Sehen Sie dorthin, fuhr er fort, indem er in die Ferne deutete, wo auf einem felsigen Abhange sich ein eigenthümliches Schauspiel entwickelte.

Ein mächtiges Thier von dunkler Farbe zeigte sich auf dem Rande des Felsen und blieb einige Minuten lang sitzen. Um ihn her flogen die beiden Hunde wie Blitze, bald hier bald dort, wild bellend und immer bereit, sich auf ihren Feind zu stürzen, eben so schnell aber zurückfliehend, wenn dieser eine Bewegung machte. Der Bär schien nicht viel auf den Lärm zu geben. Er schaute bedächtig nach allen Seiten um, leckte seine Tatzen, betrachtete die Menschenhaufen unter den Bäumen mit stoischer Gleichgültigkeit und putzte sich weiter. Plötzlich war Alles verschwunden. Das dunkle Ungethüm rutschte mit wunderbarer Schnelle von dem steilen Abhang nieder, die Hunde mußten einen weiten Umweg machen und die Jäger fielen mit einem neuen Geschrei ein und dehnten sich zu einer langen Linie aus, welche den Raum zwischen den Felsen füllte.

Es war ein kesselartiger Grund von geringer Breite, der zwischen den jähen Steinmassen lag, die ihn fast ganz einschlossen. Zwei hohe Fichten, umringt von jungem Aufschuß, wuchsen darin; eine dritte schien vom Sturm vor Jahr und Tag niedergerissen zu sein. Sie lag wie ein gefallener Riese mit ungeheuern zerschmetterten Gliedern auf dem Grunde, den sie zerquetscht hatte. Ihre Wurzeln hatten ein Loch gewühlt und dies verlor sich unter dem Felsen, welcher sich darüber hinbeugte. Ohne Zweifel war dort das Lager des Einsiedlers, der sich jetzt darin verbarg, und einen geschützteren Aufenthalt konnte es kaum geben. Die Hunde standen heulend mit hoch gesträubtem Haar davor, allein sie hüteten sich wohl, auch nur einen Schritt weiter den Weg hinab zu thun, der zwischen den Baumwurzeln sichtlich den Eingang bildete, und wie dem klugen Räuber in diesem 211 Schlupfwinkel überhaupt beizukommen sei, leuchtete dem Kammerherrn am allerwenigsten ein.

Er zog seinen Operngucker aus der Tasche und betrachtete den Spalt unter dem Felsen mit Aufmerksamkeit. Ich bin der Meinung, sagte er dann, daß wir abziehen müssen, wie wir gekommen sind, und daß für diesmal der verhängnißvolle Pfahl vergebens mit Blumen geschmückt wurde. Das Loch geht tief und schief unter dem Fels fort, und hätten wir es auch statt mit finnischen Bauern mit den besten Jägern Europas zu thun, so würden wir schwerlich etwas ausrichten.

Geben Sie nur Acht, antwortete Waimon, ob diese dummen Bauern ihre Sache nicht besser verstehen, wie die besten Schützen.

Mit diesen elenden Bohnenstangen?

Mit diesen finnischen Piken, die oft schon wildere Thiere bändigten.

Lars Normark stand inzwischen mitten in dem Haufen und vor ihm stand Jem; auf der Schulter saß ihm sein Hahn und in der Hand hielt der Schulmeister einen langen, wohl einen fingerdicken Strick, den er aus seinem Quersack gezogen hatte. Er wand diesen Strick langsam und bedächtig um den Arm des jungen Burschen, und indem er Ring an Ring legte, die Bauern aufmerksam zuschauten und beide umstanden, sang Jem mit kräftiger Stimme ein Lied, das die schwedischen Herren und Damen freilich nicht verstanden, dem sie aber verwundert zuhörten, da es eine eigenthümlich klagende und bittende Melodie hatte. Das Lied war, wie Erich sagte, ein uraltes finnisches Jagdlied, durch welches die Götter zur Hilfe gerufen wurden, und es lautete also:

In den Wald bin ich gewandert,
Wo Geschäfte meiner harren.
Mielicki, Waldeswirthin,
Komm und steh' an meiner Seite,
Und du schöne Tochter Tapio's
Nimm jetzt an den Strick die Hunde.
Leise geh' zu Otho's Lager,
Streichle leise ihm die Ohren.
Um die hellen Augen binde,
Um sein Haupt ihm Seidentücher; 212
Hülle seine süßen Tatzen
Fest in deine weichen Schleier.
Auf die Zähne streich' ihm Honig,
Auf die Schnauze weiche Butter;
Daß er nicht den Jäger spüre,
Meinen Athemzug nicht höre,
Wenn in seinen Hof ich trete
An des edlen Otho Thron.

Während dessen hatte der Schulmeister sein Geschäft beendigt. Der Hahn stieß einen hellen Schrei aus, der ganze Haufe der Jäger hatte den Arm des tapfern Burschen befühlt, der von der Hand bis an den Ellnbogen nun dicht umwunden war, und sie lobten und gaben guten Rath, bis der Schulmeister auf Jem's Schulter klopfte und ihn beifällig am Ohr zupfte. Jetzt, mein Junge, sagte er, laß uns sehen, was du kannst; zeige den schwedischen Herren und dem Russen da, daß du ein finnischer Mann bist. Zeig' ihnen, was ein finnischer Spieß und ein finnisches Beil bedeuten, und schau her, wie der Hans dir zunickt und zuruft. Er würde es nimmermehr thun, wenn er nicht wüßte, daß Mielicki deine Hand hielte.

Der Hahn war auf den umgestürzten Baum geflogen, dort schlug er mächtig seine Flügel und wiederholte sein helles Kriegsgeschrei. Während dessen reihten sich die Bauern hinter Jem, die Hunde waren an die Leine gelegt und zurückgeführt, und zum nicht geringen Erstaunen und heimlichen Lachen der fremden Gäste bewegte sich der Zug feierlich bis an den Eingang zur Burg des edlen Otho, wo Alle ihre Hüte abzogen und mit freundlichen Mienen sich neigten und beugten, während sie denselben Gesang anstimmten, den Jem zuerst allein vorgetragen hatte.

Baron Arwed hatte sich inzwischen längst einen gesicherten Platz auf einem hohen Felsblock ausgesucht, wohin auf seine Einladung auch Erich und die beiden Fräulein folgten. Der Baron überblickte durch sein Glas den Schauplatz und sagte dann belustigt: Du hast keinen Gefallen am Blutvergießen, Ebba, ich auch nicht, aber ich denke, wir können Beide ganz ruhig sein. Es ist allerdings ergötzlich und romantisch genug, diese heidnischen Jagdlieder und seltsamen 213 urweltlichen Gebräuche im neunzehnten Jahrhundert mitten im finnischen Walde zu genießen, aber ich denke, auch die Bären haben etwas von dem modernen Unglauben unserer Zeit eingesogen und kehren sich nicht mehr weder an Götter, noch an Zaubersprüche.

Der Bär liebt die Musik und hört gern Gesang, erwiederte Erich. Dies mag die Ursache sein, daß er sich bewegen läßt, beidem leicht zu folgen.

Der Gesang hatte inzwischen ein Ende genommen, nur Lars, der ihn auf seiner Pfeife begleitete, fuhr fort, die sanfte schmeichelnde Melodie weiter zu blasen.

Es klingt wirklich ganz verlockend, sagte Serbinoff, der jetzt ebenfalls sich zu den Zuschauern gesellte, aber Herr Otho hat ein hartes Herz. Er schlägt seine Arme darüber und es hilft kein Flehen und Beschwören. Er warf dabei einen Blick auf den Bauernkreis, hinter welchem Otho Waimon mit gekreuzten Armen stand, ohne irgend eine Theilnahme zu äußern.

Plötzlich fuhr der Hahn mit dem Hals vor, als wollte er auf einen Feind springen, und in demselben Augenblick ragte aus dem Felsenspalt ein mächtiger Kopf, der seine kleinen funkelnden Augen nach allen Seiten wandte. Der Hahn machte seine kriegerische Bewegung ohne sich weiter zu rühren und ohne aufzuschreien, eben so schweigsam und unbeweglich blieben alle die menschlichen Zeugen. Die fremden Gäste schwiegen aus Überraschung oder aus Furcht, die Jäger, weil sie wußten, daß es nöthig sei, nur die Pickelflöte brachte noch lieblichere, süßere Töne hervor und die runden blauen Augen des alten Schelms füllten sich mit dem wohligsten Behagen.

Der Bär wackelte eine Zeit lang her und hin, als ob er zweifelhaft sei, wie er sich benehmen sollte. Er betrachtete die Gestalten seiner Verfolger aufmerksam bedächtig, und einmal verschwand sogar der haarige dicke Kopf wieder; doch eben als der Baron ein Gelächter aufschlagen wollte, zeigte er sich von Neuem und ihm nach folgte der ganze mächtige Körper. Der Jägerkreis an der Grube wich bei seinem Erscheinen zurück und in den meisten Gesichtern drückte sich Erstaunen und Besorgniß aus, denn dies gewaltige Thier übertraf alle Erwartungen. Es war kein Bär von der schwächeren 214 schwärzlichen Art, sondern er gehörte der braunen starken an, die an Wildheit, Größe und Kraft jener bei weitem überlegen ist. Seine ungeheuren Tatzen bezeugten, daß die Tage seiner Jugend vorüber waren, und als er den langen Rachen öffnete, weil Jem mit kühnen Schritten näher trat, wies er ihm deutlich genug die zolllangen untadelhaften Zähne.

Jem ließ sich jedoch davon nicht irre machen, er verbeugte sich zierlich und lieblich und begann einen neuen schönen Gesang, den der Bär mit klugem Kopfdrehen wohlgefällig anhörte.

Wackerer Otho, Waldesapfel,
O! du lieber, schöner, fetter,
Sicher bist du es zufrieden,
Daß ein tapfrer Mann dich sucht.
Bitte dich, zieh' ein die Krallen,
Berg' im Zahnfleisch deine Zähne,
Denn du willst mich nicht verwunden,
Willst nicht schaden deinem Gast.
So, nun rühre dich, mein Otho,
Komm, du süßer Honigtatzer,
Komm, und lass' mit dir mich sprechen.
Rühr' dich leise wie das Birkhuhn,
Komm, und lass' dich von mir streicheln,
Streicheln, wie ein schlummernd Gänschen –
Halt, mein Otho, halte still!

Während dieses Gesanges war der Bär vor den Gang, der zu seinem Lager führte, herausgekommen, und hatte sich am Eingange niedergesetzt. Drei Schritte vor ihm stand Jem mit vielen Komplimenten und sanftem Lächeln, während er den scharfen Spieß mit beiden Händen umfaßt und bereit hielt. Das ungeheure Thier hielt seinen Rachen weit offen, seine schwärzliche Zunge streckte sich über die Hauzähne, er blinzelte mit den kleinen listigen Augen und nickte dazu.

Die ängstlichste Erwartung fesselte alle Zuschauer, aller Augen richteten sich auf diesen seltsamen Auftritt, dessen anscheinende harmlose Friedlichkeit plötzlich sich in grausame Feindschaft und Mordlust 215 verwandelte. Denn bei den letzten Worten seines Gesanges sprang Jem auf den edlen Gevatter los, offenbar in der Absicht, ihm seine Pike in die Seite und wo möglich bis in's Herz zu bohren; allein es zeigte sich jetzt erst, welch ein hinterlistiger, tückischer Geselle dieser biedere Otho war. Statt still zu halten, wie ein schlummernd Gänschen, und von den Zauberliedern eingeschläfert zu sein, parirte er, gleich dem geschicktesten Fechter, den Stoß mit einer seiner Vordertatzen und versetzte der Waffe einen solchen Schlag, daß sie zur Seite flog. In demselben Augenblick aber war es auch um den armen Jem geschehen. Das Ungethüm stand auf seinen Hinterbeinen, umarmte den unglücklichen Jäger, der nicht schnell genug zurückspringen konnte, mit solcher Innigkeit, als wollte es ihn erdrücken, und während er ein schreckliches Gebrüll ausstieß, bedeckte er ihn mit dem heißen Dampfe seines Athems. Eben so schnell war jedoch die Hilfe da. Otho Waimon, aus seiner theilnahmlosen Ruhe aufgeschreckt, riß dem jungen Lindström, welcher ganz betäubt vom Schrecken neben ihm stand, das Beil aus der Hand und mit einem Sprung war er neben seinem unhöflichen Namensvetter, mit einem Schlag nach dessen gewaltigem Kopf bewirkte er, daß der Bär seine Beute fallen ließ und auf seine Vorderfüße niederfiel. Ein Blutstrom sprang ihm zwischen Auge und Ohr auf, aber der Kopf eines Bären wird nicht von einem schwachen schmalen Beile gespalten. Im nächsten Augenblick rannte er in rasender Wuth auf seinen neuen Feind an, richtete sich dicht vor ihm auf, that einen Tatzenschlag nach ihm, der Otho niedergeschmettert hätte, wenn er nicht durch eine blitzschnelle Wendung der Gefahr entgangen wäre. Doch entsetzlicher ließ sich kaum ein Anblick denken, als dies blutige brüllende Ungeheuer, und der kühne Mann vor ihm, den es weit überragte.

Das Gebrüll des Bären wurde jedoch von einem Schrei übertönt, der von dem Felsstücke kam, auf welchem Ebba stand. Bleich wie der Tod, ihr Gesicht voll entsetzlicher Angst und doch voller Entschlossenheit, ihre Arme vorgestreckt, war sie im Begriff sich auf den Kampfplatz zu ihren Füßen zu stürzen, als Erich sie festhielt, und während dieser Zeit war der Kampf selbst schon entschieden. Statt ihrer hatte Serbinoff den Sprung gethan und eben als Otho mit 216 seinem Beile dem Bären die Tatze durchhieb, mit welcher er einen neuen Schlag nach ihm führte, durchrannte ihn Serbinoff mit Jem's Lanze.

Der ungefüge Körper stürzte zusammen. Zehn andere Speere der herbeikommenden Jäger drangen in seinen Leib. Da lag er ausgestreckt, so lang er war und zuckte zum letzten Male. Mitten unter die Stangen und die schreienden Männer aber flog der Hahn, setzte sich auf den schweigsam ruhenden Kopf des erlegten Feindes und fing ein helles Triumphgeschrei an.

Dieser Einfall des klugen Hahnes weckte die allgemeine Lust und das Gelächter der Sieger. Alles war gut abgegangen. Der schönste, stärkste Bär, welcher im ganzen Lande sein mochte, lag hier als ein fetter Braten. Die Bauern geriethen in den höchsten Jubel, schwenkten ihre Hüte und tanzten um den lieben Otho, der, als ein stiller Mann, jetzt geduldig ihre Schmeicheleien in Empfang nahm. Zur Seite saß der alte Schulmeister und hielt auf seinem Schoße den blassen Jem, dessen Schläfe und Brust er mit Branntwein rieb und dabei mit seinem Hahn sprach, der ihn wieder aufgesucht hatte.

Es ist Alles in Ordnung, Hans, sagte er, du wirst es sehen, in einer Viertelstunde wird Jem so munter auf seinen Beinen umherspringen, als sei nichts vorgefallen. Ich fühle, wie unter meiner Hand sein Herz schlägt und fühle mit meinen Fingern, daß nichts an seinen Rippen zerbrochen ist; doch hört der Schelm schon Alles, was ich sage, hält's aber für gut, seine Augen noch zuzuschließen, obwohl er keine Ursach dazu hat. Hast wie ein tapferer Mann deine Sache begonnen, Jem, mein Kind, nur das Glück war nicht mit dir, und das Glück, Hans, kann Keiner sich geben oder nehmen. Niemand soll über dich lachen, Jem, und es wird's auch Keiner thun, der gesehen hat, wie du es machtest. Hast auch Keinem Dank zu sagen unter allen den schreienden Burschen, die wie Holzklötze standen, als es Zeit gewesen wäre, drauf los zu springen. Hast also nichts von ihnen zu besorgen, Jem, kannst es ihnen zurückgeben mit reichlichen Zinsen, und wir wollen dir beistehen, ich und der Hans. Verdient Niemand Dank hier, als der schon mehr als einmal bei dir stand, wo eine schwarze Hand über deinem Kopf war. Nicht der Russe etwa, mag Hiisi ihm dafür einen Lohn geben! Frage den Hans, mein Kind, frage den Hans. Der Russe war nicht nöthig, Otho Waimon hätte es allein 217 gethan. Gerade durch's Gelenk war dem Gevatter sein scharfes Beil gefahren, hatte alle Sehnen zerschnitten; sanft wie ein Lämmchen fiel er nieder, als der russische Fuchs ihm auch einen Biß versetzte. Wer ist schlauer als ein Fuchs, schlauer als ein Russe? Trau ihm nicht, Jem, trau ihm Niemand. Jetzt aber hebe endlich dein Gesicht auf und laß es dir nicht nehmen, dem Gevatter den Kranz aufzusetzen. Laß es dir nicht nehmen, mein Kind, seinen Kopf in deinen Topf zu stecken und die besten Stücke in Fulla's Erbssuppe zu schneiden.

Der Schulmeister hatte fortgefahren, Jem's Brust und Arme zu reiben, während er ihm diese Ermahnungen zuflüsterte, deren letzte offenbar am besten wirkte. Denn Jem schlug plötzlich seine Augen auf, reckte sich, schüttelte sich, verzog seinen Mund, lachte und sprang auf seine Beine. Ohne ein Wort zu verlieren, aber mit einem schlauen Blick auf seinen alten Freund, nahm er den Kranz von Zweigen, Gras und Feldblumen, welcher neben Lars lag, und in der nächsten Minute war der fette Waldesapfel damit geschmückt. Als Sieger neigte sich der tapfere Bursche mit allerlei komischen Drehungen vor dem stillen bekränzten Schläfer und begann mit lauter Stimme zu singen:

Sei gepriesen du, Jumala!
Hoher Schöpfer, dich verehr' ich,
Weil du mir den schönen Otho
Gabst, die edle Waldeszier.
Du mein einz'ger, bester Otho,
Süßes Goldchen, Blinzelauge,
Zürne über meinen Scherz nicht,
Diesmal nur vergieb ihn mir.
Komm, verlaß dein schlechtes Lager,
Dieses Bett von Fichtennadeln
Und von armem Heidekraut.
Komm, und ruh auf rothen Polstern,
Ruh auf seidenweichen Betten,
Unter meines Hauses Giebel
In dem feinsten Kämmerlein.
Auf, mein Otho, auf! und flattre
Durch die Luft, wie Birkenblätter,
Wie das Eichhorn springt am Eichbaum,
So, du schöner, folge mir.

218 Das that der schöne Otho nun zwar nicht, obwohl er durch einen Rundgesang nochmals dazu eingeladen wurde, allein aus Stangen war zu gleicher Zeit eine Art Schleife für ihn gemacht worden, und in gar kurzer Zeit folgte er unter Jubel, Gelächter und neuem Gesang den Jägern, die ihn mit vereinten Kräften zogen, hoben und an manchen Stellen trugen, bis er nicht ohne mancherlei Mühen glücklich aus den Felsen herunter geschafft war, wo ein Wagen schon seiner wartete.

Der Freiherr mit seinen Gästen folgte dem Zuge nach, doch diese nahmen an der bäuerischen Lust, welche nun dem Siege folgte, wenig Antheil mehr.

Als Serbinoff den blutigen Spieß von sich warf, war das erste, was er that, Otho zu umarmen und einige herzliche lebhafte Worte auszurufen, welche noch lebhafter und dankbarer erwiedert wurden. Die beiden jungen Männer betrachteten sich einige Augenblicke lang voller Freudigkeit, dann drückten und schüttelten sie ihre Hände und Waimon sagte in innigem starken Tone: Das war ein Dienst, den ich Ihnen nie vergessen will, Graf Serbinoff.

Nichts war es, eine Kleinigkeit, mein bester Otho, antwortete Serbinoff. Für seinen Freund thut man andere Dinge. Auf dem Schlachtfelde erprobt sich die Waffenbrüderschaft.

Wo es auch sein mag, im Leben und im Sterben, versetzte Otho mit jugendlicher Begeisterung, wir wollen als Freunde beisammenstehen.

Louisa warf sich in ihres Bruders Arme. Mich darfst du nicht vergessen! rief sie zärtlich. Ich gehöre mit in den Bund.

Wir Alle! fiel der Kammerherr ein. Es ist eine alte nordische Sitte, die Waffenbrüderschaft und die Schutzgelöbnisse. Einer schützte des Anderen Haupt gegen jede Gefahr und übergab sich allen Höllengöttern, wenn er je in Zorn und Streit sein Schwert gegen den Freund zöge.

Niemals, bei Gottes Thron! niemals! tief Otho, Arm und Augen zum Himmel aufhebend.

Vortrefflich! schrie der Kammerherr, mir ist zu Muthe als lebten wir im achten oder neunten Jahrhundert. Aber unsere 219 Freundschaftsschwüre müssen, wie in alter Zeit, auch mit einem vollen Becher besiegelt werden, nach dem ich einiges Verlangen spüre. Da ziehen die Helden schon mit dem Bären ab und der Hahn sitzt obenauf und stimmt ein Hexenlied an. Kann man etwas Romantischeres erleben, als diesen homerischen Kampf? Komm endlich herunter von dem bemoosten Steine, Ebba, und da du poetische Gaben hast, so dichte eine Ode auf die Waffenbrüder in den Felsen von Korpilax.

Auf den süßen Herrn Otho, sagte Ebba sich verbeugend, welcher trotz aller Klugheit doch den Kopf nicht auf der rechten Stelle behielt.

Sie sprang von dem Steine und hatte ihre fröhliche Laune reichlich wiedergefunden. Ich lobe mir die Friedfertigen und Vorsichtigen, fuhr sie fort. Darum will ich auch nichts mit dem Bund der Waffenbrüder zu schaffen haben. Schützen werde ich mich selbst, sollte ich jedoch des Schutzes benöthigt sein, so habe ich einen tapferen Ritter an meiner Seite, der ohne mit Bellen und Spießen um sich zu hauen und zu stechen und seine Mitgeschöpfe zu beleidigen, jeden Feind zu Schaam und Einsicht bringen wird.

Ihre Neckereien wurden durch andere erwiedert und bald war, was erschreckt und geängstigt hatte, unter Scherzen und Fröhlichkeit verschwunden. Die gefahrvollen Auftritte, welche zu einem schlimmen Ende führen konnten, dienten jetzt dazu, das Gelächter zu vermehren, die Helden zu bewitzeln, ihre Abenteuer in Possen zu verwandeln, und weil Alle dabei mithalfen, waren sie sämmtlich auch davon belustigt. Schneller, als sie es dachten, befanden sie sich an der Schlucht, von welcher aus der Jagdzug in diese Wildniß drang und hier erwartete sie neuer Stoff zu übermüthiger Laune; denn der edle Honigtatzer mußte auf seiner Schleife über Hals und Kopf in die Tiefe rutschen und nahm ein halbes Dutzend Jäger mit, welche von den hohen Hügelrändern herabkollerten, dennoch aber glücklich unten anlangten. Ob es auch Beulen und geschundene Glieder gab, der Festjubel wurde dadurch nicht erschüttert, ja er stieg immer höher, denn das Beste, das fette leckere Mahl, sollte erst kommen. Der Bär wurde auf den wartenden Wagen gelegt und festgebunden. Lars Normark stand vor ihm und blies seine Pfeife, rund umher gingen die Jäger, welche 220 immer neue Gesänge in Vorrath zu haben schienen und auf dem edlen Otho spazierte der Hahn mit den stolzesten Siegerschritten umher.

Der Zug hatte jedoch, gefolgt von den Rettern, kaum die Höhen von Halljala erreicht, als eine Menge Volk aus dem Kirchspiel, Männer, Weiber und Kinder, ihm entgegenströmte. Alle prangten in ihrem besten Putz; die rothen Tücher der Mädchen flatterten mit farbigen Bändern im Verein. Die Männer hatten Laub und Tannensträuße an ihre Hüte gesteckt und bliesen ihre kleinen krummen Kuhhörner, in deren entsetzlichen Lärm sich wildes Jauchzen und Schreien mischte. Alle stürzten auf den Zug los, an dessen Spitze Jem mit seiner Lanze ging, die er stolz freudig schwenkte.

Fulla, das große hübsche Mädchen, das weit vorn unter den Ersten lief, schlug entzückt ihre Hände zusammen, als sie ihren Geliebten unter diesem Panier erblickte. In ihres Herzens Seligkeit rief sie unaufhörlich seinen Namen und wäre ihm rücksichtslos um den Hals gefallen, wenn nicht ein halbes Dutzend Hände sie an den Röcken zurückgezogen hätten. Denn das Fest duldete solche Zudringlichkeit nicht. Es hatte seine bestimmten heiligen Gebräuche, die Niemand unterbrechen durfte.

Zunächst gab es ein neues langes Zwiegespräch oder vielmehr neuen Gesang zwischen Jem und einem Manne, welcher den Haufen der Neugierigen anführte und dabei that, als wisse er gar nicht, was geschehen sei. Er stellte ausforschende Fragen, die Jem mit kläglichen Mienen, Achselzucken und Seufzen beantwortete. Anfangs behauptete er, Alles sei fruchtlos ausgefallen, dann, als der Frager sehen wollte, was auf dem Wagen sei, Jumala habe den Jägern eine Otter geschenkt. Als auch das nicht geglaubt ward, berichtete er, es sei ein Schneehuhn, dann ein Auerhahn, hierauf ein Luchs; doch als Alles nichts half, und die Menge den Kreis der Jäger zu durchbrechen begann, sang er zuletzt mit heller Stimme:

Keine Otter, noch ein Luchs ist's,
Seht ihn hier, den Freudenspender!
Wie ein Waldesnebel schwebt er;
Kurz der Fuß, das Knie gebogen
Rund die Nase wie ein Knäuel.
Otho ist's im Festgewande!

221 Ein Jubelruf, von welchem Berg und Thal widerhallte, folgte dieser Aufklärung, und er wiederholte und verdoppelte sich, als der edle Otho in nächster Nähe betrachtet wurde. Die lieblichsten Schmeichelworte, die zärtlichsten Namen wurden an ihn verschwendet, und wie besessen sprangen und tanzten die Jungen und Alten um ihn her, befühlten und streichelten ihn mit lüsternen Blicken. – Die ganze Ceremonie des Empfanges, der Befragung, der Verleugnung der Beute und deren Entdeckung hatte den Bauernhaufen unendlich belustigt, den Kammerherrn dagegen entsetzlich gelangweilt. Er wünschte von Herzen, daß der abgeschmackte Spaß sein Ende erreichen möchte; allein wie sehr sah er sich getäuscht! Der Zug setzte sich zwar in Bewegung und erreichte endlich die Festhütte auf dem Dorfplatze, doch hier ging die sonderbare Mummerei erst recht an. Die ganze Bevölkerung war dort versammelt und mit unendlichen Knixen, Verbeugungen und anderen Ehrfurchtsbezeugungen wurde der edle Otho empfangen. – Der beliebteste Sänger und Dichter des Kirchspiels kam mit der Zither herbei und empfing den werthen Gast mit so zierlichen schönen Versen, begleitet von so zärtlichen Grimassen und Bücklingen, daß auch die, welche seine Worte nicht verstanden, herzlich mitlachen mußten. Dann wurde der arme Honigtatzer aufgerichtet und in höflicher Weise eingeladen, näher zu treten, was ein halbes Dutzend kräftige Männer glücklich bewerkstelligten. Dabei sang der jubelnde Chor in arger Lust und Spötterei:

Näher, näher, edler Otho.
Aus dem Wege da, ihr Kinder,
Fort, ihr Weiber, von der Thüre,
Weichet vor dem kühnen Helden,
Weichet vor dem stolzen Mann.
Fürchte, Otho, nicht die Weiber,
Die bestrumpften Mützenträger.
In den Winkel muß sich schmiegen,
Was da Weib heißt, wenn ein solcher
Tapfrer Mann in's Zimmer tritt.

Aber wo blieben die rothen Polster und weichen Decken, welche man dem Dulder versprochen hatte? Der Kammerherr sah durch sein 222 Glas über die Köpfe des Volkshaufens fort, welcher die Bank umringte, auf welcher Herr Otho ausgestreckt lag, und er sah, wie der Schelm Jem eine mächtige Axt schwang und das breitstirnige Haupt vom Rumpfe trennte; er sah, wie ein ganzes Rudel dieser blondhaarigen blauäugigen Bösewichte sich auf den Vielgetäuschten warf, ihm das Fell abzog, ihn zerstückte, und er blieb so lange, bis er sah, daß der ungeheuere Kopf in den großen Kessel gesteckt wurde, der, mit der entsetzlichen Erbssuppe angefüllt, schon über dem Feuer brodelte. Dabei sang die Gesellschaft fast ohne Aufhören; in ihren Gesichtern malte sich die heftigste Begier nach dem bratenden, kochenden und schmorenden Bärenfleisch, und aus Grauen vor dem Gedanken, an diesem Kannibalenmahle Theil nehmen zu müssen, lief Herr Arwed Bungen auf und davon und verbrachte den Rest des Tages lieber ganz allein in dem alten Schlosse. Als es spät und finster war, und er in seinem Bette lag, trat Serbinoff endlich herein und setzte sich bei ihm nieder. Nun, theurer Alexei, rief ihm der Kammerherr entgegen, ich danke dem Himmel, daß ich Sie lebendig wiedersehe.

Possen! ich habe mit anderen gefährlicheren Feinden schon gekämpft, antwortete Serbinoff. Bei Austerlitz hieb ich einen riesenhaften französischen Kürassier vom Pferde, der Alles vor sich niedermähte und zehnmal grimmiger war als dieser finnische Bär.

Bester Freund, versetzte Arwed lachend, dieser Bär war Ihnen im Leben allerdings nicht übermäßig gefährlich, denn der tolldreiste Bursche hatte ihm die Tatze weggehauen, und Sie brauchten nur zuzustechen; allein im Tode, Serbinoff, im Tode wurde er fürchterlich. Haben Sie von der schrecklichen Erbssuppe gegessen?

Sie schmeckte vortrefflich! sagte der Graf. Auch kann ich es den alten Göttern nicht verargen, wenn sie in ihrem Paradiese Bärenköpfe und Zungen besonders liebten. Aber diese Schmauserei war wundervoll. Von dem ganzen Bären, so lang und fett er war, sind nichts als die Knochen übrig geblieben. In Euren Sagen, die in der Edda stehen, welche ich einmal zu meinem Vergnügen durchblätterte, habe ich von einem Essen gelesen, welches der Gott Thor mit Riesen hielt, die Alles verschlangen, was aufgetragen wurde, zuletzt sogar auch die Schüsseln, Teller und Tische, das fiel mir bei diesem 223 Feste ein. Zum Nachtische wurde ein Fisch aus dem Pajäne herbeigeschleppt, ein Wels, größer als ein Stör. Vier Männer trugen ihn auf Stangen, doch auch dies Ungeheuer folgte dem Bären spurlos nach, und noch jetzt nagen sie geschäftig an Knochen und Gräthen.

Welche thierische Gefräßigkeit!

Bah! erwiederte Serbinoff, indem er sich auf die Bettseite seines Freundes lehnte, was kann ein Volk Besseres thun, als sich den Magen füllen. Die ganze Glückseligkeit dieses Lebens liegt im Genießen, und es genießt ein Jeder in seiner Weise. Gönnen wir diesen armen Leuten auch ihr Theil, und seien wir zufrieden, wenn sie in solchen Genüssen noch Glück und Zufriedenheit finden.

In Gottes Namen! rief der Kammerherr, nur verschone man uns damit. Ich begreife nicht, wie Sie dabei aushalten konnten.

Ich, versetzte Serbinoff, habe dabei mancherlei gelernt. Ich habe gesehen, daß dies Volk ein kindliches und gutmüthiges ist, daß es aus rüstigen abgehärteten Männern besteht, die vortreffliche Soldaten liefern können. Habe auch gesehen, daß die Weiber und Mädchen nicht halb so hübsch sind, als die jungen Burschen; denn beiläufig gesagt, nicht ein halbes Dutzend leidliche Gesichter habe ich unter dem ganzen Haufen entdecken können.

Sie verderben ihre Gesichter durch harte Arbeit und den Rauch in den Hütten, die gewöhnlich keine Schornsteine haben, erwiederte der Kammerherr, dabei auch durch die abscheuliche Badstube, welche sich in jedem Hause befindet.

Serbinoff lachte. Ich bin in mehreren gewesen, habe mich umherführen lassen und dabei erfahren, daß die Weiber Tage lang darin zubringen, die Männer ebenfalls, alle im natürlichen Zustande. Ländlich sittlich, theurer Freund; und wenn etwas meinen Glauben verstärken könnte, daß Finnland zu Rußland gehört und der große Tschudische Volksstamm ohne Ausnahme uns zunächst verwandt ist, so müßten es diese Badstuben sein, welche man ganz ebenso bei allen russischen Bauern findet.

Merkwürdig genug, spottete der Kammerherr, und obenein ein ganz neuer Beweis.

Unsere Bauern leben besser, fuhr Serbinoff fort. Otho hat mir erzählt, daß der allergrößte Theil des Volks den Sommer über kaum 224 etwas Anderes genießt als saure Milch mit Buchweizengrütze, sammt den unvermeidlichen Fischen; im Winter aber Buchweizengrütze und Wasser.

Dennoch, erwiederte Arwed leiser, glaube ich nicht, daß so leicht ein Finne mit dem bessergenährten russischen Bauer tauschen möchte.

Allerdings nein; aber Niemand wird ihn danach fragen, und unter den Flügeln des Adlers wird es ihnen bald besser gefallen als unter den Klauen des Löwen. Ein so kindliches Volk, so heiteren Gemüths, so genügsam, bis auf die entzückenden Stunden ihrer festlichen Gefräßigkeit, dabei jedoch nicht ohne Verstand, bedarf nur guter Rathgeber, zu denen es Vertrauen besitzt. Ich habe mit Vergnügen vernommen, wie viele poetische Anlagen, Lieder, Gesänge und Dichter es hat.

In meinem Leben habe ich nichts Abgeschmackteres gesehen! rief Arwed. Dies ganze Bärenfest ist ein Possenspiel der albernsten Art und daß die Finnen seit Jahrhunderten solche Narrheiten treiben, ist der beste Beweis ihrer kindischen Denkweise.

Haben wir nicht auch Maskenspiele und Feste genug, die noch viel kindischer und thörichter sind? erwiederte Serbinoff. Hier gilt es doch wenigstens einem guten Braten, der den geschmackvollen Hintergrund bildet.

Für mich war dies Fest aber überdies ein Quell für andere nützliche Erfahrungen, fuhr er fort, als der Kammerherr schwieg. Ich weiß jetzt, daß mein theurer Waffenbruder und Freund Otho von allen jungen Leuten weit umher, bis über den Pajäne hinaus, hoch verehrt wird; daß er mit Hilfe seiner Reisen und seines Pferdehandels überall Freunde unter dem Landvolk besitzt, und daß seine heutige Heldenthat bald zehn Meilen in der Runde erzählt und besungen werden wird. Sie hätten dabei sein müssen, Arwed, um einen Sängerkampf zu sehen. Ein paar fremde Bauern aus Savolax hatten sich eingefunden, und als die Fässer voll Bier und starker Getränke, welche der Freiherr geliefert, gehörig wirkten, setzten sie sich den heimischen Dichtern gegenüber, Knie an Knie und Nase an Nase. Die lieblichsten Gesänge, Runen, wie man sie nannte, entströmten ihren Lippen, dabei schlugen ihre zarten Finger die Laute oder Kandele, und zur 225 Abwechselung pfiff der alte Schelm, der Schulmeister, auf seiner schrillenden Pfeife und ließ seinen teuflischen Hahn tanzen. Die Bestie sprang auch heut auf mich los, als ich ihr zu nahe kam, wofür ich ihr den Dank schuldig bleiben werde. Überhaupt, mein Freund, nehmen Sie sich in Acht, sowohl vor dem abscheulichen Thiere, wie vor dem glatzköpfigen alten Burschen. Der Propst sagt, er sei der ärgste Schelm in ganz Finnland, und ich bin gewiß, daß er Recht hat. Der Kerl sieht aus wie ein Spion und hat alle Eigenschaften dazu. Verschlagen, anscheinend sorglos, ein Spaßmacher und Umhertreiber, beobachtet er genau und mißtraut uns. Was die Sänger betrifft, so sangen sie unter unendlichem Jubel von den Thaten, Leiden, Schicksalen und Freuden des edlen Otho, witzelten und spotteten, verherrlichten den heutigen Kampf und begeisterten sich für ihren jungen Helden, meinen Waffenbruder, der ganz besonders zärtlich von dem lustigen Jem gepriesen wurde.

Jeder Diener preist seinen Herrn, sagte Arwed.

Bei dieser Gelegenheit habe ich auch gehört, warum Herr Ridderstern mit Waimon so arg verfeindet ist und mancherlei Spott ertragen mußte. Auch diesmal sollten Spottlieder auf ihn gesungen werden, als die Köpfe voll waren; allein Otho hinderte es. Sein Vertrauen zu mir ist so gewachsen, daß er mich vor dem habgierigen Pfaffen warnte, der ein gewissenloser, zu allen schlechten Streichen fähiger Mensch sei.

Zu solchen Titeln kann man sehr leicht bei diesem Phantasten kommen, fiel der Kammerherr ein. Was hat er ihm gethan? Geld gefordert?

Auch das; allein die Hauptsache ging Otho eigentlich wenig an. Der Propst hat einen Sohn, der jetzt in Sweaborg bei seines Vetters Regiment als Junker steht, dazu hatte er eine Magd im Hause, das artige Mädchen, Fulla, die wir als Jem's Geliebte heut kennen lernten und hübsch genug fanden, um sie anzuschauen. Dasselbe that auch der junge Herr Ridderstern; allein da er in einem Hause mit ihr wohnte, war es ganz natürlich, daß er dabei nicht stehen blieb. Eines Abends spät oder in der Nacht scheint er, gewiß in den besten Absichten, in ihre Kammer gerathen zu sein. Was ihm dort 226 geschah weiß Niemand, aber es ist gewiß, das es ihm übel bekam. Er schrie jämmerlich um Hilfe, denn er wurde von einem Gespenst bearbeitet, das ihm den Hals umdrehen wollte. Zufällig saß der würdige Propst noch bei seinen frommen Studien, oder wie anderseits behauptet wird, mit dem edeln Sam Halset bei einer vortrefflichen Flasche Wein. Die Herren liefen mit Lichtern herbei und überraschten das Gespenst, das zwar eiligst durch das Fenster entschwebte, und nach Gespensterart verschwand, jedoch deutlich als Jem Olikainen erkannt wurde. Dem armen jungen Herrn war das Gesicht schrecklich zerschlagen, und der mit Recht entzürnte Vater machte eine Kriminalklage anhängig gegen den groben Spitzbuben, welcher nächtlich in sein Haus einbrach und von seinem Sohn ertappt und festgehalten wurde. Ohne Zweifel würde Jem das Zuchthaus kennen gelernt haben, wenn sich Otho Waimon nicht eingemischt hätte, der unter Beistand des Freiherrn sich des Burschen nicht allein annahm, ihn schützte, und zu seinem Diener machte, sondern dem Propst auch dermaßen zu Leibe ging, daß dieser seine Klage zurücknehmen mußte und seinen Sohn schnell nach Sweaborg schickte. Damit aber noch nicht genug, wurde die ganze Geschichte in Verse gebracht, und unser theurer Freund hatte vielfaches Ärgerniß zu verdauen, welches bitterlichen Groll in seinem christlichen Herzen zurückließ.

Sie belustigen sich daran, Serbinoff, sagte Arwed, allein diese Geschichte hat auch ihre ernste Seite. Sie beweist, wie rücksichtslos dieser hitzköpfige Finne ist, der einem bäuerischen Tölpel zur Liebe die größte Schmach über eine angesehene Familie bringt.

Diese Rücksichtslosigkeit hat meinem geliebten Waffenbruder seinen Heldenruf verschafft, antwortete der Graf. Eben um dessentwegen hängen ihm die jungen Leute mit Leib und Leben an, während das weise Alter sich mehr zu dem ehrbaren, ruhigen Freiherrn Erich hingezogen fühlt. Mit diesen beiden, mein lieber Freund, kann man, wie ich überzeugt bin, bei vorkommenden Fällen, sehr bedeutend auf den gesammten Bauernstand einwirken.

Doch wie am besten sie für solche Fälle gewinnen? fragte der Kammerherr eben so leise, wie Serbinoff diese letzten Worte gesprochen hatte.

227 Eine kleine Pause trat ein. Es scheint mir fast Zeit zu sein, sagte der Graf dann, daß Sie Ihrer Schwester einige vertraute Eröffnungen machen. Sie werden dies in einer Weise thun, wie es sich für eine romantische Stimmung schickt. Unsere liebenswürdige Freundin schwärmt für Schwedens alten Glanz und Größe, sie haßt den König, der Alles was sie liebt zertritt und zerstört. Wohlan denn, nähren Sie den Haß und die Schwärmerei; zeigen Sie ihr was geschehen muß, um alle schönen Träume zu erfüllen.

Und dann? fuhr Arwed fort.

Weiter nichts, sagte Serbinoff. Sie haben doch gesehen, wie Ihre Schwester heut in auffallender Weise den ritterlichen Freiherrn begünstigte.

Meinen Sie, daß Erich eine Flamme in ihrem Herzen entzündet hat?

Flamme entzündet? wiederholte Alexei leise lachend. Possen! So wenig wie diese Wand Feuer schlägt, oder dieser Tisch lebendig wird, so wenig ist dieser Naturphilosoph im Stande, ein Weiberherz in Flammen zu setzen. Es ist eben so lächerlich, ihn verliebt zu denken, wie leidenschaftlich geliebt. Käme es blos darauf an, auf das Herz meine ich, auf Leidenschaft oder verborgene Flammen, so möchte ich behaupten, daß es einen anderen Gegenstand gibt, der weit eher – Er brach ab, und fuhr sich zu dem Bett niederbeugend fort: Doch wie dem auch sein mag, bester Freund, zweifeln Sie nicht daran, Fräulein Ebba hat schon ihre Entschlüsse gefaßt, eben so wohl, wie der Stoiker, den der Herr in seiner Weisheit als Freiherr Randal schuf. Ihre Schwester weiß, daß sein Vater ihm das Versprechen abnahm, ihr seine Hand anzubieten; sie weiß auch, daß Ihre Mutter dies alte Schloß verließ, und ihre Zusage brach, bald und für immer dahin zurückzukehren.

Woher wissen Sie das so bestimmt.

Ich weiß noch mehr, fuhr Serbinoff fort. Fräulein Ebba hat Ihrem Vetter bekannt, daß sie nach Halljala gekommen sei, ohne irgend eine Flamme im Herzen, und daß sie um keinen Preis sich verkaufen oder verhandeln lassen werde, wie ihre Mutter dies gethan.

Sie sind Schuld, Serbinoff, wenn Ebba solche Äußerungen wagt, sagte der Kammerherr, indem er sich aufrichtete. Hätten Sie meinem Rathe gefolgt, sich meiner Schwester erklärt.

228 Sprechen wir nicht davon, fiel Alexei ein; ich glaube nicht an Erhörung, nachdem ich vernahm, in welcher Art ich beurtheilt wurde. Ihre Schwester ist entschieden, dem Freiherrn ihre Hand zu reichen, und die Schuld ihrer Mutter zu versöhnen. Wenn sie das Lamm zu einem Tiger machen kann, wie dies von ihr gehofft wird, müssen Sie ihr helfen.

Nach einem neuen Schweigen sagte Arwed: Sie sind sehr großmüthig, Serbinoff; ich habe diese Tugend schon öfter an Ihnen bewundert.

Beunruhigen Sie sich nicht darüber, erwiederte der Graf, seine Hand auf Arwed's Hand legend, wir werden sehen, ob mein Calcul das richtige ist. Sie wissen, was ich Ihnen in Tavastehuus sagte, ich kann es noch einmal wiederholen: Ihre Schwester ist mir theuer, theuerer als ich es Ihnen sagen kann. Zwischen uns aber liegen Brandungen und Klippen, welche fortgeschafft werden müssen, wenn unser Schiff nicht stranden und versinken soll.

Und eine dieser Brandungen ist die kleine schelmische Louisa?

Schaumflocken, die der Wind verweht. Ein artiges Kind!

Ein artiges Kind, allerdings, sagte der Kammerherr, allein Kinder besitzen oft lebhafte Einbildung. Sie sind Louisa's erklärter Günstling geworden. In den finnländischen Prärien aufgewachsen, ist sie leichtgläubig wie alle halbwilden Wesen dieser Art.

Das würde nicht meine Schuld sein.

Glauben Sie nicht, fuhr Arwed fort, daß sie in ihren unschuldigen Träumereien sich schon zuweilen ganz ernsthaft einbildet, immer bei Ihnen zu sein, und zuletzt in Petersburg mit Ihnen als Gräfin Serbinoff einzuziehen?

Ich möchte wohl wissen, lachte Alexei leise, welches Gesicht mein Onkel machen würde, wenn ich ihm eine finnische Hexe als Nichte in's Haus brächte. Sie wissen doch, daß die Finnen bei uns unmäßig verachtet und zugleich gefürchtet werden, denn sie gelten sämmtlich als Teufelskinder und Hexenmeister.

Verspotten Sie meinen Rath nicht, mein Freund, versetzte der Kammerherr. Sehen Sie sich vor bei dem was Sie thun. Ihr 229 theurer Waffenbruder mit dem Bärennamen und der Bärenstirn möchte bei gewissen Dingen keinen Spaß verstehen.

Vielen Dank, sagte Serbinoff im leichtfertigen abweisenden Tone. Ich werde, wie ich hoffe, in jeder Art mit ihm fertig werden. Er hat mir ewige Freundschaft gelobt, Brüderschaft bis in den Tod, allen Rachegöttern sich überantwortet, wenn er je von mir abfallen könne. Diesen habe ich fest, mein lieber Arwed. Ich habe seine Seele, wie es in den alten Zauberbüchern heißt, sie soll mir nicht entkommen. – Halten Sie jetzt den Anderen, Ihren Vetter, und gewinnen Sie Ihre Schwester dafür; ich werde nicht verfehlen Sie zu unterstützen. Jedenfalls werden wir noch einige Zeit hier bleiben.

Es ist entsetzlich langweilig, gähnte der Kammerherr.

So schlafen Sie, Schlaf ist das beste Mittel gegen Langeweile, lachte Serbinoff. In einigen Tagen wird Halset kommen; wie ich hoffe, bringt er seine Tochter mit. Die dunkeläugige Jungfrau Mary kann Ihnen Gegenstand besserer Unterhaltung werden. Gute Nacht, mein Freund, träumen Sie von ihr!


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