Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Neunzehntes Kapitel.

Und es war ein Paradies, in welches Lindström das beglückte Paar geführt hatte, es waren selige Tage, die Erich und Mary jetzt mit dem armen Priester auf diesem stillen, vergessenen Eiland verlebten. Bald wußten sie Alles, was er ihnen erzählen konnte und er hörte ihre Schicksale mit der Theilnahme eines Vaters an. Er hatte Trost und Liebe für sie, und wie er den Finger Gottes überall erkannte, so hatte er auch den Glauben, daß die mächtige Hand, die Alles leitet und Alles hält, auch ihr Geschick gütig leiten und zum Besten wenden werde. Von ihm erfuhr Erich jetzt auch, wie Otho, in großer Gefahr einst erhalten, nach Stockholm gelangt sei, und Mary erzählte, was sie selbst dazu beigetragen und was damals in Liliendal vorgegangen. Das waren freudige Erklärungen, manches Andere knüpfte sich daran und neue Hoffnungen wachten auf, daß Otho noch am Leben sei und seinen Freunden einst wiedergeschenkt werde. Erich vervollständigte dagegen, was er von den Schicksalen seiner Tante, deren Heirath und von Otho's Vermuthungen wußte. Er hatte zwar nie etwas von jenem Handschuh gehört und konnte nur bestätigen, daß über jene Heirath ein Dunkel schwebte, das nicht aufzuklären war, vollzogen aber war sie gewiß, denn sein Vater hatte darum gewußt, und in seiner letzten Stunde hatte er davon gesprochen, als er darüber befragt wurde. Sie sind getraut worden, sagte er mühsam und abgebrochen, wo weiß ich nicht, Niemand weiß es, allein geschehen ist es. Darum konnte die heilige Handlung hier nicht noch einmal wiederholt werden. Seltsame Verhältnisse zwangen uns – meine Schwester – Ingar – beide – ein Krampf trat ein und einige dumpfe verworrene Worte waren seine letzten Lebenszeichen.

768 Ich hoffe, sagte der gute Pfarrer, daß unser lieber Freund in Stockholm Nachrichten gesammelt hat, die ihm nützlich sind, und Gott wird ihm gnädig sein, daß er in Ehren auch die erwirbt, an welcher sein Herz hängt. Denn das war das Weh, das ihn zu Boden drückte. Seine Seufzer und Klagen tönen noch in meinen Ohren, als er in seinen Fieberphantasien nach ihr rief und sie von sich stieß, wenn er erwachte.

Erich wußte, daß Jönsson Recht hatte; er selbst hatte die Wahrheit geahnet, als nichts mehr geändert werden konnte. Er wußte, wie Ebba in sich verschlossen hielt, was sie empfand, weil sie eingesehen, daß sie solcher Neigung entsagen müssen und jetzt wußte er, daß wenn Otho auch noch lebe, jede Hoffnung für ihn verschwunden sei. Ebba würde das für ihn thun, was Mary für mich gethan hat, sagte er seufzend, aber es ist unmöglich!

Kein Ding ist bei Gott unmöglich, mein Sohn! rief der eifrige Greis. Größeres und Wunderbareres hat er schon oft gethan, wo die Weisesten riefen: es ist unmöglich!

Eines rechten Mannes Sache ist es, standhaft zu tragen, was ihn trifft, erwiederte Erich. Otho ist ein solcher Mann, ich sorge nicht um ihn.

Jönsson nickte ihm freudig zu. Es herrschte zwischen ihm und seinem Gaste eine innige Einigkeit und seelenvolles Verständniß. Beide waren von mildem Sinne und großer Herzensgüte, beide streng gegen sich selbst, doch nachsichtig gegen die Fehler und Schwächen aller Menschen, beide unermüdlich, um Gutes zu thun und Gutes zu fördern und doch so verschieden in den Ursachen und Gründen ihrer Handlungen. Denn was der Eine aus der Kraft seines Glaubens that, nach Gottes Geboten, durchdrungen von heiliger Gotteskraft, das that der Andere um des Guten willen aus der göttlichen Macht der Vernunft und dem starken Rechtsgefühl in seiner Brust. Doch trotz dieser Verschiedenheit waren sie einig, voller Liebe und Vertrauen und fragten nicht nach Satzung und Schrift und was gelehrt und gelernt wird. Die stolze Priesterkaste in Schweden, welche so unduldsam ist bis auf diesen Tag, hatte keinen Theil an diesem demüthigen frommen Greis, der nicht nach seiner Freunde Glauben fragte, sie nicht bekehren 769 wollte, aber freudig ihre Werke segnete, sie wie Kinder segnete und liebte, da sie hilfreich ihm beistanden, den armen Hüttenleuten wohlthaten und mit ihm auszogen, um die Geschlagenen zu trösten.

Es war ein trauriges Jahr auch auf diesen Inseln, deren Felsboden so wenig ergiebig ist. Die Theuerung war groß; der Krieg störte den Erwerb, selbst der Fischfang gab ungewöhnlich geringen Ertrag. Der Kanonendonner schreckte und verscheuchte auch die Bewohner der Tiefe. Die rüstigen jungen Leute wurden zum Dienst auf die Flotte genommen, Manche hatten auch die Russen fortgeschleppt bei ihren Landungen, Manche waren getödtet und verstümmelt worden, und die Weiber und Greise lebten in bangen Sorgen, wie es endlich mit ihnen und den Ihrigen werden sollte, wenn der wilde Feind wiederkäme. In dies versteckte kleine Eiland war kein Russe bis jetzt gedrungen, allein seine Bewohner wußten nur zu gut, welche Gräuelthaten an manchen Orten geschehen waren, wo die Barbaren Unglückliche lebendig verbrannt oder in dichten Rauch aufgehängt hatten, daß sie erstickten, oder sie gebunden ins Meer warfen, aus Rache, daß die Alandsleute mit ihren Priestern die russischen Besatzungen fangen halfen.

Mary besaß eine beträchtliche Geldsumme und mancherlei Kostbarkeiten. Gerne half sie mit ihren Gaben den Nothleidenden; Erich aber unterrichtete die Familien, wie diese ihre kleinen Felder besser bestellen oder nützliche Gewächse pflanzen und ziehen könnten. In Sartingo wurde ein Erdtoffelankauf gemacht, um diese wohlthätige Frucht zu vertheilen und zur nächsten Saat davon aufzubewahren; bis jetzt kannte man die Erdtoffel auf dem armen Eiland nicht. So sah der gute Pfarrer manche Noth gelindert und lange Zeit seines Lebens hatte er so viele Freude nicht erlebt. Rüstig wanderte er mit seinen Freunden durch Wald und Matten, wenn diese ihm Kräuter und Wurzeln sammeln halfen und, begierig in seinem hohen Alter, hörte er an, was Erich von vielen Gewächsen zu sagen wußte, indem er dessen Kenntnisse pries und bewunderte. O! sagte er dann oft mit einem glückseligen Lächeln, es wird immer schöner und besser werden auf Gottes Erde. Die Menschen werden immer mehr lernen, ihr Geist wird immer weiter reifen, das wird auch ihre Herzen veredeln. 770 Je mehr Licht die Köpfe erhellt, um so mehr wird auch die Finsterniß verschwinden und endlich wird der große Geist der Liebe seine Wohnung immerdar bei Wesen aufschlagen, die ihn verstehen und ihn begreifen.

In schöner Freudigkeit gingen die Tage hin und nie empfanden die Gäste das Verlangen, ihre Verborgenheit zu verlassen. Keine Sehnsucht zog sie in das Geräusch des Weltlebens, keine Reue ließ sie betrübte Rückblicke auf die Vergangenheit thun. Jeder neue Morgen brachte neues Glück für das junge Paar und neue innige Zufriedenheit für den guten Pfarrer. Was konnte es denn Schöneres für ihn geben, als diese Geselligkeit mit Menschen, welche er immer lieber gewonnen und die ihn dafür wie einen Vater ehrten.

Und wie wahr und rein liebten sie sich selbst; wie schön war ihr Verhältniß trotz dieser zärtlichen Liebesnähe. Wie waren ihre Herzen vereint durch jenes wunderbare geheimnißvolle Band, das magnetisch alle Lebensströmungen des fremden Lebens zum eigenen Leben macht, und nur für jenes denkt, für jenes strebt und empfindet. Und wenn Axel Jönsson sie lächelnd gehen sah, Hand in Hand, oder wenn sie bei ihm in dem Gärtchen saßen und er bemerkte es, wie ihre Blicke sich begegneten, wie ihr Sein und Wesen zusammen stimmte, wie Erich dieser muthigen Retterin herzinnig anhing und sie ihn mit ruhig stolzer Gewißheit anschaute, dann überkam es den Greis wie ahnungsvolles Träumen aus alter Zeit. In ihm läuteten heilige Glocken, deren Klänge seine ganze Seele füllten, und seine Augen thaten sich glänzend auf, er schaute lächelnd die große stille Gestalt an, die seiner lieben Natta glich und so viel von ihrem Fleiß, ihrer sorglichen Treue und ihrer schönen, stillen Ruhe hatte. Und während sich seine Hände falteten und ein Engel Gottes mit rosigem Finger seine Stirn und sein Herz berührte und Beide wieder jung machte, überließ er sich seinen Träumen, die ihm Alles wiedergaben, was er verloren. O, er war sehr glücklich, der greise Priester, wenn er mit seinen lieben Freunden durch das Eiland wanderte, wenn er sie zu den schönsten und höchsten Stellen führte, zu dem Quell, der so süßes herrliches Wasser lieferte, zu der wunderbar alten Eiche in dem kleinen Thale, die einzige auf allen diesen Inseln, an deren Stamm er so oft mit 771 Weib und Kind geruht, und zu der spitzen Klippe, von der aus man bis in das Alandshaf und bis an die finnischen Küsten schauen konnte. Alle Schätze der Welt hätte er nicht um diese freudenvollen Stunden eintauschen mögen.

So verging der Monat October und es trat immer rauheres und stürmischeres Wetter ein, das den nahenden Winter ankündigte, doch noch immer ließ Lindström sich nicht wieder blicken. Die guten Tage wurden selten, aber das Haus, die Herdflamme und die gemeinsame häusliche Geschäftigkeit vermehrten das Beisammensein der Liebenden mit dem guten Pfarrer und gewährte ihnen in dieser engen Beschränkung und unter mancherlei Entbehrungen eine Fülle neues reines Glück. Vom Kriege kam selten eine Nachricht, seit langer Zeit war kein Kanonendonner mehr gehört worden, doch sollte König Gustav Adolph noch immer auf Aland sein und dort viele Generale und Männer seines Hofes und seiner Regierung um sich versammelt haben. Wie es in Finnland herging wußte Niemand; endlich aber kam der Krämer aus Sartingo in seinem Boote und brachte allerlei Waaren und Vorräthe, welche Jönsson bei ihm bestellen ließ, daneben aber auch mancherlei Neuigkeiten. Der Krämer erzählte von einer blutigen Schlacht, die in der Gegend von Carleby bei Oravais geschlagen wurde, in welcher die Russen gesiegt hatten. Schweden und Finnen seien darauf bis fast an die äußerste Gränze im Norden zurückgewichen und hätten einen Waffenstillstand abgeschlossen, um neue Kräfte zu sammeln. Doch die Russen unter dem neuen Obergeneral Kamensky seien viel stärker und schwedische Offiziere hätten in seinem Hause erzählt, es sei Alles verloren, denn von den Verlusten bei Oravais würde das finnische Heer sich nie wieder erholen. Es fehlte an Allem, an Menschen, Geld und Vorräthen, während den Russen nichts fehle und sie immer mächtiger würden.

Das waren betrübte Nachrichten, die nicht verfehlen konnten, Alle traurig zu stimmen. Erich saß lange schweigend und bedenkend. Seine Augen ruhten zuweilen voll liebevoller Besorgniß auf Mary, und Jönsson verstand, was in ihm vorging. Am Nachmittage forderte er Beide zu einem Spaziergange auf, denn der Tag war milder als viele und die Sonne barg sich unter einem rothen Himmel, der Kälte 772 oder Schnee und Sturm anzeigte. Er führte sie auf die Höhe, wo das Meer nach allen Seiten und der schwindende Sonnenglanz zu sehen war, in dessen feuriges Zucken sie bewegt schauten.

Meine lieben Freunde, begann der alte Pfarrer endlich, wir werden scheiden müssen. Dieser Abendhimmel mahnt mich daran, daß in wenigen Tagen das Toben unseres Winters beginnen wird. Noch aber können Sie mich ohne Gefahr verlassen, um nach einer der großen Inseln und von dort mit den Fährbooten nach Schweden zu gelangen.

Wollen Sie denn, daß wir Sie verlassen, mein Vater? fragte Mary-

O! mein Kind, erwiederte der Greis zärtlich, Sie haben mein Leben so schön gemacht wie dieser Himmel ist mit seiner strahlenden Sonne; allein ich darf nicht fragen, was meine Wünsche sind.

Mary nahm seine Hände, dir er ihr bot. Wenn Sie unsere Wünsche gewähren wollen, sagte sie, so bleiben wir bei Ihnen, bis Nothwendigkeit uns zwingt, diese friedliche Zufluchtsstätte zu verlassen, welche für uns ein Paradies geworden ist.

Mein theures Kind! rief Jönsson freudig und traurig zugleich, wie gern höre ich das. Aber wird diese arme rauhe Wildniß Ihnen nicht dennoch Schrecken einflößen?

Habe ich nicht hier den Mann, mit dem ich in den wildesten Einöden leben und glücklich sein würde, antwortete sie.

Sie legte ihre Arme um Erich, der lächelnd sagte: Sie hat Recht, theurer Vater. Wir wollen bei Ihnen bleiben; alle unsere Wünsche werden mit uns an Ihrem Herde sitzen.

Haben Sie keine anderen Wünsche, mein lieber Freund? fragte der Greis, und als Erich schwieg, deutete er vor sich hinab, wo hinter der Düne die Spitze der kleinen Kirche sichtbar wurde. Ein unbeschreiblicher Ausdruck belebte sein Gesicht. Es war um diese Zeit, sagte er, wo ich mit meiner lieben Natta dort am Altare stand und der Winter verging uns wie ein endloser Sommertag. So will ich meine Kinder nun auch vereinigen, will ihren Bund segnen. Heute noch; ja, heute noch will ich es thun! Denn warum sollte ich zögern, warum nicht den Segen über Ihren Bund sprechen, der Ihr Glück erhöhen muß; und weiß ich denn, fügte er sanft lächelnd hinzu, weiß 773 ich denn, ob ich es morgen noch thun kann, da ich jede Stunde bereit sein muß, daß der Herr mich zu sich ruft.

Eine Antwort erfolgte nicht, allein sie lag in den Blicken der Liebenden, die sich freudig anschauten, dann dem greisen Priester zulächelten und sich und ihn umarmten. Und als dies geschah, flammte die Sonne zwischen brennend rothen Wolken auf und hüllte die Beglückten in Brautgewänder von Purpur und Gold, und über das Meer funkelten ihre Strahlen auf ein kleines Schiff, das so eben aus einem der nahen Insel-Kanäle mit weiß glänzenden Segeln fuhr und sich dem Eilande und der Bucht näherte.

Es ist Lindström's Schaluppe! rief Mary, er erscheint zur guten Stunde.

Er wird gesandt von dem, der über Alle wacht und ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt! antwortete der fromme Greis. Kommt, meine lieben Kinder, laßt uns ihm entgegengehen. In einer Stunde sollt ihr auf ewig vereint sein.

Als sie am Hause anlangten, stand der junge Offizier schon an der Thür. Hurrah! rief er, wie lebt es sich im Paradiese? Ich habe es wohl gedacht, es gefällt euch darin. Um dessentwegen sehnen sich auch andere Leute danach, und fürchten sich weder vor dem Apfelbaum, noch vor der Schlange. Denn kein Paradies ohne Schlange, sollte diese auch die Gestalt eines ehrwürdigen Priesters annehmen.

Mit diesen Worten hatte er Erich und Mary ergriffen und in das Zimmer geschoben. Ein heller Freudenschrei folgte ihrem Eintritt, ein verworrener Schrei der Überraschung und des Glücks, und als Axel Jönsson erstaunt nachfolgte, umschlangen ihn plötzlich vier Arme und vier strahlende Augen blickten ihn an. Ja, es war so, sie waren bei ihm; noch zwei geliebte Menschen, die Gottes Güte zu ihm geführt: Otho und Ebba!

Als der Sturm des ersten Erkennens, die Freude des Wiedersehens sich beruhigt hatten, begann der Austausch ihrer Erlebnisse. Otho hatte von Lindström schon gehört, was sich mit Erich und Mary zugetragen, er war daher um so mehr geneigt, den Freunden willig seine eigenen Schicksale zunächst mitzutheilen, was er in hastigen Umrissen that; als er jedoch dahin gekommen war, von dem Gefecht im 774 Lomnästhale und seiner Schwester plötzlichem Erscheinen zu sprechen, die er angsterfüllt verfolgte und nicht erreichen konnte, zitterte seine Stimme und versagte ihm den Dienst.

Niemand unterbrach das Schweigen und es dauerte einige Zeit, ehe Otho mit wiedergewonnener Fassung fortfahren konnte. Sie liegt im Garten von Lomnäs, sagte er, unter den Rosensträuchen, welche sie mit Magnus einst gepflanzt hatte. Wir konnten den armen Knaben, der sie fest umschlungen hielt und mit seinem Leben seine Liebe bezahlte, nicht von ihr trennen. Sie ruhen in einem Grabe und auch Er ruht neben ihr. Er, der Mann, der sie verdorben und verrathen hat und den sie mehr liebte, als Alles was Liebe verdient.

Gott weiß es! rief er mit leidenschaftlicher Gluth, ich leide noch wenn ich an sie denke; gramvolle Liebe mischt sich mit meinen Erinnerungen. Dennoch aber war ihr Tod Wohlthat und dieser Elende! – Nein! ich will es niemals bereuen, daß er unter meiner Hand starb. Meinen armen alten Freund Lars, fuhr er dann wehmüthig fort, betteten wir zu dem tapferen Spuf und legten den Hahn über Beide, der mit seinen Flügeln sie bedeckte. Der edle junge Dolgorucki wurde schwer verwundet dem Propst und Ebba's unwürdigem Bruder übergeben, der große Schmerzen litt, denn Lars hatte ihm mit seinem Eisenstock den rechten Arm zerschmettert. Er ist hergestellt wie ich vernommen habe. Dolgorucki aber ist gestorben. Wir jedoch hatten wenige Zeit zu Trauer und Klage; kaum waren die Todten bestattet, als wir, obwohl Sieger, eilig in die Wälder flohen. Alle unsere Gefangene und was wir sonst erbeutet, mußten wir frei geben; nur eine Gefangene nahm ich mit mir, denn um keinen Preis hätte ich sie zurückgelassen.

Er zog Ebba dabei an seine Brust und diese sagte ergänzend: Er hat mich auch mehr als einmal auf dieser langen schrecklichen Flucht errettet und von neuem erworben, auch unseren armen Freund Munk unter großen Gefahren glücklich bis zu des Marschalls Heer und zu General Adlercreutz gebracht.

Der Major hat euch begleitet? fragte Erich.

Er war nicht zurückzuhalten, erwiederte Otho. Unnütz sei es, Gräber zu bewachen, sagte er; sein Haß gegen Serbinoff fand auch 775 jetzt noch keine Versöhnung. Er wollte für sein Vaterland nun fechten, wo ihn nichts mehr davon zurückhielt, was sollte er noch mit seinen Schmerzen und seinem Gram in dem öden Hause! So zog er mit uns. Alte erfahrene Offiziere sind immer willkommen und wir kamen zur rechter Zeit, um das entsetzliche, vierzehn Stunden dauernde Gemetzel bei Oravais zu vermehren.

Es ist also wahr, daß eine blutige Schlacht verloren ging?

Eine, die Finnlands Verlust besiegelt hat, sagte Otho düster blickend. Adlercreutz schloß darauf einen Waffenstillstand in Lochto und als der Marschall Klingspor nach Stockholm ging, folgte er ihm nach, um vereint dem Könige Vorstellungen zu machen, daß er Frieden schließe. Die Reste des Heeres sind unter Befehl des Generals Klerker zurückgeblieben, allein es ist nichts mehr zu hoffen; bald werden die Russen in Schweden sein. – Als der Waffenstillstand geschlossen war, und Adlercreutz ging, ging ich mit ihm. In Brahestad aber trennten wir uns, denn Ebba erwartete mich dort und ich fand Lindström und erfuhr von ihm euren Aufenthalt. Es wird dem alten Marschall nichts helfen, diesem eigensinnigen, unfähigen Fürsten guten Rath zu geben. Wäre er ein Mann wie einer seiner großen Ahnen, so wäre Finnland nimmer verloren worden, allein er ist ein Zerrbild ihrer Tugenden und ihrer Fehler und somit ist mein Vaterland verloren. Nichts ist dieser Kampf mehr, als eine Menschenschlächterei, die er fortzusetzen befohlen hat, weil er weder Muth zum Handeln, noch Kraft zum Leiden besitzt.

Gestern ist er von Aland nach Stockholm zurückgekehrt, nachdem er dem General Klerker den Befehl geschickt, den Waffenstillstand aufzuheben und die Russen anzugreifen. Bald genug wird man hören, wie viel Blut unnütz vergossen wurde, während er in Stockholm Parade macht und nach Willkür und Laune weiter regiert, bis es ein Ende nimmt. Denn ein Ende muß es nehmen. Mag's aber gehen mit ihm und Allem wie es will! rief er, ich habe nichts damit zu thun. Ich bin mit meiner geliebten Ebba vereint, mein treuer Jem begleitet mich mit seiner Fulla und ehe wir weiter beschließen, was mit uns geschehen soll, muß Ebba durch den Segen der Kirche mir gehören. Das ist meine erste Bitte an Sie, mein ehrwürdiger väterlicher Freund, legen Sie 776 Ebba's Hand in meine Hand. Sie kennen, Sie lieben uns, mein Vater. Sie werden keine Schwierigkeiten erheben, Sie werden uns vereinigen.

Ich will es sogleich thun, sagte Jönsson, denn ich muß es thun, weil ich weiß, daß ich Gottes Willen erfülle, der Sie zu dieser Stunde mir sendet. O! meine lieben Freunde, wie glücklich macht es mich, euer Glück zu befestigen. Sie aber, mein Kind, Sie, der Sie so heftig gegen den Herrn zürnten, erkennen Sie nun seine väterliche Hand, segnen Sie nun seine Weisheit?

Otho umarmte ihn gerührt. Ja, mein Vater, sagte er, wunderbar bin ich erhalten worden, und in vielen großen Gefahren hat ein mächtiger Arm mich geschützt.

Nach einiger Zeit waren sie Alle bereit, dem guten Priester zu folgen, der in seinem Chorgewande sie zu der kleinen Strandkirche führte. Der Kirchendiener, welcher in der Nähe wohnte, wurde herbeigerufen und Lindström ging mit ihm und trug die Laterne, den Schluß aber machte Jem Olikainen und seine Fulla, Arm in Arm und voller Freude.

Jammer und Schade! rief der übermüthige Seemann, daß ich so allein wandeln muß, ohne ein Herzliebchen am Arme; aber es ist ein prächtiger Hochzeitszug und fröhlicher soll es dabei hergehen, wie damals, wo wir wie toll und blind die alte Kirche nach einem unglücklichen Brautpaar durchsuchten.

Als sie die Düne und das kleine Gotteshaus erreichten, brach die Nacht eben herein. Ein letzter falber Schimmer hing am Horizont und warf einen matten Glanz auf die schmalen trüben Fenster, doch er konnte die Dunkelheit nicht verscheuchen, welche das ärmliche Gebäude füllte. Die Schritte der Eintretenden hallten von dem Steinpflaster wider, und der Schein der Laterne zitterte über die mürben schwarzen Holzbänke, über den blinden Metallleuchter und über den Altar und dessen alterthümliches Crucifix. Der Kirchenmann zündete die beiden Leuchter an und während dessen plauderte Lindström in seiner unbesorgten Weise mit Ebba, welche er an die Begebenheiten jener Nacht erinnerte und auf die Stellen deutete, wo damals der Boden aufgerissen wurde, um die beiden Wechselbälge ans Licht zu bringen.

777 Seine Stimme schallte durch den öden Raum und er gab seinen Verwandten, die diesen Vorgängen nicht beigewohnt hatten, eine übermüthige Schilderung der Angst und des Entsetzens, mit denen Arwed die Flucht ergriff, als die beiden vermoderten Gerippe neben ihm niederstürzten. Sein Gelächter wurde von einem Echo aus der finsteren Tiefe der Kirche erwiedert und machte einen grausigen Eindruck. Es war, als ob der Ton sich verstärkte und einen gellenden, höhnenden Klang annähme. Lindström blickte verwundert Erich und Otho an, doch er sah in ernsthafte Gesichter, welche die Erinnerungen und Gedanken wiedergaben, mit denen sich ihre Vorstellungen beschäftigten. War es nicht hier an derselben Stelle, wo die geheimnißvolle Trauung statt fand, und noch immer ruhte Dunkel darauf, noch immer hatte Otho nichts erforschen können. Waren es seine Eltern gewesen, deren Hände man hier gewaltsam zusammen fügte? – Wer that es? Was bezweckte man damit? Warum tödtete man sie nicht? Was sollte dies Gaukelspiel bedeuten? – Er setzte sich auf dieselbe Bank, wo sein Vater gesessen haben sollte, und zog Ebba an seine Seite, während seine Blicke die Kirche durchirrten und seine Phantasie ihm Alles noch einmal herzauberte, was er brauchte, um die Mittheilungen seines alten Freundes lebendig zu machen.

Inzwischen hatte Axel Jönsson Bibel und Gebetbuch aufgeschlagen und sich angeschickt, die Gebräuche der alt lutherischen Landesreligion, wie sie bei ehelichen Einsegnungen vorgeschrieben sind, zu vollziehen. Das lange, glänzend weiße Haar des guten Greises fiel über den dunklen Chorrock und sein ehrwürdiges Gesicht glänzte vor Freude und Liebe, als er sich nun an die drei jungen Paare wandte. Er nahm das Gebetbuch, trat auf die Stufen des Altars und winkte sie glückselig lächelnd herbei. Meine lieben Freunde, sagte er, lassen Sie uns vereint unser Gebet zu dem großen Vater im Himmel richten, der aus mancher Gefahr und Trübsal Sie hierher geführt hat, und nun das höchste Glück des menschlichen Lebens Ihnen gewährt, die ewige Vereinigung mit dem geliebten Weibe Ihrer Wahl.

Der alte Kirchenmann murmelte dem Pfarrer etwas zu, und dieser blickte verwundert umher. O, das ist wahr! rief er aus, es ist so 778 vorgeschrieben. Drei Zeugen sollen zugegen sein, und wir haben hier nur zwei, woher sollen wir den dritten nehmen?

Der Dritte werde ich sein! antwortete eine scharfe, laute Stimme, und im Halbdunkel des Kirchengangs, gerade über der Stelle, wo die Gruft sich befand, erblickten Alle die hohe Gestalt eines Mannes.

Diese Unterbrechung wirkte so überraschend, daß Niemand antwortete, Niemand sich von der Stelle bewegte. Der Fremde war in einen langen, grauen Mantel gewickelt, eine Reisemütze von Otterfell hatte er tief über seine Stirn gezogen. Mit langsamen Schritten näherte er sich, beleuchtet von dem matten Schein der Altarkerzen, und erst, als er ganz nahe war und den Kopf aufhob, ließ sich sein rothes Gesicht und das ergraute Haar erkennen.

Ist es eine Erscheinung! flüsterte Ebba, auf welche sich dies Gesicht richtete, indem sie erbleichend zurückwich.

Feldmarschall Toll! rief Otho zu gleicher Zeit.

Der Marschall wandte sich zu ihm. Treffen wir uns hier wieder, antwortete er mit seinem stolzen, halb verächtlichen Lächeln. Keine Erscheinung, Ebba Bungen, ich bin es, bin ein Mann von Fleisch und Bein. Ich komme von Aland zurück, wohin der König mich gerufen hat. Was geht hier vor? Hochzeit! Wer will Hochzeit machen?

Ich! erwiederte Ebba, die sich ermuthigte; aber als sie dies sagte hob Axel Jönsson seine Arme auf und seine Hände faltend, rief er mit prophetischer Gewalt: Herr! du Hort der Schwachen, die zu dir rufen, du hast erhört mein Flehen, du führst ihn her zu mir, daß meine Augen ihn noch einmal schauen – führst ihn her zu dieser Stunde! Denn dieser ist der grausame gewaltige Mann, der in jener Nacht mich zwang, nach seinem Willen das unglückliche Paar zu trauen.

Und diesen Platz soll er nicht eher verlassen, ehe wir die Wahrheit wissen! setzte Otho mit flammend finsteren Blicken hinzu.

Der Marschall schien diese Ausrufungen nicht zu beachten. Er blieb vor Ebba stehen und blickte sie fortgesetzt an. Du willst dich verheirathen, mein Kind? fragte er. Oho! davon muß ich doch auch etwas wissen, ich, der ich dein Vormund bin und meine Einwilligung dazu zu geben habe. Mit wem willst du dich verheirathen?

779 Mit ihm, den ich liebe, der mich in Noth und Tod erworben hat, antwortete sie, Otho's Hand ergreifend.

Ich kenne ihn, versetzte der alte General. Er hat tapfer gefochten. Adlercreutz lobt ihn, aber wie sein Vater ist er ein wildes Roß, das Zaum und Zügel nicht achtet.

Geben Sie mir Rechenschaft über meinen Vater! fiel Otho ein.

Wenn du diesen Mann zu deinem Gatten wählst, fuhr der Marschall fort, wirst du deinem Range und deinen Aussichten auf ein glänzendes Loos entsagen müssen.

Ich trage kein Verlangen nach dem, was man so nennt, erwiederte Ebba. Mit ihm will ich leben und sterben, mag es in einer Hütte sein.

Viel mehr wird es auch nicht sein, war Toll's Antwort. Die Russen haben ihn als Aufrührer geächtet, seinen Bauernhof am Pajänesee eingezogen und mit dem großen Gute Halljala vereint an Arwed Bungen, deinen Bruder, zum Lohn für seine Dienste gegeben.

So wollen wir arbeiten! sagte Ebba, indem sie Otho umarmte. Wir werden erwerben, so viel wir nöthig haben.

Dein eigenes Vermögen ist klein, es hat jedoch unter meiner Verwaltung um etwas zugenommen, begann der Marschall wieder, doch ich vergaß dir zu sagen, daß dein Bruder als nächster Erbe des als Hochverräther verurtheilten Barons von Halljala anerkannt wurde, weil Otho Waimon unehelicher Geburt sein soll.

Das ist eine Lüge! fiel Otho heftig ein.

Es ist eine Lüge, erwiederte Toll, denn ich kann die rechtgiltige Trauung seiner Eltern bezeugen.

Wo wurden sie getraut?

Hier in dieser Kirche. In der Nacht vom dritten November, im Jahre 1772.

So hat dieser alte Mann Recht, als er Sie erkannte!

Der Marschall antwortete nicht. Er blickte vor sich hin, nach einigen Minuten fing er an zu sprechen. König Gustav der Dritte, sagte er, war ein geistvoller, heißblütiger Herr, ein Verehrer schöner Frauen, denen er seine Huldigungen brachte. Im Winter des Jahres 1771 kam ein finnisches Fräulein nach Stockholm und lebte 780 dort im Hause ihres Verwandten, des Baron Bungen, der einer der Vertrauten des jungen Königs war. Bei ihm lernte der König sie kennen und ward von ihrem Geiste, wie von ihrer Schönheit, so gefesselt, wie von keiner Anderen. Obwohl mit seinen politischen Plänen beschäftigt, die er aufs strengste verbarg, denn sie konnten ihm Krone und Leben kosten, ward er doch bald von Leidenschaft umsponnen, und das schöne, stolze Fräulein nährte diese, wohl auch bestärkt durch ihre Umgebungen, denn Bungen war schlau und klug genug, um für sich selbst ein Netz daraus zu weben. Der König hielt seine Liebe heimlich, doch wer weiß, was daraus entstanden wäre. Er war kaum fünfundzwanzig Jahre alt und wohl im Stande, selbst seine Krone dieser Leidenschaft zu opfern. Da kam ein Finne nach Stockholm, der lange in Amerika gewesen, und sein Erscheinen machte Aufsehen. Solche Männer, kühn und regsam, konnte Gustav brauchen. Häufig sah man ihn in des Königs Gesellschaft. Daher kam er auch in Bungen's Haus und wurde dort wohl empfangen. Da er als Oberst zurückkehrte, wollte ihn der König in sein Heer nehmen, und eine glänzende Laufbahn schien diesem Günstlinge geöffnet, doch er verdarb es bald für immer. Die Revolution wurde vorbereitet, der König hatte unerschrockene Anführer nöthig. Die Äußerungen dieses finnischen Herrn waren dagegen von der Art, daß Gustav's Mißtrauen wuchs, und als der Schlag gefallen war, erfolgte eine immer weitere Trennung, denn männlich offen, doch mit geringer Klugheit sprach der Oberst sich aus. Er verschwand aus dem Schlosse, allein er verschwand nicht aus Stockholm, und nun folgten einige Monate bis zu den letzten Octobertagen, wo der König nach und nach bis zum glühendsten Haß gegen diesen unbesonnenen Mann gereizt wurde. Er erhielt Nachrichten, daß Oberst Waimon sein Nebenbuhler bei seiner Geliebten sei, und überzeugte sich endlich, daß der Sohn eines Bauers den König besiegt hatte, denn er überraschte sie Beide, und das stolze Fräulein sagte ihm ins Gesicht, wem ihr Herz gehörte. Außer sich vor Wuth gab Gustav der Schaar harrenden treuen Diener das Zeichen, sie drangen ein und überwältigten den Widerstand des Obersten, fast ehe dieser bereit dazu war. Der König wollte sie Beide tödten lassen, Untreue und Verrath in ihrem Blute rächen; allein im Augenblicke der Ausführung siegte 781 seine Großmuth, siegte der Geist in ihm, der immer groß und königlich dachte.

Im Hafen hinter dem Schloß lag seine Jacht. Dahin wurden die Schuldigen geführt, und nach einer Stunde hatte er seinen Entschluß gefaßt. Die Qualen, welche er gelitten und an denen er lange noch krankte, wollte er vergelten, und doch verzeihen und die Wünsche der Schuldigen erfüllen. – Die Jacht steuerte nach den Alandinseln, und hier, auf diesem weit entlegenen Eiland erfolgte die Trauung vor einer offenen Gruft. Das Brautpaar war reich geschmückt worden, aber Schwerter und Dolche umgaben diese Pracht; ein schreckliches Ende schien ihnen bevorzustehen. Als jedoch der Priester, der dort steht, die Kirche verlassen hatte und alle überflüssige Zeugen entfernt waren, ward ihnen der Wille des Königs verkündigt. Sie wurden aus Schweden verbannt mit dem Befehl, Finnland nicht zu verlassen. Unter Androhung des Todes mußten sie geloben unverbrüchlich zu schweigen gegen Jeden, wer es auch sein möge, und niemals irgend eine Nachforschung anzustellen nach Kirche, Priester und Ort ihrer Trauung, damit jede Entdeckung unmöglich bleibe. Der König hatte davon zu befürchten, denn seine Feinde würden dies benutzt haben, darum wurden diese neu Vermählten, verhüllt, wie man sie hierher gebracht, auch wieder auf das Schiff geführt, im innersten Raum noch mehrere Tage verwahrt und endlich nächtlich bei einem südlich gelegenen kleinen Hafenort ans Land gesetzt.

Ich habe nichts weiter hinzuzufügen, sagte der Marschall nach einigen Augenblicken, als daß der Oberst und seine Gattin ihre Schwüre hielten, auch hatten sie Gründe, das Liebesverhältniß mit dem Könige nicht aufzudecken; dazu kam, daß Gustav noch einmal großmüthig war, als der Oberst und sein Schwager Theil an der Verschwörung des Angelabundes nahmen. Es hätte ihnen die Köpfe gekostet, aber der König schickte den Baron Bungen nach Halljala und ließ ihnen sagen, er verzeihe ihnen um alter Freundschaft und Liebe willen, doch ließe er sie warnen, nicht noch mehr gegen ihn zu versuchen. Als der König todt war, mögen wohl heimliche Versuche gemacht worden sein, mehr zu erforschen; allein bald starb auch der Oberst, und ich habe nichts eher wieder von dieser vergessenen 782 Geschichte gehört, bis ich im Schlosse zu Stockholm einen jungen Mann fand, der mich daran erinnerte.

Und mehr weiß ich nicht und möchte auch nicht, daß mich Jemand noch mehr fragte, fuhr er mit Nachdruck fort. Der Tod hat alle die fortgenommen, welche dabei zunächst betheiligt waren; wer, was damals geschah, jetzt aus dem Grabe ziehen wollte, könnte keinen Vortheil davon erwarten, nur unnützes Aufsehn und Geschrei für die Lärmmacher. Wo es jedoch nöthig ist zu bezeugen, daß Oberst Ingar Waimon mit dem Fräulein Louisa Randal, Freiin von Halljala, ehelich verbunden ward, dazu bin ich jederzeit bereit, und wenn es dein Wille ist, den Sohn des Obersten, den hier anwesenden Herrn Otho Waimon, zu deinem Manne zu nehmen, meine liebe Ebba, so gebe ich dir hierzu, als dein Vormund, meine Einwilligung und meinen Segen. Er küßte Ebba's Stirn und Wangen, dann wandte er sich zu Otho und sah ihn mit dem lauernden scharfen Lächeln an. Haben Sie nun noch etwas zu fragen, Herr Waimon? begann er.

Nein, Herr Marschall, erwiederte Otho sich verbeugend, ich danke Ihnen für diese Mittheilung, die mich beruhigt, meine Eltern rechtfertigt, meine Zweifel beendet. Ich danke Ihnen für die Versöhnung, welche Sie mir bringen, indem Sie Ebba's Wahl segnen.

So fangen Sie an, Herr Jönsson, erwiederte der Feldmarschall, auch Sie werden jetzt beruhigt und versöhnt sein. Er zog seine große mit Brillanten besetzte Uhr heraus und behielt diese in der Hand. Eine Viertelstunde gebe ich Ihnen Zeit, sagte er in so befehlend rauher Weise, wie er es gewohnt war und wie der gute Pfarrer es in jener Nacht gehört hatte. Ich kam in diese alte Kirche, da ich dicht hier vorüber fuhr, setzte der Marschall hinzu, und da die Gelegenheit günstig war, stieg ich aus, denn schwerlich werde ich sie jemals wieder sehen. Nur einige Minuten wollte ich verweilen, was ich hier finden würde konnte ich nicht wissen. Aber was ich sah und hörte, erregte meine Theilnahme, und um Ebba's willen, die mir lieb ist, that ich, was ich that.

Gottes Wille war es, daß gut gemacht werden sollte, was böse war, antwortete Axel Jönsson.

783 Fassen Sie sich kurz, wenn es beliebt, Herr Pastor, versetzte der Marschall, indem er herantrat und seine Stelle als Zeuge einnahm.

Betäubt von Allem, was er gehört hatte, befolgte der Greis dies wiederholte Gebot des mächtigen gefürchteten Herrn. Er las eilig und mit zitternder Stimme die Gebete und die Trauformel und vereinte dann die Hände der Brautpaare, indem er den Segen über sie sprach.

Ein ernstes Schweigen lag auf allen Gesichtern. Bangen und Scheu füllte alle Herzen, denn dieser unerwartete Zeuge hatte die Freudigkeit daraus verscheucht. Sein rother gewaltiger Kopf mit greisem Haar und feurigen Augen, sah wie der Kopf eines Dämons aus, der aus der Nacht auftaucht. Selbst Lindström schien seine Nähe zu vermeiden, und der beherzte, fröhliche Jem schlug ein heimliches Kreuz und faßte seine Fulla fester, als das schreckliche Gesicht Beide anschaute.

Kaum aber hatte der Pfarrer das letzte Wort gesprochen, als der Marschall Ebba nochmals umarmte und Abschied von ihr nahm.

Ich wünsche dir alles Glück und alles Gute, mein Kind, sagte er, und wünsche dasselbe allen diesen jungen Paaren. Was ich dazu beitragen kann, soll immer gern geschehen, und wenn Herr Otho Waimon meinen Beistand nöthig hat, sei es wozu es sei, bin ich bereit dazu.

Haben Sie Dank, Herr Marschall, antwortete Otho sich verbeugend, ich glaube jedoch keine weitern Verbindlichkeiten Ihnen schulden zu dürfen.

Nicht! rief der Generalgouverneur mit dem hochmüthig-verächtlichen Ausdruck in Stimme und Gebehrde, der ihm eigen war. Ich habe es auch erwartet, setzte er gleichgiltiger hinzu, Jeder von uns gehe darum seinen eigenen Weg, wir wollen uns wenigstens daran nicht hindern. Da ich jedoch ein alter Mann bin, der nicht weiß, wie bald sein Ende da ist, so will ich gleich nach meiner Rückkehr dein Vermögen bereit halten, Frau Ebba Waimon, und es soll dir in Stockholm ausgezahlt werden, sobald du dahin kommst. Auf zehntausend Bankthaler kannst du rechnen, damit halte Haus und sieh zu, wie es dir geht. Sollte es aber übel mit dir kommen, so denke daran, daß deines Vaters alter Freund – der alte böse Toll in Backaskog – auch dein Freund ist.

Es wird nicht übel mit mir kommen, denn ich liebe meinen Gatten, ja ich liebe und ehre ihn und bin seiner innigen Liebe gewiß. 784 Diese Liebe wird uns Muth und Freudigkeit geben, Alles zu tragen, was das Leben über uns bringt. Wir werden glücklich sein, sei es in Einfachheit und Stille; wie seine Mutter würde ich einen König von mir stoßen, um dem Bauer anzugehören. Leben Sie wohl! gnädiger Herr. Der Freund meines Vaters, der auch mir immer gütig war, wird in meiner Erinnerung dankbar fortleben. Leben Sie wohl!

Der höhnende Ausdruck war aus Toll's Gesicht verschwunden, ernst und nachdenkend stand er einen Augenblick, dann legte er beide Hände auf ihren Kopf, küßte ihre Stirne und sagte langsam: Lebe wohl! Ich glaube dir. Du wirst glücklich sein!

Und in seinen Mantel sich einhüllend, grüßte er umher, wie es große Herren zu thun pflegen, und entfernte sich. Niemand sprach, Niemand begleitete ihn. Einige Minuten lang blieb es lautlos und still in der Kirche, bis die Thür draußen zufiel und nichts mehr gehört wurde.

Er ist fort! rief dann Lindström halb laut und mit wiedererwachender Lustigkeit und verstärkter Stimme fügte er hinzu: Ich will gehangen sein, wenn hier Einer ist, dem es leid thut, und noch einmal gehangen sein, wenn in Schweden Trauer darum entsteht, im Fall der Teufel – ach, Verzeihung ehrwürdiger Vater! – im Fall der Herr recht bald ihn in sein Reich abholt.

Da in schwedischer Sprache der böse Feind gewöhnlich kurzweg der Herr genannt wird, so machte das Wortspiel, mit welchem Lindström sich vertheidigte und nichts veränderte, den Eindruck den er wünschte. Und nun wacht auf aus eurer Erstarrung, fuhr er fort, und laßt ihn seinem Ende entgegen ziehen, wie wir dem unsrigen! Glück, Heil und Segen wünsche ich euch aus vollem Herzen, doch nach alter Sitte laßt euch küssen, ihr holden Frauen!

Leichtfertig sprang er nun von der Einen zur Andern, küßte sie Alle und hatte dabei so viele muntere und neckende Einfälle, daß die liebefrohe Freudigkeit bald zurückkehrte. Die Hoffnungen erwachten, die Augen glänzten wieder, das Glück der nahen Zukunft verdrängte die blassen Gespenster trüber Ahnungen, welche der alte Marschall zurückgelassen hatte.

Kommt, meine theuren Kinder, kommt und laßt uns gehen! rief der greise Pfarrer, daß mein Haus sich mit lieben Gästen fülle.

785 Umringt von den jungen schönen Bräuten, führte er diese hinaus. Die Sterne standen glänzend am Himmel, Ruhe war überall, aber durch das nächtige Dunkel schallten vom Meere die Ruderschläge eines Bootes und zwischen den Inseln schwankten die Masten eines Schiffes, das seine Laternen ausgesteckt hatte.


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