Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Sechstes Kapitel.

Einige Tage lang war das Wetter stürmisch und regnerisch, so daß Erich Randal's Gäste sich wenig außerhalb des Schlosses zeigen konnten. Nur Serbinoff und Lindström ließen sich nicht abhalten, die Geschwister in Louisa aufzusuchen, der Kammerherr aber schrieb inzwischen abwechselnd Briefe, oder er saß vor dem großen Kamin in der Halle und starrte in die lodernden Flammen, dachte über seine Pläne und Absichten nach und horchte zuweilen mit einem halb lauernden, halb pfiffigen Lächeln nach dem Büchersaale hin, aus welchem Erich's und Ebba's Stimmen sich hören ließen.

Ebba Bungen hatte mehr gelernt, als die meisten jungen Damen ihres Standes. Die Zeiten der Königin Christine waren zwar vorüber, wo Gelehrsamkeit eine Modesache am schwedischen Hofe geworden war, und die Hofdamen sich lateinisch unterhielten; Ebba's Kenntnisse beschränkten sich darauf, daß sie französisch und englisch verstand, auch ein wenig zeichnete und mancherlei Dichterwerke gelesen hatte. Die Vorzüge eines guten Gedächtnisses wurden bei ihr von den Vorzügen einer gebildeten Urtheilskraft und einer regen Phantasie überragt, wodurch sie mit großer Lebendigkeit Alles zu ergreifen und sich anzueignen verstand. Während es draußen regnete, saß sie bei Erich und 147 durchblätterte mit ihm seine Bücher, stritt mit ihm über die Größe der Dichter, tadelte seine Vorliebe für Shakespeare, spottete über seine Bewunderung der deutschen Poeten, und behauptete mit patriotischer Standhaftigkeit, daß nichts in der ganzen Welt sich mit Dalin, mit Kelgrén und mit Bellmann vergleichen lasse.

Das sind die Folgen, sagte Ebba endlich, wenn man sich um sein Vaterland nicht bekümmert und so wenig Antheil an dessen Schicksale und Ereignisse nimmt. Ich will wetten, Vetter Erich, Sie wissen nicht einmal, daß unsere junge Poeten so eben in Upsala einen Sängerbund gestiftet haben, und daß der junge Atterbom diesen gegründet hat?

Ich weiß in der That nichts davon, versetzte er.

Und Sie wissen auch nicht, daß Esaias Tegnér den ersten Preis in Gothenburg mit seinem Liederkranz gewonnen hat?

Das weiß ich wirklich ebenfalls nicht, sagte er lächelnd.

Und was wissen Sie denn von dem Schatz unserer alten Volkslieder und Sagen?

Sehr wenig, liebe Muhme Ebba.

Ein schönes Bekenntniß! rief sie aus. Mit den Deutschen, den Italienern, den Engländern und Franzosen ist der sehr gelehrte Herr vertrauter, als mit den Dichtern und Schriftstellern seines eigenen Volkes und Landes.

Es kommt daher, erwiederte der Freiherr, weil wir in Finnland viele eigene Sagen und Lieder haben und weil die westlichen großen Nationen uns, wie in vielen Dingen, so auch in der Dichtkunst voraus sind.

Das sollen Sie nicht sagen, Vetter Erich! rief sie strafend. Niemand ist uns voraus, und selbst wenn es so wäre, dürfen wir es nicht zugeben. Ich sehe wohl, fuhr sie dann fort, daß ich dazu beitragen muß, Ihren Stolz auf das schwedische Vaterland lebendiger zu machen, und das will ich thun, sobald ich in meinem Eigenthum wohne. Kommen Sie dann zu mir, so wollen wir lesen und streiten, bis ich Sie überzeugt habe.

Ich werde Ihnen Vieles gern glauben, liebe Muhme Ebba, erwiederte er.

148 Alles sollen Sie mir glauben, sagte sie. Ich werde nicht eher aufhören, bis Sie ganz gläubig geworden sind.

O! antwortete er mit seiner wohlklingenden, weichen Stimme, ich fühle schon jetzt eine Anwandlung dazu.

Baron Arwed bog sich zurück. Er konnte bemerken, daß Erich seine Hand auf die Hand seiner Schwester gelegt hatte, welche er an seine Lippen zog, und leise nickte er vor sich hin, als sie im fröhlichen Ton fortfuhr: Ihre Anwandlungen, Vetter Erich, nehme ich dankbar, als von guter Vorbedeutung und auf Abschlag an. Glauben Sie, daß das böse Wetter anhalten wird?

In dieser Jahreszeit pflegt es zuweilen lange anzuhalten.

So wollen wir die Anwandelungen möglichst gut benutzen, sagte Ebba, und uns darin stärken, indem wir recht viel beisammen bleiben. Der Büchersaal wird uns die beste Gelegenheit geben, und wenn Sie Ihre Freundin mit seinen Schätzen bekannt machen wollen, wird sie gern Ihre dankbare Schülerin werden.

Es wird mir große Freude machen, wenn Sie mir erlauben, recht viel bei Ihnen zu sein, antwortete er. Bestimmen Sie, liebe Muhme, womit wir unsere gemeinsamen Studien beginnen wollen.

Ebba machte ihm den Vorschlag, mit ihr Hume's englische Geschichte zu lesen, welche sie früher schon einmal angefangen hatte. Er war bereit dazu, aber er wandte ein, lieber einige der besten Dichterwerke zu wählen.

Bleiben wir bei Hume, erwiederte sie, ich liebe die englische Geschichte, weil diese so manche Ähnlichkeit mit der schwedischen bietet. Freiheitsliebende Männer treten darin zahlreich auf, welche mit Gut und Blut sich der Tyrannei widersetzen und nicht verzagen, sich nicht in einen fernen stillen Winkel zurückziehen, wenn ihre Rechte und die Rechte ihres Volkes bedroht werden. Lassen Sie uns die Abschnitte über die Geschichte der Stuart's lesen, Vetter Erich. So phantasielos trocken dieser Geschichtschreiber auch ist, so wunderbar ergreifend sind doch seine scharfen Urtheile und seine Schilderungen einzelner berühmter Männer, welche so furchtlos herrlich von ihm aufgefaßt und dargestellt werden.

149 Es ist ein sehr düsteres, blutiges Gemälde, antwortete Erich, gefüllt mit allen Gräuelthaten des politischen und religiösen Fanatismus.

Aber was war das Ende! fiel Ebba ein. Das Volk verjagte seine Peiniger und befestigte seine Rechte.

Mit Hilfe eines fremden Prinzen, der seinen nahen Verwandten plötzlich überfiel, nachdem er durch allerlei Künste ihn bis zum letzten Augenblick getäuscht hatte.

Für Recht und Freiheit, rief das Fräulein, mag auch ein fremder Fürst einem unterdrückten Volke willkommen sein.

Doch dieser Prinz verließ England nicht wieder, er wurde König darin, fuhr Erich fort. Im Übrigen haben Sie Recht, Muhme Ebba. England entschlüpfte der Tyrannei der Stuart's nur dadurch, daß der staatskluge Statthalter von Holland sich des bedrängten protestantischen Volkes annahm. Hätte er dies nicht gethan, so würde mit Hilfe der Soldaten und Beamten England ganz demselben Absolutismus verfallen sein, den Ludwig des Vierzehnten Beispiel über den größten Theil Europa's brachte. Lassen Sie uns also sehen, was der Skeptiker Hume darüber sagt. Ich für meinen Theil glaube jedoch, daß es in England mit der Freiheit des Volkes noch immer sehr mißlich aussieht, und auch überall damit so lange übel bestellt sein wird, bis es gelingt, die Menschen überhaupt menschlich besser und geistig freier zu machen.

Ich habe es! flüsterte der Kammerherr vor sich hin, als sie im Büchersaal an zu lesen fingen. Er hat mir auf den rechten Weg geholfen. So geht es, auf diese Weise läßt es sich machen.

Lange Zeit überließ er sich seinem Nachsinnen, endlich aber wurde er durch die Vorstellungen, welche ihn überkamen, so erfreut, daß er in den Büchersaal ging, an der Unterhaltung und Beschäftigung Theil nahm und ungemein liebenswürdig und fröhlich war.

Am Abend, als er mit seiner Schwester sich allein befand, da Erich seine Hausgeschäfte abthat, nahm er die Stunde wahr, um ihr vertrauliche Mittheilungen zu machen.

Nun, sagte er nach der passenden Einleitung, wir sind zwar erst kurze Zeit hier, doch immer schon lange genug, um uns auf ein Urtheil einzulassen. Wie bist du zufrieden, Ebba?

150 Sehr gut, erwiederte sie.

Das heißt kurz und bündig geantwortet. Wie gefällt dir Erich?

Mehr als ich dachte.

Das klingt delphisch orakelhaft. Wir wollen keine Umschweife machen, Ebba. Mir ist etwas gewiß geworden.

Was ist dir gewiß geworden?

Etwas, das ich so eben auch in deinen Augen lese, kaum also noch zu sagen brauche, obwohl ich es thun will. Er beugte sich zu ihr hin und sagte leise: Es wird wenige Zeit hingehen, so wird Erich Randal dich fragen, ob du immer in Finnland oder bestimmter gesagt in Halljala wohnen möchtest.

Das Fräulein schwieg einige Augenblicke. Wenn er fragt, werde ich ihm Antwort geben, sagte sie dann.

Das heißt, ich soll erwarten, bis es geschieht, erwiederte der Kammerherr, und im Ganzen genommen ist das sehr vernünftig; indeß will ich dir einige Andeutungen geben. Das sonderbare Geschenk, das dir hier gemacht wurde, ist, wie ich jetzt klar einsehe, nicht ohne Absicht dargebracht. Es hat dir Gelegenheit geben sollen, dich nach Halljala zu bringen, da Erich schwerlich nach Stockholm gekommen wäre, um deine Bekanntschaft zu machen. Der alte Randal hatte in seinem Herzen immer noch einen Funken Jugendliebe aufbewahrt, und da unsere Mutter seine Neigung unbelohnt ließ, hat er mit einer gewissen Schwärmerei in grauen Haaren den Gedanken genährt, ihre Tochter möge einst seinen Sohn dafür besser belohnen.

Sprich mit Ernst und Achtung von ihr und von ihm, Arwed, sagte das Fräulein.

Mit aller möglichen Achtung, fuhr ihr Bruder in demselben spöttelnden Ton fort; warum sollte ich es auch nicht? Wir sitzen in seiner Halle, wo er wahrscheinlich oft seinen Eingebungen nachhing, und ich habe nichts dagegen, wenn sie sich erfüllen, im Fall du selbst nichts dagegen hast.

Als er keine Antwort erhielt, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: Erich's Vermögen ist, trotz aller seiner Sonderbarkeiten, immer noch kein geringes; seine Familie gehört zu den ältesten und besten, er ist der letzte Zweig eines großen Stammes. Körperlich besitzt er zwar 151 keine besonderen Vorzüge; allein wenn eine kluge feine Frau aus dem Bauern einen Freiherrn macht, wenn sie die Verirrungen ihm austreibt, wird auch seine geistige Befähigung ihr Ersatz dafür bieten. Wir befinden uns in Zeiten und Verhältnissen, wo ein Mann wie Randal, dem so bedeutender Grundbesitz gehört und dem das Volk umher anhängt, eine Rolle in der Welt spielen kann. Es wird so nicht bleiben, wie es jetzt ist. Ereignisse werden kommen, müssen kommen, die Schweden von Grund aus erschüttern, und dabei kann man nicht im Winkel sitzen und Bäume pflanzen oder Steine sammeln.

Was sind es für Ereignisse, die du kommen siehst? fragte das Fräulein.

Davon laß uns für jetzt noch schweigen, antwortete er. Wer kann wissen, wie weit die Thorheiten dieses Königs ihn und uns noch bringen. Erich hat sehr edle Eigenschaften. Er ist großmüthig, doch schwach und ohne Ehrgeiz. Über einen solchen weichen und furchtsamen Charakter kann eine Frau mit kühnem und lebhaftem Geist große Gewalt erlangen, und ich müßte mich sehr irren, fügte er lächelnd hinzu, wenn du nicht auf dem besten Wege dazu wärest. Lies und studire mit ihm, rege seinen Verstand und seine Phantasie auf, führe einige Zeit, wenn du willst, ein Schäferleben mit ihm auf dem Liebeseiland dort im See und erfülle endlich, was sein Vater vorbereitete, im Fall du es kannst; aber, Ebba, sieh dich vor. Du bist keine Frau, die in diesem fernen Winkel der Erde, in diesem alten Hause, wo Hompus Randal's Geist umherwandelt, leben und sterben kann. Mache dir keine phantastischen Illusionen. Du wirst es nicht thun, denn du bist zu klug dazu.

Warum, erwiederte sie, in die Flammen des Kamins schauend, sollte ich hier nicht leben können?

Scherze nicht, sagte er, ich weiß, daß du es nicht kannst und nicht willst. Wie du dich nicht erniedrigen wirst, keinen gemeinen Menschen, keinen Bauern lieben wirst, so wirst du auch nicht mit einem solchen in Dunkelheit und Vergessenheit leben. Du bist für die ersten Kreise des Landes erzogen und gehörst ihnen an. Ist dein Vermögen auch nicht bedeutend, so wird deine Zukunft doch immer eine 152 glänzende sein; denn du wirst deine Wahl darnach treffen können. Serbinoff –

Er murmelte den Namen zwischen seinen Lippen und schwieg still, als seine Schwester ihm einen schnellen stolzen Blick zuwarf.

Der Kammerherr horchte nach der Thür hin und fuhr dann fort: Ein paar Worte nur noch, da wir Zeit haben. Ich habe über Serbinoff nichts zu sagen, was du nicht wüßtest; aber ich bin überzeugt, daß es nur von dir abhängt, ob du Stockholm mit Petersburg vertauschen willst. Was sagst du dazu?

Nichts, erwiederte sie.

Nichts? lächelte er. Dein Herz wäre also bis jetzt ganz unbetheiligt, ganz frei geblieben?

Es ist wenigstens mein freies Eigenthum.

Ganz recht, sagte er; aber Niemand darf sein Eigenthum verschwenden, Jeder muß es vielmehr so nützlich wie möglich anlegen. – Wir wollen in einiger Zeit weiter darüber sprechen, Ebba, jetzt nur soviel: Sieh zu, ob der Schloßherr von Halljala deiner würdig ist. Ist es der Fall, will ich mit Freuden ihn umarmen; wenn aber nicht, fügte er ihr in's Ohr flüsternd hinzu, so bleibt dir eine andere bessere Wahl.

Er konnte in dem Gesicht seiner Schwester keine Antwort lesen, obwohl er sie mit diplomatischer Kunst beobachtete; aber er sah mit geheimer Genugthuung, daß von dieser Zeit an Ebba's Freundlichkeit und Zutraulichkeit zu Erich sich verdoppelte, und während der nächsten Tage, die an Unfreundlichkeit dem ersten wenig nachgaben, ließ er sie so viel als möglich allein mit ihm, um ihre vertrauliche Annäherung nicht zu stören. Und dies Beisammenleben hatte Zeit, sich fester zu gestalten, denn Serbinoff und Lindström kehrten so schnell nicht zurück. Otho hatte sie in seinem Hause festgehalten, und erst als das Wetter sich besserte, fanden sie sich wieder ein, begleitet von den Geschwistern und einem Gefolge anderer Freuden, als die, welche der Büchersaal bisher gegeben hatte. Die Halle des alten Schlosses klang jetzt von fröhlichem Gelächter und lustigen Einfällen, der alte Major Munk kam mit seinem Sohne sammt einigen Gästen aus der Nähe; so daß die Diener des Hauses, erstaunt über die ungewohnte 153 Geselligkeit, sich ihre Vermuthungen mittheilten, welche mit dem schönen Fräulein aus Stockholm und ihrem jungen Herrn in naher Verbindung standen.

Es ist richtig, sagte der alte Olaf in der Küche zu der Haushälterin Ulla. Zu Odin will ich gehen, wenn's nicht wahr ist!

Zu Odin will ich gehen, heißt in Finnland so viel, als in anderen Ländern: der Böse soll mich holen, und ist eine der landesüblichen kräftigen Betheuerungen. Die Haushälterin stemmte daher den Arm in die Seite, sah den alten Diener boshaft an und antwortete: Wenn Odin dich wollte, hätte er dich längst; aber was soll wahr sein?

Eh, sagte Olaf grinsend, wahr soll sein, daß der erste Schnee vielleicht noch nicht gefallen sein wird, so wirst du ganze Schüsseln Weizenkuchen mit Honig backen, und es werden nicht Bratspieße genug in deiner Küche sein und nicht Feuer genug auf dem Herde, um all die Braten fertig zu machen, die Erich Randal, Gott segne ihn! von dir verlangen wird, Ulla.

Meinst du wirklich, fragte die stämmige Frau, daß es mit ihm und mit dem schwedischen Fräulein dahin kommen wird? Und als Olaf mit geheimnißvoller Miene ihr zuwinkte, fügte sie hinzu: Stolz und schön genug sieht sie aus, um in Schloß Halljala zu befehlen, wonach sich manche Dame schon vergebens gesehnt hat; aber wenn es eine Finnländerin wäre, wäre es doch besser. Es ist aus Stockholm noch nie viel Gutes nach Finnland gekommen.

Das Sprichwort war allgemein genug, und der Anklang blieb nicht aus; denn die Hausleute, welche sich neugierig umherstellten und horchten, gaben beistimmende Zeichen. Allerlei Zweifel mischten sich ein und allerlei Urtheile wurden gefällt, die jedoch ziemlich einstimmig günstig für das Fräulein lauteten, deren Glück übermäßig gepriesen wurde. Denn ein höheres Glück als das, welches Ebba nachgesagt wurde, schien den Dienern Erich Randal's nicht denkbar.

Wenn aber das schwedische Fräulein auch mit Hilfe ihrer Freundlichkeit und Schönheit so ziemlich Gnade in den Augen der Dienerschaft des Freiherrn fand, so ging es ihren Begleitern keineswegs eben so gut. Mit finnischer Freimüthigkeit und finnischer Spottlust 154 machten sie sich über den Kammerherrn her, der in seiner herrischen Weise ihr Wohlwollen nicht besonders erworben hatte; der russische Graf aber war ihnen, schon weil er ein Russe war, Gegenstand tiefer Abneigung, wenn sie auch eingestehen mußten, daß er wie ein Hirsch auf seinen Beinen sei und wie ein Luchs biegsam und gelenkig umherspringe. Weit größeres Lob und allgemeine Zustimmung wurde dann dem jungen Seeoffizier zu Theil. Das sei Einer, meinten die hübschen Mädchen mit den langen blonden Flechten und rothen Bändern, der das Herz auf dem rechten Flecke habe und die Zunge wie ein Wiesel zu gebrauchen wisse. Der thue nicht, als sei er vom Himmel gefallen, und nur dazu da, daß andere gute Leute sich vor ihm bücken und seine Hände küssen sollten. Der lache und scherze mit Jedem, wisse Jedem Etwas zu sagen oder zu fragen, wobei man lachen und freundlich sein müsse, und fluchen könne er, so prächtig fluchen, so viel Schock Tonnen voll Teufel in einem Athem, daß man nichts Lustigeres in der Welt hören könnte.

Nach vielem Hin- und Herreden, Zweifeln und Einwänden aller Art kam der Rath in der Küche aber doch immer wieder zu dem Schlusse, daß es allerdings eine ernste Sache mit ihrem jungen Herrn sei. Denn, sagte Olaf, hat je Einer ihn so gesehen, wie ich ihn jetzt gesehen habe? Hat je Einer ihn gesehen, daß er Stundenlang bei einem Mädchen sitzt und Beide lesen aus einem Buche und streiten und drücken sich die Hände und sehen sich an und lachen, bis sie sich wieder streiten? Und Herr Erich, der bei aller seiner Sanftmuth Etwas an sich hat, das dem wildesten Burschen die Mütze vom Kopfe nimmt, der läßt sich schelten, als müßte es so sein, und es scheint ihm besonders zu gefallen, wenn sie ihn so recht stolz mit den funkelnden Augen ansieht.

Hochmüthig ist sie, sagte Hela, die Stubenmagd, den Kopf trägt sie im Nacken, und besser wäre es immer, es wäre finnisches Blut in ihr. Gestern, als es so heftig regnete, ging sie in Sturm und Guß in den Garten bis an den See, um zu sehen, ob der Pajäne Wellen schlagen könnte. Herr Erich mußte mit, er mochte wollen oder nicht, aber der langnasige Kammerherr war der Klügste, der blieb am Feuer sitzen und lachte, was er lachen konnte, als sie Beide triefend 155 wiederkamen. Es wäre schön gewesen, meinte sie; alle Berge, voll düstrer Nebel, nur so da und dort eine lichte Stelle, wo man die schäumenden Wellen sehen konnte. Herr Erich hat zu thun gehabt, sie abzuhalten, sich in den kleinen Kahn zu setzen, und der Kammerherr lachte noch mehr und rief: das macht sie immer so, das nennt man – ja ich weiß nicht mehr, wie er es nannte, ich denke, er sagte, es wäre römisch.

Römisch oder russisch! brummte Olaf, aber es paßt sich nicht für uns; und wenn ich es machen könnte, wollte ich ihr einen anderen Bräutigam verschaffen. Meiner Treu! einen, der sich nichts daraus macht, wenn sie römisch würde und im wilden Wetter ins Wasser oder in die Luft führe. Es wäre ihm recht, in Odin's Namen! es wäre ihm recht.

Ulla und ihre Untergebenen mochten wohl wissen, wen er damit meinte. Sie nickten sich zu und ihre Gesichter drückten ihren Beifall aus. Wer weiß denn aber auch, ob es wahr ist, sagte die Haushälterin bedächtig. Die schwedischen Herrschaften sind die Gäste des gnädigen Herrn Erich's. Es sind lauter Vettern und Muhmen, die vertraulich zusammen umgehen, wie's Verwandte thun; aber bis zum Heirathen ist immer noch weit ab, und ein altes Sprichwort sagt: ein Huhn legt dem andern nicht gern sein Ei ins Nest.

Sie haben ihre Heimlichkeiten zusammen, meinte Olaf, mit wichtiger Miene umhernickend, ich habe allerlei davon gehört. Damals, zur Zeit, wo der selige alte Herr noch jung war – nuh! es ist wer weiß wie lange her – muß in Schloß Halljala ein lustig Leben gewesen sein. Es ist schade, fuhr er fort, daß der Schulmeister nicht hier ist, der könnte uns davon erzählen.

Wo sitzt der denn wieder, fiel Ulla ein, ich habe in Ewigkeit nichts von ihm gehört. Kaum jedoch hatte sie dies gesagt, so wollte eine höhere Macht ihre Sehnsucht sofort befriedigen; denn plötzlich ließ sich draußen vor der Thür ein helles Pfeifen hören und dazu stimmte ein Hahn aus vollem Halse ein.

Da ist er! schrie die ganze Gesellschaft, und so war es. Die Thür ging auf und es zeigte sich die kurze stämmige Gestalt Lars Normark's, der einen kleinen Quersack über der Schulter und in der 156 Hand einen tüchtigen Dornstock trug, auf welchem sein Hahn saß, der lustig mit den Flügeln klappte und seine wohlbekannten Freunde mit Glucksen und Halsausstrecken bewillkommnete.

Der rothe Kopf des Schulmeisters, in welchem sich die schelmischen blauen Augen nach allen Seiten drehten, nickte inzwischen eben so lebhafte Grüße, und er hatte genug zu thun, um alle Hände zu schütteln und alle Fragen zu beantworten. Der Hahn sprang von dem Stocke auf den Tisch, wo er gravitätisch auf und nieder spazierte und mit seinem Schnabel auf das Holz schlug, indem er den Futter suchenden Ton seines Geschlechts hören ließ.

Hast Recht, Hans, sagte Lars Normark, es wird immer schlechter in der Welt. Ehrliche Leute finden überall leere Tische, denn es sorgt Jeder für sich. Gib's ihnen deutlich zu verstehen, was du meinst, mein Junge. Gib's ihnen aus dem Grund deiner Gefühle.

Der Hahn fuhr geduckt und emsig hin und her, als wollte er Etwas entdecken, was nicht zu finden war. Dann nahm er seine Pfote und kratzte sich den Kopf, was allgemeines Gelächter erregte.

So ist's verständlich! rief der Schulmeister. Du kannst nichts finden. Es wird sich noch Mancher auf Erden hinter den Ohren kratzen, dem der Magen weh thut und der auf seinem Tische nichts bemerkt. Aber es kommt, Hans, es kommt Alles, man muß nur Geduld haben und warten können. Siehst du wohl, wie sie laufen und das Beste für dich bringen. Fass' zu, alter Hans, fass' zu, und laß dir nichts fortnehmen, was du hast. Es soll sich Keiner nehmen lassen, was er mit Händen und Zähnen festhalten kann, weder Mensch noch Vieh.

Mit dieser weisen Lebensregel legte der Schulmeister sein Bündel und seinen Stock ab und setzte sich an den Tisch, der in Eile mit mancherlei eßbaren Dingen besetzt worden war. Die Haushälterin hatte ihren Speiseschrank geöffnet. Olaf hatte eine große Flasche voll süßem starken Bier geholt, andere hilfreiche Hände brachten Brod und Branntwein herbei, so daß nach wenigen Minuten Lars Normark ganz behaglich hinter einem Haufen trefflicher Lebensmittel saß, welche sein Hahn getreulich bewachte und gelegentlich mit ihm theilte. Es war auch verwunderlich anzuschauen, wie dieser seltsame Kamerad, dessen 157 Geschlecht sonst sehr einfach lebt, nichts verschmähte, was sein Herr ihm zuschob, und nicht allein Fleisch und Fisch verschlang, sondern zur größten Belustigung aller Zuschauer wohlgefällig seinen Schnabel auch in das Bier tauchte und von dem Branntwein kostete.

Der Teufel steckt in dem Thiere! schrie die hübsche Hela. Ist es nicht Hexerei, daß ein unvernünftiges Vieh, das auf den Hof gehört, solche Gelüste haben kann?

Lach' sie aus, Hans, lach' sie Alle aus! antwortete der Schulmeister und der Hahn stimmte eine Art Gelächter an, indem er sich auf seine Zehen so übermüthig, als ihm möglich, aufrichtete. Es ist mit den Thieren wie mit den Menschen, was sie aus sich machen, das sind sie, fuhr Lars fort. Ich habe mehr als Einen gekannt, Mädchen, der auf dem Hofe geboren wurde und dazu bestimmt schien, in einem Hofwinkel zu sterben, aber es wurde ein Bischof oder ein Freiherr und ein großer Herr daraus. Bist eine schmucke Dirne, Hela, trotz deiner Wollröcke und deiner nackten Beine. Wenn Einer käme, streifte dir seidene Strümpfe auf, feine Schuhe mit rothen Hacken, und ein Kleid dazu, das bis auf die Erde reichte, setzte ein Hütchen mit Bändern auf deine Zöpfe und zöge dir weißes Leder über deine rothen Hände, was würden die Leute schreien? Der Teufel ist in die Hela gefahren, wie kann der unvernünftige Matz vom Hofe solche Gelüste haben?

Ein schallendes Gelächter folgte auf Hela's Kosten, die roth bis an die Ohren wurde, nur der Schulmeister blieb ernsthaft. – Siehst du wohl, Hans, sagte er, so geht es in der Welt. Was nicht so ist, wie die Menschen es gewohnt sind, da steckt allemal der Teufel darin. Du hast deinen gesegneten Verstand gebraucht, darum bist du herauf gekommen und kein ordinäres Vieh geblieben; macht es Alle so, so wird's lauter Freiherren und Fräulein in Finnland geben. Und warum soll's denn auch nicht so sein? rief er seine schalkhaften Augen umher werfend, kommt der Eine etwa mit einem seidenen Rocke auf die Welt und der Andere in Lumpen gewickelt? Weinen rettet nicht aus Gefahr, Klagen nicht aus bösen Tagen. Scharf ist des Fleißigen Werkzeug, aber des Thoren Messer bleibt stumpf, und wer Weizenkuchen essen will, der sehe zu, daß er sich Körner sammelt. Körner, Hans, süße Körner, damit es an Hochzeitskuchen nicht fehlt.

158 Nachdem der Schulmeister diese Sprichwörter voll altfinnischer Weisheit zum Besten gegeben, that er einen langen Zug aus dem Bierkrug und sein Hahn lachte dazu hell auf.

Meinst du denn, Lars Normark, fragte Olaf mit der pfiffigen Bedächtigkeit eines Mannes, der eine gewichtige Frage thut, die er sich längst beantwortet hat, meinst du denn wirklich, daß nächstens Hochzeitskuchen in Halljalaschloß gebacken wird?

Was meinst du, Hans? schrie der Schulmeister seinen Famulus an. Sage es ihnen, was du meinst.

Der Hahn schüttelte sein Gefieder und wackelte mit dem Kopf, während er sich niederduckte und aufblies.

Er sagt nein! rief die Haushälterin vergnügt in die Hände schlagend.

Ei du Schelm! fuhr Lars fort, willst du klüger sein als ein Freiherr. Gleich spring' auf deine Beine und tanze den Hochzeitstanz.

Er zog seine Pfeife hervor und begann eine lustige Weise anzustimmen, kaum aber war er im Zuge, als die Thür sich aufthat und Erich Randal mit allen seinen Gästen hereintrat. Die Töne waren bis in die Halle gedrungen, und auf dem Hofe hielten Diener die gesattelten Rosse, denn eben wollte die Gesellschaft dem alten Major einen Besuch machen; als jedoch die Klänge der Pickelflöte die Anwesenheit des Schulmeisters anzeigten, erinnerten diese Ebba an den wunderlichen alten Mann, und Louisa rief, daß sie ihn sehen und ihm sagen müsse, wie lieb sie ihn habe.

Als die Herrschaften hereintraten, wichen die Mägde achtungsvoll zurück, Lars Normark aber zog nicht sogleich seine Pfeife von den Lippen. Er blies mit vermehrter Kraft weiter, bis der Vers zu Ende war, und dann, eben als Louisa ihn erreichte und mit fröhlicher Stimme: Guten Tag, alter Lars, guten Tag, lieber Lars! rief, zog er seinen breitkrämpigen Hut von dem glänzenden nackten Schädel und blickte das schöne Mädchen mit großer Freude und Zärtlichkeit an.

Behüt's Gott, du schmuckes Fräulein! sagte er, bist du auch hier und denkst an den alten Lars?

Freilich, Lars, antwortete sie, und da ich dich hörte, bin ich gekommen, um mit dir zu zanken. Wo bist du gewesen, als es so böses Wetter war?

159 Regentropfen haben noch niemals einen Menschen todtgeschlagen, mein Töchterchen, lachte der alte Mann. Ich und der Hans, wir laufen darunter fort. Aber seht den Schelm da. Es ist heidnisch finnisch Wesen in ihm. Gott behüt's! daß wir vom echten schwedischen Korn sind, Freiherr Randal, Gott behüt's!

Der Ausruf galt seinem Hahn, welcher nicht sobald Otho erblickt hatte, als er mit einem Satze vom Tisch auf dessen Schultern flog, seinen Kopf an ihn drückte und ihm alle nur möglichen Beweise seiner Zuneigung ertheilte. Otho streichelte ihm dafür das glänzende Gefieder, und gab ihm in finnischer Sprache allerlei Liebesnamen, welche Hans mit dem größten Wohlgefallen zu hören schien.

Alle beschäftigten sich jetzt mit dem klugen Thiere, und als es herauskam, daß er eben einen Hochzeitstanz tanzen sollte, rief der Kammerherr: Den müssen wir sehen; allein wir haben hier zwei junge Damen, und es fragt sich, welcher von beiden es zunächst gelten soll.

Er warf seiner Schwester einen schalkhaften Blick zu und Ebba sagte lächelnd: Der Hahn ist ja in alter Zeit schon ein Prophet gewesen. Willst du zu meiner Ehre den Tanz machen, kluger Hans, so laß dich erbitten.

Augenscheinlich aber hatte das störrische Thier keine Lust dazu, und als Erich ihm ermunternde Vorstellungen machte, schmiegte er sich nur um so dichter an Otho und schüttelte trotzig den Kopf, was zu vielem Gelächter und lustigen Bemerkungen Anlaß gab.

Wir sind somit von ihm verworfen, sagte Ebba, er zieht Louisa vor.

O! du abscheuliches Thier! rief das kleine Fräulein. Komm her, Hans, komm zu mir, thue es um meinetwegen.

Der Hahn blieb jedoch so eigensinnig wie er war und rührte sich nicht, als aber Serbinoff sich einmischte und nach ihm greifen wollte, gerieth er in Zorn. Seine rothen Augen rollten, er stieß ein kampflustiges Geschrei aus und seine Halsfedern sträubten sich grimmig auf.

Er will von Euch Allen nichts wissen, sagte Otho. Jetzt, Hans, zeige Ihnen, daß ich allein dein Vertrauen besitze, und wenn du Prophetengabe hast, so laß mir diese zu Gute kommen. Nimm deine Pfeife, Lars, der verständige Hans wird sich nicht länger weigern.

160 Und so geschah es, denn kaum hatte der Schulmeister begonnen, als der Hahn auf den Tisch flog und ohne sich länger nöthigen zu lassen seinen Tanz begann. Er hob und setzte seine Füße nach dem Tact, drehte sich rechts und drehte sich links, neigte sich vor Otho, breitete seine Flügel aus und zog sie wieder zusammen, blickte zu ihm auf und nickte dazu, verdrehte die Augen und machte die wunderlichsten Sprünge, zum unendlichen Ergötzen der Hausleute und unter dem Gelächter der Herrschaften, bis das Lied zu Ende war und Hans ein helles Freudengeschrei anstimmte.

Auserwählter des Götterboten! rief der Kammerherr, wir werden sehen, ob die Propheten lügen. Nun zunächst für eine schöne junge Braut gesorgt, bester Freund, oder ist diese schon vorhanden und braucht nur aus der Verborgenheit hervorzutreten, um uns zu überraschen.

Man kann eher zu einer Braut kommen, als zu einem Pferd, sagen die Finnen, antwortete Otho, und da unsere Pferde draußen warten, finden wir vielleicht auch die Braut darauf.

Ein sehr feines zartes Sprichwort, lachte Arwed, aber ein Wort zur rechten Zeit, wenn wir noch nach Lomnäs wollen.

Sie nahmen Abschied von dem Schulmeister, der von Erich eingeladen wurde, in Halljala zu verweilen. Das Gesinde drängte sich an die Thür, sah die Herrschaften aufsteigen und aus dem Hof sprengen, Lars aber blieb sitzen und vor ihm saß sein Hahn, den er nachdenkend in Bekümmerniß anschaute.

Hast es nicht anders machen können, Hans, sprach er zu ihm, du würdest es sonst gethan haben. Wainemonens Stimme spricht aus Wind und Wellen, aus Bäumen und Thieren zu dem Menschen, aber sie verstehen ihn nicht mehr. Da fliegen sie hin auf ihren schnellen Rossen und lachen über dich. Junge, schöne Leiber, junge, starke Glieder. Doch ehe ein Jahr um ist, werden sie in Hiisi's Armen liegen. Meinst es so, Hans, meinst es so? Keiner wird den Hochzeitstanz tanzen, nur er allein, meinst du so? Ilmareinen webte einen dunkeln Schleier von Duft um ihre Köpfe. Ich sah ihn flattern, wie Spinnenfäden am Herbstabend umschlang er sie. Hast es 161 gesehen, Hans, waren es die schwarzen Fäden aus Tuomala, dem Reiche der Schatten? Der Hahn nickte ernsthaft dazu, und Lars Normark legte seine Hand auf ihn, und murmelte seinen Kopf senkend: In Tuomala gehen wir Alle ein. Jumala's Frieden erwartet alle seine Kinder.


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