Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Siebenzehntes Kapitel.

In Lully's Burg, mitten in den blutig rothen Granitklippen der Korpilaxberge, lagerte ein Haufen sonnverbrannter Männer von abenteuerlicher Gestalt. Soldaten mußten es sein, denn man konnte an den meisten noch eine Jacke oder einen Rock von schwedischer Farbe erkennen, aber die Reste eines ganzen Heeres vereinigten sich darin. Der Eine war ein Jäger, der Andere ein Grenadier, der Dritte ein Artillerist, der Vierte ein Husar gewesen. Lappen und Fetzen jeder Art hatten sich von so verschiedenem kriegerischen Staat erhalten und auf den narbigen, bärtigen Gesichtern saß hier ein Hut, dort ein Helm, da ein russischer Tschako oder eine rothbeutelige Kosakenmütze. Manche Köpfe waren mit dunkelroth getränkten, schmutzigen Tüchern umwunden, manche Gesichter mit breiten Pflasterstreifen beklebt, oder sie zeigten Wunden, welche noch zu bluten schienen. Es waren rauhe abgehärtete Männer, sichtlich von Elend aller Art heimgesucht, sichtlich von furchtbaren Anstrengungen erschöpft, doch aus ihren rasch rollenden Augen leuchtete noch immer ungebrochene Kühnheit und wie die Meisten an ihren Waffen putzten und ausbesserten, 736 und ihre Messer und Säbel schärften, konnte man glauben, daß sie nicht Willens seien, an Ergebung in ihr Schicksal zu denken.

Unter der zerbrochenen Hompuseiche lag Korporal Spuf der Länge nach ausgestreckt und schien mit halb offenen Augen zu schlafen. Vor ihm an dem Opfersteine kniete der Feldwebel, nicht aber um zu dem Allerhalter zu beten, sondern um in einer kleinen Pfanne mit Hilfe einiger dürren Reiser Brodkuchen von sehr schlecht aussehendem Mehl zu backen.

Der Korporal war beinahe schwarz gebrannt vom Wetter mit einer Zuthat von Pulverdampf und Staub, welche sich über seine Haut klebten und einen dicken Überzug bildeten. Seine wilden gelben Haare fielen in Büscheln darüber hin und der Feldwebel warf einige Male einen wohlgefälligen Blick auf ihn, während das eigenthümliche Grinsen durch sein spitzes, faltenreiches Gesicht lief. Er war immer noch wie er gewesen. Seine kleinen listigen Augen schauten spottsüchtig umher, und die kurze Oberlippe zog sich muthwillig dicht unter die spitze Nase zusammen, als seine Brodkochen fertig waren und er die Pfanne dem ruhenden Korporal vorhielt, der von dem Dunst aufgeweckt wurde, ohne das Labsal zu finden; denn der Feldwebel hatte die Pfanne schnell wieder versteckt.

Feldwebel! brummte Spuf, indem er sich auf die andere Seite warf, du bist der dummste General, der mir jemals vorgekommen ist.

Pfui, Spuf! antwortete der Feldwebel. Wie kannst du dich unterstehen, deinen General dumm zu nennen, den die Russen für übermäßig klug halten. Und wie kannst du mich für den Allerdummsten erklären, da es doch so viele erhabene Beispiele von Dummheit auf Erden gibt.

Du bist der Dummste, wiederholte Spuf hartnäckig, und ich will dir sagen warum. Die Anderen ziehen sich bei Zeiten auf ihre Magazine zurück. Du aber ziehst dich nicht zurück, sondern – O! sieben und siebenzig Schock Tonnen! schrie er, sich aufrichtend und die Haarsträhnen von seinem Gesicht schleudernd, wärst du nicht so zähe wie Sohlleder, so machte ich auf der Stelle den Antrag, Kriegsgericht zu halten und dich zu schlachten.

737 Elender Korporal! erwiederte Roth, ist das der Dank, daß ich deine klappernden Gebeine in dies liebliche Thal in Sicherheit brachte.

Ist das etwa eine Sicherheit, Schatten von einem Feldwebel! schrie Spuf. Kannst du Steine in Brod verwandeln? Kannst du dies nichtswürdige Wasser zu stärkendem Trank machen?

Nein, Korporal Spuf, sagte der Feldwebel würdevoll, ich bin ein guter Christ, kein finnischer Hexenmeister, allein ich habe Gott und Gottes Sohn gebeten, uns zu helfen, und die Mutter Gottes ist mir erschienen und hat mir ins Ohr gesagt, daß heut Abend noch volle, schöne Fleischtöpfe und herrliche Kuchen, sammt ganzer Fässer voll Meth und Branntwein, süß und feurig, uns laben sollen.

Feldwebel! sagte Spuf mit der Zunge schnalzend, mir gehen die Augen vor Wonne über. Was hat dir die Gottesmutter gesagt?

Schlagt die Russen todt, sagte sie, oder laßt euch todt schlagen. In beiden Fällen wird Spuf nicht mehr über Hunger und Durst schreien.

Bist ein einzig kluger Feldwebel! schrie Spuf, aber ich habe auch dergleichen geträumt. Die Mutter Gottes brummte mir ins Ohr: Zieht dem elenden Feldwebel die Haut ab und spannt diesen über eine Trommel, so laufen alle Russen davon.

Nein, Korporal, sagte der Feldwebel sanftmüthig, mir sagte sie noch andere Dinge. Geh hin, sagte sie, nimm diese Kuchen und stärke den tapferen Spuf damit, so wird er Wunder der Tapferkeit verrichten. Wo sein langes Bajonnet sich heut zeigt, werden die Russen sich selbst daran spießen.

O, Feldwebel! rief Spuf mit beiden Armen nach der Pfanne langend. Sind es frisch gebackene fette Kuchen? Gieb sie her und dann laß die Russen kommen, Korporal Spuf wird ihnen alle deine Wunder erklären.

Ein Soldat kam soeben eilig gelaufen und meldete, daß ein russischer Offizier, der an einen Tannenzweig ein weißes Tuch gebunden habe, sich bei den Vorposten befinde.

Bringt ihn her, den Moskowiter! schrie Spuf, ich will ihm gleich zuerst meinen Segen geben.

Was verlangt er denn? fragte der Feldwebel?

Er will den General Roth sprechen, sagte der Soldat.

738 Versteht ihn denn ein ehrlicher Kerl? fragte der Feldwebel. Kann er denn seinen Mund gut finnisch oder schwedisch aufthun?

Ja, Herr, und sieht aus, als wäre er ein Christ.

So bringt ihn herauf, antwortete der Feldwebel. Heda, Korporal Spuf!

Hier! schrie der Korporal, der den letzten Kuchen verschlang.

Laß alle unsere Leute sich verbergen. Keiner darf sich sehen lassen. Ich will mit diesem Russen allein sein.

Zu Befehl, Feldwebel oder General! schrie Spuf, indem er sich militärisch umdrehte.

In wenigen Minuten hatte sich der Anblick des Felsenthals verändert. Geräuschlos verschwanden die lagernden Soldatenhaufen in den Grotten und Büschen und nichts war von ihrer Anwesenheit zu bemerken. Das Thal war so still und friedlich, als wäre es eine der glücklichen Inseln im Weltmeere. Der Bach murmelte klar und leise; Gras und Blumen bewegte der sanfte Morgenwind und wie ein Opferpriester Jumala's stand der dürre Feldwebel nachsinnend vor dem Stein, unter welchem er seine Pfanne und zerstreut umherliegenden Geräthe verbarg. Um seine Schulter warf er dann eine Art Mantel, mit welchem er seinen zerfetzten Rock bedeckte und in sein Gesicht drückte er einen Federhut mit verwetterter Goldtresse, der einst einem Offizier gehört hatte. So ging er dem russischen Parlamentair entgegen, welcher, von einigen Soldaten begleitet, sich ihm näherte und jedenfalls besaß er in Schritt und Geberden mehr Anstand und Würde, als er je in seinen Späßen mit Korporal Spuf gezeigt hatte.

Er begrüßte den russischen Offizier mit soldatischer Höflichkeit, die dem höflichen Benehmen desselben nichts nachgab.

Sie sind der General Roth, mein Herr, sagte der Russe in schwedischer Sprache.

Mein Name ist Roth, erwiederte der Feldwebel.

Ich freue mich, einen so tapferen und ausgezeichneten Offizier kennen zu lernen und ihm meine Aufträge zu überbringen.

Wer gab Ihnen diese Aufträge? fragte Roth.

Der commandirende General Dolgorucki.

Und worin bestehen dieselben?

739 Mein Herr, sagte der russische Offizier, General Dolgorucki kennt Ihre Lage ganz genau. Sie haben Alles gethan, was ein tapferer Mann thun kann, allein Sie sind umringt, von allen Hilfsmitteln entblößt. Es ist unmöglich, daß Sie uns entkommen können.

Was meint also der General Dolgorucki?

Daß Sie ihm vertrauen und unnützes Blutvergießen vermeiden mögen. Strecken Sie die Waffen, General, er bietet Ihnen die besten Bedingungen. Kriegsgefangen müssen Sie bleiben, in allem Übrigen aber soll Ihnen Alles, was Sie fordern, bewilligt werden.

Sie sind sehr freigebig, Prinz Dolgorucki, sagte Roth, indem er sich verbeugte.

Der russische Offizier schien einen Augenblick überrascht zu sein, aber er faßte sich sogleich. Lächelnd streckte er seine Hand aus und sein jugendlich schönes Gesicht erhielt einen äußerst gewinnenden, herzlichen Ausdruck. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie mich kennten, sagte er, würde ich meine Epauletten nicht abgenommen haben. Ja, mein Herr, ich bin selbst gekommen, ich ganz allein Ihrer Ehre vertrauend, um wo möglich Frieden zwischen uns zu schließen, und damit Sie sehen, daß ich es aufrichtig meine, will ich Ihnen gestehen, daß ich weiß, Sie sind der Feldwebel Roth.

Richtig, versetzte Roth, mehr steckt nicht unter meinem Tressenhut.

Es steckt ein Kopf darunter, sagte Dolgorucki lebhaft, der mehr werth ist, als die meisten eurer Generalsköpfe.

Sachte, sachte, sagte der Feldwebel, in seiner Art grinsend. Bieten Sie mir nichts, gnädiger Herr, denn ich bin weder ein Admiral noch ein General, sondern eben nur ein Feldwebel.

Ich biete Ihnen nichts, Herr Roth, sagte der junge Fürst, denn ich verachte alle Bestechung. Meine Sache ist es nicht, Verräther zu machen. Wir sind Beide ehrliche Soldaten und wollen es bleiben. Der Teufel hole diesen Krieg, aber er ist da und ich bin ein General meines Kaisers. Ich achte tüchtige Männer, mag sie nicht zu Tode hetzen, mag sie nicht zur Verzweiflung bringen. Rettung ist nirgends mehr für Sie. General Sandels ist bis Kajana zurückgeworfen; Sie sind gänzlich abgeschnitten, dabei ohne Lebensmittel, selbst 740 ohne Pulver und Blei, haben wenige hundert verschmachtende Leute noch auf den Beinen. Ergebt euch also und nehmt Pardon an.

Gerne, sehr gerne! antwortete der Feldwebel mit vieler Sanftmuth. Ich bin so friedlich gesinnt wie Sie, mein General, doch hören wir wie meine Kameraden darüber denken. Korporal Spuf! rief er gegen die überhängenden Felsen hin.

Hier! antwortete der Korporal, indem er aus einer der tiefen Grotten trat, und als er in der Nähe war, sein Gewehr präsentirte.

Als er den Prinzen anblickte, faßte dieser unwillkürlich nach seiner Seite, denn Spuf's Augen hatten etwas von dem wilden Feuer, mit dem ein Raubthier seine Beute betrachtet.

Korporal Spuf, sagte der Feldwebel, willst du dich ergeben?

Ich glaub's nicht, brummte Spuf. Oho! sieben und siebenzig Schock verdammter – hier hielt er plötzlich inne und sagte im Tone der Subordination: Das Regiment Björneborg hat sich noch niemals ergeben, General.

Haben wir Pulver, Korporal?

Vollauf, Herr.

Kugeln?

Kugeln, Knöpfe und Steine.

Und Brod, Korporal Spuf.

Brod und Fleisch viele Karren voll.

Strenge dich nicht an, Freund, antwortete Dolgorucki. Mancher Tag ist vergangen, wo du kein Fleisch gesehen hast. Ergebt euch und ich will euch Brod und Speise geben. Wollt ihr nicht, so kann ich allenfalls bis morgen warten, dann wird der Hunger euch dazu zwingen.

Moskowiter! murmelte der Korporal, wahre dein eigen Fleisch und Blut.

Dolgorucki hatte ihn verstanden. Er sah ihn mitleidig an. Dürstest du so sehr nach meinem Blute, sagte er, laß dich nicht danach gelüsten. Blickt von diesem Felsennest in die Thäler hinab, da ist kein Ausgang für euch. Meine Krieger sind überall. Ich gebe euch drei Stunden Zeit, die weiße Fahne aufzustecken, weil ich euer Leben retten möchte.

741 Du sollst es erfahren, daß wir leben, brummte Spuf.

Wir wollen es bedenken, mein gnädiger Herr, sagte Roth, der die Hand an seinen Tressenhut legte. Nehmen Sie inzwischen meinen Dank für ihre Menschlichkeit.

Sie sollten nicht zögern, sollten mich begleiten.

Ich muß thun, was Ehre und Pflicht gebieten, entgegnete der Feldwebel. Wir sind verlassene Leute, ich weiß es, daß Sie Recht haben. Mancher General, mancher Oberst hat sein Vaterland vergessen und verrathen, wir müssen's gut machen vor Gott und Welt. Lassen Sie uns berathen, ob wir mit gutem Gewissen sagen können: da liegen unsere Waffen, nehmt sie.

Der lange dürre Mann sprach mit solcher festen Würdigkeit, daß der Prinz ihm freundlich zunickte und sagte: So mag es sein. Berathen Sie, und wer binnen drei Stunden ohne Waffen zu uns kommt, soll als Freund aufgenommen werden. Ich hoffe, Sie kommen zu mir, Herr Roth.

Ich denke auch, erwiederte der Feldwebel. Und bald, fügte er leise hinzu.

Kaum hatte Dolgorucki sich entfernt, als der Feldwebel die Blutsteine hinaufkletterte und auf einer der höchsten Spitzen liegend, eine kurze Zeit lang in die Thäler hinabschaute. Eben so schnell und gewandt kehrte er zurück und währenddessen hatten sich sein ganzer Streithaufen um den Opferstein gesammelt. Seine kleinen funkelnden Augen schienen die Männer zu mustern, die sich in Linien reihten und richteten und deren Gesichter an ihm mit dem Ausdruck unerschütterlichen Vertrauens hingen, voll furchtloser Sicherheit, bereit, ihm blindlings zu folgen. Der Feldwebel schien auch ein anderes Wesen zu sein, so stolz aufgerichtet stand er vor dem Haufen; keine Spur leichtfertiger Lust in dem blassen Gesicht und doch ein Ausdruck von Unbesorgtheit darin, ein listiges muthiges Lächeln in den Mundwinkeln, männliches Selbstvertrauen in seinen Blicken. Kameraden, sagte er, es kommt darauf an, ob ihr es noch einmal mit mir versuchen wollt. Wer es nicht will, der mag zu den Russen hinuntergehen. Sie werden jeden gut aufnehmen, ihn weder ausplündern noch mißhandeln. Wer's annehmen will, der trete vor, wer nicht will, bleibe stehen.

742 Gut, fuhr er fort, als Keiner vortrat, so wollen wir suchen ein Loch in ihren Sack zu machen. Ich denke es soll so groß sein, daß weder Zwirn noch Nadel hinreicht, ihn bald wieder auszuflicken. Ihr wißt, daß Otho Waimon sich in der Nacht schon mit seinen Bauern in den Wald von Lomnäs durchgeschlichen hat. Fassen wir die Moskowiter bei den Ohren, springt er ihnen ins Genick. Fangen wollen wir, die uns fangen wollen; wie freie finnische Männer wollen wir leben und sterben. Und dazu ist es eben Zeit! rief er mit seinem eigenthümlichen Grinsen und seine Augen blitzten wie Sterne. Ich habe dem russischen Offizier versprochen in sein Lager zu kommen und euch mitzubringen. Nehmt's Gewehr auf, Kameraden, wir wollen so geschwind da sein, wie er selbst.

Hierauf gab er seine Befehle kurz und bestimmt, und nach wenigen Minuten kroch die ganze Schaar über den Blutsteinklippen fort bis wo zwei jäh abfallende Granitlager einen fast senkrechten Sturz bildeten. Das Regenwasser vieler Jahre hatte aber ein Gerinne hier ausgewaschen, und Männer, an große Gefahren gewöhnt, konnten wohl hinabzusteigen wagen.

Bah! sagte ihr Anführer, als die Vordersten zögerten, es ist nicht solche Mäusefalle, wie die Russen meinen, aber einen andern Weg gibt es nicht. Lars Normark kannte ihn allein, und was Bauern thun, werden Soldaten auch wohl können. Nur vor dem Korporal Spuf ist mir bange.

Spuf gab keine Antwort; er sah ernsthaft in die Tiefe, stemmte dann seine kurzen Beine fest und war der Erste voran. Sie folgten Alle nach, und obwohl der Fehltritt eines Unvorsichtigen oder Schwindelnden die ganze Kette hinabgestürzt hätte, kamen sie Alle wohlbehalten unten an. Dann verschwand der ganze Haufen schnell und spurlos zwischen Gebüsch und Schutthaufen und kein fremdartiger Ton schallte aus dem Wald, auf welchen die Morgensonne schien, kein Staub wirbelte auf, keine menschliche Gestalt konnte von den nackten Hügeln bemerkt werden, hinter denen die Russen lagerten und auf welchen ihre Wachtposten standen.

Plötzlich aber zog ein wildes Geschrei über die Thäler und mit ihm zugleich fielen die russischen Posten, von Kugeln durchbohrt. Alle 743 Steine wurden lebendig, aus allen Büschen und Löchern sprangen blutdürstende, ingrimmige Männer. In drei Schaaren getheilt und von drei verschiedenen Seiten liefen die Finnen auf ihre Feinde, und gar nicht lange dauerte es, so sah man Flüchtlinge, die nach der freien vierten Seite liefen. Der Überfall war so gut gelungen, daß die Russen von einem abergläubischen Schrecken ergriffen wurden. Ihre Gegner schienen aus der Erde gewachsen zu sein oder vom Himmel zu fallen, und vergebens waren alle Bemühungen der russischen Offiziere, vergebens war es, daß der junge tapfere General sich in das dichteste Gewühl warf und einige der Fliehenden niederstieß. Er wurde mit dem Strome fortgerissen und dieser ließ sich nicht mehr halten, als plötzlich auch im Rücken der Weichenden Schüsse fielen.

Bald schien das Gefecht vollständig verloren und nahe daran, in allgemeine regellose Flucht sich aufzulösen, allein nicht nur waren die Russen zähe und geübte Krieger, welche, gehorsam ihren Führern, diesen noch immer folgten, als sie rascher und immer rascher fliehend sich da und dort noch einmal wandten, um sich zu vertheidigen; ihr Muth wurde noch mehr erfrischt, als Serbinoff's Schaar ihnen entgegenkam und sie unterstützte. Serbinoff selbst suchte an der Spitze seiner Grenadiere dem hartbedrängten General Luft zu machen und durch einen Bajonnetangriff die Finnen zurückzutreiben; allein nie war die Lage der Angegriffenen ungünstiger.

Der Boden senkte sich gegen das Thal von Lomnäs. Von beiden Seiten stiegen steile Höhen auf, welche finnische Schützen besetzt hielten, denen große Bäume und Felsstücke zu sicheren Verstecken dienten und von der Höhe hinab gegen den Engpaß, hinter welchem der Wasserfall und die Brücke lagen, stürmte jetzt ein Haufen wildschreiender Männer in weißen Kitteln und breitkrämpigen Bauernhüten, der unaufhaltsam über Sterbende und Todte forteilte. Aus der Wolke von Pulverdampf starrten geschwärzte und blutige Gesichter; wie der grimmige Schlachtengott der Heiden sah Korporal Spuf's furchtbarer Kopf daraus hervor, und mitten aus dem feuerspeienden Knäuel, aus dem Geschrei und dem Donner, welche den Zusammenstoß der Kämpfenden begleiteten, ließen sich die schrillende Töne einer Querpfeife hören, welche den Hörnern und Trommeln der Russen zu antworten schien.

744 Die beiden russischen Anführer befanden sich in diesem Augenblick voran in den Reihen ihrer Streiter, die sie durch ihren Zuruf ermunterten und durch ihr Beispiel zur tapfersten Gegenwehr entflammten. Sie sahen die Gefahr, welche ihnen drohte, wenn es den Finnen gelang, sie die Höhe hinab in das Thal und gegen das Seeufer zu treiben. Jetzt galt es die äußerste Anstrengung, um den Bach und die Brücke zu behaupten, den Feind zurückzuwerfen und ihn zu zerstreuen. Trotz aller Nachtheile und aller Verluste waren ihre Schaaren noch mehr als doppelt so stark wie die ihrer Dränger; gelang es, diese in die Wälder zu jagen, so war der Weg nach Norden versperrt und bald genug konnte der Schaden gut gemacht werden. Prinz Dolgorucki saß auf einem türkischen Schimmel, der bezaubert schien, denn keine Kugel hatte ihn treffen können, Serbinoff hielt die Fahne des Regiments, die er dem sterbenden Fahnenträger entrissen, hoch in die Luft und schwang in seiner Rechten den Säbel. Hinter beiden Generalen schritten die Grenadiere in dichten, tiefen Reihen, die Bajonnete gefällt. Unbekümmert um die Kugeln, welche von den Höhen herunter sie zu Boden streckten, stürzten sie sich auf ihre Feinde. Viele sahen, wie ein furchtbares Gesicht dicht vor ihrem vielgeliebten Prinzen auftauchte. Sie sahen, wie der Schimmel sich hoch aufbäumte, wie die Klinge des jungen Generals auf den schwarzen Kopf des finnischen Teufels niederfuhr, dann verschwand Alles in der Wolke von Pulverdampf und in dem wilden blutigen Ringen, das sie verbarg.

Verworrenes Geschrei, zusammenschlagende Waffen, dumpfe Schläge der hochgeschwungenen Säbel und Gewehre, einzelne Schüsse, deren rothe Blitze durch den Dampf fuhren und Laute des Entsetzens, der Raserei, der Schmerzen und der Verzweiflung füllten die nächsten Minuten, aber es war gewiß, daß die Russen vorwärts drangen.

Mir nach, meine Grenadiere, sie fliehen! schrie Serbinoff. Es lebe der Kaiser!

Es lebe der Kaiser! antworteten seine Krieger, und mit doppeltem Muthe folgten sie ihrem kühnen Führer, der im nächsten Augenblicke die Fahne einem Offizier zuwarf, den er in seiner Nähe sah und dann so verwegen in das Gewühl stürzte, als erblickte er dort einen Gegner, der ihn besonders aufreizte. Da stand an der Bergseite ein 745 alter wunderlicher Kerl, der statt zu fechten mit seiner Pickelflöte den Lärm vermehrte, und auf seiner Schulter saß ein lebendiges Geschöpf, ein Hahn, der ein grimmiges Geschrei erhob, als er Serbinoff erblickte.

Weißhaariger Schurke, schrie der Oberst, du bläst deinen Marsch fürs Todtenreich!

Er schwang den Säbel. Der Hahn flog ihm wüthend entgegen und kollerte blutig getroffen nieder. Ohne inne zu halten, gellten die Töne der Pfeife weiter, allein im nächsten Augenblick stürzte der Pfeifer nieder über Pfeife und Hahn.

Ein grimmiges Lachen verzerrte Serbinoff's Gesicht. Lars Normark lag zu seinen Füßen und mit einer letzten Anstrengung brachte er einen schrillenden, klagenden Ton aus seinem zerspaltenen Instrument hervor. Hut und Wollmütze waren von seinem Kopf gefallen, und über seinem nackten Schädel funkelte noch einmal Serbinoff's Schwert, als eine andere Klinge den Hieb zur Seite schlug.

Ein Windstoß trieb eben jetzt den Pulverdampf fort und Sonnenschein beleuchtete den Kampfplatz. Von der Höhe herunter sahen die Russen eine neue Feindesschaar, die finnischen Schützen, springen, einen langen, dürren Mann voran, dessen Schattengestalt und Federhut sie mit größerem Grauen erfüllte, als die Bajonnette seiner Soldaten. Das war der schreckliche General Roth! Sie hörten seinen Namen rufen, sahen wie ihre Feinde ihm entgegenjubelten und eben jetzt, wo es am höchsten Noth that, daß ihr General sie begeistere, sahen sie diesen beben, zurückweichen und fliehen.

Denn eben jene Hand, die den Pfeifer schirmte, jener Mann in finnischer Bauerntracht, den der wimmernde Ton der Pfeife herbeigelockt hatte, schien Serbinoff zu einem Feigling zu machen.

Er blickte ihn eine Minute lang entsetzt an, wie man ein übernatürliches Wesen anblickt, in dessen schrecklicher Nähe der Muthigste verzagt.

Halt ein! schrie Otho ihm zu. Gieb Rechenschaft.

Otho! murmelte Serbinoff, indem er weiter zurückwich.

Gieb Rechenschaft! wiederholte der Finne mit furchtbarer Stimme. Wo hast du meine Schwester gelassen?

746 Du lebst, sagte Serbinoff verwirrt. Lebst du?

Ich lebe! Wo hast du meine Schwester gelassen?

Ohne Antwort zu geben wandte sich Serbinoff um und wollte sich entfernen. Sein Gesicht war blutlos; zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich von einer Furcht überwältigt, der er nicht widerstehen konnte.

Elender! schrie Otho ihm nacheilend, du entkommst mir nicht. Sieh dort hinauf. Da steht Ebba, die ich von dir befreite. Wo ist meine Schwester?

Serbinoff blickte zu der Felshöhe empor. Ebba Bungen stand auf dem Gipfel. Auch ihren Bruder und den Priester Ridderstern glaubte er zu erkennen. Sein Schwert vor sich ausstreckend stand er still, ein dämonischer Blick voll Haß und Hohn fiel auf Otho.

Zum Teufel mit dir! schrie er dann, Räuber! und plötzlich von dem Alp der bleichen Furcht befreit, der ihn belastete, blitzten seine Augen mit der alten Kühnheit. Seine hohe Gestalt richtete sich auf. Die Adern und Muskeln an seiner Stirn füllten und wölbten sich und mit blitzartiger Schnelle und Gewalt führte er einen Streich gegen seinen Feind, der dem Tode nicht entgangen sein würde, wenn er weniger gewandt und weniger auf seiner Hut gewesen wäre. Aber mit einer Wendung entzog sich Otho der Gefahr, und nun begann einer jener merkwürdigen Zweikämpfe, wie sie alte Geschichtschreiber aus den romantischen Zeiten der Kreuzfahrer und des frühesten Völkerlebens melden. Das Gefecht hatte aufgehört. Die Russen standen in einem Halbkreis, ihnen gegenüber die Finnen und Schweden, auf dem freien Raum zwischen ihnen aber die beiden Männer, an deren Sieg oder Tod jetzt die Entscheidung hing. Die steilen Hügel umher bildeten einen Felskessel, aus welchem allein eine schmale Schlucht zu der Brücke hinabführte, und so still war es einige Minuten lang, daß das Rauschen und Donnern des Wasserfalls deutlich gehört wurde. Der weißleuchtende Birkenwald, welcher alle diese Höhen bedeckte, war von Sonnenschein übergossen, über ihm hing der blaue, wolkenlose Herbsthimmel in wunderbarer Klarheit; einige rothe nackte Klippen, die jäh und spitz aus diesem saftigen Waldesgrün in die duftige Bläue stiegen, vermehrten den malerischen Reiz der Landschaft.

747 Als Otho Waimon dem plötzlichen Anfalle Serbinoffs glücklich entgangen war, der mit einem Male Alles zu beenden dachte, vergalt er dies nicht sogleich. Ein rascher Sprung zur Seite hatte ihn gerettet, und einige Augenblicke lang blieb er stehen, als suche er seine Kraft und seine Ruhe zu sammeln. Er kannte den Gegner, mit dem er zu thun hatte, kannte dessen Stärke und dessen Kunst, sein scharfes Auge und seinen unermüdlichen Arm; er wußte, daß er verloren sein würde, wenn er, von seinem Zorne hingerissen, ihm eine einzige Blöße böte. Serbinoff's Säbel war von vorzüglicher Güte, sein eigenes Schwert dagegen ein altschwedischer Pallasch, breit mit schräg ablaufender Spitze, rostig und schartig, doch von dem guten Dannemorastahl gemacht, der den schwedischen Soldaten so oft ihre Übermacht sicherte und fremdländische Waffen verachten half. – Indem Otho dies Alles bedachte, flogen seine geschwinden Blicke zu dem Felsgipfel hinauf, auf welchem Ebba Bungen stand und auf ihn herunterschaute. Das war der Preis, um den er kämpfen sollte. Ein weißes Tuch wehte in ihrer Hand, ein Hoffnungszeichen, das ihm galt. Mit seinem Leben mußte er um sie werben, sie frei machen, den Weg öffnen, der zur Freiheit führte. Und dieser Mann, der ihn so schmachvoll betrogen hatte, stand zwischen ihm und ihr. Ein Schmerz alter Erinnerungen war noch in ihm gewesen, plötzlich aber erhielt sein Gesicht den furchtbaren Ausdruck unerbittlicher Rachgier. Mit einem jener Zauberschläge, die eines Menschen Kopf und Herz mit Allem, was er erlebt und erfahren, füllen, gedachte er, was dieser Mann an ihm gethan und wie er eben jetzt erst verrätherisch nach seinem Blute gedürstet. Er dachte an seine Schwester; Wuth lief durch sein Hirn und füllte seine Adern. Louisa! rief er, und indem er diesen Namen in einem Tone wiederholte, vor welchem Serbinoff's Grauen zurückkehrte, drang er auf den Verderber ein.

Die Schwerter klangen von den mächtigen Schlägen dieser beiden starken und kühnen Kämpfer und alle diese wilden mit Blut bedeckten, in Blut gehärteten Männer, welche so eben noch mit unzähmbarem Grimm sich angefallen und erbarmungslos gemordet hatten, standen besorgt und ängstlich, ihre eigene Gefahr, ihre eigenen Wunden vergessend, und verfolgten mit heißen, stieren Blicken, mit Zagen und 748 aufjubelnder Freude jede Bewegung, jeden Hieb, jedes Zurückweichen, jedes Vorwärtsdringen, jeden kleinen scheinbaren Vortheil oder Nachtheil ihrer Heroen. Serbinoff mit seiner riesigen Gestalt, seiner Kraft und Kunst und seiner Ruhe, schien seinen Freunden zu verbürgen, daß er diesen Gegner bald niederstrecken würde, allein die Entscheidung verzögerte sich länger, als sie dachten. Der finnische Bauer war von nicht geringerer Kraft und von gefährlicher Ausdauer und Behendigkeit. Der Platz war steinig, lange Grashalmen schlangen sich um die Füße der Kämpfer, aber das schien kein Hinderniß für Otho, um nach allen Seiten hin vor- und zurückzuspringen. Serbinoff hatte genug zu thun, seine Angriffe abzuschlagen, und er begnügte sich eine Zeit lang damit, indem er auf die günstige Gelegenheit wartete, einen erfolgreichen Stoß zu thun. Diese Gelegenheit fand sich, als Otho über einen Stein gleitend, der unter dem Grase lag, auf einen Augenblick das Gleichgewicht verlor, und vornüber fallend, nicht schnell genug sich zurück zu ziehen vermochte. Serbinoff stürzte sich auf ihn, und als er seine scharfe Klinge in Otho's Leib stieß, erscholl ein Jubelgeschrei aus den Reihen seiner Russen; doch dieser Jubel kam zu früh. Otho's Wunde war keine tödtliche Verletzung, nur seine Seite war von der Spitze des Stahls aufgerissen worden, das Blut, welches den weißen finnischen Linnenrock färbte, kam aus keinem edlen Gefäß. Fast in demselben Augenblick aber, wo er diese Wunde empfing, rächte er sie durch einen Hieb auf seines Gegners Kopf, der an dem Lederhelm niedergleitend, dessen Schuppenkette zerschnitt und damit den Helm selbst zu Boden schleuderte. Ein wilder Freudenruf von der finnischen Seite begleitete seinen Fall, allein auch dieser verhallte ohne Folgen. Das reiche glänzende Haar des Grafen flog jetzt frei um sein Gesicht, über dies herab strömte sein Blut, und war es der Schmerz, den er empfand, oder wurde sein Stolz durch dies Mißgeschick beleidigt, er focht von diesem Augenblick an nicht mehr mit der kaltblütigen Überlegung, welche er bisher behauptet hatte. Seine Augen flammten, seine Lippen zuckten zusammen und zeigten, wie der Tiger, der sich zum Sprunge rüstet, die Zähne. Er stürmte mit so grimmiger Mordlust auf seinen Feind, als wollte er sich auf ihn werfen, um ihn niederzureißen. Seine Hiebe folgten sich hageldicht mit 749 furchtbarer Gewalt und mit derselben Gewalt wurden sie erwiedert. Der weite Kreis der Zeugen stand lautlos, voll banger Erwartung hingen ihre Blicke an jedem Blitz dieser leuchtenden Klingen, an jedem schmetternden Klang dieser gewaltigen Schläge, an jeder Wendung der Kämpfer, an jedem Arm, der sich aufhob, und je gewisser es wurde, daß bei solcher Wuth ein schreckliches Ende nahe sei, um so höher steigerte sich die Theilnahme.

Doch wie ingrimmig Otho Waimon auch den Grimm seines Gegners theilte, blieb er dennoch besonnener als dieser. Beide hatten ihre Rollen fast getauscht, denn Otho berechnete jetzt, daß, wer von Beiden zuerst seine Kräfte erschöpfte, Unheil über sein Haupt bringe, und während er die Streiche seines Gegners erwiederte, war er mit vermehrter Vorsicht darauf bedacht, sich zu schirmen. Jetzt endlich kam der Augenblick, wo Serbinoff zu ermatten begann, wo er mit Anstrengung das Gefecht in derselben Weise fortsetzte, und eben als er sein Schwert zu einem furchtbaren Hiebe aufhob und mit ihm den Arm, sprang Otho dicht heran und über die schlecht beschützte Brust und Schulter des Grafen fiel ein knirschender Schlag, der ihn taumeln machte.

Er suchte sich zu sichern, allein es war zu spät. Noch ehe er eine Deckung gewinnen konnte, fühlte er Otho's Schwert in seinen Arm, in seinen Kopf dringen. Seine Hand sank nieder, seine Finger öffneten sich, seine Augen wurden dunkel. Ein Stoß warf den mächtigen Körper nieder, eine blutige breite Säbelspitze hing dicht über seinem Herzen.

Bitte um Gnade! schrie ihm Otho's verhaßte Stimme zu. Gieb Antwort, wo ist meine Schwester!

Bastard von einem Bauer! erwiederte Serbinoff, sei verflucht!

Er machte einen jähen Versuch, sich aufzurichten, aber er fiel zurück, von dem Schwerte durchbohrt, das sich tief in seine Brust senkte. Bekenne, Elender, bekenne! schrie Otho Waimon, wo hast du sie, wo hast du Louisa?!

Hier! antwortete eine Stimme hinter ihm, und ein junges Weib mit aufgelöstem lang flatterndem Haar, zerrissen ihr Gewand, zerrissen und blutig ihre Hände von Dornen und Gestrüpp, eilte an 750 ihm vorüber und sank mit einem Schrei des Jammers an Serbinoff's Sterbelager nieder. Athemlos vermochte sie den Schrei nicht zu wiederholen, aber sie schlang ihre Arme um den blutenden halb entseelten Mann; sie küßte seine Lippen mit wilder verzweiflungsvoller Heftigkeit, sie riß sich los, um mit ihrem Halstuch die klaffende Wunde zu verstopfen, aus der sein Herzblut strömte, und dann hob sie die Augen voll unsäglicher Noth, voll heißer Qual und wahnsinniger Angst zum Himmel und zu dem Kreis der Menschen auf, die von ihrem Erscheinen bestürzt und von dem, was sie that, gerührt, nicht wagten, sie zu hindern oder zu stören. Selbst die rohesten unter diesen rohen Männern fühlten etwas von dem grausamen Weh dieses armen, schwachen Weibes und blickten mitleidig auf sie hin, und eben so regungslos wie sie stand Otho, mit Zorn und Liebe ringend, ohne den Muth zu haben, seiner unglücklichen Schwester beizustehen.

Schafft Hilfe! Hilfe! schrie Louisa endlich und indem sie den schweren, bleichen Kopf ihres Geliebten in ihre Arme nahm und mit wilder Angst in sein Gesicht starrte, auf welches der nahende Tod seine furchtbaren Zeichen drückte, rief sie ihn mit den süßesten Namen und suchte ihn mit ihren zärtlichen Liebkosungen zu erwecken: Alexei! rief sie, wache auf, deine Louisa ist bei dir! Mein Freund, mein Herr! ich schütze dich. Komm! komm! laß uns fliehen, steh' auf! steh' auf! O! mein Gott, erbarme dich! Alexei! höre mich, höre mich! Es kann nicht sein, höre mich!

Und noch einmal schlug Serbinoff seine Augen auf. Sein brechender Blick hing an dem Weibe, das er verrathen und das ihn allein liebte, allein treu war bis zum Ende. Es loderte etwas in dieser fliehenden Seele, etwas Göttliches, ein Funke jener Allmacht, die Gott ist und über Staub und Tod triumphirt, und seine Hände suchten ihre Hände, seine Lippen flüsterten ihr zu: Komm! komm!

In dem Augenblick stieß das unglückliche Mädchen einen Schrei aus, der an den Felswänden wiederhallte, und von dem alle Herzen getroffen wurden. Entseelt sank der mächtige Körper in ihren Schooß, und auf ihn nieder beugte sie sich mit ihren Küssen und ihrer Wahnsinnsangst, ohne ihn aufwecken zu können. Ihr Haar überflatterte den Todten, in unermeßlicher Verzweiflung umklammerte sie ihn.

751 Arme Schwester! armes Kind! sagte Otho. Sei standhaft, erhebe dich! Komm mit mir, komm zu deinen Freunden!

Mit sanfter Gewalt hob er sie auf und sie ließ es geschehen, dann blickte sie in sein Gesicht, starr, als träten seine Züge aus tiefer Dunkelheit in immer helleres Licht. Groß und entsetzt sah sie ihn an, und immer entsetzlicher, grauenhafter, wie von Furien ergriffen, bis sie mit einem neuen gellenden Schrei ihre Arme aufhob und vor ihm floh.

Halt! Louisa! Haltet sie auf! rief Otho, indem er ihr nacheilte. Dein Bruder ist es, der dich liebt, der dich ruft. Höre mich, halt! – aber sie hörte nicht, und wenn sie je den Namen einer Elfe verdiente, so war es jetzt der Fall, wo sie an dem schmalen Rande der steil fallenden Felsen hinzuschweben schien, während Otho Mühe und Vorsicht nöthig hatte, um ihr zu folgen. Der Steg lief an der Bank bei dem Wasserfall vorüber, und einen Augenblick glaubte Otho, daß er sie hier erreichen würde, doch schon war sie bis an die Biegung des Thales gelangt, wo dies sich öffnete, der Gaard von Lomnäs unter der Bergwand lag, und der Bach ihm gegenüber sein weißes Wasser in den See rauschen ließ. – Und eben an dieser Stelle erblickte Otho einen Mann, der vom Hause her der Flüchtigen entgegen kam und sie bald erreichen mußte. Er glaubte Magnus Munk zu erkennen, glaubte zu hören, wie er ihr zurief, zu sehen, wie er seine Hände ihr entgegen streckte; allein seine Hoffnung verwandelte sich in größeres Erschrecken, als er bemerkte, daß sie sich plötzlich von ihm abwandte und mit entsetzlicher Eile über die Rollsteine und Trümmer am Bache den niederen, narbigen Felsen zufloh, welche den Pajäne umsäumten. Otho wußte, wie tief der See dort war, ein Schauder sträubte sein Haar auf. Seine letzte Hoffnung ruhte auf Magnus, der dicht bei ihr war, und sichtlich alle Kraft anstrengte, um sie zu erreichen. Wenige Schritte trennten Louisa von ihm, jetzt mußte er ihr Gewand fassen, aber nein – sie war ihm entgangen und nun – da stand sie auf der Klippe. Erbarm sich Gott! schrie Otho auf. Beide verschwanden vor ihm. – Als er den See erreichte, wogte dieser hoch auf. Ringe und Blasen bedeckten seine dunkle, schweigende Tiefe. 752


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