Theodor Mügge
Erich Randal
Theodor Mügge

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Achtzehntes Kapitel.

Die Kanonenschaluppe des Lieutenants Lindström flog im Morgenwinde vor der Mündung des Aurajocki vorüber, als auf der Festung drei Kanonenschüsse fielen, denen, deutlich gehört, der Lärm der Trommeln und Hörner folgte. Gleich darauf sah man viele Soldaten aus den Thoren eilen und nach allen Seiten hin sich zerstreuen. Die langen Wimpel des Kriegsschiffes flatterten ihnen lustig nach und der junge Commandant lachte und klatschte aus aller Macht. Lauft! lauft! schrie er, und brecht euch die Hälse! Seht ihre Spürhunde! seht die Kosaken, wie sie daherjagen, wie sie suchen und schnüffeln. Laßt euch peitschen, ihr höllischen Schufte, euer Wild ist verloren. Hier sitzt es in Liebesseligkeit und kümmert sich nicht um eure Lanzen und Pfeile, denn ein anderer Pfeil hat diese Herzen durchbohrt.

Er wandte sich dabei gegen sein Quarterdeck, auf welchem am Eingange der Treppe Erich Randal und Mary saßen und wirklich nichts von dem Lärm am Lande zu hören schienen. – Das gilt euch, rief er ihnen zu, auf mein Wort! jetzt merken die Dummköpfe endlich, was vorgefallen ist. Er nahm sein Glas und richtete es auf die äußerste Felsenlünette der Festung, wo mehrere Offiziere die Kriegsschlup beobachteten. Zeigt euch doch! rief er, verbeugt Euch, wünscht ihnen den allerschönsten Morgen. – Er machte selbst einige Verbeugungen, schwenkte seine Mütze und fuhr dabei fort: Zerbrechen Sie sich die Köpfe nicht, meine Herren, es ging Alles ganz natürlich und einfach zu. Da war eine gewisse junge Dame, dieselbe, welche Sie hier sitzen sehen, in schwerer Herzensangst. Sie suchte Rath und Hilfe bei einer andern höchst klugen Dame, und Beide schlossen einen Bund und machten einen Plan, der unter Beistand eines lustigen Seemanns und einer gut gefüllten Goldbörse ausgeführt worden. Die dicke Goldbörse eines 753 alten, schäbigen Geizhalses, glitt in die Tasche des ehrenwerthen Commandanten, – ich glaube, der Spitzbube steht dort und wundert sich am allermeisten! – auch wurden demselben wohl noch andere schöne Dinge, mächtiger Schutz und Beistand, Straflosigkeit und geheime Zustimmung des Herrn Generalgouverneurs selbst zugesagt; der lustige Seemann aber bekam Nachricht und fand sich pünktlich ein und der liebe Herrgott schickte eine dunkle Nacht und ein tüchtiges Donnerwetter, und der edle Commandant brachte den zagenden Verbrecher richtig ins Freie, und es war Alles so eingerichtet, daß es aussah, als sei die Hilfe von Außen gekommen und Alles ging vortrefflich, und da sitzen nun die beiden höchst glücklichen Leute, denn es kann gar nicht anders sein, als daß die edle Dame ihren erlösten Freund begleitet und sich niemals von ihm trennen will, und Beide jetzt zu irgend einer glückseligen Insel fahren, wo es keinen Schmerz gibt und keine Spione. Wo die Bäume ewig blühen und goldige Früchte tragen; wo die Sonne immer am blauen Himmel steht, wo sie Blumenkränze winden und im Paradiesesfrieden wandeln können, wie Adam und Eva wandelten, ohne Priester und Richter, ohne grimmige Väter und bärtige Kosaken zu fürchten.

Mary bot ihm dankend ihre Hand. Führen Sie uns wohin Sie wollen, getreuer unverzagter Freund, sagte sie; ohne Ihren großmüthigen Beistand wäre doch Alles, was wir thaten, vergebens gewesen. Ja, Sie haben Recht. Niemals will ich Erich verlassen, jede Gefahr, jede Noth mit ihm theilen.

Und jede Freude, meine Mary, jedes Glück! erwiederte Erich, indem er sie umarmte.

Das Beste aber ist, rief der Offizier, daß alle Betrüger betrogen wurden und obenein die Kosten bezahlen müssen.

Was der Commandant Annenkoff erhalten hat, war mein Eigenthum, sagte Mary. Mein Vater wird nichts von dem, was ihm gehört, vermissen, als seine Tochter, ein werthloses Gut, da er sie nicht zu seinen Geschäften verbrauchen konnte. Nur das Vermögen meiner Mutter, das ich erbte und was ich sonst mit Recht besaß, habe ich mitgenommen.

754 Verdammt großmüthig! rief Lindström, ich hätte mit diesem Vater christlich zu theilen gesucht, doch ich will's nicht tadeln. Wo finden wir nun das Paradies, in welchem ich dies glückselige Paar eingehen lassen kann? Meine Ordre lautet, mit meiner Schaluppe das Bereich der Alandsgruppe nicht zu verlassen, und da liegen sie vor uns, ein großer Irrgarten mit mäandrischen Verschlingungen. An die tausend kleine Inseln, Dünen, Klippen, Felsen, Bänke und liebliche Eilande, wunderlich anzuschauen mit ihren Sunden, Straßen und diesen gewundenen Buchten, so ruhig, schweigsam und dunkel, als sei nie eines Menschen Fuß in diese geheimnißvollen Plätzchen gedrungen. Doch ich weiß eines darunter, dahin führe ich euch. Ich weiß ein von aller Welt vergessenes Plätzchen, da sollt ihr ausruhen, da wird es euch gefallen, und Hurrah! der Wind springt nach Norden um, ein Gotteszeichen, daß es so sein soll.

Er hatte mit dem Instincte eines Seemanns seine Segel und den Himmel betrachtet und richtig geurtheilt. Nach einer Stunde war der Wind nordwestlich, die Schaluppe legte um, und flog alle Segel voll längs der Küste hin und zwischen die zahllose Kanäle und Inseln fort, welche das Meer füllen. Zuweilen strichen sie dicht am Lande vorbei, und die Leute liefen zusammen, winkten dem Kriegsboote zu und wehten mit Tüchern und Fahnen; zuweilen auch steuerte das flinke, kleine Schiff mitten durch verborgene Sunde, umgeben von Waldgesenken und leuchtenden Wiesenstrichen, wo Heerden weideten und wo es so schön und heimlich aussah, daß Mary fragte, ob dies das versprochene Paradies sei. Aber Gustav Lindström schüttelte den Kopf, und die Schlup schoß durch irgend einen engen Kanal in ein neues Meeresbecken, neuen Einsamkeiten, anderen friedensvollen Einöden zu.

Als aber der Mittag heran kam, wurden die Reisenden unerwartet daran erinnert, daß sie auf einer vom Kriege durchtobten See schwämmen. Ein ferner Donner schien zuweilen in den Bergen zu grollen, die an Finnlands Küsten hinziehen, graue düstere Wolken hingen darüber und bestärkten eine Zeit lang ihre Vermuthung, daß die Gewitter, welche während der Nacht Abo heimgesucht, jetzt in diesen Berg- und Felsschluchten sich entluden. Aber nach und nach erhielt das Geräusch einen andern Klang. 755 Es wurde zu einem unaufhörlichen Krachen und Rollen, durch einzelne stärkere Schläge unterbrochen, die das geübte Ohr bald nicht mehr verkennen ließen, daß es ein heftiges Schießen sei und eine Schlacht in der Nähe der Küste geliefert werde. Möglich auch, daß es ein Seegefecht sein konnte, denn der russische Admiral Heyden hatte sich mit einer Schiffsdivision verschiedentlich schon von Sweaborg aufgemacht und war bis an die Alandsinseln vorgedrungen. Lindström wollte abgefeuerte Breitseiten hören und voll Kampfeslust ließ er das Deck seiner kleinen Schaluppe klar machen und Alles darauf in den Stand setzen, um einem Feinde Widerstand zu leisten. Inzwischen lief das Boot aus den Kanälen der Inseln in breiteres Wasser der Küste zu, und alle Augen und Gläser strengten sich an, um Zeichen zu entdecken, daß man dem Schlachtfeld näher komme; allein trotz aller Mühen gelang dies nicht. Weder Rauchwolken ließen sich erspähen, noch vermehrte sich der Lärm; im Gegentheil wurde nach und nach der Schall schwächer und als der Abend vorrückte ward nichts mehr gehört. So geduldig gewöhnlich Seeleute sind, gezwungen geduldig, da sie wissen, daß Ungeduld ihnen nichts hilft, so sind sie dafür um so geneigter, aller zurückgedrängten Leidenschaft sich zu überlassen, wenn sie eine Möglichkeit sehen, diese mit Erfolg zu befriedigen. Mit einer Reihe der schönsten Seemannsflüche hatte Lindström den ganzen Tag über verwünscht, daß er nicht bei einem glorreichen Gefecht zugegen sein konnte, denn daß es glorreich sei, daran zweifelte er durchaus nicht; dann hatte er sich wieder mit eben so schönen Schwüren getröstet, weil doch nichts darüber gehe, Freunden zu helfen und einer Dame zu dienen, endlich aber, nachdem er stundenlang auf einer Planke auf und nieder gelaufen war, immer wieder die Küste und den Himmel betrachtet, Augen und Ohren aufgemacht hatte und mit größter Anstrengung wenig mehr sehen und gar nichts mehr hören konnte, setzte er sich zu seinen Gästen und erklärte ihnen, daß er im Grunde herzlich erfreut darüber sei, daß alle Fährlichkeiten ausgeblieben. Ich wüßte wahrlich nicht, was ich mit euch angefangen hätte, rief er aus, denn in solchem kleinen Dinge, wie diese Schaluppe, ist kein sicherer Zufluchtsort vorhanden, wenn Kugeln und Bomben fliegen. Alle Wetter! wir müssen ein Gebet sprechen, denn ich glaube wahrhaftig, 756 euretwegen hätte ich mich davongemacht, wenn so eine russische Bombarde oder eine von ihren langen Hemmanas auf uns losgekommen wäre. Weiß es Gott! ich hätte es gethan, denn ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ein glückliches Paar, dem ich ein Paradies auf Erden versprochen, ins himmlische Paradies mitzunehmen.

Ich hoffe, antwortete Mary, daß Sie willig darauf verzichten.

Ihretwegen, schöne Freundin, würde ich sogar darauf verzichten, mich mit einem Russen zu schlagen, den ich schon halb in der Tasche hätte. Wir wollen uns sogleich wieder zwischen die Inseln schleichen, wo wir geborgen sind. Ich will euch vor allen Dingen in Sicherheit wissen, denn wenn ihr gefangen würdet, wenn euch ein Leid geschähe, nimmermehr könnte ich es mir vergeben.

In demselben Augenblick rief die Wache vom Mastkorbe herunter: Ein Segel vor uns! und mit größter Lebendigkeit sprang der Lieutenant auf.

Was ist es für ein Segel? schrie er hinauf.

Ich kann es noch nicht erkennen, antwortete der Mann; aber es ist ein großes Schiff.

Lindström schrie nach seinem Glase, die Offiziere der Schaluppe versammelten sich um ihn und bald war das Schiff trotz des dämmernden Abends gut zu sehen, denn es näherte sich rasch. Seine hohen, schlanken Masten wie die Fülle und Breite seiner Segel wiesen es als ein Kriegsschiff aus und mit dieser Entdeckung waren alle guten Vorsätze und Betheuerungen des jungen Commandanten vergessen. Es ließ sich nicht bezweifeln, daß der Fremde bedeutend größer und stärker sei, als die kleine Kanonenschaluppe und daß er wenigstens die doppelte Zahl Geschütze führen müsse, allein dies schien Gustav Lindström vor der Hand nicht zu beachten.

Jedenfalls müssen wir den Burschen in der Nähe ansehen, sagte er, und ihn fragen, was er hier auf unserem Grund und Boden zu suchen hat. Es thut mir leid, bester Erich, aber du mußt einsehen, daß es wahrlich nicht anders geht; sonst wollen wir auf Gott vertrauen und auf schwedischen Muth. Bringe deine Geliebte hinunter und tröste sie. Für Schwedens Ehre wird sie auch etwas wagen wollen.

757 Sei überzeugt, daß sich Mary nicht fürchtet, antwortete Erich, und thue deine Pflicht.

Gesprochen wie ein schwedischer Mann! rief der Lieutenant freudig, und nun vorwärts. Auf eure Posten, Kameraden! da kommt der Bursche herauf und zeigt uns seine Zähne.

Das fremde Schiff hielt gerade auf die Schaluppe los, die ihm entgegen kam und weil nirgend im Dämmerlichte sich eine Flagge erkennen ließ, in einiger Entfernung ihre Bugkanone abfeuerte, um den Fremden damit aufzufordern, sich erkennen zu lassen. Kaum war dies geschehen, als sich an der Gaffel seines Hauptmastes auch wirklich eine große Flagge aufrollte; doch beim ersten Blicke darauf verlängerte und verfinsterte sich das Gesicht des tapferen Commandanten.

Sieben und siebenzig Schock Tonnen voll Teufel! murmelte er, es ist die Amadis, es ist die Jacht des Königs. Macht die Lücken zu! Löscht die Lunten aus! Die große Flagge auf den Mast. Wie kommt die Jacht hierher?

Nach wenigen Minuten war die königliche Jacht dicht vor der Schaluppe. Auf ihrem Verdeck wimmelte es von Menschen; Offiziere mit blitzenden Achselstücken und Federhüten waren zu erkennen.

Der König selbst muß am Bord sein, sagte Lindström etwas kleinlaut. Was hat das zu bedeuten?

Er sollte nicht lange warten, um mehr darüber zu erfahren. Eine Stimme ließ sich hören, und nach einigen Fragen wurde ein Befehl ertheilt, welcher den Commandanten der Schaluppe sofort an Bord der Jacht rief. Einwendungen waren dagegen so wenig zu machen, wie Zögerungen denkbar. Im nächsten Augenblick sprang der Lieutenant in sein Sternboot und nach einem paar Dutzend Ruderschlägen stieg er die Treppe der Amadis hinauf.

Der Befehlshaber der Jacht kam ihm entgegen. Gut, daß wir Sie hier haben, Herr Heißsporn, sagte er, ihm die Hand schüttelnd.

Und was soll ich hier, Kapitän Sjöholm?

Auf des Königs Befehl, antwortete der Commandant, habe ich Sie gerufen. Nehmen Sie sich in Acht, Lindström, er ist übel gelaunt.

Das ist nicht meine Schuld.

758 Wer weiß. Ihre Kugel pfiff so dicht über ihm fort, daß ein Paar von den Schreibern, die er mit sich umher schleppt, um ihre Köpfe besorgt wurden.

Es gibt genug dergleichen, die keine Köpfe zu verlieren haben, murmelte Lindström. Aber woher kommen Sie?

Wir? Von Helsinge. Wenn Sie einige Meilen aufwärts fahren, werden Sie noch etwas von dem Brande sehen und kopflose Menschen genug finden.

Dort war also das Gefecht.

Vorgestern landeten die Garden dort, sammt Upland's und Kroneborg's Regimenter, heut wurden sie von dreifacher Übermacht angegriffen und bei Wiais geschlagen. Wie tapfere Männer haben sie sich gewehrt, doch Alles ging verloren. Wäre Oberst Lagerbring nicht gewesen, würden Wenige zurückgekommen sein. Sechshundert Leichen liegen dort und die doppelte Zahl ist gefangen. Wir haben es aus der Ferne wohlgemuth mit ansehen können, vermochten nicht zu helfen, nicht einmal darein zu schießen; weil Freund und Feind in einen Haufen geballt waren.

Und der König?

Ja so! der König. Der hatte, wie jetzt noch, die große Admiralsuniform angezogen, freute sich, daß tüchtig geschossen wurde und viertausend Schweden so lang gegen achttausend Russen aushielten. Als die Überbleibsel endlich eingeschifft waren, feuerten wir eine Zeit lang noch auf die Kosaken, welche ihre Gefangenen forttrieben, ließen die Kugeln uns um die Ohren pfeifen und gingen dann in See.

Und jetzt?

Nun die Schiffe und Boote sind hinter uns. Wir gehen nach Aland und dort können die Leibwachen sich auf ein Tänzchen gefaßt machen. Sie sollen die ersten gewesen sein, die ausrissen, sich aller Boote bemächtigten und ihre Kameraden im Stiche ließen.

So machen es die silbergeputzten Herrn!

Der König ist wüthend. Hören Sie, wie er schreit. Sein geistreicher Generaladjutant Boye hat den Befehl geführt, jetzt steht er vor ihm mit einem Armsündergesicht.

759 Die beiden Seeleute waren inzwischen bis an das Quarterdeck vorgegangen, wo der König stand, umgeben von einem Kreis von Offizieren, über welche seine hohe Gestalt hervorragte. Laternen brannten zu beiden Seiten, ihr Licht ließ Gustav Adolphs erzürntes, düsteres Gesicht erkennen.

Was kann ein General thun, wenn seine Soldaten ihn feig verlassen, davon laufen, pfui! rief er in seiner harten Sprechweise. Ihr seid unschuldig, Boye, es wäre mir nicht besser gegangen. Auf mein Wort! ich hätte es nicht besser machen können. Aber die Garde hat daran schuld, sie hat sich mit Schimpf bedeckt!

Majestät! sagte einer der Obersten, die Garde hat tapfer gefochten, nur zuletzt kam Unordnung und Verwirrung unter sie, was die Folge hatte –

Schweigt, Lagerbring! rief der König. Ich will von dieser Garde nichts mehr hören. Wodurch sind die Kanonen verloren gegangen, Oberst Palm?

Weil die Garde, welche sie decken sollte, davon lief, Majestät, antwortete der Artilleriecommandant.

Wodurch haben wir so viele Gefangene eingebüßt? Oberst Mellin?

Weil die fliehende Garde sich aller Boote bemächtigte, so daß vierhundert Mann sich den Russen ergeben mußten, da ihnen alle Rettungsmittel fehlten.

Seht Ihr, Lagerbring, so haben sie es gemacht, rief der König, dafür gibt es keine Entschuldigung. Fort mit diesen Feigen! Ich will sie auflösen, unter die anderen Regimenter stecken.

Majestät! sagte ein junger Offizier mit zitternder Stimme, ich bin kein Feigling!

Der König wandte sich um, er schnaubte vor Zorn. Wer seid Ihr! schrie er.

Hauptmann de Geer, von Ew. Majestät Leibwache.

Scheert Euch zum Teufel! Fort, ich kann Euch nicht länger brauchen! fuhr der König mit derselben Heftigkeit fort. Nach Haus hinter den Ofen mit Euch und allen Euren Kameraden. Lagerbring, Ihr sollt meine Befehle bekommen.

760 Majestät, sagte der alte Oberst bewegt, strafen Sie die Schuldigen, welche für dies Unglück verantwortlich sind. Lassen Sie durch ein Kriegsgericht Untersuchung anstellen.

Thut, was ich Euch befehle, antwortete der König ihn anfahrend. Alle sind schuldig, Alle haben wie Verräther gehandelt. Fort! kehrt auf eure Posten zurück. Wo ist der Offizier von der Kanonenschaluppe?

Hier, Majestät, sagte Lindström, indem er dem Rufe folgte.

Der König sah ihn an und faßte nach Seemannsweise grüßend an seinen Federhut, den er lüftete. Warum haben Sie auf mein Schiff geschossen?

Weil Ew. Majestät Jacht keine Flagge führte.

Sie wollten mich zwingen, Ihnen meine Flagge zu zeigen? Was dachten Sie zu thun, wenn ich es nicht gethan hätte?

Meine Kanonen waren bereit, Majestät.

Ich glaube es Ihnen, sagte der König lächelnd. Aber war der Bissen nicht doch etwas zu groß?

Nicht für meinen Hunger, Majestät, der ein echt schwedischer Seemannshunger ist.

Der König blickte ihn wohlwollend an, die Antworten gefielen ihm, er schien seinen Ärger über die Garden vergessen zu haben. Ihre Kugeln pfeifen scharf! rief er, es gibt noch immer schwedische Herzen genug, die mir treu sind. Hierher, Lieutenant Lindström.

Der Lieutenant trat heran, legte seine Hand an den Hut und der König that es auch. Er ahmte alle Seemannsgebräuche nach und gebehrdete sich wie ein Admiral, der seinem Untergebenen Befehle ertheilt. Nehmen Sie den Obersten Lagerbring auf Ihr Schiff, sagte er, auch was zu seiner Begleitung gehört, sammt dem Kapitän de Geer von meiner »ehemaligen« Leibgarde. Führen Sie diese Herren zu der Flottille von Kanonenbooten und Transportschiffen zurück; suchen Sie diese auf, wo sie sich befinden möge, und schiffen Sie die Offiziere aus. Ich gehe nach Aland, dorthin habt Ihr zu rapportiren.

Er legte seine Hand wieder an den Hut, Lindström machte die reglementsmäßigen Begrüßungen, und der König lächelte sehr vergnügt. Ihr bleibt bei mir, Boye, sagte er, Oberst Palm bleibt auch. Euch 761 trifft keine Schuld, daß die Kanonen verloren gingen. Die Garden sind davongelaufen. Knöpfe und Federbüsche sollen sie dafür verlieren.

Nach einiger Zeit, als Lindström in seinem Boote wartete, kam der Oberst Lagerbring, begleitet von dem Gardekapitän de Beer, und Beide fuhren mit ihm nach seiner Schaluppe, während die königliche Jacht ihren Weg fortsetzte. Lindström war von dem, was er gehört hatte, betroffen und aufgeregt. Die Garden, von denen man so viel gehofft, waren geschlagen. Die neue Expedition abermals vereitelt und allem Anschein nach kehrte der König mit den Resten dieser unglücklichen Schaaren zurück, ohne an weitere Unternehmungen zu denken. Seine Betroffenheit über diese Vorgänge wurden nebenbei aber auch durch die Anwesenheit Erich's und seiner Geliebten vermehrt. Das Reglement verbot allen Kriegsschiffen Frauen an Bord zu nehmen. Bei diesem außerordentlichen Falle wäre es freilich leicht gewesen, die genügende Entschuldigung durch Aufdeckung der Wahrheit zu finden, allein die Flucht des Gefangenen, dessen Befreiung durch Mary und Constanze Gurschin, die Mitwirkung des bestochenen Commandanten und sein eigener Antheil, indem er das ihm anvertraute Schiff in einer stürmischen Gewitternacht verließ, erforderte strenge Verschwiegenheit. Das Erste, das Lindström that, als er an seinen Bord gelangte, war daher, daß er seine Gäste verbarg und dann wieder auf sein Deck eilte, wo der alte Oberst Lagerbring die Wuth und Verzweiflung seines jungen Begleiters zu beschwichtigen suchte.

Dieser stammte aus einer der ersten Familien des Landes, wie überhaupt die meisten Gardeoffiziere sich solcher Abkunft rühmen konnten. Zähneknirschend erwiederte Kapitän de Geer die Tröstungen des Obersten mit leidenschaftlichen Ausrufungen, und es dauerte lange, ehe er zu größerer Fassung bewogen werden konnte. Aber auch als dies geschehen war, lagen in seinen Äußerungen Aussprache und Drohungen, die der Oberst vergebens nicht hören wollte und geduldig weiter tröstete.

Sehen wir denn nicht unser Unglück vor Augen, sagte der ergrimmte Offizier, und muß nicht endlich Muthlosigkeit und Trostlosigkeit jeden denkenden Mann überkommen. Während wir hier mit sechstausend Mann landen, wird an drei anderen Stellen unsere 762 geringe Macht zersplittert; ebenso werden die Trümmer unserer Flotte zerstreut, der Eine hieher, der Andere dahin geworfen, um unseren Untergang gewiß zu machen. Wer gar nichts vom Kriege versteht, muß doch einsehen, daß nur ein vereinigtes Heer, unterstützt von einer starken Flotte, auf Erfolg gegen einen so mächtigen Feind zu rechnen hat.

Es ist nicht unsere Sache, Kapitän de Geer, endete der Oberst, den Kriegsplan zu tadeln. Wir vollziehen, was uns aufgetragen.

Und lassen uns schlachten! rief der Kapitän. Sind wir nur dazu gut, und müssen wir schweigen und bluten obenein, da wir beurtheilen können, wie eine Verkehrtheit der andern folgt?

Stille, stille! sagte der Oberst. Sie wissen nicht was Sie sprechen.

Den unfähigsten Menschen wird der Oberbefehl gegeben, fuhr de Geer fort. Ihnen, Oberst Lagerbring, wird vor der Schlacht das Commando abgenommen und Boye erhält es, um uns ans Messer zu liefern. Wir werden so ungeschickt wie möglich aufgestellt, ebenso die Batterien. Dennoch sind Palm und Boye unschuldig, die Garden sind Feiglinge, sie sind entflohen, sie werden entehrt. Ich – ich! verflucht will ich sein, wenn ich jemals für diesen König noch meinen Degen ziehe.

Der Oberst hatte sich entfernt, als wollte er nichts hören, dann kehrte er zurück und sagte begütigend: Niemand wird auf die Offiziere der Garde einen Tadel werfen. Der König hat in erster Hitze gesprochen, er wird das einsehen, wird einem Kriegsgericht die Untersuchung übertragen.

O! murmelte der Kapitän, es gibt zu Viele, die es den Garden gönnen, gebrandmarkt zu werden, und wenn es zu einer Untersuchung käme, würde es sich zeigen, wer die Schuldigen sind. Die Menschen, welche den König umgeben, werden es daher zu hindern wissen, und er selbst, der was er sagt und thut für unfehlbare Weisheit hält, wird keinen Gerichtshof dulden, der ohne Zweifel ihm geradezu widerspräche.

Der alte Oberst mochte fühlen, wie viele Wahrheit darin lag. Sollte dies wirklich der Fall sein, sagte er, so muß einen Jeden sein Gewissen trösten und die öffentliche Meinung.

763 Was hilft uns das, wenn wir mit Füßen getreten werden! rief der Kapitän hitzig. Wenn er aber diese Gewaltthat wagt, wenn er uns entehrt, dann – dann –

Schweigen Sie, Kapitain de Geer, schweigen Sie! fiel der alte Oberst warnend ein.

Er hat viel gethan, um sich alle Welt zu Feinden zu machen, murmelte der Offizier. Er hat dem Adel allen Einfluß genommen, fragt nicht nach dessen alten Rechten und Privilegien, fragt nicht nach Reichstag und Landesrechten, stürzt Schweden in Schulden, nimmt Geld, wo er es findet, und schreibt Steuern aus ohne Bewilligung der Stände; stößt uns in einen blutigen Krieg, der uns Finnland kostet, beinahe die Hälfte des ganzen Reichs, das wir durch seinen schrankenlosen Eigensinn verlieren, der Alles thun zu können glaubt, was ihm beliebt. Und ist das Heer etwa davor sicher, achtet er die besten, tüchtigsten Männer? Ist Armfeld nicht längst wieder vom Westheere entfernt und in Ungnade, wird mancher tapfere General, mancher Oberst nicht behandelt wie ein Junge, dem man die Ruthe gibt. Machen und sind seine Günstlinge nicht Alles, und sind diese Günstlinge nicht verflucht und verachtet von aller Welt?!

Der Mond muß bald aufgehen, unterbrach ihn der Oberst, indem er über den Wasserspiegel fortblickte, und wenn ich recht sehe, kommen dort die ersten Schiffe zum Vorschein. Sie werden morgen ruhiger überlegen, mein lieber junger Freund.

Nein, Oberst Lagerbring, antwortete de Geer, ich bin ruhig, ich sage, was alle Vernünftigen sagen, daß diese Kopflosigkeit, diese starrsinnige Willkür uns zu Grunde richtet. Wären von den fünfzehntausend Mann, die seit Jahr und Tag unnütz in Schonen liegen, weil der unnütze alte Toll es so haben will, nur zehntausend heut hier gewesen, so hätten wir die Russen geschlagen, marschirten morgen auf Abo und zersprengten die russische Regierung. Aber wir sind dem Verderben überliefert. Karl des Elften Gesicht geht an uns in Erfüllung und an diesem König. Alles ist erniedrigt, seufzt und knirscht über Unrecht und Gewalt, wenn er es aber wagt, diese auch an uns auszuüben, an der Leibwache, dann – dann ist er verloren! fügte er mit dumpfer Stimme hinzu.

764 Der Oberst wandte sich betroffen zu ihm um und sagte im erhöhten Tone: Was meinen Sie damit, Kapitän de Geer? Das sind Äußerungen gefährlicher Art, die ich nicht überhören darf. Erklären Sie sich darüber!

Der Gardeoffizier besann sich. Meine Worte sollen nichts weiter sagen, Herr Oberst, erwiederte er, als daß es gewiß sehr selten und, wie ich behaupten darf, nicht wohlgethan ist, wenn ein Monarch seine Leibwachen so entehrt, wie dies uns jetzt geschehen soll.

Warten Sie es ab, antwortete der Oberst, was aber auch folgen möge, so ist der König unbeschränkter Herr, und Ihre Äußerungen, mindestens gesagt, unpassend. Friedrich der Große hat auch Regimenter aufgelöst, die seiner Meinung nach ihre Schuldigkeit nicht thaten, auch Napoleon hat Ähnliches befohlen.

Solchen Helden und großen Männern ist allerdings Vieles erlaubt, was Andere nicht thun dürfen, deren Größe weniger bekannt ist, rief der junge Mann hohnvoll lachend.

Der Oberst schwieg einige Augenblicke, dann trat er zu dem Kapitän und sagte halblaut: Ich will Ihnen einen guten Rath geben, de Geer. Sobald wir am Lande sind, schicken Sie Ihren Abschied ein und gehen Sie nach Haus. Sie sind noch jung und wollen leben.

Ich hoffe, daß alle meine Kameraden ihren Abschied nehmen, versetzte de Geer. Wer von uns könnte und wollte länger dienen!

Da kommen die Schiffe, sagte der Oberst, lassen Sie uns eilen und dem Lieutenant Lindström für seine Gastfreundschaft danken.

Nach einiger Zeit saßen sie in der Jolle, welche sie nach einer voranfahrenden großen Barke brachte, die mit Soldaten dicht gefüllt war. Andere Schiffe folgten im Schutze einiger Kanonenboote und Hemmanas, doch war es kein fröhlicher Zug. Kein Gesang, kein Jubel tönte über die Wellen, schweigend zogen sie vorüber, düsteren Gespenstern gleich, welche durch die Nacht schleichen und darin versinken.

Was können wir ändern, wenn die nichts ändern könnten, die hoch oben stehen! rief der Lieutenant als er allein war. Bei Gott! ich glaube der geschniegelte Gardist hat Recht. Die Leibgarde beleidigen, ist ein weit schlimmeres Verbrechen, als ein ganzes Volk beleidigen, und lieber Finnland verlieren, als diese übermüthigen Hähnchen 765 durchpeitschen, die, wenn es irgend angeht, ihm die Augen dafür aushacken werden. Aber ein Spaß ist es doch und Spott genug wird es setzen, wenn ihnen die Tressen abgeschnitten werden, die silbernen Knöpfe und die weißen Federbüsche, die ihren ganzen Stolz herbergten und alle Mädchenherzen in Bewegung brachten.

Laut lachend sprang er die Treppe hinunter, holte seine Freunde aus ihrem Versteck, erzählte ihnen alle seine Neuigkeiten und verwickelte sich in Streit mit Erich, der den König tadelte, während Lindström ihn zu vertheidigen suchte, dabei aber kaum weniger, wenn auch gutherziger über ihn spottete, als der erzürnte Gardist.

Der Abend kam inzwischen und Dunkelheit deckte das Meer; dann zog der Mond herauf und brachte eine jener Nächte mit, wie diese nur im Norden vorkommen. Wunderbar strahlend hing die mächtige Kugel am Himmel und ließ ihr glänzend weißes Licht in zauberischer Klarheit über dies Gewimmel von Land und Wasser streifen. Lange funkelnde Wellen durchfurchten die Spiegelfläche, unter den dunkeln Wäldern leuchtete silberhelles Gelände, über die düsteren Vorgebirge und Felsen stiegen weithin schimmernde Spitzen auf. Der Wind blähte die Segel der Schaluppe und trieb diese rasch vorwärts, aber man fühlte ihn nicht. Warm und weich war sein Wehen und oben am Himmel war Alles still, unermeßlich blau und tief. Die Wogen leise rauschend, das Land träumend ausgestreckt, das Schiff von Geisterhänden fortgeführt durch klare Meeresbecken, durch stille Meeresarme; kein Nebelstreif, kein Menschenlaut weit umher, endlich nur ein fernes Licht, das wie ein rother Stern aus der Bucht einer kleinen Insel leuchtete. Und in dieser Bucht landete das Boot, das die Schaluppe aussetzte, als sie vor diesem Hafen war. Lindström führte Erich und Mary über Steingerölle hinauf zu einem ärmlichen Hause in einem Gärtchen.

Wo sind wir hier? fragte Erich.

Im Paradiese, antwortete der Seemann, und dort – seht hin, da sitzt der gottgesandte Cherubin schon, der euch empfangen soll!

Sie blickten durch das kleine Fenster und sahen einen Greis mit langem schneeweißen Haar. Er las in einem großen Buche und das arme Binsenlicht beleuchtete sein ehrwürdiges Gesicht, voll Frieden und Güte.

766 Macht auf, Axel Jönsson, macht auf! rief Lindström so mild er es vermochte, und der Greis richtete seinen Kopf empor, sah Fremde außen stehen und lächelte freundlich. Er nahm sein Licht, öffnete seine Thür und ließ sie ein.

Heil und Segen, ehrwürdiger Herr! begann der junge Offizier zunächst. Sie sehen vortrefflich aus, Herr Jönsson, alter Freund. Erinnern Sie sich jenes hübschen Abends nicht mehr, ein Jahr ist jetzt vorüber gegangen, wo ich mit andern guten Leuten zu Ihnen verschlagen wurde?

O! mein lieber Herr, Sie sind es – und diese Dame! fiel Jönsson freudig ein, indem er seine Hand ausstreckte.

Nein, Herr! sie ist es leider nicht, sagte Lindström ihn unterbrechend. Obwohl ich wollte, Sie hätten Recht, und meine Muhme Ebba wäre bei uns.

Wen führen Sie zu mir? fragte Jönsson, indem er sein Licht aufhob.

Den heiligen Erich, lachte Lindström, oder – wie er auch sonst geheißen hat, ehe ihn die Russen todtschossen und sein Hab und Gut einsteckten – den Freiherr Erich Randal. Haben Sie nichts von ihm gehört?

Ehrwürdiger Herr, sagte Erich mit seiner ruhigen, gewinnenden Freudigkeit im Blick und Ton, dürfen zwei Verfolgte hoffen, an Ihrem Herde Schutz zu finden?

Baron von Halljala! Erich Randal! rief der alte Pfarrer. Vieles und Gutes habe ich von ihm gehört. Zwei Verfolgte! O, wie gut ist Gott! Er führt Sie zu mir. Treten Sie ein, meine lieben Freunde. Willkommen! willkommen! in meinem armen Hause! 767


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