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Der Mäuseturm

Ich will ein Lied euch singen
Vom Mäuseturm', im Rhein,
Von einem Pfaff' zu Bingen,
Des Herz so hart wie Stein.
Nicht Macht und Würde seien,
Wo Geiz und sünd'ger Spott,
Und wo die Steine schreien,
Da wird zum Rächer Gott.

Zu Mainz im Schloß war's prächtig,
Wie männiglich bekannt,
Erzbischof Hatto, mächtig,
Regierte Stadt und Land;
Er suchte Seinesgleichen
An Klugheit und an Geist
Und hatt' von allen Reichen
Des Reichtums wohl zumeist.

Doch fremd war ihm die Liebe;
Dem so das Leben hold,
Der höchste seiner Triebe,
Das war der Trieb nach Gold.
Gold und nach Golde dürften,
War seines Heizens Reiz,
Und so dem Kirchenfürsten
Ein zweiter Gott der Geiz.

Als nun im Feld' mißraten
Einmal ein andres Gold,
Da kamen sie und baten,
Daß Hatto helfen sollt',
Zu spenden seiner Kammer
Gehäuften Schatz der Not.
Zu steuern allem Jammer
Des armen Volks mit Brot.

Umsonst war ihre Bitte,
Umsonst ihr Hoffnungstraum,
In seines Herzens Mitte
Hatt' nicht das Mitleid Raum.
Er trieb mit harten Worten
Die Bürger aus dem Schloß
Und stellte vor die Pforten
Zum Schutz' der Diener Troß.

Und schlimmer, immer schlimmer
Das Elend vor der Tür!
Und grimmer, immer grimmer
Des Hungers milde Gier!
Und ob auch viele starben, –
Ihm waren's nicht genug, –
Die Faulen, laßt sie darben! –
War Hattos sünd'ger Spruch.

Da drängte zu dem Hohen
Aufs neu des Volkes Flut.
Doch nun mit mildem Drohen
Und der Verzweiflung Mut:
Hinweg mit deinen Knechten,
Uns treibt die grause Not, –
Und willst du mit uns rechten, –
Die Not hat kein Gebot!

Und bleich vor Angst und Beben
Ob solcher Rede Ton,
Und zitternd für sein Leben
Betrat er den Balkon:
Ich füg' mich eurem Willen,
Gewährt sei, was begehrt!
Den Hunger euch zu stillen,
In Fülle Korn gewährt.

Da Dank und Jubel schallen,
Als ihm das Wort entfloh'n,
Und offen steh'n die Hallen
Der Magazine schon.
Die Menge, schnell verlaufen,
Wo schwellend sie gedroht,
Schon schöpft sie aus dem Haufen
Nach Herzenslust sich Brot.

Ha, ha! da hätt' ich alle!
Die schön sich das gemacht!
Die Mäuse in der Falle!
Ruft Hatto laut und lacht.
Geschwind, eh' sie sich rühren
Und mit dem Raube nah'n,
Die Riegel vor die Türen
Und her den roten Hahn!

Entsetzliches Beginnen!
Verruchte Hand, zurück!
Noch schwelgen die da drinnen
Im unverhofften Glück',
Als schon mit rotem Kamme
Der Hahn darüber kräht
Und sich im Schwall' der Flamme
Zum Ungeheuer bläht.

Und breiter, immer breiter
Dehnt es sich prasselnd aus,
Und weiter, immer weiter
Umzüngelt es das Haus,
Da knistern schon die Decken,
Da sprüht es von der Höh'
Und flockt, o Graun und Schrecken! –
Ein glüh'nder Feuerschnee.

Erbarmen, Herr, Erbarmen!
Wer faßt die Höllenqual!
Wie jammerten die Armen,
Und flehten allzumal!
Welch Krachen und welch Dröhnen!
Welch glühend Feuermeer!
Welch Wimmern und welch Stöhnen
Da drinnen ringsumher!

Wie sollt' es den ergreifen,
In dessen Brust ein Stein?!
Hört, wie die Mause pfeifen!
Schrie lachend er darein. –
Hoch zuckten auf die Flammen,
Als wär's ob solchem Spott';
Dann fiel der Bau zusammen,
Und macht' ein Ende Gott.

Zu Mainz im Schloß beim Mahle
Saß Hatto wohlgemut,
Vor sich im Goldpokale
Der Traube süße Glut,
Und ledig aller Plage,
Wie freut' sein Herz sich traun!
Ein Tag schon nach dem Tage
Voll Frevel und voll Grau'n.

Da, horch'! war's nicht wie Pfeifen,
Als käm's von einer Maus?
Es tat ihn doch ergreifen,
Er zog die Stirne kraus.
Er schaute auf und nieder
Ringsum im großen Saal',
Da pfiff's, – da pfiff es wieder, –
Und pfiff wohl hundert Mal.

Da klettert's an den Wänden,
Da rasselt's unterm Pfühl'!
Da kommt's von allen Enden,
Ein wirr und wild Gewühl!
Da springt es schon so munter
Im Teller auf dem Tisch'
Und nagt hinauf, hinunter
Am Braten und am Fisch'.

Und frecher, immer frecher,
Wohin der Blick gewandt,
Da schwimmt's ihm schon im Becher,
Da klimmt's ihm auf die Hand!
Da will's ihn schon verletzen,
Na fühlt er schon den Schmerz!
Da rieselt's wie Entsetzen
Ihm durch sein steinern Herz.

Er schreit, er ruft die Leute
Und stürzet aus dem Saal';
Es folgen ihrer Beute
Wie Mäuse allzumal,
Und Treppen auf und nieder
Durchs Schloß, Saal aus, Saal ein.
Und wieder, immer wieder
Die Mäuse hinterdrein.

Wie sehr der Diener Hände
Auch morden hin und her,
Sie führen's nicht zu Ende,
Sie können's nimmermehr.
Kein Beten hilft, kein Fluchen,
So muß Herr Hatto fort,
Sich ein Asyl zu suchen,
Gott weiß, an welchem Ort'.

Im Rhein, im grünen Rheine
Da steht ein hoher Turm
Aus hartem Felsgesteine,
Trotzbietend Zeit und Sturm.
Das ist der Turm zu Bingen,
So steht er heute noch,
Dahin ließ er sich bringen,
Vom Schloß ins Bingerloch.

Wird ihn das Wasser schützen?
Wird schirmen ihn der Stein?
Es sollt' ihm wenig nützen, –
Die Mäuse hinterdrein!
Sie pfeifen, und sie schwimmen,
Sie nahen wie zum Sturm',
Sie kommen und erklimmen
Auch dort den hohen Turm.

Sie wimmeln, und sie streifen
Im öden Turm' umher;
Hört, wie die Mäuse pfeifen!
Und mehr und immer mehr!
Da sind sie schon und Hausen
Bei Hatto im Gemach'!
Wohin? wohin? o, Grausen! –
Er flieht, – sie hintennach.

Noch einmal und nicht wieder.
Er hält's nicht länger aus!
Ermattet sinkt er nieder,
Halbtot vor Angst und Graus.
Und in des Turmes Grunde,
Welch Wimmein, welche Qual!
Da pflegten sich zur Stunde
Viel' Tausende beim Mahl'.

Nicht Macht und Würde feien,
Wo Geiz und sünd'ger Spott,
Und wo die Steine schreien,
Da wird zum Rächer Gott.
Erbarmen für die Armen
In Lieb' mit Rat und Tat!
Wer findet kein Erbarmen,
Wer kein Erbarmen hat!


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