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XIII.
Was thut ein Mädchen nicht, wenn langweilige Nächte sie bedräuen!

Ob die Langmuth meiner Leser bis hieher ausgehalten hat, weiß ich freilich nicht. Doch daß ich, wenn sie noch dauret, eine Geschichte von etwas frölicher Art ihnen schuldig bin, das erkenne ich gern. Auch die vorstehende war zwar nicht tragisch; aber ich zweifle, daß viel Ehmänner sie erfreulich finden werden. Bei der nachstehenden dürften höchstens dieienigen grämeln, die beim zwiefachen Stufeniahr noch Anspruch auf phisische Gegenliebe machen; und Thoren dieser Art verdienen wohl kaum einige Schonung.

Ein Ehrenmann – ich will ihn Konrad nennen, um der Sir's und der Herrlichkeiten überhoben zu seyn – war sechszig Jahr alt geworden, ohne einen Trieb zum heirathen zu empfinden. Liebe war ihm freilich nichts seltnes geblieben. Er hatte in seiner Jugend dem Vergnügen manches aufgeopfert; und grade die Nachgiebigkeit, die er beim schönen Geschlecht fand, mochte der Grund seiner Ehlosigkeit gewesen seyn. Doch nirgends sind die menschlichen Entschlüsse wandelbarer, als über diesen Punkt. So mancher Hagestolz ward noch ein girrender Schäfer, und auch Konrad war bestimt, diese ehrwürdige Anzahl, der die Kappen und die Schellen niemals mangelte solten, um ein Haupt zu verstärken.

Er hatte einen Freund, Murcio mag er heißen, der nicht viel iünger, als er, seine Zeit doch besser angelegt hatte; der Ehmann gewesen, Witwer geworden, und noch Vater von zwei artigen Töchtern war. Die älteste heirathete einen Schotländischen reichen Edelmann; bei ihrem Hochzeitschmaus war auch Konrad eingeladen. Er kam, aber er hätte besser gethan, wenn er daheim geblieben wäre. – Molli, die Schwester der Braut, war ein feines, feuriges, neunzehniähriges Mädchen, und – mochte es nun seyn, daß sie würklich bei dieser Feierlichkeit noch liebenswürdiger als gewöhnlich war; oder daß des alten Knabens von Wein und Lust erweitertes Herze heute leichter als gewöhnlich Feuer faßte – kurz Konrad, der sie schon oft gesehen, sah sie diesmal mit andern Augen, als gewöhnlich, an; ward verliebt, verliebt im höchsten Grade, und faßte endlich den verzweiflungsvollen Entschluß, bei ihrem Vater um sie anzuhalten.

Murcio hatte ein niedliches Landhaus und ein schön angelegtes Gut, ohngefähr zehn oder zwölf Meilen von London, wo er gewöhnlich alle Sonnabende hinzugehen, und da bis zum Montag, auch wohl länger noch zu bleiben pflegte. In diese Einsamkeit beschloß Konrad ihm nachzufolgen, und ihm, unter vier Augen – vielleicht gar an einer rauschenden Quelle, oder auf einer theokritischen Wiese – das Anliegen seines Herzens zu eröfnen. Durch ein Ohngefähr fügte es sich auch, daß diesmal Molli ihren Vater nicht aufs Land begleitete, weil ein heftiger Zahnweh sie in der Stadt zurückhielt; und ihr alter Liebhaber hielt dies für eine günstige Vorbedeutung, weil er gern erst den Vater gewinnen wolte, bevor er der Tochter seine Flamme entdecke. Er begann seine Unterhandlung mit der Vorklage: daß es ihm reue, ein so beiahrter Junggeselle geworden zu seyn; er rühmte sein reichliches Einkommen, welches der Seegen des Himmels noch aliährlich recht zusehends vergrößre; er gestand, daß er dasselbe gern auf einen leiblichen Erben gebracht sehn möge; er versicherte: daß wenn er eine iunge Lädi wisse, die ihn heirathen wolle, er ihr den Mangel der Jugend, durch alle Nachsicht des zärtlichsten Ehmanns ersezzen werde; und nachdem er sich so ebnen Weg gebahnt hatte, erklärte er seinem alten Schulfreunde: daß, wenn er seine Molli ihm zu geben für gut fände, er keine Mitgabe verlange, wohl aber ihr ein so reichliches Witwengehalt auszusezzen gedenke, als wenn sie zehn- ia zwanzigtausend Pfund ihm zugebracht hätte.

Es ist kaum glaublich, mit welcher Wilfährigkeit Murcio diesen Vorschlag annahm; ohne nur einen Augenblick sich zu bedenken, ohne auch nur zum Scheine sich so anzustellen, versicherte er: daß er diese Verschwägerung mit grösten Vergnügen eingehe, und überzeugt sei, auch Molli werde ihr Glück und ihren Nuzzen nicht verkennen. Beide Alten umarmten sich freudig, und Konrad sah schon im Geiste den Trauring an seinem Finger. Dennoch konte Murcio, so wie er sich wieder allein befand, nicht umhin zu befürchten, daß dieser Liebhaber seiner Tochter doch nicht ganz zum Bräutigam und noch minder zum Mann behagen würde; und weil er sorgte: Konrad, einmal mündlich abgewiesen, möchte das Wiederkommen vergessen, so hielt er fürs zuträglichste, dem armen Mädchen gleich im entschiedendsten Tone ihr Schicksal anzukündigen; und schickte eilends einen eignen Boten, mit folgendem erfreulichen Brieflein an sie.

Liebste Tochter.

Mein würdiger bester Freund, Konrad, hat eine zärtliche Neigung zu dir gefaßt; und begehrt dich unter so vortheilhaften Bedingungen zur Ehe, daß du wenig Liebe für deinen Vater hegen müstest, wenn du ihn ausschlügest. Sei daher gegen des Himmels seegenvolle Hand ebenso dankbar, als ich es gewesen bin. Laß dich ia keine kindische eitle Träume und Ansprüche verleiten, ein solches Glück auszuschlagen, oder vielmehr nur zu thun, als ob du es ausschlagen woltest. Es ist wahr, der Unterschied der Jahre ist dem Anscheine nach ein kleiner Einwurf; doch nicht gerechnet, daß mein Freund wohl noch eben so viel Kräfte als mancher luftige Stuzer hat, so sind auch die Vortheile, die er dir anbietet, so beträchtlich, daß sie das Bischen leidige Aussehn weit überwiegen. Ich sage das blos, weil ich dich lieber überzeugen, als etwa zwingen möchte; denn leid solte es mir thun, wenn ich mein väterliches Ansehn geltend machen müste. Aber ich hoffe von deinem Verstande, du wirst mir freiwillig einen solchen Schritt ersparen. Ueberdies wisse, daß wir alle Punkte wegen deiner Heirath schon in Richtigkeit gebracht haben. Dein künftiger Gemahl ist iezt bei mir draussen. Morgen, oder übermorgen aufs späteste, kommen wir beide in die Stadt. Ich schreibe dir daher heute, um dich zu einem anständigen Empfange deines Bräutigams vorzubereiten; und verlange dies ausdrücklich als

dein dich liebender Vater
Murcio.             

Unterrichtet von Konrads gütiger Absicht, lauschte ich eben bei Miß Molli, als dieses Sendschreiben eintraf, und stand hinter ihrem Stuhl, indem sie es las. Nie habe ich ein armes iunges Geschöpf in einer solchen Bestürzung erblickt. Kaum hatte sie die ersten Perioden überlesen, so sank das Blatt auf einige Minuten für Entsezzen aus ihren Händen. Ich seine Frau! rief sie endlich: »Ich seine Frau? Gerechter Himmel, welche Bedingungen kann der alte Geck mir anbieten, die ein solches Elend wieder gut machten!« – Sie las ein wenig weiter.

»Ja wohl, seufzte sie, hat mein Vater Ursach wegen meines Gehorsams mistrauisch zu seyn. Der Tod selbst wäre mir willkommner, wäre mir nicht so unleidlich, als eine solche Bestimmung – – Sie fuhr fort mit Lesen und ihr Schrecken stieg; ie näher sie ans Ende kam. Wie? schrie sie ängstlich: Alles schon richtig? der Stab über mich schon gebrochen? So seid ihr dann verlohren, alle Freuden dieses Lebens! So verdamt man mich unbefragt zum unübersehlichsten Elend? Ist dies Liebe eines Vaters? O nein! nein! Das ist grausam, das ist unnatürlich. –« Ein Strom von Thränen unterbrach hier ihre Ausrufungen, und linderte wenigstens etwas ihren Schmerz, wenn er ihn gleich nicht heben konte. Eine iunge Witwe, der ihr würklich geliebter Mann – was freilich ein seltner Fall ist! – durch den Tod entrissen worden, kann nicht so kläglich die Hände ringen, als Molli über den Mann, den sie erst bekommen solte.

Indem sie iammervoll auf und ab ging; bald auf ihren Sopha sich hinwarf, bald ihr Schnupftuch gleichsam mit Zähren wusch, bald so nachdenkend, wie ein gemaltes Trauerbild da saß, trat die muntre Fanni Welfort hinein. Diese iunge Dame war Mollis innigste vertrauteste Freundin; aufgewachsen mit einander, sahen sie sich altäglich; und sie trat daher auch iezt unangesagt ins Zimmer. Beim ersten Blick auf ihre Freundin schien sie ein wenig zu stuzzen; doch sie erhohlte sich sofort, und rief mit ihrer gewöhnlichen Munterkeit:

»Alle gute Geister! was ist hier vorgefallen? Molli, was ist das für eine Bustagsmiene? Hat dein Schooshündchen ein Bein gebrochen? hat dein rosefarbnes Gallakleid einen Fleck bekommen? Oder was für ein andrer Unfall hat dich betroffen?«

Molli. O Fanni, was wolt' ich dafür schuldig seyn, wenn ich in deiner Lage mich befände!

Fanni. In meiner Lage? – Nun, und was findst du denn in dieser so beneidenswerth?

Molli. Daß du keinen Vater hast, der sein Ansehn über dich misbrauchen, der dich unglücklich machen kann.

Fanni. Ja, da hast du Recht; diese alten Grauköpfe quälen uns manchmal weidlich. Aber doch wäre ich es zufrieden, wenn der meinige noch lebte. Und der deinige? Sprich: was hat er denn angestelt, daß du so plözlich die ewige Ruhe ihm wünschest?

Molli. Lies und du wirst sagen, daß ich Grund dazu habe.

Mit diesen Worten warf sie ienen Hirtenbrief ihr zu. Fanni las; der Inhalt fiel ihr auf: ihre Mienen wurden allerdings ein wenig ernsthaft; doch am Ende war auch ihre vorige Laune wieder da.

»So wahr ich lebe, schrie sie, die zwei alten Herrn haben Niesewurz vonnöthen; der eine, daß er dich zur Frau begehrt: der andre, daß er solch' einem Ehemann dich geben will.«

Molli. (seufzend) Ja wohl, solte man glauben, daß es mit ihrem Verstande nicht richtig aussehn könne.

Fanni. Sieh, ich will zum Stubenmädchen oder selbst zur Küchennimpfe herabsinken, wenn ich recht eigentlich weiß, ob ich träum' oder wache. Aber was wilst du thun?

Molli. Nichts.

Fanni. Aus nichts wird nichts; sagt König Lear, oder sein bekanter Begleiter. – Doch deine Einfalt sezt mich fast eben so in Erstaunen, wie iene Thorheit. Sage, was können bei einer so ungleichen Heirath dein Liebhaber und dein Vater für Absichten haben, als iener ein Paar Hörner und dieser – das Unglück seines Kindes?

Molli. Nein, Fanni! Zu der Ehe darf es nie kommen! – Eh für Tagelohn arbeiten! eh sterben!

Fanni. Sachte, Herzchen, sachte! Weder Handarbeit, noch Betteln. Beides möchte sich doch für dich, und deine zarten Händchen nicht schicken! Da muß was bessers ausgedacht werden.

Molli. Und was?

Fanni. Meinst du denn nicht, daß dein Vater, wenn er sähe, daß es dir ein Ernst mit deinem Abscheu vor dieser Heirath wäre; daß er dich unglücklich damit machen würde; – meinst du nicht, daß er dann das Versprechen an Konrad zurücknähme?

Molli. Nimmermehr! Nimmermehr! Ich kenne seinen Karakter alzugut, als mit dieser Hofnung mir schmeicheln zu dürfen. Eh würdest du die St. Pauls Kirche mit deinem Othem weghauchen können, als ihn von einem Vorhaben abbringen, das er einmal sich in Kopf gesezt hat.

Fanni. Ja, wenn das ist, so muß man die Mine von einer andern Seite her springen lassen. Will der Himmel nicht, sagt ein Dichter, so muß die Hölle wollen. Ich sage: ist Murcio ein Stein, so muß man sehn, ob Konrad nicht weicher sei. – Still! Still! da kömt mir ein Plan in die Gedanken, der gewiß hilft, sobald du nur etwas zu wagen Herz hast.

Molli. Prüfe mich, ob ich's habe!

Fanni. Du must einen iungen galanten Herrn einige Nächte hindurch in dein Zimmer lassen. Konrad muß von deiner Liebe Kundschaft bekommen; sie so bekommen, daß ihm kein Zweifel übrig bleibt; und der Satan müst' ihn doch leibhaftig besizzen, wenn er dann noch deine eheliche Hälfte werden wolte.

Molli. Pfui, Fanni! Kanst du so grausam noch mit meinem Unglück scherzen.

Fanni. Ich bin ernster, als ein Richter über Tod und Leben; auch fodre ich im völligsten Ernste, daß du einen Versuch damit anstelst.

Molli. Wie, du begehrst, daß ich meine Ehre Preis geben soll, um dieser Heirath auszuweichen?

Fanni. Wie du das nun tragisch nimst! – Glaube mir, dieser Liebhaber soll an deiner Seite so still und unschuldig liegen, wie ein siebeniähriges Kind.

Molli. Wilst du mich todt quälen mit Possen dieser Art.

Fanni. Sieh, Molli, der Liebhaber, von dem ich spreche, der dein Bettgenoß seyn, und Konrads Stirn in Sorgen sezzen soll, ist – ist niemand anders, als meine Wenigkeit selbst. In meines Bruders Kleider will ich kriechen; und wenn ich gepuzt und geschniegelt seyn werde, dann hoff' ich noch gut genug auszusehn, um einen alten Mann eifersüchtig zu machen.

Molli. Warlich ein Einfall von der kühnsten Art! Nur wozu er führen soll, das begreif' ich noch nicht.

Fanni. Gerechter Gott, – liebe Schwester, entweder bist du ein wahres Schäfchen, oder du verstelst dich nur so! doch warte, du solst sehn, was ich an Konrad schreiben will, und dann hof' ich, soll es heller lichter Tag in deinem Verstande werden.

Unverzüglich lief das schlaue Mädchen an Mollis Schreibetisch, und warf folgende Zeilen aufs Papier:

An Herrn Hugh. Konrad, Esq.

Sir, als ich von Ihrer vorhabenden Heirath mit Miß Molli hörte, stand ich lange bei mir an, ob es unredlicher sei, ein anvertrautes Geheimnis auszuschwazzen, oder durch Verschweigung einen Ehrenmann von Ihrem Karakter in den schlimsten aller Händel zu verwickeln. Endlich überzeugte ich mich doch, daß es die Pflicht iedes rechtschaffnen Mannes sei, einen andern zu warnen, wenn er in eine Grube zu fallen im Begriff steht; und desfals melde ich Ihnen: die Lädi, der Sie Ihre Hand bestimmen, hat weder ihr Herz noch ihre Ehre zu verschenken übrig. Beides hat sie schon an eine Person überlassen, die ihr angemessner für ihre Jahre dünkte. Nicht zufrieden, mit ihm oft heimlich an einem dritten Orte zusammen zu kommen, beruft sie ihn in ihr eignes Quartier, so oft ihr Vater einen Ausflug über Land macht. Ein vertrautes Kammermädchen läßt den glücklichen Liebhaber dann gegen Mitternacht herein, und gegen Morgen hinaus, ohne daß die andern Bedienten ihn spüren. Da Murcio iezt verreist, so wird es nur auf Sie ankommen, sich entweder mit eignen Augen davon zu überzeugen, oder durch irgend einen vertrauten Menschen, den Nachtbesuch beim Ein- und Ausgang aufpassen zu lassen. – Thun Sie zwar, was Ihnen beliebt; denn keine Nebenabsicht, nur das Gewissen ist es, was zu dieser Warnung bewegt

Ihren

unbekanten Freund.

Fanni reichte, sobald sie fertig war, ihrer Freundin diesen Brief zur Durchsicht hin; doch diese warf ihn ihr wieder mit den Worten zu:

»Nicht doch, liebe Schwester! diese Schrift ist gar zu böse. Wenn Konrad sie meinem Vater weist, so fürchte ich, bringt er mich um.«

Fanni. Sehr glaublich, daß er ihn nicht weist. Aber gesezt, er thuts, so bereite dich immer auf ein wenig Fluchen und Schmälen. Das schlimste, was du besorgen kanst, ist, daß er dich aus dem Hause stößt; und dann – um deine eigne Worte nachzusprechen – ist es zum Betteln und zur Handarbeit immer noch Zeit.

Molli . Aber mein guter Name, liebe Fanni.

Fanni. Possen mit deinem guten Namen! – Wagen must du freilich etwas, wenn du nicht ein Schicksal haben wilst, welches du vor einigen Augenblicken noch ärger als den Tod selbst schaltest. – In den Armen eines solchen alten Gerippes zu erwarmen! Hu! das kühlt stärker ab, als ein Eistrunk im Dezembermonat! – Ueberdies, wenn es nur einmal vorüber, und dies verdamte Verträgnis zerrissen ist, kann ia der Spas entdeckt, dein guter Name gesichert, und dein Vater wieder ausgesöhnt werden.

Molli. Ja, gutes Mädchen, wer darauf sich verlassen könte!

Fanni. Auf gut Glück! Ich sezze mein Leben zum Pfande, wenn du meiner Leitung dich überläßest, so wird alles treflich von statten gehen.

Molli. So sei's denn! Aber was soll ich eigentlich thun?

Fanni. Fürs erste, deinem Vater, wenn er nach Hause kömt, versichern, daß du ganz zu seinem Dienste, und äußerst verliebt in – Konrads Vermögen wärst. Fürs zweite, diesen alten Gecken selbst überreden, daß es dir ein Vergnügen seyn werde, seine Abisag von Sunim abzugebenI. König. I..

Molli. Ein schweres Stück Arbeit, denn auf Verstellung versteh ich mich äußerst schlecht. Indeß will ich thun, was ich kann. – Aber noch einen Punkt, Fanni, woran du nicht dachtest; wenn nun Konrad in eigner hoher Person dir auflauerte, und voll Eifersucht über dich herfiele?

Fanni. Ein alter Wolf hat keinen Zahn. Was thut es auch? Hab' ich nicht einen Degen bei mir?

Molli. Auch einen Arm, der ihn zu führen weiß?

Fanni. Vielleicht doch! Wenigstens Füße, die sich aufs Laufen verstehn. Laß immer den Alten lauschen, so lang er will. Für mich sei unbesorgt.

Es wurden noch mancherlei Kleinigkeiten, die zu dieser Absicht nöthig waren, verabredet; Molli rufte dann ihr Kammermädchen, machte sie zur Vertrauten, und fand sie zur Theilnahme herzlich gern bereit. Sie gingen erst spät in der Nacht aus einander; und Fannis Vertröstung hatte ziemlich glücklich die Schwermuth ihrer Freundin zerstreut.

Aeußerst neugierig auf den Erfolg dieses sonderbaren Plans, besuchte ich nun altäglich Murcios Haus, und fand – hätte ich sie nicht längst schon gewußt – eine neue Bestätigung der Wahrheit: daß iedes Frauenzimmer eine geborene Schauspielerin ist. Denn eben diese Miß Molli, die darüber geklagt hatte, daß alle Verstellung ihr so lästig falle; und wie würklich auch noch zum ungezwungnen Theil ihres Geschlechts gehörte, wuste doch ihre Rolle so fehlerfrei zu spielen, daß ihr Vater und ihr Liebhaber von ihrer gründlichen Denkungsart bezaubert waren, und daß man bereits die nothwendigsten Anstalten zu ihrer Heirath traf.

Den nächsten Sonnabend trat Murcio seine gewöhnliche Wallfahrt aufs Land an. Da Molli wieder eine kleine Unpäßlichkeit vorwandte, um zurück bleiben zu können; da sie mit einem gewissen bedeutenden Lächeln Konraden dankte, als er versicherte, daß er nun auch in London bleibe; so zweifelte ich keinen Augenblick, daß sie um diese Zeit ihre Mine werden springen lassen. Ich schwebte daher diesen ganzen Tag wie ein Schatten um Konrad, und war würklich bei ihm, als iener Urias-Brief ankam. – Die Runzeln seines patriarchalischen Gesichts kamen in eine gewaltige Bewegung, indem er ihn las. Anfangs zogen sich seine Augenlieder ins weite, und das Erstaunen trieb seine welken Lippen auseinander. – Dann multiplizirten sich die Falten auf seiner Stirn, und fast wäre die Brille von der Nase hinabgefallen; dann schien auf ein Weilchen ein verächtliches Lächeln seinen Mund zu verziehen: doch die Stellung, worinnen er am längsten blieb, war: daß er nachdenkend den Kopf hängen ließ, zehnmal seine Müzze aufs linke, und wieder aufs rechte Ohr schob, und endlich ausrief: »Hunderterlei Gründe lassen sich hier dafür und darwider anführen; aber sei es nun Wahrheit, oder ein boshaftes Mährchen, beides soll nicht lange mir unentdeckt bleiben. Der Schreiber dieses Briefs hat mir ia selbst die Mittel zur Ueberzeugung angeboten, und ich will seinen Rath befolgen.«

Ich ging; denn mehr brauchte ich von seinem Selbstgespräch nicht zu wissen; doch meiner Sache sicher zu seyn, erschien ich, mit Anbruch des andern Tages bei Murcios Hause; indem ich um mich sah, erblickte ich in einem Winkel der Straße, eine Figur sorgfältig in Mantel verhült; daß dies Konrad sei, war kein Zweifel. Er muste ohngefähr eines Viertelstunde warten, eh die Hausthür leise sich öfnete, und ein wohlgekleideter iunger Herr, nach manchen Umherschauen, herausschlüpfte. So schnell, als Podagra und Alter es ihm erlaubten, eilte Konrad herbei, um diesen Glücksstörer ins Angesicht in sehen. Doch viel zu hurtig war der glückliche Adonis; nur zog er, bevor er noch um die nächste Ecke herumflog, sein Schnupftuch hervor, und riß, als wie von ohngefähr, ein Stückchen beschriebnes Papier heraus. Gierig fiel Konrad über diese Beute; und siehe, es war ein Billet. Die Unterschrift war freilich weggerissen; doch der zärtlich gekrizzelte Inhalt war dieser:

Theuerster deines Geschlechts.

Mein Vater ist aufs Land gegangen; ich habe eine Krankheit erdichtet um hier zu bleiben. – Kom zur bewusten Stunde. Mein Mädchen wird an der Hausthür warten. Dann fliege in die Arme deiner Geliebten und tröste sie – ach! Du weist schon, weswegen!

Deine etc.

Daß dies ein neu erfundner Zusaz von der Fannis Kriegslist sei; daran konte ich keinen Augenblick zweifeln; und daß er Würkung thun werde, hofte ich aus der verzweiflungsvollen Miene des Alten.


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