Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.
Prüfungen der Gedult. Endliche Befriedigung.

Aber unterm Monde ist kein Glück vollkommen, und ie größer, ie wandelbarer ist es auch! Das erfuhr ich bald; erfuhr zugleich, daß meine Begier nach zwei Gütern mich um den Genuß von iedem einzeln bringen könnte. Als der sterbende Greis um meinen Wunsch nach beider Besiz zu befriedigen, Tafel und Gürtel untrennbar in ihrer Würkung machte, da fiel es mir nicht ein, wie gefährlich diese Bedingung mir werden könne; erst dann erkannte ich es, als nach zwei oder dreien unsichtbar abgestatteten Besuchen, meine Schreibtafel angefüllt war; denn iezt fühlte ich die Nothwendigkeit sie zu reinigen, und die Schwürigkeit dabei. Zwar eine Schwanenfeder war mit allen den Pünktlichkeiten, die ihr Ausziehn erforderte, bald herbeigeschaft; aber als ich wohl hundert Frauenzimmer – meine ganze Verwandschaft mit eingeschlossen – auf die Schrift zu hauchen gebeten hatte; als sie alle zwar willig hauchten, aber keine auch nur ein Jota wegwischte: da fing mir an schwüle bei dem Handel zu werden. Schon wolte ich in die bitterste Schmähung gegen alle iungfräuliche Tugend losbrechen. Doch als ich genauer darüber nachdachte, fand ich, daß wenigstens aus meiner Erfahrung noch kein Beweis dagegen sich führen lasse. Zu meiner Bestimmung muste ein Mädchen nicht nur vollkommen unschuldig, sondern auch gleich stark unwissend seyn. Daß sie keines Mannes begehrt oder genossen habe, war nicht hinlänglich; sie muste auch nie daran gedacht haben, daß es einen Unterschied der Geschlechter gebe; ein Umstand, der sich kaum von einem Mädchen von sechs bis sieben Jahren fordern läßt! und der, wenn man ihn fände, die grösten Wunder meines Adepten erreichen, wo nicht überwiegen würde!

O was hätte ich nicht damals für ein Mädchen wie Dorinde in Shakespears bezauberter InselWieder im Sturm die Tochter des Prospero. war, hingegeben; doch da bloßes Wünschen unnüzlich und bloßes Hoffen thöricht gewesen wäre, so sann ich lieber Tag und Nacht, wie diese Schwürigkeit sich übersteigen lasse, und war endlich glücklich im Plan und in der That. Eine arme Witwe, mit sieben Kindern am Leben und oft ohne Brod für sich selbst, ließ sich durch ein ansehnliches Stück Gelde, und durch den Schwur, daß ich nicht etwan, wie man sonst von den Juden glaubte, ihr Kind zu opfern gedenke, zum Abtritt ihrer iüngsten dreiiährigen Tochter bereden. Eine ältliche Frau, deren Verschwiegenheit und Treue ich kante, ward nun zur Erzieherin dieses erkauften Kindes ausersehn, meine ganze Absicht ihr entdeckt, und der Weg, den sie einzuschlagen habe, ihr vorgezeichnet.

Das kleine Geschöpf ward in eine Dachstube gebracht; ein einziges Fenster von obenher ließ das Tageslicht gerade hinunter fallen; von allem was in der übrigen Welt unter, um, und neben ihr vorging, erfuhr sie kein Wort, und erhielt keine Gelegenheit es zu muthmaßen. Wenige leichte Speise war ihre Nahrung; nur die Hälfte der gewöhnlichen Schlafzeit ward ihr verstattet; keine lebendige Seele, als das alte Müttergen, das sie pflegte, ihr Essen und Wartung gab, kam zu ihr.

Da ich die Zimmergen des ganzen Dachs gemiethet hatte, so war ich oft durch die Spalten der Bretwand ein scharfer Beobachter ihres Lebenswandels, und hatte alle mögliche Ursache mit der Befolgung meiner Befehle zufrieden zu seyn. Um dieser unschuldigen Gefangnen Gesundheit zu erhalten, hatte ihre Wärterin ihr eine Schwenke gemacht, hatte sie Ballspielen und Kreisel treiben gelehret, und beschäftigte sie täglich durch Spiele, die auch in diesem Zimmergen ihrem Körper Bewegung, ihrem Geiste eine Unterhaltung gaben. Wie lang mir selbst die Zeit bei dieser Erwartung ward, das kann sich ohngefähr nur ein iunger Verschwender vorstellen, dem ein karger Vater den Possen thut, und nicht sterben will. Ich zählte neun Jahre hindurch fast ieden Tag, wenigstens iede Woche, und sah nie meinen zwar sorgfältig verwahrten, aber iezt nuzlosen Gürtel an, ohne herzlich meine Begehrlichkeit zu beseufzen.

Endlich trat meine Pflegtochter in ihr dreizehntes Jahr; und schon des andern Tage war die Schreibtafel in ihren Händen, und ich an der Spalte in der Wand. O die Angst, mit der ich hinblickte, als sie sieben und dreiviertel Sekunden drauf hauchte! und o die Freude als ich so schnell, wie von einem feuchten Schwamme die Schrift einer Schiefertafel verschwindet, iene hartnäckigen Züge unter ihrer Hand wegfliegen sahe. Daß ich diesen Tag noch den Gürtel umschnallte, und von ihm und meinem Taschenbuche Gebrauch machte, das wird wohl ieder glauben, der auch nur die ersten oberflächlichsten Kentnisse vom menschlichen Herzen besizt. Alle Mühe der verfloßnen Jahre war nun belohnt; alle Sorge vergessen; alle ehmalige Pläne wurden nun vorgesucht; manche davon würklich erfüllt.

Freilich besorge ich, daß manche Leser an alle dem, was ich gesagt habe und noch sagen werde, Zweifel tragen dürften. Es giebt Leichtgläubige die alles, es giebt Ungläubige, die nichts für wahr halten, was sie nicht selbst erfahren haben. Doch diese zu widerlegen, wäre eben so unnöthig als ihre Bekehrung unmöglich ist. Ich will, statt bei ihnen mich zu verweilen, und statt Zeit und Raum mit langen nutzlosen Widerlegungen zu verderben, mich lieber nun ohne weitern Eingang, zu dem, was ich sah und hörte, wenden.


 << zurück weiter >>