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27. Kapitel.

Vorhin, als die Franzosen im Halbkreis heranrückten, hatten ihre beiden Flügelpunkte, sowohl ober- als auch unterhalb des Forts, das Ufer des Flusses berührt.

Oberhalb gab es eine Strömung, und da hier der unterwaschene Felsen steil emporstieg, so war es schwer, wenn nicht unmöglich, von hier aus das Fort zu überrumpeln.

Unterhalb aber gab es ruhiges Wasser, und große Fels- und Steinbrocken lagen in demselben. Schwamm oder watete man von dem einen zum andern, so fand man genug Deckung, um nicht sofort bemerkt zu werden. Überdies war die Böschung des Felsens, auf dem das Fort stand, nicht so steil, wie auf der anderen Seite. Sie konnte ohne große Anstrengung erstiegen werden.

An dem Ende des rechten Flügels, der hier das Wasser erreichte, stand ein Sergeant, der gern ein wenig den Offizier gespielt hätte. Er befand sich später an der Stelle, die Gerard so wacker verteidigte, und als die Apachen ihren Angriff machten, ahnte ihm, was da kommen könne.

»Kommt, folgt mir!« gebot er seinen Leuten. »Wir werden umzingelt und niedergemacht, aber ich weiß ein Mittel dagegen.« – »Welches?« fragte einer, indem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. – »Jetzt kommt dem Feind Hilfe, er wird also einen Ausfall machen. Unterdessen dringen wir von der Wasserseite an das Fort und öffnen das Tor.« – »Bei Gott, das ist wahr. Wir folgen dir.«

Es waren etwa zehn Mann, die mit dem Sergeanten sich rechts hin nach dem Fluß zogen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Sie stiegen in das Wasser und gelangten von Stein zu Stein an die Böschung der Wasserseite des Forts.

Diese war von Bäumen und Sträuchern besetzt. Droben stand der Mann, den Sternau als Wache beordert hatte. Er war leider mit keinem großen Scharfsinn begabt. Anstatt sich hinunter an das Ufer zu stellen, wo er alles, selbst das Geringste hätte bemerken müssen, war er oben stehengeblieben, wo ihm die Bäume alle Aussicht raubten. Darum hatte er den Sergeanten nicht gesehen.

Dieser kroch mit seinen Leuten an der Böschung empor. Fast bei den obersten Bäumen angekommen, blieb einer seiner Leute stehen, zeigte nach vorwärts und flüsterte:

»Halt! Seht!« – »Was?« – »Ein Mann.« – »Wo?« – »Dort hinter der Glanzeiche.«

Das Auge des Sergeanten folgte der angedeuteten Richtung.

»Wahrhaftig!« sagte er. »Er hat ein Gewehr, er ist jedenfalls ein Wachtposten.« – »Soll ich ihn niederschießen?« fragte einer. – »Nein. Wir müssen alles Geräusch vermeiden. Der Schuß würde andere aufmerksam machen. Ich werde ihn erstechen.«

Damit pirschte er sich leise und vorsichtig von Baum zu Baum, bis er nur noch wenige Schritte vor dem Mann stand, zog sein Seitengewehr und holte aus. Ein Sprung, ein Stich, ein Schrei – und der Posten war eine Leiche.

»Jetzt vorwärts!« gebot der Sergeant seinen Leuten.

Sie kamen herbei und erreichten bald die Palisaden. Der Sergeant maß die Höhe derselben mit seinem Blick.

»Hier können wir nicht hinüber«, sagte er. »Es ist unmöglich. Gehen wir weiter.«

Sie schritten nun längst der Palisaden hin und gelangten fast an die Ostseite des Forts, ehe sie eine Lücke fanden, die zum Passieren der Verteidiger offengelassen worden war.

Als sie durch diese Lücke geschlüpft waren, befanden sie sich, wie sie bemerkten, im Innern des Forts und wunderten sich nicht wenig, keinen einzigen Menschen zu sehen. Die bewaffneten Bewohner desselben standen ja auf der anderen Seite, und die Frauen und Kinder hatten sich nicht getraut, ihre Wohnungen zu verlassen.

»Das Fort ist unser!« frohlockte der Sergeant. »Hört ihr es unten brüllen? Der Ausfall hat stattgefunden, ganz wie ich es gesagt habe.« – »Was tun wir aber jetzt?« – »Wir öffnen den Unsrigen das Tor.« – »Denkst du wirklich, daß sie nötig haben werden, sich zurückzuziehen?« – »Hm, wer kann das wissen. Es waren der Indianer gar zu viele.« – »Indianer? Pah! Ein Franzose flieht vor keiner Rothaut!« – »Und«, meinte ein anderer, »was haben wir davon, wenn wir sofort öffnen? Dann kommen alle und teilen die Beute!« – »Recht hast du!« meinte der Sergeant. »Wir könnten uns einiges vorher wegnehmen. Aber verraten dürfte es nicht werden.« – »Wer soll es verraten?« – »Nun, irgendeiner von Euch vielleicht gar. Es ist nicht jedermanns Sache, reinen Mund zu halten.« – »Oh, es wird sich doch nicht jemand selbst verraten. Ich wenigstens nicht.« – »Ich auch nicht – ich auch nicht«, stimmten ihm die übrigen bei. – »Nun, so will ich es einmal wagen«, meinte der Sergeant. »Aber zerstreuen dürfen wir uns nicht, da wir nicht zahlreich sind und doch nicht wissen können, wie viele Feinde sich noch im Fort befinden.« – »So gehen wir von Haus zu Haus.« – »Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Am besten ist es, das reichste Haus aufzusuchen.« – »Aber wie wollen wir dies erfahren?« – »Hm! In den Kneipen und Läden gibt es immer das meiste bare Geld.« – »Das ist wahr. Wir müßten also ein solches Haus suchen, wenn es eins hier gibt.« – »Es gibt in jedem Fort ein Kaufhaus, also jedenfalls auch hier.« – »Venta glaube ich, nennen die Spanier ein Haus, wo gezecht und verkauft wird.« – »Venta? Vielleicht steht dieses Wort über der Tür. Laßt uns suchen.«

Der Mann hatte richtig geraten. Das Wort Venta stand über der Tür des alten Señor Pirnero, der Geierschnabel, seinen Stellvertreter, für sich kämpfen ließ. Da dieses Haus ein Stockwerk besaß und hoch gebaut war, konnte man von seinem Bodenraum aus, über die Palisaden hinweg, den Kampfplatz beobachten.

Aus diesem Grund hatte sich Graf Ferdinando dort hinaufbegeben. Emma, Karja und Resedilla waren bei ihm. Pepi und Zilli hatten sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Pirnero saß unten an seinem gewohnten Fenster und blickte hinaus, hielt sich aber mit beiden Händen die Ohren zu. Jeder Schuß drang ihm in die Seele. Er forderte es von jedem anderen, tapfer zu sein, sich selbst hielt er natürlich für den tapfersten, doch hütete er sich sehr, diesen großen Vorzug in Anwendung zu bringen.

So allein im Zimmer zu sitzen, das wurde ihm denn doch zu unheimlich. Er faßte den Entschluß, sich Resedilla zu rufen, doch erwies sich dies nicht als notwendig, denn soeben trat der alte Vaquero ein, der als Bote von der Hacienda del Elina gekommen war und sich ganz wacker am ersten Akt des Kampfes beteiligt hatte.

Er machte Miene, sich nach der Küche zu begeben, aber Pirnero hielt ihn zurück.

»Halt! Dableiben!« sagte er. »Ihr kommt von der Schlacht?«

Obgleich die Vaqueros gewöhnlich mit du angeredet werden, bediente Pirnero sich jetzt des höflichen Ihr. Der Mann mußte nicht nur als Bote des Schwagers berücksichtigt, sondern auch als Kämpfer geehrt werden.

»Von der Schlacht?« fragte der Rinderhirt. »Es ist ja nur ein Gefecht.« – »Hm! Welcher Unterschied ist denn da eigentlich zwischen Schlacht und Gefecht?« – »Bei einer Schlacht sind größere Truppenmengen tätig, Señor Pirnero.« – »Richtig! Aber die Hauptsache habt Ihr vergessen.« – »Welche?« – »Ich will es Euch erklären. Wißt Ihr, was Politik ist?« – »Ja.« – »Nun, was denn?« – »Wenn einer kein Esel ist, sondern ein kluger Kopf, ein pfiffiger Kerl.«

Pirnero sah den Mann erstaunt an.

»Das ist sehr richtig!« sagte er. »Darum treiben die Esel niemals Politik. Aber wißt Ihr denn auch, was Diplomatie ist?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Wenn die großen Herren, die Präsidenten und Minister, einander an der Nase führen.« – »Donnerwetter, Ihr seid kein unebener Kerl! Ja, diese Nasenführerei und Nasendreherei ist Politik und Diplomatie. Die hat nicht ein jeder, die bekommt man nur durch die sogenannte Vererbung vom Vater auf die Tochter hinüber.« – »Aber wer nun keine Tochter ist?« – »Schadet nichts, wenn er nur eine hat! Mit einem Gefecht hat die Diplomatie gar nichts zu tun, aber sie spielt Schach, und die letzten Züge werden in der Schlacht getan. Darum muß ein guter Diplomat auch ein guter Feldherr sein. Ich zum Beispiel kenne die Politik sehr genau.« – »Das glaube ich.«

Der Vaquero sagte diese Worte, um nicht für einen unhöflichen Mann gehalten zu werden.

»Und ich bin auch ein sehr guter Diplomat. Meint Ihr nicht?« – »Ich bestreite dies keineswegs, Señor Pirnero.« – »Folglich muß ich auch ein guter Feldherr sein. Habt Ihr das verstanden?« – »Ja. Aber warum beteiligt Ihr Euch da nicht mit am Kampf?« – »An einer Schlacht würde ich mich sogleich beteiligen. Ich habe den Prinzen Eugen und auch den alten Derfflinger gelesen. Auch Kyaw war ein tüchtiger General. Aber an einem kleinen Gefecht teilzunehmen, das ist einem Diplomaten zu despektierlich.« – »Weil da die Nase nicht in den letzten Zügen liegt?« – »Ja. Aber sagt doch einmal, wie es draußen steht« – »Gut, sehr gut« – »Ihr hattet Eure Büchse mit, da habt Ihr wohl auch mit geschossen?« – »Freilich!« – »Wie viele habt Ihr ausgeblasen?« – »Sechs oder sieben.« – »Das ist nicht übermäßig viel«, meinte Pirnero sehr tapfer. »Wehren sich die Franzosen noch?« – »Ja. Aber die Apachen sind gekommen.« – »Alle Teufel! Da ist es mit den Franzosen aus!« – »Auch Jäger waren bei ihnen, Juarez führte das Heer persönlich an.« – »Der Juarez? Ah ja, der Jäger sagte ja gleich, daß Juarez mitkommen werde. Habt Ihr ihn bereits einmal gesehen?« – »Ja.« – »Wann und wo?« – »Auf unserer Hazienda. Er kam und übergab dem Herrn auch die nebenan liegende Hacienda Vandaqua.« – »Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber hoffentlich kommt er nach vollendetem Sieg, um bei mir ein Glas Pulque oder Julep zu trinken. Ich bin nämlich ... ah, ah!«

Pirnero hielt erschrocken inne, denn soeben öffnete sich die Tür, und der Sergeant trat ein, gefolgt von seinen elf Leuten, stieß den Kolben auf die Erde und fragte:

»Hier ist eine Venta?« – »Ja«, antwortete der erbleichende Wirt, an allen Gliedern zitternd. – »Wie heißt Ihr?« – »Pirnero. Aber Señor, ist denn der Feind bereits im Fort?« – »Allerdings! Ihr seht es ja!« – »Aber, ich denke, wir siegen!«

Der Franzose lachte höhnisch und meinte:

»Der Teufel wird euch den Sieg geben. Welche Leute sind in dem Haus hier?« – »Ich!« – »Weiter!« – »Dieser Señor.« – »Was ist er?« – »Er ist ein Vaquero.« – »Ah, so mag er uns seine Flinte abgeben.«

Der alte Vaquero umfaßte seine Büchse fester und machte ein finsteres Gesicht. Er konnte nicht begreifen, wie es den schon halb besiegten Franzosen möglich gewesen war, in das Fort zu gelangen. Er hätte sich am liebsten verteidigt; da aber trat Pirnero zu ihm heran und flüsterte ihm zu:

»Um Gottes willen, macht keine Dummheiten! Ihr bringt uns ins Verderben!«

Bei diesen Worten entriß er ihm die Büchse und gab sie dem Sergeanten.

»Hier, Señor, habt Ihr das Gewehr«, sagte er. »Ihr mögt es als ein Zeichen nehmen, daß Euch Fort Guadeloupe mit Freuden empfangen hat!« – »Mit Freuden?« fragte der Sergeant. »Mit Kugeln sind wir empfangen worden. Wer befindet sich noch in diesem Haus?« – »Zunächst zwei junge Señoritas.« – »Wo?« – »Eine Treppe hoch. Sie werden sich eingeschlossen haben.« – »Sie werden uns öffnen müssen! Wer noch?« – »Oben im Bodenraum sind noch drei Señoritas mit einem Señor.« – »Wer ist dieser Señor?« – »Ein Graf Rodriganda.« – »Ein Graf? Donnerwetter! Ist er reich?« – »Sehr.« – »Gut, wir werden sehen, was er besitzt. Bindet den Vaquero dort!«

Die Chasseurs zogen ihre Fangschnuren hervor und näherten sich dem Vaquero. Dieser erhob sich von seinem Stuhl und zog sein Messer.

»Ich lasse mich nicht fesseln!« erklärte er. – »Heilige Madonna! Was fällt Euch ein!« rief Pirnero. »Einer gegen zehn!«

Der Mann erkannte die Unmöglichkeit, mit heiler Haut davonzukommen. Er gab also seine Hände hin und wurde gebunden.

»Nun auch den Wirt«, gebot der Sergeant. – »Auch mich?« fragte Pirnero erschrocken. »Ihr irrt, Señores! Ich bin ja der treueste Untertan seiner Majestät des Kaisers der Franzosen!« – »Wenn Ihr das wirklich seid, so werdet Ihr Euch nicht weigern, uns Gehorsam zu leisten«, lachte der Soldat. »Her also mit den Händen.« – »Hier sind sie«, sagte der Wirt kleinlaut. »Aber ich bitte zu bemerken, daß ich kein Feind der Franzosen bin. Ich bin kein Mexikaner.« – »Was denn?« – »Ich bin aus Pirna.« – »Was ist das? Wo liegt das?« – »In Sachsen« – »In Sachsen, also in Deutschland? So soll Euch der Teufel erst recht holen! Rasch also! Gebt die Hände her!«

So wurde also auch der Wirt gefesselt. Er gab sich ohne Widerrede darein.

»Jetzt werdet Ihr uns zu den anderen führen!« gebot der Sergeant.

Er ließ zwei Mann Wache bei dem Vaquero zurück. Die Eingangstür zum Haus wurde von innen verschlossen, und dann stiegen sie die Treppe empor.

»Hier sind die jungen Señoritas!« sagte Pirnero, auf eine Tür zeigend. – »Klopft an!« gebot der Sergeant.

Als auf das Klopfen nicht geöffnet wurde, stieß er die Tür mit dem Kolben ein.

»O heiliger Himmel!« rief der Wirt. »Wer soll mir meine Türen reparieren, wenn Ihr sie mir kaputtschlagt! Das bin ich von Pirna aus nicht gewöhnt.« – »So werdet Ihr es gewöhnt werden!«

Der Sergeant trat ein. Die beiden Mädchen standen nebeneinander am Fenster und blickten den Eintretenden erwartungsvoll entgegen.

»Alle Teufel, wie nett!« meinte der Sergeant. »Da wird man wohl um einen Kuß bitten dürfen.«

Er schritt auf Pepi zu und breitete die Arme aus. Sie richtete sich hoch empor und steckte die rechte Hand unter die kurze, mexikanische Jacke.

»Was wollt Ihr?« fragte sie in einem Ton und in einer Haltung, daß der Franzose sich verblüfft fühlte. Doch faßte er sich schnell und antwortete:

»Was ich will? Pah! Ein ganz kleines Küßchen.« – »Wagt es nicht, mich anzurühren!« drohte sie. – »Ah, seht, das Kätzchen setzt sich zur Wehr. Aber das hilft dir nichts, mein Engel. Geküßt wirst du doch.«

Dabei trat er noch einen Schritt auf sie zu; da aber zog sie die Hand aus der Jacke zurück, und die blanke Klinge ihres Dolches blitzte ihm entgegen.

»Donnerwetter, sie macht Ernst!« rief er, halb bestürzt und halb belustigt.

Er war natürlich überzeugt, ihr den Dolch mit einem einzigen Griff entwinden zu können. Auch Zilli hatte ihre Waffe gezogen. Die beiden Mädchen waren wirklich entschlossen, sich ernsthaft zu verteidigen.

Einer der Soldaten trat jetzt zu der jüngeren Schwester und sagte:

»Gib den Dolch her, mein Püppchen. So etwas ist nichts für Frauen.«

Er wollte zugreifen; sie aber trat ein wenig zurück, zückte die Waffe und antwortete:

»Nehmt Euch in acht! Der Dolch ist vergiftet!« – »Das mache einem anderen weis! Ich werde davor nicht bange.«

Er griff scheinbar zu, und während sie nun dahin stieß, wohin er hatte greifen wollen, zog er plötzlich die Hand zurück und faßte sie beim Arm.

»So, jetzt habe ich dich! Jetzt bist du mein!« rief er. »Nun einen Kuß!«

Und mit der einen Hand ihren rechten Arm haltend, so daß sie nicht stechen konnte, versuchte er, sie mit dem anderen Arm um die Taille zu fassen und an sich zu ziehen.

»Pepi, hilf!« bat sie da, sich vergeblich wehrend. – »Gleich!« lautete die Antwort der Schwester.

Und in demselben Augenblick zuckte ihr Dolch in den Arm, mit dem er den der Schwester hielt. Der Stich war nur leicht und nicht tief.

»Donnerwetter, die hat wirklich Krallen!« rief der Soldat, seinen Arm zurückziehend. »Aber wir werden euch die scharfen Nägel verschneiden.«

Er wollte abermals zufassen und streckte die Hand vor, aber er blieb starr stehen. Es war, als ob er plötzlich durch alle seine Nervenstränge einen Schlag erhalten hätte. Sein Auge war nach der Wand gerichtet; seine Finger ballten sich zusammen; ein Gurgeln ließ sich hören, und Schaum trat auf seine Lippen; dann fiel er um, oder vielmehr er schlug um, steif und hölzern wie ein lebloser Klotz. Er war tot.

»Alle Teufel!« rief jetzt der Sergeant. »Was ist mit ihm?« – »Er ist tot!« erklärte Pepi. »So wird es einem jeden gehen, der uns anzurühren wagt.« – »So ist der Dolch wirklich vergiftet?« – »Ja, der meinige und der ihrige.« – »Das sollst du entgelten, du gefährliche Katze! Ergreift beide und nehmt ihnen die Dolche!«

Der Sergeant selbst trat sehr vorsichtig zurück, um die gefährliche Arbeit von den Seinigen verrichten zu lassen. Aber keiner hatte Lust zu gehorchen.

»Nun! Habt ihr's gehört?« zürnte er. – »Fällt uns nicht ein!« antwortete einer. »Wer sie küssen will, mag sie entwaffnen.« – Aber ich bin euer Vorgesetzter. Ich befehle es euch!« – »In solchen Sachen brauchen wir niemandem zu gehorchen.«

Als der Sergeant sah, daß es ihm unmöglich war, durchzudringen, und da er selbst zu viel Angst hatte, die Mädchen anzufassen, sagte er:

»Sie haben den Tod verdient, denn sie haben einen Franzosen ermordet. Wir werden sie bewachen, bis wir fertig sind, und dann an ihre Bestrafung denken.«

Er postierte darauf einen Mann vor die Tür und ließ sich von Pirnero weitergeleiten, hinauf nach dem Dachboden, wo sich der Graf befand.

»Ob die Franzosen gesiegt haben?« fragte Zilli ihre Schwester. – »Ich glaube es nicht. Pirnero hat uns, als er vorhin bei uns war, doch gesagt, daß die berühmtesten Jäger das Fort verteidigen werden und daß Juarez mit den Indianern kommt.« – »So sind diese Leute nur eine eingeschlichene Truppe?« – Jedenfalls.« – »Sie werden uns töten.« – »Wir wehren uns.« – »Kannst du dich mit dem Dolch gegen Kugeln wehren?« – »Leider nein.«

Da vernahmen sie vom Kampfplatz her ein wildes Triumphgeheul.

»Das sind die Apachen. Sie haben gesiegt«, sagte Pepi. – »Und wir wollen uns erschießen lassen? Nein. Fliehen wir!« – »Ich gehe mit.« – »Aber wohin?« – »Das werden wir sehen, wenn wir unten sind.« – »Wie kommen wir hinaus und an dem Mann vorüber?« – »Mit Hilfe des Dolches. Laß nur mich machen. Komm!«

Sie schritten der Tür zu.

»Halt!« gebot der Posten, der ihre leisen Worte nicht gehört hatte. – »Wir gehen!« sagte Pepi in bestimmtem Ton. – »Ich darf Euch nicht passieren lassen.« – »Wir gehen dennoch!« – »So muß ich schießen!«

Der Soldat tat wirklich einen Griff, als ob er das Gewehr anlegen wollte, doch die gewandte Pepi kam ihm zuvor.

»Versuch es doch!«

Damit stand sie schon vor ihm und bohrte ihm den Dolch in die Hand, die den Lauf des Gewehres umfaßt hielt. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Das war keineswegs die Wirkung des Giftes, sondern die des Schrecks; aber gerade der Schreck trieb ihm das Gift um so rascher durch den Körper, und kaum hatte er das Gewehr fallen lassen, so schlug er auch schon um. Es war fürchterlich, zu sehen, mit welcher Schnelligkeit das Kuraregift wirkte.

Die beiden Mädchen aber eilten die Treppe hinab. Die Straßentür war zu; darum gingen sie nach der hinteren Tür. An diese hatten die Franzosen nicht gedacht. Durch eine hohe, schmale Pforte traten sie hinaus nach dem offenen, viereckigen Platz, wo gewöhnlich die Pferde angebunden wurden. Und von diesem aus gelangten sie auf die Gasse, die nach den Palisaden führt.

»Wohin nun?« fragte Zilli. – »Wir müssen erst sehen, wer Sieger ist«, antwortete Pepi.

Da sie bereits einige Tage im Fort wohnten und in demselben herumgegangen waren, so kannten sie die Lücke in den Palisaden. Sie eilten auf dieselbe zu, und kaum hatten sie einen Blick hindurchgeworfen, so wußten sie, woran sie waren.

Ganz draußen hielt Juarez noch immer mit seinem Stab. Von ihm an, bis herein zur Böschung des Felsens, lag Leiche fast neben Leiche. Rechts hielten einige Indianer bei den eroberten Pferden der Franzosen, und im Vordergrund schwärmten die Apachen noch hin und her, um die letzten noch lebenden Franzosen zu töten.

»Juarez hat gesiegt!« sagte Zilli. – »Wer mag es sein?« – »Gewiß einer von den beiden Roten, die da unten mit den Adlerfedern auf dem Kopf noch auf die sechs Franzosen einhauen.« – »Wo denkst du hin!« meinte Pepi. »Das sind Indianerhäuptlinge.« – »Juarez ist doch Indianer!« – »Ja. Aber er war Oberrichter und ist Präsident. Er wird doch nicht in der Tracht der Wilden gehen. Siehst du ganz draußen den Reiter inmitten der kleinen Truppe, die dort regungslos hält?« – »Ja.« – »Das ist er jedenfalls. Aber wir müssen unserer Venta Hilfe bringen.« – »Wen holen wir? Indianer etwa?« – »Wen wir zunächst treffen.« – »So komm!«

Die Mädchen krochen durch die Lücke hinaus und nach rechts. Sie waren noch nicht weit gekommen, da sahen sie eine lange, breite Gestalt an der Erde liegen, den Kopf in die Hand gestützt, während der Arm mit dem Ellenbogen auf der Erde ruhte.

»Wer ist das?« fragte Zilli. – »Mein Gott, das ist der Schwarze Gerard!« antwortete Pepi. – »Wahrhaftig! Er liegt in einer Blutlache.« – »Gott! Er stirbt! Er hat die Augen zu, und aus der Schulter läuft ihm das Blut!«

Sie eilten zu ihm hin. Als er sie kommen hörte, schlug er langsam die Augen auf, aber er regte kein Glied.

»Ihr seid verwundet, Señor?« – »Ja.« – »Wir werden Euch verbinden« – »Es ist zu spät!« sagte er leise. »Ich wollte hier sterben. Grüßt sie von mir, Señoritas!« – »Wen?« – »Resedilla.« – »Resedilla? Ah! Sie befindet sich in großer Gefahr. Wir wollten Hilfe holen.« – »Gefahr?« fragte er rasch, während sein bleiches Gesicht sich leicht rötete. – »Ja. Es ist einigen Franzosen gelungen, in das Fort zu dringen. Sie kamen in die Venta. Wir haben zwei getötet, die uns küssen wollten. Jetzt sind die anderen hinauf auf den Boden, wo Resedilla sich befindet.«

Er blickte sie einen Augenblick lang an, als müsse er erst seine Gedanken sammeln. Dann belebte sich sein Auge immer mehr. »Hinauf auf den Boden – wo Resedilla sich befindet!« wiederholte er. »Ah, noch ist der Schwarze Gerard nicht tot!«

Er versuchte sich zu erheben, sank aber in sein Blut wieder zurück.

»Bleibt liegen, Señor!« bat Zilli. »Wir werden andere Hilfe holen für Resedilla und für Euch!«

Sie eilten weiter.

»Andere Hilfe?« sagte Gerard. »Ein anderer soll ihr helfen? Ah, pah!«

Damit stemmte er beide Arme auf die Erde und richtete sich auf. Er taumelte; aber er brachte es doch fertig, sich an die Palisaden zu lehnen und sein Gewehr nebst den Revolvern zu laden.

Er war vorher, als die Franzosen sich zurückgezogen hatten, um sich gegen die Apachen zu wenden, ihnen auf dem Fuß gefolgt und hatte sich in das dickste Kampfgewühl gestürzt. Ein Bajonettstich und ein Schuß, zu den vorherigen Verwundungen kommend, hatten ihn niedergestürzt. Er dachte, sterben zu müssen; aber er wollte sein Leben nicht hier unten aushauchen, sondern droben am Baum, wo er sich so kühn und nachdrücklich verteidigt hatte.

Dorthinauf schleppte er sich und legte sich nieder, während unten der Kampf noch hin- und herwogte. Wie gern wäre er noch nach der Venta gegangen, um unter den Augen der Geliebten zu sterben! Aber nein, er wollte ihr den häßlichen Anblick des Todes ersparen. Darum blieb er liegen. Er sah sein Blut fließen, ohne dem Lauf desselben Einhalt zu tun. Er fühlte mit dem roten Wallen des Lebens seine Kräfte schwinden; er schloß die Augen; er glaubte, der Tod sei nahe, um ihn von allen Zweifeln und Selbstvorwürfen zu erlösen. Er flüsterte leisen den Namen der Heißgeliebten. Da hörte er leichte Schritte, und als er die Augen öffnete, erblickte er die beiden Schwestern, die ihm sagten, daß Resedilla sich in Gefahr befinde.

Jetzt waren sie wieder fort, und er lehnte an den starken, hölzernen Pfosten.

Es war ihm, als ob die kriegerische Beschäftigung des Ladens ihm seine Kräfte zurückbringe. Er konnte stehen, ohne zu lehnen. Er versuchte zu gehen. Es gelang; erst langsam und wankend, dann immer schneller und sicherer. Er kam an die Lücke und kroch hindurch. Er achtete nicht darauf, daß alle seine Wunden bluteten.

»Resedilla, o Resedilla!«

Diese Worte wirkten wie ein Wunder, und er nahm die schwere Büchse fester in seine Hand und ging, nein, trabte weiter der Venta zu.

Er wußte nicht, daß die vordere Tür verschlossen war. Er fand sie zu. Ohne sich zu besinnen, schlug er das Fenster ein, nicht einen Flügel allein, nein, sein Stoß war so gewaltig, daß das ganze Fenster in das Zimmer stürzte.

Im nächsten Augenblick stand auch er in demselben, vor ihm der Soldat, den der Sergeant als Wache bei dem Vaquero zurückgelassen hatte.

»Halt!« rief dieser und fällte das Gewehr gegen ihn. – »Bube!«

Nur dieses Wort rief Gerard und schlug den Mann mit dem Kolben nieder.

»Macht mich los, Señor!« bat der Vaquero. – »Später!«

Er hatte keine Zeit, sich mit anderen Dingen abzugeben. Er mußte, so lange seine Kräfte noch vorhielten, der Geliebten Hilfe bringen. Er trat also hinaus in den Flur und stieg die Treppe empor. Dort lag vor einer zertrümmerten Tür der tote Posten. Gerard warf einen Blick hinter diese Tür und erblickte den zweiten Franzosen, der im Zimmer lag.

»Das ist Kurare«, murmelte er. »Das waren die Dolche der beiden Mädchen. Aber weiter! Hinauf auf den Boden! Hinauf zu Resedilla!«


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