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9. Kapitel.

Am Spätnachmittag des Freitags saß der alte Pirnero an seinem Fenster und blickte hinaus auf die Gasse. Ein dichter, strömender Regen ging herab, Grund genug, einen Menschen in üble Laune zu versetzen. Und diese hatte der Händler und Schenkwirt in hohem Grade. Um ihr freien Lauf zu lassen, lauerte er nur auf seine Tochter, die hinausgegangen war, um ihm einen Krug Maisbier, das er selbst braute, zu holen.

Da kam sie herein, setzte ihm den Krug hin und begab sich an ihren gewohnten Platz, wo sie sich mit irgendeiner Nadelarbeit zu beschäftigen pflegte.

Der Alte tat einen tüchtigen Zug, setzte den Krug ab und sagte:

»Miserabler Regen!«

Wie gewöhnlich antwortete die Tochter nicht. Darum fuhr er bald fort:

»Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?«

Als auch jetzt keine Antwort erfolgte, wandte er sich ihr zu und fragte zornig:

»Wie? Sagtest du etwas? Habe ich etwa nicht recht?« – »O ja«, antwortete sie kurz. – »Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?« – »Ja.« – »Wenn ich nun draußen wäre und ertrinken müßte, da würdest du dir wohl nicht viel daraus machen, he?« – »Aber, Vater!« rief sie. – »Was denn? Ist so etwas vielleicht nicht möglich? Ich setze also den Fall, daß ich ertrinke, dann sitzt du da. Was fängst du an, he? Etwa die Wirtschaft fortführen? Ohne Mann? Das kann unmöglich gehen!«

Der Gedankengang des Vaters war ein zu komischer; Resedilla mußte lachen und erwiderte:

»Du wirst doch nicht hinausgehen und ertrinken, eigens nur um mir zu zeigen, daß ich einen Mann brauche?« – »Warum nicht? Ich bin durchaus dazu imstande! Ein guter Vater muß alles tun, um sein Kind zu Verstand zu bringen.« – »Haben das deine Eltern auch getan?« – »Jawohl, freilich. Mein Vater sowohl, als auch mein Großvater.« – »Sie sind ertrunken?« – »Unsinn! Mädchen, ich glaube gar, du willst mich foppen. Sie sind beide in der Ausübung ihres Berufes gestorben.« – »Oh, davon hast du noch gar nicht gesprochen.« – »Weil ich überhaupt nicht gern vom Tode rede, denn wenn ich sterbe, so bist du ein armer, lediger Wurm, der mich noch im Grab jammert. Was meinen Vater betrifft, hm, du weißt doch noch, was er gewesen ist?« – freilich. Schornsteinfeger.« – »Gut; so etwas darf man nicht vergessen, denn ein Stammbaum ist notwendig, um zu wissen, was es für eine Bewandtnis hat mit der Abstammung vom Vater auf die Tochter. Also mein Vater war Schornsteinfeger. Das ist ein durstiges Amt, besonders zur Zeit des Vogelschießens. Er geht also auf die Vogelwiese, denn er war montags beim Exerzieren Schützenfeldwebel, was die Mutter der Kompanie ist. Dort hat er ein wenig das getrunken, was wir hier Julep nennen, und als er spät nach Hause kommt, legt er sich mit der Schützenuniform ins Bett. Hörst du mich?« – »Ja, Vater.« – »Das will ich dir auch geraten haben. So eine Uniform ist eng, und davon kommen schlechte Träume. Es träumt also meinem Vater, daß er geholt wird, eine Esse zu kehren. Er steht auf und geht in die Küche, halb im Traum und halb im Julep. Er steigt auf den Herd und kriecht in die Esse. Wir hatten vorher geschlachtet und die Würste hineingehängt; also er kommt nicht weit hinauf, denn er stößt an die Würste. Er merkt, daß es da oben eng wird, aber er weiß nicht genau, ob ihm die Uniform oder die Esse zu eng wird, denn wer gehörig Julep trinkt, der kann sehr leicht eine Schützenuniform und eine Feueresse miteinander verwechseln, und der Wirt hat auch etwas daran verdient. Hörst du mich noch?« – »Freilich. Ich sitze ja hier.« – »Gut. Also die Esse wird zwar eng wegen der Würste, aber in seinem Pflichtgefühl schiebt mein Vater sich immer höher. Jetzt kommt er mit dem Kopf zwischen die Haken und Stäbe, aber die Schultern können nicht mit. Er will zurück und – spießt sich so einen Haken in die Kehle. Nun will er nach dem Hals greifen, um sich loszumachen, und läßt hüben und drüben los. Dabei verliert er den Halt; der Körper zieht sich hinab, und der Haken spießt sich noch tiefer ein. Am Morgen sehen wir, daß der Vater fehlt. Wir suchen lange vergebens und finden ihn endlich in der Küchenesse. Er hing mitten unter den Würsten. Ist das nicht ehrlich in der Ausübung des Berufes gestorben?«

Die Tochter antwortete nicht. Das, was sie gehört hatte, widerstrebte ihrem Gemüt.

»Nun?« fragte er ärgerlich. – »Ja.« – »Na endlich! Du hast wohl erst darüber nachdenken müssen, ob ein Schornsteinfeger in der Esse sterben darf? Und was den Großvater betrifft, so ist auch dieser in der Ausübung seines Berufes gestorben. Du weißt doch noch, was er war?« – »Gewiß.« – »Nun, was denn?« – »Er handelte mit Meerrettich.« – »Gut, er war also Meerrettichhändler. Das ist nicht etwa was Gewöhnliches! Bei uns in Pirna ist nämlich der Meerrettich der Anfang zu einem Besitztum in Mexiko; das hat meine Familie bewiesen. Hörst du mich?« – Ja.« – »Das will ich wissen! Also mein Großvater baute Meerrettich im Garten, und dabei hatte er ein tiefes Loch in die Erde gegraben. Der Meerrettich schmeckt zu Fleisch und Wurst, gekocht und gerieben, auf alle mögliche Weise; darum gibt es Leute, die ihn gern essen, auch wenn sie ihn nicht zu bezahlen brauchen. So war es auch bei uns. Oft stiegen des Nachts solche Kerle über den Zaun, um sich eine Portion zu holen; darum wachte mein Großvater zuweilen. Das Wachen aber strengt an, und nichts stärkt den Körper wieder, als das, was man hier Julep nennt. Darum trank mein Großvater gern ein Glas oder zwanzig, wenn Kirchweih war. Ich war damals noch ein kleiner Junge und lag noch nicht im Bett, sondern auf dem Kanapee, denn die Eltern waren auf den Kirchweihball gegangen und der Großvater mit. Da kommt am späten Abend der Großvater nach Hause und will wegen des Julep den Stiefelknecht anbrennen, statt der Lampe. Endlich bringt er Licht. Er schießt ein wenig hin und her, denn er hatte das europäische Gleichgewicht verloren; aber plötzlich bleibt er stehen und horcht. Draußen im Garten hatte es nämlich einen Krach gegeben. ›Hast du es gehört, Junge?‹ fragte er mich. – ›Ja‹, sage ich. – ›Das sind meine Meerrettichspitzbuben. Komm mit; die fangen wir!‹ Er zieht mich also vom Kanapee herunter, und ich muß mit. Er hält den Brotschrank draußen für die Hintertür und will hinein; ich bringe ihn aber doch noch auf den richtigen Weg. So kommen wir hinaus in den Garten. Jetzt horcht er, aber es ist niemand zu sehen. ›Warte nur, die kommen wieder‹, sagt er, ›du bist klein, dich sehen sie nicht; ich muß mich verstecken. Wohin denn aber? Oh, da hinein in das Wasserfaß. Paß auf, Junge, wenn sie kommen, rufst du mich!‹ Ich setze mich also neben das Faß, das voll Wasser war, und er steigt hinein. Er hat kaum die Beine dring, so ist er ganz hinunter. Ich habe ganz gewaltige Freude darüber, daß er sich so gut versteckt hat, denn nicht einmal der Kopf war zu sehen, und nun warte ich. Hörst du mich?« – »Ja, leider!« antwortete Resedilla unter einem leichten Husten. – »Gut! Nach längerer Zeit höre ich Leute, die vom Zaun her kommen; ich rufe den Großvater, so laut ich kann. Wer aber ist's? Der Vater und die Mutter. Sie hören mich rufen und kommen zur Pforte herein. ›Was machst du denn im Garten da?‹ fragte der Vater. – ›Wir fangen Spitzbuben‹, sagte ich. – ›Wo ist denn der Großvater?‹ – ›Er hat sich versteckt.‹ – ›Wohin denn?‹ – ›Hier ins Wasserfaß.‹ Ich konnte gar nicht begreifen, warum die Eltern so jammerten; als sie ihn aber herausbrachten, habe ich selbst mit geweint, denn er war mitten in seinem Beruf gestorben, und das – ah, wer kommt da?«

Draußen ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen, ein Reiter kam durch den Regen herangesprengt und hielt vor der Tür.

»Ah!« sagte der Alte. »Der Zerlumpte, der Spion. Heute gehe ich seinetwegen nicht hinaus, und wenn er mir zehnmal meine Diplomatie anmerkt. Bei solchem Wetter bleibt man in der Stube.«

Der Neuangekommene war wirklich Gerard. Resedilla war errötet, sobald sie seiner ansichtig geworden. Er schaffte, da es regnete, das Pferd erst in den Stall und trat dann ein. Der alte Pirnero erwiderte kaum seinen Gruß, aber die Tochter nickte ihm freundlich zu. Er bestellte sich ein Glas Julep, das Resedilla ihm holte, und setzte sich nieder.

Längere Zeit blieb es still in der Stube, und nur der Alte trommelte an der Fensterscheibe, denn der Gast war ihm unangenehm, weil er ihn für einen Spion hielt. Endlich trieb ihn die Lust zum Sprechen doch zu einem Anfang, und er begann:

»Fürchterlicher Regen!« – »Allerdings«, antwortete Gerard. – »Ganz zum Ertrinken!« – »So schlimm ist es doch nicht!« – »Was, nicht zum Ertrinken? Ihr seid anderer Meinung als ich?« Pirnero wandte sich, um den Gast zornig anzusehen, denn er dachte heute schon nicht mehr an das diplomatische Lächeln. So sah er, daß das Wasser aus den durchnäßten Kleidern des Jägers auf den Boden lief. »Nicht zum Ertrinken, sagt Ihr? Seht nur! Wenn noch zwei solche Gäste kommen, ertrinken wir!«

Gerard bemerkte jetzt die Wasserlache und entschuldigte sich.

»Verzeiht, Señor Pirnero! Ich konnte doch nicht draußen bleiben!« – »Wer verlangt das? Aber Ihr konntet in trockenen Kleidern kommen. Habt Ihr denn keine Frau, die Euch darauf aufmerksam macht?« – »Nein.« – »Nicht? Ja, das habt Ihr nun davon. Anderen Leuten macht Ihr die Stube naß! Der Mensch muß heiraten! Habe ich recht oder nicht?« – »Ich stimme Euch sehr gern bei.« – »Sehr gern? Da sehe ich, daß Ihr Verstand habt, obgleich Ihr kein so berühmter Jäger seid, wie der Schwarze Gerard. Möchte ihn einmal sehen!«

Der Jäger lächelte leise vor sich hin und sagte:

»Da hättet Ihr kürzlich in Chihuahua sein sollen.« – »Warum?« – »Dort ist er gewesen.« – »Das macht Ihr mich nicht weis.« – »Ihr glaubt es nicht?« – »Nein, denn dort sind jetzt die Franzosen.« – »Gerade wegen der Franzosen ist er dort gewesen, ich habe es gehört.« – »Was wollte er bei ihnen, he?« – »Ihre Pläne entdecken.« – »Also sie ausspionieren? Unsinn! Da glaube ich eher, daß die Franzosen zu uns kommen, um die Spione zu machen; das sieht ihnen ähnlich.«

Pirnero warf dabei einen grimmen Blick auf den Gast; dieser jedoch ließ sich nicht irremachen und fuhr fort:

»Und dennoch war er dort, aber sie haben ihn gefangengenommen.« – »Donnerwetter! Ist's wahr?« – »Ja«, antwortete Gerard mit einem leichten, zufriedenen Lächeln.

Es freute ihn ja herzlich, daß der Alte so gut auf den Schwarzen Gerard zu sprechen war. Dieser aber hatte das Lächeln bemerkt und fragte mit finsterem Gesicht:

»Darüber freut Ihr Euch wohl?« – »Ja.« – »Habe mir's gedacht. Ihr seid doch wohl auch ein Franzose?« – »Allerdings, obgleich ich es nicht billige, daß der Kaiser sein Militär nach Mexiko schickt.« – »Wie? Was? Ihr billigt es nicht?« – »Nein.«

Bei dieser Antwort vergaß der Alte ganz seine politische Begabung, fuhr vom Stuhl empor, schritt nahe an den Gast heran und rief:

»Und Ihr denkt wirklich, ich soll das glauben?« – »Natürlich.« – »Ich glaube nur eins, nämlich daß Ihr selbst so ein französischer Spion seid, der zu uns kommt, um uns auszuhorchen. Ihr tut, als ob Ihr auf Euren Kaiser nicht gut zu sprechen wärt; aber ich bin nicht so dumm, wie Ihr denkt! Ich kenne den Finkenfang bei Maxen ganz genau; ich durchschaue Euch, denn Ihr habt Euch verraten.«

Resedilla war erbleicht; es wurde ihr angst. Gerard aber fragte ruhig:

»Wodurch habe ich mich denn verraten?« – »Dadurch, daß Ihr Euch drüber freut, daß die Franzosen den Schwarzen Gerard gefangengenommen haben.« – »Aber er hat sich ja selbst darüber gefreut.« – »Er selbst? Seid Ihr toll?« – »Nein, aber ich versichere Euch, daß er sich wirklich gefreut hat.« – »Warum denn?« – »Weil ihm dabei die Gelegenheit geboten wurde, den Franzosen eine Nase zu drehen.« – »Hat er es denn getan?« – »Das versteht sich. Er ist ihnen sofort wieder entflohen.« – »Ah! Wirklich?« – »Wirklich!« – »Das ist mir denn doch zu abenteuerlich. Seid doch so gut und erzählt es!« – »Herzlich gern, Señor Pirnero.«

Gerard erzählte nun sein Abenteuer so, wie er es erlebt hatte, doch ohne sich merken zu lassen, daß er der Held desselben sei. Auch hütete er sich aus naheliegenden Gründen sehr wohl, sein Zusammensein mit Emilia zu erwähnen. Pirnero hörte ihm mit vollem, ungeteiltem Interesse zu.

»Ja«, rief er am Schluß aus, »den Schwarzen Gerard halten sie nicht fest; das ist ein Teufelskerl! Also er hat ihnen die Wahrheit gesagt? Und darüber freut Ihr Euch selber?« – »Gewiß. Ich bin zwar ein geborener Franzose, aber ich liebe Mexiko und werde für immer in Mexiko bleiben. Darum hasse ich Napoleon, der dieses schöne Land mit Blut überschwemmt, und werde mein Möglichstes tun, um ihn hinauszujagen.« – »Ihr?« fragte der Alte mit eigentümlicher Betonung. – »Ja, ich.« – »Das laßt bleiben. Ihr könnt gar nichts tun. Dazu gehören solche Kerle, wie der Schwarze Gerard einer ist. Ich habe ihm viel zu danken, denn er hat die Wege von allerlei Volk gesäubert. Wißt Ihr vielleicht, ob er schon verheiratet ist?« – »Soviel ich weiß, ist er noch ledig.« – »Hm, das ist ein guter Zug von ihm, der mir gefällt. Aber das darf nicht länger so fortgehen. So ein Mann muß eine Frau haben, eine Frau, die ihm ein Besitztum bringt. Dann hat er eine Heimat, und das ist sehr viel wert, wenn einem der Wind auch einmal die Dachhölzer herunterwirft. Wißt Ihr vielleicht, in welcher Gegend er am liebsten jagt?« – »Überall da, wo ein Wild zu treffen ist; ich habe jedoch erfahren, daß er in nächster Zeit am Fluß zu tun haben wird.« – »Hier am Fluß? Donnerwetter! Vielleicht auch in Fort Guadeloupe?« – »Jedenfalls.« – »Das freut mich unendlich. Trinkt er gern Julep?« – »Höchstens ein Gläschen.« – »Ob viel oder wenig. Wer in Fort Guadeloupe Julep trinken will, muß bei mir einkehren, und so denke ich, daß ich ihn zu sehen bekomme.« – »Ich bin überzeugt, daß er zu Euch kommen wird.« – »Wirklich? Hörst du es, Resedilla?«

Pirneros Tochter antwortete nicht. Sie befand sich in großer Verlegenheit. Die Manie ihres Vaters, vom Heiraten zu sprechen, war ihr höchst fatal.

»Nun, hast du es nicht gehört?« fragte der Alte zornig. – »Ja«, antwortete sie. – »Gut. Und was das beste ist, ich werde ihn sofort erkennen.« – »Woran?« fragte Gerard. – »An seiner Büchse. Ihr Kolben ist von gediegenem Gold, von dem er herunterschneidet, wenn er etwas zu bezahlen hat. Das muß eine Büchse sein. Ein ganz anderes Ding als der alte Schießprügel, den Ihr da neben Euch lehnen habt. Aber sagt, wo seid denn eigentlich Ihr zu Hause, he?« – »Überall und nirgends.« – »Das heißt, Ihr habt keinen festen Wohnort!« – »Ja, so meine ich es.« – Aber Ihr müßt doch ein Haus oder wenigstens eine Hütte haben, wo Ihr während des Winters wohnen könnt« – »Die baue ich mir da, wo ich mich gerade befinde, wenn ich eingeschneit werde. Man jagt im Sommer und Herbst; im Winter bereitet man die Felle zu, und im Frühjahr bringt man sie in die Forts oder Städte zu Markte.« – »Das weiß ich wohl; aber ich danke für ein solches Leben. Nehmt Euch eine Frau, daß Ihr einen festen Platz bekommt. Ihr seid zwar Franzose, aber gebt auf Napoleon nichts, dann findet Ihr überall eine Frau, eine Indianerin oder sonst ein armes, fleißiges Mädchen. Nach einem reichen werdet Ihr freilich vergeblich suchen, denn Ihr habt ja selbst nicht einmal eine ordentliche Jacke. Wo werdet Ihr denn heute bei diesem Regenwetter schlafen?« – »Hier.«

Der Alte zog ein langes Gesicht; er sah den Gast mißtrauisch an und fragte:

»Hier bei mir? Hm, hm. An Nachtgästen liegt mir gar nicht mehr viel. Da ist vor vier Tagen einer dageblieben, der sich für einen reichen Goldsucher ausgegeben hat. Dieser Kerl ist mir des Nachts durchs Fenster gesprungen und fortgeritten samt der Bezahlung.« – »Und da denkt Ihr, daß ich es ebenso machen könnte, wie dieser Mann?« – »Das will ich nicht sagen; aber habt Ihr denn Geld? Ihr trinkt stets nur ein Glas Julep. Das ist kein Zeichen von Reichtum!« – »Vater!« wagte die Tochter in bittendem Ton zu sagen. – »Was denn?« fragte dieser. »Ja, du hast ein mitleidiges Herz, ich aber gehe lieber sicher. Wenn dieser Señor das Lager vorher bezahlt, kann er bei mir bleiben.« – »Ich werde es vorher bezahlen. Was kostet es?« fragte Gerard lächelnd. – »Einen Quartillo.«

Ein Quartillo beträgt ungefähr sechzehn Pfennige deutsches Geld.

»Einen Quartillo nur?« fragte der Jäger erstaunt. – »Ja, denn Ihr werdet doch auf Stroh liegen.« – »Warum? Ich kann ja das Bett bezahlen.« – »Das geht nicht. Seht Euch nur einmal an!«

Resedilla errötete bis hinter die Ohren, aber sie wagte keine Bemerkung.

»Gut«, sagte Gerard. »Hier ist der Quartillo für das Lager und hier auch der Tlaco für den Julep. Seid Ihr nun zufrieden, Señor Pirnero?« – »Ja.«

Ein Tlaco ist ungefähr acht Pfennige, also die Hälfte eines Quartillo.

»Da das nun in Ordnung ist«, sagte Gerard, »möchte ich Euch bitten, schlafen gehen zu dürfen.« – »Schlafen gehen? Schon jetzt? Bei hellem Tag? Seid Ihr gescheit oder nicht?« – »Ich halte mich weder für sehr gescheit, noch für sehr dumm, aber ich bin müde. Ihr werdet jedenfalls einsehen, daß dies bei einem Jäger vorkommen kann.« – »Ja, wenigstens bei einem guten. Was aber habt Ihr denn heute geschossen?« – »Noch nichts.« – »Na, da habt Ihr's! Aber ich will Euch nicht halten, geht in Gottes Namen und schlaft, so lange Ihr wollt. Resedilla, führe den Señor zu den Vaqueros!«

Zu den Vaqueros! Also im Nebengebäude sollte er schlafen. Das war übrigens dem Jäger sehr gleichgültig, obwohl er sich gefreut hätte, nach langen Monaten einmal in einem guten Bett gehörig auszuruhen.

Resedilla erhob sich und wartete an der Tür, daß Gerard ihr folgen solle.

»Gute Nacht, Señor Pirnero!« sagte dieser jetzt, seine Büchse ergreifend. – »Gute Nacht, Señor!« antwortete der Alte und setzte sich dabei wieder an das Fenster, um seine langweiligen Wetterbeobachtungen fortzusetzen.

Draußen an der Tür blieb Resedilla bei Gerard stehen.

»Verzeiht meinem Vater!« bat sie. »Er ist zuweilen eigentümlich, aber doch sehr gut.« – »Ich habe nichts zu verzeihen, Señorita«, antwortete er. »Er kann seine Gäste hinweisen, wohin es ihm beliebt. Ich werde auch auf dem Stroh gut schlafen, denn ich bin in vier Tagen eine Strecke von zweihundert Leguas geritten.«

Resedilla schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Zweihundert Leguas!« rief sie. »Wie ist das möglich?« – »Ich habe acht Pferde dazu gebraucht und bin nicht von deren Rücken gekommen.« – »So habt Ihr während dieser Zeit gar nicht geschlafen?« – »Nein.« – »Oh, da ist es ja ein Wunder, daß Ihr nicht umfallt. Kommt schnell!« – »Bleibt hier, Señorita! Es regnet draußen, und Ihr werdet naß. Ich werde schon die Vaqueros zu finden wissen.« – »Ah, glaubt Ihr wirklich, daß ich Euch auf Stroh schlafen lasse? In diesen nassen Kleidern? Nein, kommt, geht nur mit mir.«

Sie stieg die Treppe empor, und er folgte ihr. Oben schloß sie eine Tür auf, ließ ihn eintreten, und er sah nun ein Zimmer mit einer beinahe vornehmen Einrichtung.

»Aber das ist ja kein Schlafzimmer für Fremde!« sagte er erstaunt – »Eigentlich nicht«, lächelte sie vergnügt »Hier wohnen nur die Verwandten von uns, wenn sie uns besuchen. Hier hat auch meine gute Cousine Emma Arbellez von der Hacienda del Erina gewohnt, als sie zum letzten Mal bei uns war. Seitdem ist sie verschwunden. Setzt Euch einstweilen nieder. Habt Ihr Hunger?« – »Nein, aber ich bin sehr müde.«

Resedilla ging noch einmal fort, und er setzte sich. Er, in seinem Anzug, paßte in Wahrheit nicht in diesen hübschen Raum, doch er setzte sich in einen der Polstersessel. Es vergingen einige Minuten. Die Müdigkeit schloß ihm die Augen. Als Resedilla zurückkehrte, war er wirklich eingeschlafen. Sie setzte nun den Leuchter mit dem Licht auf den Tisch, goß Wasser in das Becken und betrachtete ihn mitleidig.

»Der Arme!« lispelte sie. »Wie müde mußte er sein, um so schnell einzuschlafen! Aber da ist seine Büchse, ich muß mich überzeugen.«

Sie ergriff leise das Gewehr, um es emporzuheben. Es war sehr schwer. Sie sah sich den Kolben an, und ihr Blick erreichte auch die Stelle, wo der Sergeant das Blei hinweggeschnitten hatte.

»Gold, wirkliches Gold!« flüsterte sie. »So ist er es also! Meine Ahnung hat mich nicht getäuscht! Oh, wie mich das freut wie mich das freut! Aber da er selbst nicht davon spricht, werde auch ich schweigen und so tun, als ob ich es gar nicht ahnte.«

Sie stellte das Gewehr wieder hin und berührte den Schläfer leise, um ihn zu wecken.

»Resedilla«, lispelte er, ohne zu erwachen.

Sie errötete, berührte ihn dann aber stärker, so daß er erwachen mußte.

»Ah, ich schlief ein! Verzeiht es mir, Señorita!« bat er. – »Ihr habt nicht um Verzeihung zu bitten. Ich wünsche Euch eine recht gute und lange Ruhe. Gute Nacht, Señor Gerard.« – »Gute Nacht, Señorita!«

Damit ging Resedilla, ohne, wie Gerard eigentlich erwartet hatte, ihn zu fragen, was er mit dem französischen Kapitän getan habe. Die Fürsorge, die sie ihm gezeigt hatte, tat ihm unendlich wohl. Obgleich er außerordentlich ermüdet war, lag er noch einige Zeit, zwar mit geschlossenen Augen, aber doch wachend, auf dem Lager. Ihr liebes, freundliches Bild beschäftigte ihn. Er verglich es mit demjenigen der einstigen Geliebten in Paris, die er so unerwartet als Marketenderin in Chihuahua wiedergefunden hatte. Welch ein Unterschied! Die eine tief in Sünde und Schande, die andere so rein, so keusch und heilig! Die eine entblößt von aller wohltuenden Weiblichkeit, herabgesunken auf die tiefste Stufe, die es geben kann, und die andere umgeben und umduftet von jenem Hauch der Unbeflecktheit, der frommen, unberührten Anmut, ohne welche das Eheglück eine Unmöglichkeit ist.

Dieses reine, süße Bild stand jetzt vor seinem geschlossenen Auge und nahm mit unwiderstehlicher Gewalt Platz in seinem Herzen, es dehnte sich aus, es wuchs immer mehr empor, und es war ihm, als ob sein Leib und seine Seele ganz und gar erfüllt seien von diesem Wesen, so daß kein Plätzchen, nicht der kleinste Punkt übrigbliebe für einen anderen Gedanken oder für ein anderes Fühlen. Und als der Schlummer leise über ihn kam, ging dieses Denken und Fühlen mit in seinen Traum über. Er träumte, daß eine tiefe, traurige Nacht ihn umfangen habe, aber im Osten wurde es licht, die Nebel wichen mit der Finsternis, und strahlend wie die Sonne, von welcher Licht, Wärme und Leben ausgehen, erhob sich das Bild der Geliebten über dem bisher so dunklen Horizont. Ein unendliches Entzücken erfaßte ihn, er breitete seine Arme aus, er sank anbetend nieder, und die himmlische Erscheinung schwebte mit mildem Lächeln auf ihn zu und sank an seine Brust. Diese Berührung durchzuckte ihn mit unbeschreiblicher Wonne und Seligkeit, es war ihm, als sei er nun gereinigt von allen Sünden und Fehlern seines früheren Lebens, als sei er gefeit und geschützt gegen alle zukünftige Gefahr. Er fühlte sich im Himmel, mitten unter den Seligen, sein ganzes Wesen war ein Dank, ein Lob, ein einziges großes Preisen und Jubilieren.


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