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22. Kapitel.

Es ist zuweilen höchst eigentümlich, zu beobachten, wie ein Ereignis sich von ganz verschiedenen Punkten aus vorbereitet, und, konzentrisch verlaufend, seinen Abschluß im Mittelpunkt sucht und findet.

So auch hier. Wir müssen aber einen Sprung tun, um das Spätere vollständig verstehen zu können. Doch hoffen wir, daß dieser Sprung uns zu Personen führt, die das volle Interesse des geneigten Lesers besitzen.

Wir wissen, daß Sternau mit seinen Begleitern in Guyamas gelandet war und mit ihnen beschlossen hatte, sich nach der Hacienda del Erina zu begeben. Kapitän Wagner, der biedere Deutsche, erhielt den Auftrag, den Dampfer um Kap Hoorn zu führen und in Verakruz zu landen, wo ihn neue Ordres erwarten sollten. Dann machten die anderen sich auf den Weg.

Sie hatten in Guyamas gehört, daß Mexiko von Franzosen besetzt sei, daß der Bürgerkrieg wüte und man Gefahr laufe, auf eine der Banden zu stoßen, die raubend und mordend das Land durchzogen. Darum hatten sie vor allen Dingen für eine gute Bewaffnung Sorge getragen, und darum wählten sie auf Sternaus Vorschlag nicht den Weg nach Osten über die Sierra de los Alamos, sondern sie wandten sich längs des Yaquiflusses nach Nordosten, um Chihuahua zu erreichen. Dieser Punkt lag so weit im Norden von der Hauptstadt entfernt, daß sich vermuten ließ, er sei von der politischen und kriegerischen Verwirrung noch nicht ergriffen worden. Sie ahnten nicht, daß Chihuahua bereits von den Franzosen besetzt sei.

In La Junta, wo der Fluß sich in zwei Arme teilt, wollten sie nach Osten biegen. Aber hier erfuhren sie, daß Chihuahua bereits mit in die Konflikte gezogen sei und daß der Präsident Juarez sich nach Paso del Norte zurückgezogen habe, um Kräfte zu einem neuen Schlag zu sammeln.

»Was nun tun?« fragte Don Ferdinando. »Wir haben bereits zu viel gelitten, um uns ernstlich in Gefahr zu begeben.« – »Ich bin überzeugt, daß wir von den Franzosen nichts zu befürchten haben«, antwortete Sternau. – »Aber von den Guerillas, die die Franzosen umschwärmen werden.«

Da nahm Bärenherz das Wort:

»Meine Brüder sollen nicht sogleich nach Chihuahua gehen, sondern mit mir nach den Weidegründen der Apachen kommen. Dort wird große Freude sein über Bärenherz, der zurückkehrt, und er wird dann so viele Krieger der Apachen sammeln, daß meine weißen Brüder sicher nach der Hazienda gelangen können.« – »Sind die Weideplätze der Apachen weit von Chihuahua?« fragte Graf Ferdinando. – »Der Apache reitet an einem Tag nach der Stadt«, lautete die Antwort.

Sternau nickte zustimmend.

»Ich kenne jene Gegenden genau«, sagte er, »und halte es für das beste, dem Rat unseres roten Freundes zu folgen. Wir sind ja sicher, von den Apachen freundlich aufgenommen zu werden, und bei ihnen werden wir dann ganz genau erfahren, in welcher Weise unser Weg fortzusetzen ist.« – »Ja, gehen wir zu den Apachen!« bat auch Emma Arbellez. »Dort in der Nähe liegt Fort Guadeloupe, wo ich Verwandte habe, die sich freuen werden, mich zu sehen. Bei ihnen bin ich damals gewesen, als Bärenherz und Anton mich aus der Gefangenschaft der Komantschen erretteten.« – »Wer sind diese Verwandten?« fragte Sternau. – »Es ist die Familie Pirnero. Er ist ein Deutscher, und seine Frau war meine Tante, die Schwester meines Vaters.« – »Ich bin in der Nähe von Fort Guadeloupe gewesen, aber nicht hineingekommen; darum kenne ich den Namen Pirnero nicht Es wird allerdings von großem Nutzen sein, wenn Sie dort Verwandte haben. Sind wir zu einem Aufenthalt gezwungen, so haben Sie nicht nötig, bei den Apachen zu bleiben. Ich schlage also vor, unsere jetzige Richtung beizubehalten und zu den Apachen zu gehen.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man folgte dem linken Arm des Flusses und bog dann rechts nach der Sierra Carmen hinüber. Dieses Gebirge wurde glücklich überstiegen, und nun hielten die Reisenden auf den Rio de Conchas zu, jenem Fluß, an dem die französische Kompanie nach Norden gezogen war, um Fort Guadeloupe zu überfallen.

Die Karawane bot einen kriegerischen Anblick. Sie war mit guten Pferden und mit kräftigen, ausdauernden Packtieren versehen. Die Männer sowohl als auch die beiden Damen waren sehr gut bewaffnet, und da sich unter jenen Leute befanden, die zu den berühmtesten Jägern gehörten, so brauchten sie vor dem Kommenden eigentlich keine Sorge zu haben.

So waren sie ganz in die Nähe des Rio Conchas gekommen und erreichten die Straße, die von Chihuahua nach El Paso del Norte geht.

Unter dieser Straße darf man sich aber nicht einen wohlchaussierten Verkehrsweg vorstellen. Es war ja nicht einmal die Spur eines Weges oder Pfades zu sehen, aber über dieses ebene Grasland mußte ein jeder reiten, der von einer der beiden Städte nach der anderen wollte.

Eigentlich hatte man die Absicht, diese Straße quer zu durchschneiden, aber da man sich in der Nähe der indianischen Weideplätze befand, so war Vorsicht notwendig. Daher war Sternau mit Bärenherz vorangeritten, um sich keine Spur entgehen zu lassen. Es gab hier zwar offene Prärie, aber hier und da war doch ein Gebüsch zu sehen, das die Aussicht verdeckte.

Ein solches Buschwerk gab es auch jetzt zu umreiten. Sie bogen also um dasselbe herum und hielten augenblicklich, denn fast wären sie mit einem Reiter zusammengestoßen, der von jenseits an den Sträuchern vorüber wollte. Auch er parierte sein Pferd, augenscheinlich ganz ebenso überrascht wie sie.

Es war ein kleiner Kerl in einem Trapperanzug. Seine Waffen waren alt und der Lauf seiner Büchse verrostet, aber er machte ganz und gar den Eindruck eines Mannes, der in diese wilde Gegend gehört, zumal er außerordentlich gut beritten war. Sein Pferd war ein feiner Mustang, der eine sehr gute indianische Dressur besaß, was man deutlich bemerken konnte, als er ihn parierte und rasch zur Seite riß, um augenblicklich zum Kampf gerüstet zu sein.

»Thounds, Donnerwetter!« rief er englisch. »Wer seid Ihr?«

Sternau hatte sich in Guyamas neu gekleidet, und da dort nichts anderes zu finden gewesen war, so trug er, wie alle seine Begleiter, auch Bärenherz und Büffelstirn, die in Mexiko gebräuchliche Tracht.

Deshalb mußte der Mann die beiden für Mexikaner halten. Er hatte im Nu die Büchse erhoben und hielt sie zum Schuß bereit.

»Good day!« antwortete Sternau, ebenso in englischer Sprache. »Ihr fragt uns, wer wir sind. Wir aber sind ihrer zwei und haben also wohl das Recht, diese Frage auszusprechen. Also, wer seid Ihr, Señor?«

Der Kleine mußte an der hohen Gestalt Sternaus emporblicken, aber es zeigte sich nicht die leiseste Spur von Furcht in seinem Gesicht. Er antwortete aber bereitwillig:

»Ihr habt recht, Señor. In der Prärie haben zwei gegen einen die Vorhand, obgleich ich mir den Teufel daraus mache, ob ich einen oder fünf gegen mich habe. Übrigens brauche ich mich meines Namens nicht zu schämen. Habt Ihr vielleicht einmal von einem Jäger gehört, den man den Kleinen André nennt?« – »Nein.« – »Hm, so seid Ihr wohl nicht aus dieser schönen Gegend hier?« – »Allerdings nicht.« – »Dann läßt sich das Ding erklären. Dieser Kleine André bin ich, heiße aber eigentlich Andreas Straubenberger.« – »Straubenberger?« fragte Sternau überrascht. »Das ist ja ein deutscher Name!« – »Ja, ich bin ein Deutscher.« – »Gut, so nehmen Sie in Gottes Namen Ihre Büchse herunter«, meinte Sternau in deutscher Sprache. »Auch ich bin ein Deutscher.«

Da machte der Kleine eine Bewegung des freudigsten Erstaunens, ließ das Gewehr sinken und rief:

»Sie auch ein Deutscher? Ah, welche Freude! Aus welcher Gegend?« – »Aus der Gegend von Mainz.« – »Von Mainz? Dort ist mein Bruder.«

Das fiel Sternau sofort auf.

»Wo ist er da?« – »In einem Nest, das Rheinswalden heißt.« – »Ah, der brave Ludwig Straubenberger?«

Bei dieser schnellen Frage Sternaus sprang der Kleine beinahe im Sattel empor.

»Was? Wie? Sie kennen meinen Ludwig?« fragte er. – »Sehr gut!« – »Donnerwetter! Und ich wollte Sie erschießen!« – »Das wäre Ihnen denn doch ein wenig schwer geworden«, meinte Sternau lachend. – »Oh, Sie sind lang und breit genug«, meinte der Kleine lustig. »Einen Fehlschuß hätte ich also gar nicht tun können. Aber, woher kommen Sie und wohin wollen Sie?« – »Wir kommen von der See herüber und wollen entweder nach Paso del Norte oder nach Fort Guadeloupe, ganz, wie wir es finden.« – »Zu wem, in Paso del Norte?« – »Zu Juarez.« – »Und zu wem in Fort Guadeloupe?« – »Zu einem, der Pirnero heißt.« – »Ah, den kenne ich gut! Er ist ein Deutscher aus Pirna in Sachsen. Aber, Herr, den Juarez werden Sie in Paso del Norte nicht mehr finden.« – »Nicht? Wo sonst?« – »Hier oder da im Wald oder in der Prärie.«

Sternau blickte den Sprecher scharf an und sagte:

»Sie kennen den Ort und wollen mir ihn verschweigen!« – »Das ist richtig, denn ich kenne Sie noch nicht.« – »Mein Name ist Sternau.« – »Sternau?« fragte der Kleine nachdenklich. »Hm, ist mir doch, als ob ich diesen Namen bereits gehört hätte. Ah, ja! Señorita Resedilla hat ihn genannt. Ein Sternau ist auf der Hacienda del Erina gewesen und dann verschwunden.« – »Der bin ich.«

Da machte der Kleine den Mund weit auf, starrte dem Sprecher in das Gesicht und sagte:

»Der? Der wären Sie?« – »Jawohl!« – »Unmöglich!« – »Warum unmöglich?« – »Da wären Sie ja der berühmteste Kerl, den man in der Savanne kennt« – »Inwiefern?« fragte Sternau, leise lächelnd. – »Inwiefern? Weil jener Sternau der famose Jäger war, der von allen Westmännern und Rothäuten der Fürst des Felsens genannt wurde.« – »Sie meinen Matavase? Der bin ich.«

Das war dem Kleinen denn doch zu viel.

»Aber Sie sind ja verschwunden!« rief er, ganz perplex geworden. – »Richtig! Doch jetzt komme ich wieder.« – »Kaum glaublich! Wissen Sie, mit wem Sie verschwunden sind?« – »Natürlich! Ich muß dies ja am besten wissen.« – »Nun, mit wem?« – »Ah, Sie wollen mich examinieren, um zu sehen, ob ich wirklich die Wahrheit rede?« – »Ja«, entgegnete André aufrichtig. »Es wäre ja ein wahres Wunder, wenn der Fürst des Felsens so unerwartet wiedererschiene, und sogar hier bei uns. Oh, wir könnten ihn sehr gut gebrauchen. Ah, wer ist das? Wer sind die?«

Jetzt waren nämlich die anderen nahe gekommen. Bisher von dem Buschwerk verdeckt, hatte André sie nicht sehen können.

»Das sind eben die, mit denen ich verschwunden war. Der hier neben mir ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Donnerwetter!« rief der Kleine, den Häuptling mit weitaufgerissenen Augen betrachtend. – »Der, der voran reitet, ist Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas.« – »Kreuzmillion!« – »Hinter ihm reiten zwei Brüder. Der eine ist der Schwiegersohn des Haciendero del Erina, wenn Sie von ihm gehört haben.« – »Donnerpfeil?« – »Ja.« – »Halten Sie ein! Sonst bleibt mir der Verstand stillestehen! Welch ein Zusammentreffen! Welch eine Begegnung! Das hätte ich mir nicht träumen lassen!« – »Glauben Sie nun, daß ich der richtige Sternau bin?« – »Ja, gern und gewiß. Diese verteufelte mexikanische Tracht hat mich irregemacht. Verzeihen Sie! Hier meine Hand. Lassen Sie uns absteigen, ich habe Ihnen einiges zu sagen, was von Interesse für Sie ist.«

André sprang vom Pferd, und Sternau und Bärenherz folgten ihm.

Jetzt waren auch die anderen herbeigekommen.

»Ah, eine Begegnung! Mit wem?« fragte Graf Ferdinando. – »Mit einem Deutschen, einem Landsmann von mir«, antwortete Sternau. »Er wird als Jäger der Kleine André genannt und hat, wie mir scheint, Wichtiges mitzuteilen. Lassen Sie uns daher eine kleine Rast halten.«

Sie alle stiegen ab und lagerten sich in das Gras, während die Pferde frei weiden durften. André sah sich nun zu seinem Erstaunen auch zwei Damen gegenüber. Sein Auge wurde jedoch besonders von dem Äußeren des alten Grafen angezogen, dessen schneeweißes Haar auf die Schultern herabwallte, während sein Bart bis zum Gürtel ging.

»Reden Sie vielleicht spanisch?« fragte Sternau den kleinen Jäger. – »Ja, so weit es nötig ist«, antwortete dieser. – »So bedienen Sie sich dieser Sprache; dann werden Sie von allen verstanden. Also, welche Nachricht bringen Sie uns?« – »Zunächst die, daß Juarez sich nicht mehr in Paso del Norte befindet« – »Das sagten Sie bereits.« – »Aber Sie wollten wissen, wo er ist« – »Ja.« – »Er ist nicht weit von hier. Aber da muß ich Sie erst fragen: Mit wem halten Sie es, mit den Franzosen oder mit den Mexikanern?« – »Mit jenen ebensowenig wie mit diesen. Wenn Sie von mir gehört haben, so wird es Ihnen bekannt sein, daß ich nie Partei ergriffen habe.« – »Ja, es ist wahr, und das genügt. Sie müssen nämlich wissen, daß die Franzosen Chihuahua besetzt hatten. Sie sandten eine Kompanie aus, um Fort Guadeloupe zu erobern; aber diese Kompanie wurde von den Apachen vollständig aufgerieben.« – »Ugh!« rief Bärenherz, als er von den Apachen hörte. – »Der Anführer der Apachen war Bärenauge.« – »Bärenauge? Wer ist das?« fragte der Häuptling.

Der Indianer empfängt nämlich seinen eigentlichen Namen erst, wenn er Krieger wird. Als Bärenherz seinen Bruder zum letzten Mal gesehen hatte, war dieser noch ein Knabe ohne Namen und Berühmtheit gewesen. Dies ahnte der Kleine André; darum erklärte er in der Ausdrucksweise der Indianer

»Als Bärenherz so schnell verschwunden war, hatte er einen jungen Bruder. Dieser wurde ein berühmter Krieger. Weil er seinen Bruder Bärenherz suchte, nannte er sich Bärenauge. Er fand jenen nicht und glaubte, er sei von den Weißen getötet worden, darum nahm er sich in jeder Woche den Skalp eines Bleichgesichtes. Jetzt ist er der tapferste und berühmteste Häuptling der Apachen.« – »Ugh!«

Nur diese eine Silbe sagte Bärenherz, aber es sprach sich in derselben die ganze Fülle seiner brüderlichen Liebe, Dankbarkeit und Befriedigung aus. Keiner versteht es ja so wie der Indianer, eine Welt voll Gefühl in einen einzigen Laut zu legen.

»Bärenauge führte die Apachen, die die Franzosen vernichteten«, fuhr André fort. – »Er ist mein Bruder!« antwortete Bärenherz einfach, aber mit sichtlichem Stolz.

Der kleine Jäger fuhr in seinem Bericht fort:

»Dann zog er mit seinen Apachen nach Osten zu General Hannert, der mehrere Millionen Dollar bei sich hatte, die er Juarez bringen sollte. Er wurde von sechshundert Komantschen eingeschlossen. Bärenauge befreite ihn, indem er die Komantschen tötete, so daß nicht ein einziger entkommen ist« – »Ugh!« rief der Indianer. »War der kleine, weiße Mann selbst dabei?« – »Ja, ich war dabei. Ich habe Bärenauge als Führer gedient.« – »So bist du der Freund meines Bruders?« – »Ja.« – »Ugh! So sollst du auch der meinige sein!«

Der Indianer streckte André die Hand entgegen, die dieser ergriff und drückte, stolz darauf, der Freund dieses berühmten Apachen zu sein.

»Wir brachten das Geld zu Juarez«, begann dann der Kleine wiederum. »Kaum angekommen, erhielten wir die Nachricht, daß die Franzosen den Verlust ihrer Kompanie erfahren hatten. Sie hatten schleunigst Verstärkung an sich gezogen und marschieren nun, dreihundert Mann stark, abermals auf Fort Guadeloupe zu, um dasselbe zu überrumpeln. Juarez brach mit allen seinen verfügbaren Leuten und den Apachen auf, um ihnen entgegenzugehen. Er wird sie vernichten, wo er sie trifft, dann aber direkt auf Chihuahua marschieren, um es zu nehmen. Diese Stadt ist, da die dreihundert Mann fort sind, verhältnismäßig von Truppen entblößt und wird sich also ergeben müssen.« – »Warum sind Sie aber nicht bei Juarez?« fragte Sternau. – »Ich wurde von ihm abgeschickt, um in der Nähe von Chihuahua auszuforschen, wie dieser Platz am besten genommen werden kann. Eigentlich war der Schwarze Gerard dazu ausersehen. Dieser aber hat sich erbeten, nach Fort Guadeloupe gehen zu dürfen. Er hat Bekannte dort, die er beschützen will.« – »Der Schwarze Gerard? Wer ist das?« fragte Sternau. – »Ein berühmter Jäger.« – »Ich kenne ihn nicht.«

Da besann sich der Kleine André und antwortete:

»Oh, Sie kennen ihn sehr gut.« – »Ich habe diesen Namen noch niemals gehört. Wenigstens kann ich mich seiner nicht erinnern.« – »Er hat mir von Ihnen erzählt. Er weiß sehr viel von Ihren Erlebnissen.« – »Ah, woher?« – »Zunächst von früher her, und dann hat er auch von Señorita Resedilla viel über Sie gehört.« – »Resedilla?« fiel Emma Arbellez ein. »Welche Resedilla meinen Sie?« – »Die Tochter des alten Pirnero in Fort Guadeloupe.« – »Ah, meine Cousine! Wie geht es ihr? Wie sieht sie aus? Hat sie von mir gesprochen?« – »Ja, Señorita, ich kann nicht antworten, da ich nicht weiß, wer Sie sind.« – »Ich bin Emma Arbellez, das Schwesterkind Pirneros.« – »Von der Hacienda del Erina?« – »Ja.« – »Alle tausend Teufel! Da ist ja eine ganze, regelrechte Christbescherung beisammen! Müßte ich nicht nach Chihuahua, ich ritte sofort nach Fort Guadeloupe, um die frohe Botschaft zuerst zu überbringen. Señorita Resedilla ist ein sehr schönes Mädchen geworden.« – »Ist sie verheiratet?« – »Nein, obgleich ihr Vater ihr durchaus einen Mann geben will.« – »So lebt er noch, der Onkel Pirnero?« – »Freilich! Der stirbt noch lange nicht Ich war jüngst einige Tage bei ihm und habe mich viel mit ihm unterhalten. Er fängt stets vom Wetter an und hört beim Schwiegersohn auf. Ich wartete dort auf den Schwarzen Gerard, der ... ah, Señor Sternau, da fällt mir ein, daß ich Ihre Fragen gar nicht beantwortet habe. Waren Sie nicht einmal in Paris?« – »Ja, öfters.« – »Haben Sie ein Mädchen aus der Seine gezogen?« – »Allerdings.« – »Kannten Sie den Bruder dieses Mädchens?« – »Ja.« – »Können Sie sich auf seinen Namen besinnen?« – »Er hieß, glaube ich, Gerard Mason, und seine Schwester nannte sich Annette.« – »Richtig! Dies ist der Schwarze Gerard.« – »Ah! So ist er nach Amerika gegangen und Jäger geworden?« – »Und was für ein Jäger! Er ist berühmt soweit die Savanne reicht«

Sternau erinnerte sich, daß Annette ihm ihre Familienverhältnisse mitgeteilt hatte. Er besann sich darauf, daß Mason Garotteur gewesen war, aber er verschwieg dies hier, um dem Ruf dieses Mannes nicht zu schaden.

»Und dieser Gerard ist jetzt in Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete André. – »Wie weit ist es bis dahin? Einen Tagesritt?« – »Fast genau. Sie können recht gut morgen um dieselbe Zeit dort sein.« – »Und wo ist Juarez zu finden?« – »Irgendwo südlich vom Fort. Er ist den Franzosen entgegen.« – »So müßten wir ganz sicher auf seine Fährte treffen, wenn wir von hier aus in gerader Richtung auf Fort Guadeloupe reiten.« – »Unbedingt« – »Gut, wir werden das tun. Wir werden Sie hoffentlich wiedersehen, wenn wir bei Juarez sind?« – »Ich muß ihn ja wieder aufsuchen, um ihm Bericht zu erstatten. Aber ich rate Ihnen, nach dem Fort zu gehen und dort die Damen unterzubringen, ehe Sie dem Präsidenten folgen. Man weiß nicht, welchen Gefahren man entgegengeht.« – »Sie haben recht, und vielleicht folgen wir Ihrem Rat. Aber sagen Sie mir, wie Sie nach Amerika gekommen sind. Ihr Bruder hat niemals von Ihnen gesprochen.« – »Das glaube ich. Wir sind zerfallen.« – »Ah! Wie schade! Weshalb?« – »Eines Mädchens wegen. Ich hatte es lieb und er auch; es zog mich vor, und da ging er in die Fremde. Wir haben einander einige Male geschrieben, aber ganz kurz, das Allernötigste; dabei ist es denn auch geblieben.« – »So waren Sie verheiratet?« – »Nein. Sie wurde mir untreu. Der Teufel hole die Liebe! Nun ging ich auch in die Fremde. Schließlich kam ich als Brauer nach Amerika; aber es klappte nicht Da nahm ich den Schießprügel und wurde Jäger. Das ist mein ganzer Lebenslauf. Jetzt habe ich Ihnen alles gesagt, und ich muß fort, denn ich darf keine Zeit verlieren.«

André stand auf und ging zu seinem Pferd. Auch die anderen erhoben sich, es wurde Abschied genommen. Das Zusammentreffen mit dem kleinen, einfachen Jäger hatte Sternau verschiedenen Nutzen gebracht, darunter auch die Hoffnung, über gewisse Dunkelheiten bereits recht bald einige Aufklärung zu erhalten.

In der Prärie wird man schneller bekannt und vertraut, als in den Salons der Großstädte. Als André den anderen die Hand reichte, war es allen, als ob ein alter Bekannter Abschied nähme, und sie sahen ihm nach, bis er am Horizont verschwunden war.

Bald stiegen die Reiter und Reiterinnen wieder zu Pferde.

»Es wird gut sein, unsere Tiere jetzt anzustrengen«, sagte Sternau. »Wenn wir die Fährte der Apachen finden wollen, so gilt es, sie noch bei Tageslicht zu erreichen; dann können wir ausruhen. Also Galopp, bitte ich!«

Da setzte sich Bärenherz an die Spitze. Obgleich er kein Wort sagte, wußten nun doch alle, daß diese Gegend ihm bekannt sei und er daher die Führung übernehmen wolle.

So ging es im raschesten Tempo bis zur Mündung des Rio Conchas. Dort wurde über den Rio Grande del Norte gesetzt, und dann ging es in unverminderter Eile weiter.

Eine Stunde nach Mittag wurde den Tieren einige Ruhe gegönnt. Sobald sie sich aber einigermaßen erholt hatten, nahm man den Weg mit gleicher Schnelligkeit wieder auf.

Die Pferde jener Gegenden leisten beinahe Unglaubliches. So kam es, daß sie fast bis gegen Abend aushielten, bis man die Sierra del Chanate erreicht hatte.

Da, wo diese Sierra mit den Teufelsbergen zusammenstößt, liegt jener Paß, in dem die französische Kompanie vernichtet worden war. Noch war dieser Paß nicht erreicht, sondern man sah nur die Öffnung, die er im Westen nach der Prärie bildet, da hielt Bärenherz sein Pferd an und beugte sich beobachtend zum Boden herab.

»Uff!« sagte er.

Sternau ritt heran und beobachtete das Gras. Es war niedergetreten. Es gab hier eine Fährte, so schmal, als ob nur ein einziger Reiter geritten sei, aber erfahrene Westmänner konnten sich dadurch nicht täuschen lassen.

»Der Weg der Apachen«, sagte Sternau. – »Hier sind meine Krieger geritten«, bestätigte Bärenherz, indem sein Auge aufleuchtete.

»Was wird mein Bruder tun?« fragte Sternau. – »Er wird der Stimme seines Herzens folgen«, sprach der Apachenhäuptling.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog er sein Pferd herum und sprengte im Galopp davon, nach Süden zu, der Fährte nach, die sich hart am Fuß der Sierra hinzog.

»Wohin will er?« fragte Graf Ferdinando besorgt. – »Er folgt seinen Apachen«, antwortete Sternau. – »Ah, sie sind hier geritten?« – »Ja.« – »Aber wir werden ihn verlieren!« – »Ihn? Bärenherz? Unmöglich!« – »Sie meinen, daß wir ihm nachreiten?« – »Nein. Wir werden uns nach dem Fort Guadeloupe begeben, zuvor aber an irgendeinem Platz übernachten.« – »Und Bärenherz?« – »Lassen Sie ihn! Er ist ein Indianer und kennt unsere Lage. Er wird sich ganz sicher auf irgendeine Weise wieder zu uns finden.«

Diese Worte beruhigten die anderen, und so ritt man weiter.

Als sie sich der Öffnung des Passes näherten, hielt Sternau an und sagte:

»Hier ist jedenfalls der Übergang über die Sierra. Dies gibt gewiß einen Paß, der vielleicht länger ist, als wir denken. In einem solchen aber soll man niemals das Nachtlager aufschlagen, da ein Überfall da stets doppelt gefährlich ist. Ich schlage vor, unseren Ruheplatz diesseits zu suchen und nicht jenseits.« – »Aber es ist noch nicht Nacht«, bemerkte der alte Graf. – »Die Nacht würde uns vielleicht im Paß überraschen.« – »Was schadet das? Wer wird uns überfallen?« – »Wir haben gehört, daß die Apachen den Mexikanern, die Komantschen aber den Franzosen helfen. Beide stehen sich als Feinde gegenüber; ihre Gebiete stoßen hier in der Nähe zusammen, und an den Grenzen hat man sich stets am meisten vorzusehen. Ich bleibe bei dem Rat, den ich gegeben habe. Was sagt Büffelstirn dazu?« – »Mein weißer Bruder hat recht!« antwortete der Gefragte ruhig.

Bei diesen Worten wandte er sein Pferd zur Seite und sprengte davon.

»Wohin reitet er?« fragte Emma ängstlich. – »Keine Sorge, Señorita«, entgegnete Sternau. »Der Häuptling der Mixtekas beweist mir seine Zustimmung durch die Tat. Er geht einfach fort, um einen Platz zu suchen, der sich zum Nachtlager eignet.« – »Aber konnte er das nicht vorher sagen?« – »Der Präriemann ist gewöhnt, viel zu tun und wenig zu sagen. Warten wir einfach, bis er wiederkommt.«

Sie hielten an und warteten. Bald kehrte Büffelstirn zurück und winkte den übrigen. Sie ritten auf ihn zu, und nun geleitete er sie an eine Einbuchtung der Savanne, die rings von Büschen so umgeben war, daß man recht gut ein helles Feuer brennen konnte, ohne daß es von weitem bemerkt wurde.

Hier stieg der Häuptling der Mixtekas, ohne ein Wort zu sagen, vom Pferd, ließ sein Tier grasen und schickte sich an, dürre Äste zur Feuerung zu suchen. Dieses wortlose, bestimmte Wesen ist einem jeden guten Jäger eigen. Es macht stets einen tiefen Eindruck auf den Neuling und Unerfahrenen und hat ein unwillkürliches, rückhaltloses Vertrauen zur sicheren Folge.

Als die Flamme zu lodern begann, machten es sich die Reisenden im Kreis bequem. Sternau patrouillierte der Sicherheit halber die Umgebung ab und bestimmte dann die Reihenfolge der Wachen, von der die Damen natürlich ausgeschlossen waren.

Hier an diesem wohlverwahrten Ort wäre es den Apachen jedenfalls nicht so leicht geworden, die Franzosen zu überfallen und zu vernichten, wie drinnen in der Schlucht des Passes.


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