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20. Kapitel.

Für den Geschichtsschreiber gibt es keine Zeiträume und Ortsentfernungen. Er überspringt sie spielend, ohne sich von seinem Schreibtisch zu erheben. Von diesem Recht machen auch wir Gebrauch, indem wir uns aus der Savanne in Neumexiko nach Norden versetzen, um Personen zu sehen, die uns im höchsten Grad interessieren müssen.

Als Ferdinand Cortez Mexiko erobert hatte, ließ ihm der König von Spanien sagen, er solle sich etwas erbitten, was ihm sofort gewährt werden würde. Da dachte der schlaue Spanier an Dido, die Karthago gegründet hatte. Er tat dasselbe, was diese berühmte Königin getan hatte, und erbat sich so viel Land, als er mit einer Kuhhaut umspannen könne. Diese Bitte wurde ihm, da sie sehr bescheiden klang, gewährt. Da ließ er eine große Haut in haardünne Streifen schneiden und umspannte auf diese Weise ein Areal, das natürlich weit größer war, als der König geahnt hatte.

Diese Besitzung und die in ihr gegründete Stadt besteht noch. Sie wird zum Andenken an jenen Streich Cuernavaca genannt, zu deutsch »Kuhhaut«.

Das alte Schloß ist ein großes Viereck, das in architektonischer Beziehung keine Bedeutung hat. Jetzt in eine Kaserne verwandelt, besitzt es nichts, was an die vergangene Pracht und Herrlichkeit erinnern könnte.

Die Stadt ist klein und, wie alle mexikanischen Städte, sehr regelmäßig gebaut, jedoch teils schlecht, teils gar nicht gepflastert. Von Trottoirs und Gas ist keine Rede, nicht einmal Öllampen gibt es in den Straßen.

Und dennoch befand sich in dem kleinen, unscheinbaren Ort das Hoflager des Kaisers Max von Mexiko, der hier ganz in der Weise eines Privatmannes lebte.

Dies hatte seinen Grund in der prächtigen Lage des Städtchens.

Es liegt kaum dreizehn Legua – altes spanisches Wegemaß, in Mexiko 1 Legua 4190 m – von Mexiko entfernt im Tal, von allen Seiten gegen Winde geschützt. Bezaubert durch die Schönheit und den Reichtum der tropischen Natur, hatte der poetische Sinn des Kaisers sich dieses Eldorado als Erholungsort erkoren. Es war sein Lieblingsaufenthalt. Wenn die Staatsgeschäfte ihm und der Kaiserin gestatteten, den Staub der Hauptstadt auf einige Tage abzuschütteln, so eilten die Majestäten nach Cuernavaca, um Ruhe für den Geist und Körper zu finden. Bisweilen zog sich Max allein dahin zurück, um fern von französischen Machinationen und Einflüssen sich mit einigen Vertrauten ernsten Reformplänen zu widmen.

Es ist schwer, sich etwas weniger Kaiserliches zu denken, als die bescheidene Villa, die der Kaiser dort gemietet hatte. Aber welche Umgebung!

Der Garten machte den Eindruck einer Zauberlandschaft; der Beschauer wähnte sich in ein Feenreich versetzt. Dennoch war alles Natur und nichts Kunst! Keines Gärtners Hand hatte die wilde Jungfräulichkeit des die Villa umgebenden Rosenwaldes entweiht. Haushohe Kaktus- und Alongpflanzen, mächtige Palmen verschiedenster Gattung, wilde Zitronen- und Orangenbäume und vereinzelte majestätische Zypressen überragten ein Gefilde hochstämmiger Rosen, die in allen Farben prangten.

Und als ob die Königin der Blumen eifersüchtig gewesen sei auf diese stolzen Repräsentanten eines dunkel- und hellgrünen Blätterreichtums, so schlangen sich um Stämme und Äste die verschiedenartigsten Lianen und Schlingpflanzen, hier schneeweiß, dort dunkelrot, purpurn erglühend, violett und rosa, alle himmelwärts strebend und mit ihren Düften wetteifernd mit den Wohlgerüchen, die den Millionen und Abermillionen von Rosen entströmten.

Durch diese duftende Wildnis schlängelten sich ländliche Fußwege, deren Stille durch das Halleluja der buntgefiederten Vögel unterbrochen wurde. Es war ein Paradies im kleinen, ein Eden, für das sich selbst Hafis, der persische Dichter, der Sänger der Liebe und der Rosen, hätte begeistern müssen.

Auf einem dieser Wege wandelte Kaiser Max, an seiner Seite ein Mann in reicher, goldstrotzender Nationaltracht. Dieser Mann, dunkelhaarig und dunkeläugig, war von nicht hoher, aber sehniger Gestalt. Sein gelb angehauchtes Gesicht zeigte eine große Beweglichkeit der Mienen, und in seinen Augen brannte eine Glut, wie sie nur dem Südländer eigen sein kann. Es war General Mejia, jener treue Freund des Kaisers, der später mit ihm am 19. Juni 1867 auf dem Berro von Querétaro erschossen wurde.

Die beiden Spaziergänger waren augenscheinlich in ein sehr ernstes Gespräch vertieft.

»Sie malen jedenfalls zu schwarz, lieber General«, sagte der Kaiser in seiner sanften Weise, indem er eine der Rosen vom Zweig brach und ihren Duft einsog. – »Wollte Gott, Majestät hätten recht!« antwortete Mejia. »Und wollte Gott, ich dürfte so sprechen, wie ich reden möchte!«

Da hielt der Kaiser seinen Schritt an, sah dem General forschend in das Auge und fragte in beinahe erstauntem Ton:

»Warum sprechen Sie nicht so?«

Der Gefragte ließ seinen Blick über die Rosenflut gleiten, schwieg eine ganze Weile und antwortete langsam:

»Dies verbietet mir die Majestät des Kaisers.«

Max blickte zu Boden und meinte halb scherzend und halb traurig:

»Ist meine Majestät so glänzend, so blendend? Ich dächte nicht, daß der Anblick meines Thrones einen so niederschmetternden Eindruck macht!« – »Und doch muß ich bei meinem Ausspruch beharren.« – »Aber ich bin hier in Cuernavaca nicht Kaiser, sondern Privatmann!« – »Das ist eine Huld, die die Anhänger Eurer Majestät dankbar anerkennen; aber man darf dem Privatmann trotzdem nicht sagen, was den Kaiser kränken oder beleidigen könnte.«

Da legte Max seine Hand hastig auf den Arm des Generals und bat:

»Sprechen Sie in Gottes Namen, lieber General! Der Kaiser wird Ihnen nicht zürnen.« – »O doch, Majestät!« – »Nun, so befehle ich es Ihnen!«

Diese wenigen Worte wurden in einem Ton gesprochen, der jeden Widerspruch ausschloß. Darum meinte der treue General:

»So werde ich gehorchen, selbst auf die Gefahr hin, mir die allerhöchste Gunst zu verscherzen.« – »Meine Gunst bleibt Ihnen treu. Denken Sie, daß Sie mit einem Freund, einem Vertrauten sprechen, der auch Unangenehmes vertragen kann. Wir waren bei meinen Reformplänen. Sie stimmten nicht zu!« – »Ich kann leider nicht!« – »Warum?« – »Majestät haben einen hocherlauchten Ahnen, der von gleichem Eifer durchdrungen war.« – Ah, Sie meinen Josef den Zweiten?« – »Ja. Der Lohn seines Strebens war Undank und Enttäuschung.« – »Nicht durchaus!« – »Aber doch zumeist!« – »Er ging zu rasch vor. Er war den Verhältnissen vorausgeschritten.« – »Und doch war er in diesen Verhältnissen geboren und aufgewachsen. Sie waren ihm nicht fremd, er kannte sie genau; aber seine Begeisterung für das Glück seines Volkes ließ ihn die Macht dieser Verhältnisse verkennen.« – »Sie urteilen scharf, aber doch vielleicht nicht ganz unrichtig, General.« – »Ich danke für diese Zustimmung und erlaube mir einen Vergleich.« – »Zwischen ihm und mir?« – »Ja.« – »So wird dieser Vergleich wohl schwerlich zu meinen Gunsten ausfallen!« sagte der Kaiser mit mildem Lächeln. – »Oh, Majestät teilen die Begeisterung Ihres edlen Vorgängers, aber Majestät befinden sich auf völlig unbekanntem Boden.« – »Sie wollen sagen, daß ich noch viel mehr Grund habe als Josef, langsam vorzugehen, daß ich mich vor jeder Übereilung hüten solle?« – »So ähnlich. Ich denke an das Beispiel eines neuen Lehrers, der gleich am Tag seines Amtsantritts reformieren will, ohne seine Schüler zu kennen.« – »Ich danke für diesen Vergleich!« lächelte der Kaiser. – »Verzeihung!« bat Mejia. »Aber sagten Majestät vorhin nicht selbst, daß es die heiligste Pflicht und die größte Wonne eines Herrschers sein müsse, der Lehrer, der Schulmeister seines Volkes sein zu können? Wir befinden uns in einem Land, dessen Boden vom Blut raucht; wir sind umgeben von einem Volk, das gewalttätiger ist als jedes andere; wir stehen gesetzlos da, indem wir ja erst im Begriff sind, Gesetze zu schaffen. Christus zog in Jerusalem ein, und alles Volk schrie Hosianna; drei oder mehrere Tage später schlug man ihn an das Kreuz!«

Das war viel gewagt und gesagt von dem General. Es traf den Kaiser tief in das Herz. Dieser schritt langsam und schweigend weiter und sagte erst nach einer längeren Pause:

»Sie denken an das Hosianna meines Einzuges?« – »Ja, Majestät.« – »Nun zweifeln Sie an der Wahrheit der damaligen Begeisterung?« – »Mit vollem Recht, Majestät.« – »Ah!« – »Wer hat Sie empfangen, Majestät? Die Bevölkerung? Nein. Die Franzosen? Ja, sie und ihre Geschöpfe. Die Rufe der Begeisterung waren gemacht, waren künstlich, ich weiß es genau. Glauben die Franzosen etwa, daß sie festen Fuß in Mexiko gefaßt haben? Da irren sie sich!« – »Das sagen Sie bei dem Militär, über das Sie hier gebieten?« – »Gelang es Napoleon dem Ersten, Spanien zu erobern? Ebensowenig wird es seinem Neffen gelingen, Mexiko zu halten. Die Franzosen stehen nicht auf festem Boden, sondern auf einem sehr schlecht zusammengefügten Floß, welches jeden Augenblick zerschellen kann. Mexiko zählt hunderte von Kratern, auch das Volk ist ein Vulkan. Es gären unterirdische Kräfte in ihm; seine Eruptionen sind furchtbare. Und wenn Napoleon eine Million Zuaven und Turkos sendet, sie werden doch eines Tages in die Luft geschleudert werden!« – »Welch eine Perspektive!« rief der Kaiser. – »Ich wage, an diese Perspektive zu denken, um Eure Majestät zu warnen, sich dem Mann an der Seine anzuvertrauen. Ein Herrscher von Mexiko darf nicht das Geschöpf eines anderen sein; er muß seine Kraft und Macht aus Mexiko selbst ziehen, er darf weder vertrauen, noch dichten und träumen, nicht das Land betreten mit liebevollen Plänen, sondern mit dem Säbel in der Faust. Der Mexikaner ist ein Feind der Ordnung: er spielt mit dem Widerstand und der Empörung, er gleicht dem halbwilden Tier, das man nicht mit einem Zuckerbrot lockt, sondern mit dem Lasso niederreißt.«

Der General hatte sich in Eifer gesprochen; er sagte die reine, volle Wahrheit, von welcher er selbst durchdrungen war; und dabei vergaß er, seiner Ansicht jene Gewandung zu geben, die man für notwendig hält, wenn man zu einem gekrönten Haupt spricht.

Der Kaiser schritt sinnend neben ihm her. Seine Miene war sehr ernst geworden, aber er sagte kein Wort, das angedeutet hätte, daß er beleidigt sei. Mejia fuhr fort:

»Der Mexikaner haßt den Franzosen, es wird ihm unmöglich sein, den zu lieben, den der Franzose ihm zum Herrscher gibt.« – »General!« sagte jetzt endlich Max in mahnendem Ton. – »Ah, Majestät, ich sollte die Wahrheit sagen.« – »Gut. Aber Sie sprachen vorhin von dem Geschöpf eines anderen!« – »Ich gebe zu, daß dieser Ausdruck nicht hoffähig ist, aber ich mußte mich seiner bedienen, um zu beweisen, daß er von anderen gebraucht wird.«

Da runzelte der Kaiser die Stirn und fragte:

»Wer sind diese anderen?« – »Erstens die Mexikaner ...« – »Ah, erstens! Aber zweitens?« – »Die Herren Franzosen selbst.« – »Unmöglich!«

Der Kaiser sprach dieses Wort im Ton des ehrlichsten Zweifels aus. Mejia aber antwortete:

»Unmöglich? Majestät, ich habe dieses Wort gehört, zehnmal, hundertmal; ich garantiere mit meinem Ehrenwort dafür.« – »Auch von den Franzosen?« – »Ja, von hohen Offizieren!« – »Mein Gott!«

Max legte die Hände zusammen und sah nach oben. Mejia bemerkte dies. Seine Lippen preßten sich zusammen, seine Stirn wurde finster. Er sagte:

»Ich wollte, ich wäre Kaiser!« – »Ah, warum?« – »Dann würde ich Mejia bitten, mir zu sagen, was ich tun soll.« – »Nun, ich bitte Sie.« – »Oh, ich würde zunächst zum Degen greifen und diese Franzmänner zum Land hinausjagen, sie haben dies genugsam verdient.« – »General, Sie als Soldat wissen am besten, daß dies unmöglich ist.« – »Unmöglich? Leicht ist es, Majestät, sogar sehr leicht.« – »Sie bringen mich in das größte Erstaunen.« – »Rufen Sie die Mexikaner auf. Sie werden wie ein einziger Mann aufstehen und Ihnen helfen. Dann sind Sie der Anführer, der Kaiser des Volkes. Dann haben Sie gezeigt, daß Sie Herrscher sind aus eigener Kraft und Majestät. Man wird Sie anerkennen, man wird Ihnen gehorchen, ja, man wird Ihnen zujubeln!«

Max schüttelte den Kopf und entgegnete:

»Ich kann Ihre Begeisterung nicht teilen. Denken Sie an Juarez, an den Panther des Südens, an die vielen anderen Bandenführer, die gern selbst Kaiser spielen möchten. Denken Sie ferner an England, an die Vereinigten Staaten, an Spanien – von anderen gar nicht zu sprechen. Denken Sie an meine Verpflichtungen Frankreich gegenüber ...« – »Oh«, unterbrach ihn der General, »ich glaube nicht, daß der Franzose sich seiner Verpflichtungen Ihnen gegenüber zur geeigneten Stunde erinnern wird. Über Mexiko kann nur das Schwert herrschen. Wer die Parteien einigen und ihnen befehlen will, der muß eine starke, rücksichtslose Faust haben und sich vor aller Weichheit hüten. Erst seine späteren Nachfolger dürfen daran denken, das Schwert mit der Palme zu vertauschen.« – »Sie verlangen also einen Attila, einen Tamerlan?« – »Nein, sondern einen Karl den Großen, der zu siegen und zu einigen weiß, ohne zu verwüsten.« – »Jetzt hat man mit der Politik zu rechnen.« – »Was können die Diplomaten tun, vollendeten Tatsachen gegenüber?« – »Und Juarez, mein kräftiger Gegner?« – »Wird unschädlich gemacht. Ich denke mit Grimm an die kleinen Kerle, die sich General schimpfen und nur den Zweck haben, der Herde die Wolle zu nehmen. Da ist zum Beispiel dieser Cortejo ...« – »Ah«, unterbrach ihn der Kaiser, »der jetzt mit dem Panther des Südens gleiche Sache macht?« – »Ja, jener Pablo Cortejo, dessen Tochter ihre Fotografien versendet, um vermöge ihrer Schönheit Anhänger zu werben.« – »Haben Sie ihr Bild gesehen?« – »Hundertmal.« – »Ich leider noch nicht«, lächelte der Kaiser. – »Nicht? Ah, diesen Hochgenuß dürfen Majestät nicht länger entbehren.«

Der General griff in seine rotseidene Schärpe und zog ein Visitenkartenetui hervor.

»Sie besitzen das Porträt?« fragte der Kaiser. – »Ja. Ich gestatte mir, es Eurer Majestät zur Ansicht zu überreichen!«

Damit gab er dem Kaiser das Bild. Dieser betrachtete es einige Augenblicke lang, gab es darauf dem General wieder und sagte im Ton des Bedauerns:

»Armes Mädchen!«

Mejia runzelte abermals die Stirn. Er liebte den Kaiser, aber er war ein Mann der Tat und haßte alles Weichliche. Er sagte mit Nachdruck:

»Arm? Oh, Majestät, ich bedaure und bemitleide diese Dame nicht. Ja, sie macht sich lächerlich, ungeheuer lächerlich, aber sie ist eine gefährliche Intrigantin, die ich für alle Fälle unschädlich machen würde.« – »So halten Sie auch ihren Vater für gefährlich?« – »Allerdings.« – Als Kronprätendenten?« – »O nein«, lachte Mejia. »Aber gefährlich ist mir jeder Mensch, ob Mann oder Frau, der nicht mit mir, sondern wider mich ist.«

Er wollte fortfahren, konnte aber nicht, denn es ertönten Schritte hinter ihnen, und als sie sich umdrehten, gewahrten sie den Kammerdiener des Kaisers. Er hieß Grill, spielte in Cuernavaca den Haushofmeister und ist seit jener Zeit eine vielgenannte Persönlichkeit gewesen. Man sah es dem Kaiser an, daß ihm diese Störung nicht ganz unlieb sei. Mejia hatte denn doch ein wenig zu aufrichtig gesprochen.

»Was gibt's?« fragte Max. – »Entschuldigung, Majestät, der Herr Marschall ist hier«, antwortete Grill. – »Bazaine?« – »Ja. Er wünscht Eure Majestät zu sprechen.« – »Ich komme sogleich.« – »Oh, der Marschall folgt mir auf dem Fuß.« – »So kehren wir um.«

Sie drehten sich um. Mejia zog ein finsteres Gesicht Max sah es.

»Soll ich Sie entlassen, General?« fragte er.

Der Kaiser wußte sehr wohl, daß diese beiden einander ganz und gar nicht leiden konnten.

»Ich bitte Eure Majestät, bleiben zu dürfen, um nicht den Anschein zu erregen, als ob ich einen Franzosen fürchte. Voraussetzung ist natürlich, daß es sich nicht um eine diskrete Angelegenheit handelt.« – »So bleiben Sie«, nickte der Kaiser. »Übrigens muß es doch etwas Wichtiges sein, was den Marschall veranlaßt, nach Cuernavaca zu kommen. Er liebt diesen Ort nicht sehr.«

Jetzt sah man Bazaine kommen. Er war nicht in großer Uniform und verbeugte sich, als er den Kaiser erreichte, zwar tief, aber doch nicht in jener Weise, die auf eine aufrichtige Ergebenheit schließen ließ. Es lag in seinem Blick und seiner Miene eine Sicherheit, ein Selbstbewußtsein, das er in der Nähe des Kaisers besser hätte beherrschen sollen.

»Verzeihung, Majestät«, sagte er, »daß ich es wage, das wohltuende Stilleben dieses Ortes zu unterbrechen.« – »Oh, Sie sind mir stets willkommen, lieber Marschall«, erwiderte Max höflich. – »Dann bedaure ich umsomehr, Unangenehmes zu bringen.« – »Ich habe allerdings seit einiger Zeit nicht viel Angenehmes von Ihrer Seite notieren dürfen; darum wird mich das Gegenwärtige nicht sehr überraschen!«

Es lag in diesen Worten wohl eine kleine Malice; aber Max blickte dabei so freundlich und heiter, daß Bazaine keine Zeit fand, sich zu erzürnen. Er sagte:

»Befehlen Majestät sofortigen Vortrag der Angelegenheit?« – »Ich ersuche allerdings darum.« – »In Gegenwart des Generals?«

Bazaine warf dabei einen nicht übermäßig freundlichen Blick auf Mejia und machte diesem dabei eine sehr förmliche Verbeugung. Es war diese Frage eigentlich eine Rücksichtslosigkeit gegen den Kaiser und eine Beleidigung für den Mexikaner; aber beide nahmen keine Notiz davon. Max antwortete:

»Handelt es sich um wichtige Geheimnisse?« – »O nein, im Gegenteil um eine sehr öffentliche Angelegenheit.« – »Nun, Monsieur, dann sprechen Sie sofort!« – »Die Angelegenheit betrifft nämlich jenen Pablo Cortejo, von dem ich bereits mehrere Male zu Majestät gesprochen habe.« – »Es ist mir erinnerlich«, nickte Max. – »Dieser Mann war bisher einfach nur lächerlich, jetzt aber hat es allen Anschein, als ob er gefährlich werden wolle.« – »Ah, inwiefern?« – »Er wirbt an.« – »Das wäre!« sagte der Kaiser überrascht. – »Sogar in der Hauptstadt selbst. Es sind gestern einige seiner Werber arretiert worden. Auch im Hauptquartier scheint er Agenten zu besitzen.« – »So muß man ihm allerdings auf die Finger sehen!« – »Er ist mit dem Panther des Südens verbündet, Majestät.« – »Ich weiß dies bereits.« – »Ich habe nun erfahren, daß mit Hilfe einer amerikanischen Brigg dem Panther mehrere tausend Gewehre nebst einer großen Quantität Blei und Pulver übermittelt worden sind.« – »Wo ist dies geschehen?« – »In Guazacoalco. Man hat Jagd auf die Brigg gemacht; sie aber war ein ausgezeichneter Segler und ist entkommen.« – »Dies ist ein unangenehmes Lebenszeichen des Präsidenten der Vereinigten Staaten.« – »Ich werde dem Kaiser darüber nach Paris berichten.«

Max zuckte die Achsel und antwortete:

»Der Kaiser wird sich mit dieser Angelegenheit wohl kaum erfolgreich befassen.«

Der Marschall ging über diese Bemerkung leicht hinweg, indem er entgegnete:

»Ich bin überzeugt, daß diese Waffenlieferung mit dem neuesten Auftreten dieses Cortejo im Zusammenhang steht, zumal er so dreist ist, während der Nacht Plakate an die Straßenecken kleben zu lassen.« – »Das wäre allerdings sehr kühn!« sagte der Kaiser. »Wo geschah das?« – »In der Hauptstadt selbst.« – »Ah!« – »Ich habe sofort die geeigneten Maßregeln getroffen und bin persönlich zu Euer Majestät geeilt, um Höchstdieselbe um Berücksichtigung des Vorschlages zu ersuchen, den ich die Ehre hatte, bereits einige Male zu machen.« – »Welchen Vorschlag meinen Sie?« – »In betreff dieses Cortejo. Er selbst befindet sich im Süden, aber seine Tochter wohnt in Mexiko. Sie bleibt völlig unbehelligt, obgleich sie es wagt, öffentlich gegen die Regierung Eurer Majestät zu konspirieren.« – »Ich möchte nicht mit Weibern Krieg führen!« – »Ich auch nicht!« meinte der Marschall stolz. »Aber ich möchte auch nicht dazu raten, eine Hochverräterin unbestraft zu lassen. Darf ich Eurer Majestät ein Exemplar jenes Plakates zur Durchsicht reichen?« – »Sie haben es mit?« – »Ja.« – »So geben Sie her.«

Der Marschall zog das Erwähnte aus der Tasche und übergab es dem Kaiser. Dieser las es und wurde dabei von Bazaine scharf beobachtet. Als bei einer gewissen Stelle sich das Antlitz des Kaisers plötzlich verfinsterte, zuckte ein Blitz der Befriedigung über das Gesicht des Franzosen. Er hätte das Plakat durch einen anderen senden können; aber er war selbst gekommen, um sich diese Befriedigung zu verschaffen.

Als der Kaiser fertig war, übergab er das Plakat an Mejia.

»Hier, General, lesen auch Sie!«

Der Angeredete ergriff das Blatt und las folgendes:

 

»An alle braven Mexikaner und freien Indianer. Der Feind ist eingedrungen in unser Land; er befindet sich bereits seit längerer Zeit in demselben. Er verwüstet unsere Ernten, zerstört die Früchte unserer Arbeit, verführt unsere Frauen und Töchter und tötet unsere Männer, Brüder und Söhne. Der Mann in Paris, einst selbst ein verachteter Flüchtling, hat es gewagt, uns einen Regenten zu senden, der sich Kaiser von Mexiko nennt. Dieser Mann ist ein Geschöpf Napoleons, dessen Speichel er untertänig leckt. Mexikaner, dürfen wir das dulden? Nein! Wir wollen uns erheben wie ein Mann und diese Fremdlinge aus dem Land jagen! Bereits schärft der Panther der Südens seine Krallen, er ist zum Sprung bereit. Auch wir wollen zu den Waffen greifen. Es ist für alles gesorgt, was notwendig ist, den Feind zu besiegen. Wir besitzen Waffen, Munition und Proviant, aber es fehlen die Männer, die zeigen wollen, daß sie brave Mexikaner und freie Indianer sind. Darum soll an allen Orten geworben werden. Wir werden in kurzer Zeit ein Heer bilden, vor dem die Franzosen die Flucht ergreifen werden. Die Werber sind ausgesandt. Ihr werdet ihre Stimmen hören und sie daran erkennen, daß sie Euch meinen Namen nennen. Schließt Euch ihnen an; folgt ihnen zu den Versammlungsplätzen, zu denen sie Euch führen werden. Dann wird die Sonne der Freiheit aufgehen über Mexiko, und wir werden die Bedrücker unseres Vaterlandes von den Bergen hinabjagen in die Fluten des Meeres, das sie verschlingen wird, wie es einst mit Pharao geschah.

Pablo Cortejo.«

 

Als Mejia das Schriftstück gelesen hatte, fragte ihn der Kaiser:

»Nun, General, was sagen Sie dazu?«

Der Gefragte zuckte mitleidig die Achsel und antwortete:

»Ein elendes Machwerk!« – »Aber doch im hohen Grad gefährlich!« fügte Bazaine hinzu. »Es wird der öffentliche Aufruhr gepredigt. Man muß hier mehr tun, als nur die Achsel zucken.«

Mit diesen Worten war natürlich Mejia gemeint. Um eine scharfe Entgegnung desselben zu verhüten, fiel der Kaiser schnell ein:

»Ich bin ganz einverstanden. Aber was meinen Sie, was geschehen soll?« – »Zunächst muß man die Tochter dieses Mannes verhaften«, antwortete Bazaine.

Max schüttelte den Kopf.

»Sie ist ungefährlich«, sagte er. – »Sie hat bereits das Gegenteil bewiesen, Majestät!« warnte Bazaine. – »Sie war nur lächerlich; ich sagte dies schon dem General.« – »Ferner muß man in dem Haus dieses Cortejo aussuchen.« – »Das mag geschehen.« – »Sodann muß man seine Besitzungen einziehen.« – »Hat er welche?« – »Ganz bedeutende.« – »Verzeihung!« fiel da Mejia ein. »Soviel ich weiß, gehören diese Besitzungen dem Grafen Rodriganda, dessen Sekretär Cortejo nur war.« – »Ich meine, Rodriganda ist verantwortlich, wenn er einen Hochverräter anstellt«, erwiderte der Marschall.

Der Kaiser machte eine abwehrende Handbewegung.

»Keine Gewalttätigkeit, lieber Marschall!« rief er. »Sie sind Höchstkommandierender und dürfen militärische Maßregeln ergreifen; diese Angelegenheit gehört vor mein Forum. Ich werde aussuchen lassen; aber das Mädchen soll nicht verhaftet werden. Man soll es verbannen. Es mag aus dem Land gehen und dort seine Verführungskünste betreiben.«

Bazaine sprach dagegen, drang aber nicht durch, so daß er sich schließlich mit unterdrücktem Zorn entfernte. Als er fort war, sagte der Kaiser zu Mejia:

»Sie haben das Plakat aufmerksam gelesen?« – »Ja, Majestät.« – »Auch jene Stelle?« – »Welche Stelle meinen Eure Majestät?« – »In welcher es heißt, ich sei das Geschöpf Napoleons, dessen Speichel ich lecke?« – »Leider mußte ich auch diesen Passus lesen!« – »Ich habe da gesehen, daß Sie vorhin recht hatten. Aber ich werde diesen Herren beweisen, daß ich keineswegs eine Kreatur Napoleons bin. Haben Sie Bazaine beobachtet, als ich las?« – »Sehr scharf, Majestät.« – »Bemerkten Sie etwas?« – »Ah, Majestät meinen jenen Blick der Genugtuung?« – »Den er auf mich warf, als ich jene Stelle las? Ich blickte ihn ganz unwillkürlich an. Was sagen Sie dazu?« – »Ich meine, daß ein Marschall nicht der richtige Mann sei, ein konfisziertes Plakat zu überbringen; dazu gibt es subalterne Leute genug.« – »Sie haben recht. Er tat dies aus Schadenfreude. Gehen wir in das Haus, lieber Mejia! Ich bin doch ein wenig alterniert und will die Kaiserin sprechen. Ihre Nähe hat stets eine beruhigende Wirkung auf mein Gemüt.«

Sie verließen den Garten und schritten der Villa zu.


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