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4. Kapitel.

Um die Zeit der Dämmerung saß der alte Pirnero abermals am Fenster und seine Tochter an ihrem gewöhnlichen Platz. Der Alte hatte noch immer schlechte Laune, und da der Wind auch noch immer den Staub aufwirbelte, so war es kein Wunder, daß Wind, Laune und Staub in seinem Inneren zu einem trüben Ganzen zusammenschmolzen.

Er trommelte kräftig an die Fensterscheibe und sagte:

»Verdammter Wind!«

Die Tochter achtete auf ihre Arbeit und antwortete nicht; daher brummte er weiter:

»Ganz armseliger Staub!«

Auch für den Staub wollte sich das Mädchen nicht interessieren; darum beschloß der Alte, einen spitzen Pfeil zu versenden, und fuhr fort:

»Den ganzen Tag kein Gast dagewesen; nur der zerlumpte Kerl.«

Als auch jetzt die Tochter nicht antwortete, fuhr er zornig auf und rief:

»Nun, war er es etwa nicht? War es etwa ein anderer?« – »Er war's«, antwortete sie kurz. – »Das will ich dir auch geraten haben. Wie hast du ihn denn behandelt?« – »Wie du es wolltest.« – »Wie denn? Hast du ihn diplomatisch angelächelt?« – »Ja.« – »Hast du in ihm einen Spion entdeckt?« – »Nein.« – »So sind deine diplomatischen Blicke keinen Heller wert, und die Vererbung vom Vater auf die Tochter existiert nicht. Nun weiß ich endlich auch, warum du gar nicht daran denkst, einen Mann zu nehmen. Dir fehlt nämlich die Begabung, ihn politisch zu behandeln. Aber das soll sich schon noch finden. Ich selbst werde dir einen Mann suchen, und wenn du den nicht nimmst, schicke ich dich ins Kloster. Da ist der rechte Ort für dich. Es ist freilich ein sonderbarer Schritt, nämlich vom Pirnschen Stammbaum mit Schornsteinen und Meerrettich in das Kloster; aber du willst es ja nicht anders haben! Halt, dort kommt ein Reiter! Wenn er hier einkehrt, so fragst du ihn, ob er ledig ist!« – »Das schickt sich nicht« – »Was? Das schickt sich nicht? Ich muß wissen, wer bei mir verkehrt Ich habe eine heiratsfähige Tochter und leide keinen Gast der verheiratet ist. Ah, Himmel, es ist der reiche Goldsucher, der schon viermal bei uns geblieben ist Kannst du dich besinnen, ob er eine Frau hat oder nicht?« – frage ihn doch selbst«, antwortete sie, ärgerlich über die Launen des Vaters, die sich zu manchen Zeiten fast zur Manie verwandelten. – »Ja, das werde ich auch tun; ich bin es ja, der das richtige Geschick dazu hat, denn ich bin drüben in Pirna drei Jahre lang Kurrendaner gewesen und habe gesungen wie eine Heidelerche.«

Bei diesen Worten ging Pirnero hinaus, um den willkommenen Gast zu empfangen. Er trat bald mit ihm ein. Es war der französische Kapitän, der sich also hier für einen Goldgräber ausgegeben hatte.

»Kann ich diese Nacht abermals hier bleiben, Señorita?« fragte er höflich. – fragt meinen Vater«, antwortete sie. – »Er hat es mir erlaubt« – »So bedarf es meiner Zusage nicht. Vater ist Herr im Hause.«

Sie sagte dies in einem zwar höflichen, aber doch kurzen Ton. Der Mann, der sie immer mit verlangenden Blicken verfolgte, war ihr nicht sympathisch.

Er bestellte sich ein Glas Pulque, das ihm der Alte selbst brachte, dann setzte sich der letztere an das Fenster und überlegte, in welch glanzvoller Weise er dem Fremden entlocken werde, ob er noch ledig sei.

»Starker Wind!« begann er endlich. – »Sehr unangenehm«, meinte der Fremde. – »Entsetzlicher Staub!« – »Nur hier am Ort, draußen aber ist es reine Luft« – »Reine Luft? Ja, das ist die Hauptsache. Da muß man aber verheiratet sein, damit die Frau darauf sieht, daß die Türen und Fenster offen sind. Habt Ihr auch eine Frau, Señor?« – »Nein, ich bin unverheiratet«

Der Alte warf einen triumphierenden Blick auf seine Tochter und fragte weiten

»Aber Vater und Mutter habt Ihr?« – »Nein.« – »Auch keine anderen Verwandten?« – »Nein.« – »O Dios! Was tut Ihr denn da mit dem Gold, was Ihr findet?« – »Ich hebe es für meine Verheiratung auf.« – »Ach so! Da seid Ihr also bereits verlobt?« – »Auch noch nicht.«

Der Blick des Kapitäns fiel dabei auf das Mädchen; der Alte bemerkte dies und wurde dadurch in die beste Laune versetzt.

»Wie heißt Ihr denn eigentlich?« setzte er sein Examen fort. – »Mein Name ist Pedro.« – »Gut. Señor Pedro, sagt einmal, was Ihr heute zum Abendbrot wollt!« – »Was Ihr habt.« – »Wir haben alles!« meinte der Wirt stolz. – »Ich wünsche nur ein Schinkenbrot und Wein.« – »Das ist sicher so Euer Geschmack?« – »Natürlich.« – »Welchen Geschmack habt Ihr denn eigentlich in Beziehung auf Blumen?« – »Ich liebe Reseda am meisten«, antwortete der Kapitän, weil er wußte, daß die Tochter Resedilla hieß.

Abermals warf der Alte einen triumphierenden Blick auf das Mädchen und fragte weiter:

»Und in Beziehung auf die Frauen?« – »Sie müssen blond sein.« – »Und das Gesicht?« – »Schön weiß und die Wangen fein rötlich angehaucht.« – »Der Mund?« – »Klein und so recht zum Küssen, mit kleinen, weißen Zähnen.« – »Die Gestalt?« – »Nicht zu lang, aber doch hoch und voll, ich hasse die mageren Frauen.« – »Die Hand und der Fuß?« – »Nicht gar zu zierlich, aber auch nicht zu plump.«

Der Kapitän beschrieb Resedilla ganz, wie sie war. Der Alte war entzückt.

»Ihr habt ganz meinen Geschmack, Señor«, sagte er erfreut. »Meine selige Frau hatte zwar dunkles Haar, war aber ganz so, wie Ihr jetzt die Beschreibung geliefert habt. So ist nun auch meine Tochter geworden, wozu mein blondes Haar gekommen ist. Das ist nämlich die richtige Vererbung vom Vater auf die Tochter. Pirna ist ja auch berühmt wegen seiner blonden Haare.« – »Pirna? Wer ist das?« – »Pirna ist meine Vaterstadt. Sie ist weit größer als Niederpoyritz oder Schönefeld und hat das beste Klima für blonde Köpfe.«

Der Alte hätte seine Vaterstadt noch mehr gelobt, aber da ertönte draußen die Klingel, zum Zeichen, daß er in dem Laden gebraucht werde. Er ging daher hinaus, warf aber dabei dem Mädchen einen Blick zu, durch den er es aufmerksam machen wollte, wie diplomatisch schlau er seine Sache angefangen habe.

Kaum war der Vater fort, so erhob sich der Kapitän und schritt im Zimmer auf und ab, indem er dabei verschiedene Bemerkungen machte, um ein intimes Gespräche zustande zu bringen. Doch es gelang ihm nicht Resedilla konnte die Unterredung mit Gerard nicht aus dem Gedächtnis tilgen. Am liebsten wäre sie allein gewesen, um sich recht ausweinen zu können. Nun kam dieser Mensch, der den Vater zu allerhand Lächerlichkeiten verleitete und auch ihr zumutete, auf ein leichtfertiges Gespräch mit ihm einzugehen. Sie antwortete kurz und abweisend, und als er es doch wagte, den Arm um ihre Stuhllehne zu legen, erhob sie sich, um ihm zu entfliehen.

»Verzeiht, Señor!« sagte sie. »Ich muß in die Küche, um das Abendbrot zu bereiten.« – »Von so schönen Händen muß es doppelt gut munden«, meinte er, indem er ihre Rechte ergriff.

Sie entzog ihm dieselbe sofort und eilte hastig zur Tür hinaus. Er blickte ihr lächelnd nach und murmelte:

»Aha, schnippisch kann sie also auch sein! Das ist mir lieb, denn das gibt ihr einen neuen Reiz. So ein Vater ist solch schönes Kind gar nicht wert. Ich werde mir die möglichste Mühe geben, meine Wette zu gewinnen.«

Da der Alte im Laden und seine Tochter in der Küche zu tun hatte, so blieb der Gast bis zum Abendbrot allein und begab sich, nachdem er gespeist, in sein Schlafzimmer. Dort zog er, um ganz sicher zu gehen, den Drücker ab und probierte denselben an Resedillas Tür. Er schloß, und so waren alle Vorbereitungen zu dem geplanten Überfall getroffen.

Gerard hatte erst längere Zeit nach dem Dunkelwerden das Fort erreicht und eilte daher sofort nach dem Hause Pirneros, um nicht zu spät zu kommen, denn er wußte, daß man dort sehr zeitig zur Ruhe gehe.

Als er das Haus umschlich, bemerkte er zu seiner Beruhigung, daß die Geliebte noch in der Küche tätig sei. In dem offenen Verschlag, in dem er sein Pferd einzustellen pflegte, lag eine Leiter, die jedenfalls bis zum Fenster der Bedrohten reichte. Sollte er sie holen und anlegen? Sollte er Resedilla von außen beschützen? Nein, denn das gab jedenfalls einen Lärm, der den Ruf des Mädchens in Gefahr bringen konnte. Er beschloß also, es anders anzufangen.

Er schlich in das Haus und stieg die Treppe hinauf. Dort auf dem Boden lag ein Haufen leerer Säcke und alter Decken, der ihm mehr als hinreichenden Schutz bot. Er wühlte sich so tief in ihn hinein, daß von ihm nicht das mindeste zu sehen war, und wartete nun der Dinge, die da kommen sollten.

Zunächst kam der Kapitän, der scheinbar zur Ruhe ging; aber Gerard bemerkte, daß er dann vorsichtig und leise das Schloß versuchte. Darauf kam Resedilla, später ihr Vater, der unten den Eingang verschloß, und endlich auch das Hausgesinde. Die Vaqueros schliefen in einem Nebengebäude. Jetzt war es ruhig und vollkommen finster. Gerard konnte sich denken, daß der Kapitän warten werde, bis das Mädchen eingeschlafen sei; daher fühlte er sich vollkommen sicher. Leise kroch er aus seinem Versteck heraus und schlich sich zur Tür, hinter der die Mägde verschwunden waren, drehte dort den Drücker so leise ab, daß im Innern nichts gehört wurde und ging zur Tür der Geliebten, die ihren Drücker mit in ihr Zimmer genommen hatte, und probierte. Er bemerkte bereits bei der ersten Umdrehung, daß auch dieser Drücker das Schloß schließe; darum kehrte er beruhigt in sein Versteck zurück.

Es verging weit mehr als eine Stunde, bis sich ein knisterndes Geräusch vernehmen ließ, das nur für das scharfe Ohr des Präriejägers hörbar war.

»Jetzt kommt er«, dachte dieser.

Er horchte noch gespannter als vorher und hörte nun von der Seite her, wo die Tür zum Schlafzimmer der Geliebten lag, ein leises, leises Klingen, als wenn Eisen Eisen berührte.

»Jetzt steckt er den Drücker an!«

Bei diesen Gedanken schob Gerard den Kopf unter den Säcken hervor und sah ganz deutlich, was geschah. Der Kapitän öffnete vorsichtig die Tür. In dem Zimmer brannte ein Nachtlicht, und Resedilla lag so, daß der Lauscher sie erblicken konnte.

Sie hatte, in ihrer Kammer angelangt, noch eine lange Zeit mit Weinen und trübem Sinnen zugebracht und sich dann schlafen gelegt, und erst vor wenigen Minuten hatte der Schlummer sie übermannt. Leise zog der Kapitän die Tür hinter sich zu und huschte in das Gemach.

Im Nu war Gerard an der nun wieder verschlossenen Tür, befeuchtete den Drücker mit Speichel, um das verräterische Geräusch zu vermeiden, drehte um und öffnete eine schmale, kleine Lücke, durch die er alles beobachten konnte.

Der Kapitän stand dicht am Lager der Schlummernden, in demselben Augenblick aber erhielt er von Gerard einen Schlag, der ihn betäubt zu Boden warf. Das war alles so blitzschnell geschehen, daß das erwachende Mädchen gar keine Zeit gefunden hatte, einen Laut auszustoßen. Jetzt stieß es mit unterdrückter Stimme hervor:

»Señor Gerard! Mein Gott, was ist das?« – »Fürchtet Euch nicht vor mir, Señorita«, beruhigte sie der Gefragte in bittendem Ton. »Ich bin nicht gekommen, Euch ein Leid zu tun, sondern Euch beizustehen.« – »Ist das wahr?« flüsterte sie, befreit aufatmend. – »Ich schwöre es Euch bei allem, was mir und Euch heilig ist! Ich habe großes Unrecht getan, aber einen Schurkenstreich könnte ich niemals begehen.« – »Ich danke Euch! Welch ein Schreck! Welch eine Angst! Aber wie kamt Ihr dazu?« – »Ich belauschte im Wald zwei französische Offiziere, von denen der eine wettete, daß er heute nach hier eindringen werde. Ich eilte herbei, um Euch zu helfen. Erst hatte ich den Gedanken, ihn durchs Fenster zu erschießen, aber das wäre nicht klug gewesen, denn man hätte geglaubt, er sei als begünstigter Liebhaber bei Euch eingetreten und von einem Eifersüchtigen erschossen worden, darum schlich ich mich in das Haus, um diese Angelegenheit in voller Ruhe abzumachen. Kein Mensch wird davon erfahren, laßt mich nur sorgen, Señorita.« – »O Gott, wie schlimm wird es uns gehen, da jener Mann dort ein Franzose ist und noch dazu ein Offizier. Aber ob er letzteres auch wirklich ist?« – »Ja, er ist Kapitän.« – »Und bei uns gab er sich für einen Goldsucher ans.« – »Er war als Spion bei Euch; weiter darf ich Euch nichts sagen.« – »Aber was geschieht mit ihm? Ihr habt ihn erschlagen?« – »Er ist nicht tot; er wird wieder zu sich kommen.« – »So schafft ihn nach seinem Zimmer, Señor! Ich werde Euch leuchten.«

Er besann sich einen Augenblick; dann ging über sein Gesicht ein Lächeln, welches sie sich nicht zu deuten vermochte; es war das Lächeln eines Richters, der nach dem Gesetz handelte: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

»Gut«, sagte er, »ich werde Eurem Befehl gehorchen und ihn in sein Zimmer bringen. Ihr aber sollt liegenbleiben; Ihr dürft Euch nicht um ihn und mich bemühen.«

Es lag in seinem wenn auch leisen Ton ein Etwas, dem sie nicht zu widersprechen wagte.

»Tut, was Ihr wollt, Señor, nur laßt es niemanden erfahren«, bat sie. »Nehmt ihn auf, dort liegt noch sein Drücker. Gute Nacht, Señor Gerard.«

Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er konnte nicht anders, er nahm sie und drückte sie an das Herz und an die Lippen. Sie ließ es ruhig geschehen und fügte hinzu:

»Ihr habt mich heute vor einer großen Gefahr bewahrt; darf ich Euch um etwas bitten?« – »Sprecht, Señorita!« – »Laßt uns nicht auf immer voneinander scheiden!« – »Ihr sprecht diesen Wunsch nur aus Dankbarkeit aus?« – »Nein«, antwortete sie mit dem Ausdruck der Wahrheit. – »Oder aus Mitleid?« – »Auch nicht!« – »Ist das wahr, Señorita?« – »Ich schwöre es Euch.« – »So danke ich Euch! Ihr werdet mich wiedersehen.«

Seine Augen leuchteten auf wie unter dem ersten Strahl eines unendlichen Glückes. Sie bemerkte es wohl, und eine tiefe Röte ergoß sich über ihr Gesicht. Dann sagte sie:

»Da, nehmt meine Hand! Ihr seid ja mein Retter, und ich habe Vertrauen zu Euch.« – »Vertrauen? Vertrauen? Ist das wahr, Señorita?« – »Ja.« – »Vertrauen! Vertrauen! Oh, mein Gott!« stieß er mit einem tiefen Atemzug hervor. »Ihr wißt alles, alles, Ihr kennt meine Vergangenheit und schenkt mir doch Vertrauen! Das gibt mir neues Leben!«

Gerard sank an ihrem Lager nieder, ergriff ihre Hände und senkte seine Stirn auf dieselben. Sie aber stützte sich auf den Ellbogen, näherte ihr Gesicht seinem Kopf und flüsterte:

»Ja, Señor Gerard, ich vertraue Euch! Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten. Ich bin überzeugt, daß Ihr niemals wieder etwas Böses tun könnt.« – »Nie, nie!« schluchzte er.

Nichts ergreift das Herz eines Weibes tiefer, als die Träne eines starken, charakterfesten Mannes. Auch ihre Augen wurden feucht. Ihre Seele zitterte unter einer heiligen Regung, und sie bat mit leiser Stimme:

»Seht mich einmal an, Señor! Erhebt Euer Angesicht zu mir!«

Er gehorchte. Da senkte sie ihren Kopf, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und einen zweiten auf den Mund und fuhr fort:

»Ich habe noch niemals einen Mann geküßt. Denkt, Gott habe Euch diese Küsse gesandt, zum Zeichen, daß er versöhnt sei und Euch vergeben habe! Laßt Euer Leben nicht mehr so trübe und so dunkel sein und faßt Glauben und eine feste, freudige Zuversicht zum Himmel, der mein Gebet erhören und Euch begnadigen wird! Gute Nacht!«

Gerard hatte ihr zugehört, wie man einem Engel zuhört.

»Gute Nacht«, erwiderte er in tiefster Bewegung.

Mehr konnte er nicht hervorbringen. Er neigte noch einmal sein Gesicht hinab zu den weichen Händen, nahm den Kapitän vom Boden auf, um mit ihm das Zimmer zu verlassen und ihn nach der Gaststube zu tragen, wo das Licht noch brannte, und ging dann wieder hinauf, um den geliehenen Drücker an seine Stelle zu bringen.

Als er zu dem Besinnungslosen zurückkehrte, band er diesem die Arme und Beine fest zusammen, schlang sich den Lasso vom Leib und ließ jenen damit durchs Fenster ins Freie hinab; worauf er selbst folgte.

Nun ging er nach dem Stall, und obwohl kein Licht darin brannte, gelang es ihm doch, das Pferd des Kapitäns zu finden und auch den Sattel, den er dem Tier auflegte. Er zog es heraus und band den Gefesselten darauf. Dann holte er ein ungesatteltes Pferd für sich, schwang sich nach echter Vaqueroart hinauf und ritt, das andere Tier an der Leine führend, erst langsam und später in gestrecktem Galopp davon.

Gerard hatte keine Zeit zu verlieren, denn er mußte in fünf Tagen wieder zurück sein. Daß er ein Pferd für sich genommen hatte, war keineswegs ein Diebstahl. Wo die Pferde frei herumlaufen, darf man das erste beste sich einfangen, wenn man es nur wieder frei gibt, damit es zurückkehren kann. Ein jeder Besitzer erkennt seine Tiere an dem eingebrannten Zeichen.

Gerard setzte über den Puercos-Fluß und jagte weiter durch Täler, über Berge und Prärien immer nach Südwesten hin. Dem Kapitän war jedenfalls schon längst die Besinnung zurückgekehrt, doch zog er es vor, sich schweigsam zu verhalten und keinen Laut von sich zu geben.

Während dieses Parforcerittes ging Gerard mit sich über das Schicksal seines Gefangenen zu Rate. Ihm selbst war heute so viel Gnade und Vergebung zuteil geworden, daß er sein Herz zur Milde gestimmt fühlte; aber die Klugheit und das Gerechtigkeitsgefühl geboten ihm das Gegenteil.

Noch während des nächtlichen Dunkels bemerkte er, daß der Kapitän auch ohne seine Fesseln fest im Sattel saß und den Schenkeldruck ausübte, er mußte sich also wieder ganz wohl befinden. Und als der Tag zu grauen begann, da sah er, daß der Gefangene die Augen offenhielt und wohlgemut in die Ferne blickte.

Jetzt sprang Gerard vom Pferd und band den anderen los, ohne ihm jedoch die Fesseln abzunehmen. Dies löste das bisher beobachtete Schweigen.

»Ihr habt bisher Theater mit mir gespielt, Señor«, begann der Kapitän. »Ich hoffe, daß Ihr mich nun endlich freigeben werdet.« – »Täuscht Euch nicht!« lautete die Antwort. »Ich halte nur an, um über Euch zu Gericht zu sitzen.« – »Pah!« lachte der andere. »Macht keinen dummen Spaß!« – »Ich meine es sogar sehr ernst. Ich werde Euch die Beine losbinden, damit Ihr wenigstens sitzen könnt. So, und nun mag es beginnen.« – »Na, wenn es Euch gefällt, so spielt Eure Rolle weiter!« – »Das werde ich sicher. Ich mache Euch jedoch darauf aufmerksam, daß ich nur fünf Minuten für Euch übrig habe.« – »Das ist mir lieb«, lachte der Offizier. – »Und daß Ihr dann eine Leiche sein werdet.« – »Papperlapapp!« – »Scherzt Euch immerhin in den Tod hinein, ich habe nichts dagegen. Doch sagt mir zunächst, ob Ihr mich kennt!« – »Nein, ich habe nicht die Ehre!« – »Nun, so erlaubt, daß ich mich vorstelle! Man nennt mich den Schwarzen Gerard.«

Als der Gefangene diesen Namen hörte, erbleichte er. Der Kläger aber fuhr fort:

»Wenn ein Gefangener in die Hände der Franzosen fällt, wird er ohne Barmherzigkeit erschossen, obgleich Präsident Juarez Eure Kameraden, die er gefangennimmt, gütig behandelt hat. Ich gehöre zu Juarez, und Ihr seid mein Gefangener. Was wartet also Eurer? Der Tod!« – »Señor! Ich bin Offizier!« brauste der Kapitän auf. – »Ihr habt Euch nicht als Offizier betragen, werdet also auch nicht als solcher behandelt. Weiter, der zweite Anklagepunkt: Das Auge, das die Reize von Señorita Resedilla gesehen hat, darf nichts mehr sehen. Also: Tod!« – »Wer gibt diese Gesetze? Ihr seid ein Teufel!« – »Das mag Gott entscheiden. Ferner: Ihr seid als Spion zu den Komantschen gegangen, um sechshundert Krieger zu holen – also: Tod!«

Der Gefangene erbleichte. Er widersprach nicht. Gerard fuhr fort:

»Ihr wolltet in fünf Tagen mit Eurer Kompanie das Fort Guadeloupe überfallen, also: Tod! Diese Gründe sind genug; die anderen, die ich noch habe, will ich fallenlassen. Habt Ihr an jemand etwas auszurichten?«

Gerard griff zu seiner Büchse, und nun erst sah der Gefangene ein, daß es vollständig ernst sei mit dem Urteilsspruch.

»Ihr werdet mich doch nicht töten!« rief er. – »Ich werde unerbittlich sein! Ihr habt meine letzte Frage nicht beantwortet. Ich habe keine Zeit mehr. Betet ein letztes, lautes Vaterunser!« – »Wenn du mich tötest, so bist du nicht ein Richter, sondern mein Mörder!« – »Pah! Ein jeder Franzose, der sich jetzt in Mexiko befindet, ist ein Mörder!« – »Wer gibt dir das Recht, mich zu töten?« – »Das Präriegesetz. Du vergißt, auf welchem Boden wir uns befinden. Du hast gestern die Waffe nach mir gezückt; dein Leben ist also mein Eigentum, auch ohne die Gründe, die ich vorhin nannte. Bete!« – »Ich mag nicht«, erwiderte der Kapitän trotzig. »Du wirst es nicht wagen, mir das Leben zu nehmen.« – »Du wirst sofort das Gegenteil erfahren. Da du nicht beten willst, so mag Gott deiner armen Seele gnädig sein. Eins – zwei – drei!«

Bei »drei« krachte der Schuß; die Kugel fuhr dem Gefangenen mitten durch die Stirn; er, der gestern noch so lebenslustig war, sank als Leiche nieder.

Jetzt untersuchte Gerard die Kleider des Toten. Er fand weder eine Brieftasche, noch sonst Geschriebenes, wohl aber Uhr, Börse und Ringe; das alles ließ er stecken. Nun betete er ein stilles Vaterunser, gab das Pferd des Toten frei, sprang auf das seinige und brauste davon. Sein Gewissen machte ihm nicht den geringsten Vorwurf.

Dieser einstige Schmied war im Laufe der Jahre ein ausgezeichneter Präriemann geworden. Er saß auf seinem Pferd bis gegen Mittag, dann fing er sich von der ersten besten Herde, an der er vorüberkam, ein anderes ein. Und so ging es immer im Galopp fort, bis er am nächsten Tag, kurz vor Anbruch des Abends, Chihuahua vor sich liegen sah.

Er durfte sich weder bei Tag in die Stadt wagen, noch des Abends offen durch die ausgestellten Posten gehen, sondern mußte sich mit Lebensgefahr einschleichen. Darum band er sein Pferd im Wald fest und wartete die Dunkelheit ab. Dann näherte er sich der Stadt, in welcher er jedes Haus und jeden Schlich kannte.


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