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10. Kapitel.

Während Gerard dieser wonnevolle Traum umfing, saß Resedilla wieder unten bei ihrem Vater, der wie gewöhnlich das Wetter beobachtete.

Sie dachte an den Schläfer da oben, an seine Büchse und an die Entdeckung, die sie mit Hilfe der letzteren gemacht hatte. Ihr Atem ging tief und langsam, ihr Busen schwoll unter einem Gefühl, von dem sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte, sie wußte nur, daß es ein unendlich süßes und verlangendes sei. Aus diesem Denken und Sinnen riß sie plötzlich die Stimme ihres Vaters.

»Verdammtes Wetter!«

Resedilla schwieg, darum fuhr er nach einer kleinen Weile fort: »Hast du es gehört?« – »Ja«, antwortete sie. – »Was denn?« – »Schlechtes Wetter.« – »Gut! Habe ich etwa nicht recht?« – »Sehr, lieber Vater.« – »Na also! Draußen miserabel und hier in der Stube noch miserabler.« – »Wieso?« – »Wieso?« fragte er unmutig. »Das willst du noch extra wissen? Nun hört alles auf! Was sieht man denn, wenn man da hinausblickt, he? Und was sieht man, wenn man im Zimmer umherschaut? Dich, dich, immer wieder nur dich, die Stühle und Bänke, die alten Gläser und Flaschen, sonst aber weiter nichts!« – »Ja, aber was willst du denn sonst noch hier sehen?«

Diese Frage war jedenfalls eine sehr unvorsichtige, sie war sehr unbedachtsam ausgesprochen, denn der Alte lauerte nur, wie er von neuem auf sein Lieblingsthema kommen könne; das sah sie zu spät ein, denn er antwortete sogleich:

»Was ich hier noch sehen will? Donnerwetter, was denn anderes als einen Schwiegersohn? Der fehlt mir, der allein. Siehst du das denn nicht ein?« – »Ist er dir denn gar so sehr notwendig?« fragte sie lächelnd. – »Mir nicht, aber dir.« – »Mir?« rief sie, jetzt laut lachend. – »Ja, dir!« antwortete er zornig. – »Mir? Ein Schwiegersohn? Da müßte ich doch eine Tochter haben!« – »Dummes Zeug! Willst du dich etwa über mich lustig machen, he? Sage mir einmal, ob du überhaupt weißt, wo ich geboren bin.« – »Ja.« – »Nun, wo denn?« – »In Sachsen.« – »Ich meine, in welcher Stadt!« – »In Pirna.« – »Gut. Nun gehe einmal hinüber nach Pirna und erkundige dich! Da drüben gibt es keinen einzigen Mann, der in meinem Alter nicht bereits zwei oder drei Schwiegersöhne hätte. Ich habe noch nicht einmal einen. Muß ich mich da nicht geradezu schämen? Das sieht ja aus, als ob ich ganz und gar aus der Pirn'schen Art geschlagen wäre. Und ferner gibt es da drüben kein Mädchen deines Alters, das noch keinen Mann, wenigstens einen Bräutigam oder einen Liebsten hätte. Du wirst einsehen, daß du dich da noch viel mehr zu schämen hast als ich selber.« – »Aber, Vater!« – »Was, aber Vater! Mache mich nicht bös! Da sitzt man, starrt hinaus in das armselige Wetter oder herein auf die alten Bänke und Tische, und was hat man davon? Nichts, rein gar nichts! Wäre aber ein Schwiegersohn da, so könnte man sich mit ihm unterhalten, sich mit ihm Anekdoten erzählen oder seine Wut an ihm auslassen, wenn man schlechte Laune hat!« – »Wenn er sich das gefallen läßt!« – »Warum nicht? Wozu ist ein Schwiegersohn da, als um Dachsparren festzumachen und einem bei schlechter Laune als Blitzableiter zu dienen? Wenn du nicht bald einen Mann nimmst, so hole ich dir selbst einen, den du nehmen mußt, du magst wollen oder nicht. Und weißt du, wer dies sein wird?« – »Nun, wer?« fragte sie neugierig. – »Rate einmal!« – »Wer kann da raten! Sage es lieber gleich.« – »Nun, wer anders als der Schwarze Gerard!« – »Der – Schwarze – Gerard?« fragte sie langsam und mit eigentümlicher Betonung. – »Ja, der! Oder ist der dir etwa nicht recht?« – »Weiß ich es? Er ist ja noch gar nicht hier gewesen.« – »Das tut nichts. Er ist ein tüchtiger Kerl, gerade wie mein Schwiegersohn sein soll.« – »Aber wenn er dir nun nicht gefällt?« – »Der? Oh, der gefällt mit sicher. Denke nur an seine echt goldene Büchse!« – »Das ist Nebensache. Wenn er nun so aussieht, wie – wie ...« – »Nun, wie ...?« – »Wie zum Beispiel der Jäger, den ich soeben schlafen geführt habe?« – »Mädchen, mache mir keine dummen Witze. Der Schwarze Gerard sieht anders aus. Hast du schon einen berühmten Krieger, einen Helden gesehen?« – »Vielleicht.« – »Vielleicht? Pah, noch keinen. Oder hast du etwa den Fürsten des Felsens, diesen Sternau, Bärenherz oder Büffelstirn gesehen? Nein. So ein Held ist groß und stark, hat schwarze Augen, einen Schnurrbart, goldene Sporen, silberne Tressen an den Hosen und eine Stimme wie zehn Posaunen. Gehe mir also mit dem Jäger da oben! Wann hat er etwas geschossen? Was kann er trinken und bezahlen? Jetzt liegt er auf dem Heu und schläft am hellen, lichten Tag. O nein, der Schwarze Gerard sieht sicherlich ganz anders aus. Ich stelle mir ihn ... ah – da kommt wieder jemand.«

Es kam in diesem Augenblick ein Reiter vorüber, der an der Haustür hielt, um abzusteigen. Der Wirt beobachtete ihn, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, zog die Brauen zusammen und sagte zu seiner Tochter:

»Weißt du, was Psychologie ist?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Die Lehre von der Seele.« – »Gut Ich bin Psycholog, ein Menschenkenner. Sieh einmal dieses Pferd an. Wie findest du es?« – »Außerordentlich mager.« – »Und den Reiter?« – »Noch magerer und sehr klein.« – »Und seine Kleidung?« – »Ganz und gar zerfetzt.« – »Und seine Waffen?« – »Alt und nicht blank geputzt.« – »Nun sieh, das ist für einen Psychologen genug. Dieser Kerl hat ein mageres Pferd; er ist geizig, hat zerrissene Kleider, ist also liederlich; er hat schlechte Waffen und ist ein Habenichts. Er wird wohl auch nur einen Julep trinken, wie der Siebenschläfer. An solchen Gästen liegt mir nichts.« – »Er zieht sein Pferd in den Stall. Er wird also hierbleiben wollen.« – »Das mag er sich vergehen lassen. Ich werde vor allen Dingen sehen, ob er bezahlen kann. Wir Leute aus Pirna sind schlau; das soll er gleich sehen.«

Nach einigen Minuten trat der Fremde ein. Er hatte allerdings ein so ganz und gar unscheinbares Aussehen, daß einer, der die Verhältnisse der Savanne nicht kannte, schon ein wenig mißtrauisch werden konnte. Er grüßte sehr höflich in gebrochenem Spanisch, setzte sich auf einen Stuhl, legte die Büchse und das Messer ab und fragte:

»Nicht wahr, dieser Ort hier ist Fort Guadeloupe?« – »Ja«, antwortete der Wirt sehr kurz. – »Seid Ihr vielleicht Señor Pirnero?« – »Ja.« – »Kann man einen Julep bekommen?« – »Ja.« – »So gebt mir einen.« – »Gut, aber nur einen.« – »Warum nicht mehr?« fragte der Gast erstaunt. – »Das ist meine Sache.«

Bei diesen Worten warf der Wirt einen sehr sprechenden, deutlichen Blick auf das Äußere des Gastes und erhob sich langsam, um den Schnaps einzuschenken. Der Fremde bemerkte diesen Blick gar wohl; er unterdrückte ein Lächeln, zuckte die Achseln, sagte aber nichts, sondern tat schweigend einen tüchtigen Schluck, nachdem er das Glas empfangen hatte.

Pirnero setzte sich wieder an das Fenster und blickte hinaus. Da der Gast schwieg und auch die Tochter kein Wort sagte, so wurde ihm diese Stille doch endlich unbehaglich; darum brummte er nach einer Weile vor sich hin:

»Armseliges Wetter!«

Kein Mensch antwortete.

»Kaum auszuhalten!«

Als auch jetzt noch niemand antwortete, drehte er sich um, blickte den Gast herausfordernd an, als ob dieser einen Fehler begangen habe, und sagte:

»Nun?« – »Was?« fragte der Fremde. – »Armseliges Wetter!« – »Oh, ganz hübsch!« lachte dieser.

Der Wirt fuhr auf. Er dachte, daß er gefoppt werden solle.

»Wie meint Ihr das?« fragte er in sehr zornigem Ton. – »So, wie ich es sage«, lautete die Antwort. »Das Wetter ist hübsch.« – »Ah, wollt Ihr mich etwa ärgern?« – »Fällt mir nicht ein!« – »Und dennoch widersprecht Ihr mir!« – »Auch das nicht. Dem einen kann etwas ganz gut gefallen, was dem anderen höchst lästig ist, aber dennoch brauchen diese beiden sich über diese Meinungsverschiedenheit nicht im geringsten zu ärgern.« – »Sehr richtig. Ihr glaubt doch nicht, daß ich mich über Euch ärgere?« – »Das wäre Eure Sache, aber nicht die meinige, Señor.« – »Allerdings. Und Ihr wäret mir auch der letzte, über den ich mich ärgern würde.« – »Warum?« – Aus verschiedenen Gründen!« – »Hm. Darf man diese Gründe erfahren?« – »Warum nicht? Zunächst ist Euer Pferd ein Ziegenbock.« – Gut. Weiter!« – »Sodann habt Ihr keinen gescheiten Fetzen auf dem Leibe.« – »Sehr richtig! Und noch weiter?« – »Und drittens sind Eure Waffen keinen Heller wert.« – »Woher wißt Ihr das?« – »Das sieht man ja auf den ersten Blick. Man braucht da ganz und gar kein Psycholog zu sein oder eine große politische oder diplomatische Begabung zu haben.«

Der Fremde nickte lächelnd mit dem Kopf und entgegnete:

»Ich sehe ganz genau, daß ich bei Señor Pirnero bin.« – »Wieso?« fragte der Wirt stutzend. – »Man hat mir von Euch erzählt, und ich finde, daß man mir die Wahrheit gesagt hat.« – »Welche Wahrheit?« fragte der Wirt gespannt. – »Man hat Euch mir beschrieben, und ich bemerke, daß die Beschreibung genau stimmt.« – »Donnerwetter, was hat man von mir gesagt?« – »Daß Ihr ein guter Kerl seid.« – »Ja, ja, das bin ich allerdings! Weiter!« – »Daß Ihr stets an diesem Fenster sitzt.« – »Auch das stimmt. Weiter!« – »Und das Wetter beobachtet.« – »Wirklich? Hm! Da habe ich selbst noch nicht aufgepaßt. Weiter?« – »Daß Ihr – ah, das habe ich aber noch nicht bemerkt.« – »Was?« – »Daß Ihr sehr gern vom Heiraten und von Schwiegersöhnen redet.«

Der Wirt sah den Sprecher forschend an. Er war im unklaren, ob er sich über ihn freuen oder ärgern solle.

»Wie meint Ihr das?« fragte er. – »Ich meine gar nichts; meine Kameraden haben es mir so gesagt. Aber gebt mir nun noch ein Glas von Eurem Julep, Señor.«

Damit trank der Gast sein Glas leer und hielt es dem Wirt hin. Dieser musterte ihn von neuem, schüttelte langsam den Kopf und sagte:

»Ich schenke nicht mehr ein.« – »Warum?« fragte der Fremde erstaunt. – »Hm. Bezahlt erst den ersten!« – »Ah, Ihr haltet mich für einen Lumpen, der nicht bezahlen kann?« lachte der Gast. – »Beweist zunächst das Gegenteil, dann werde ich wissen, wofür ich Euch zu halten habe.« – »Gut! Ihr sollt sehen.«

Der Fremde griff in seine Tasche, zog einen Lederbeutel hervor, öffnete ihn und griff hinein.

»Da habt Ihr Eure Bezahlung.«

Bei diesen Worten nahm er ein Nugget von der Größe einer Haselnuß heraus und hielt es dem Wirt hin. Dieser griff mit großer Begierde zu, betrachtete es von allen Seiten, wog es in der Hand und sagte erstaunt:

»Gold, wahrhaftig, reines Gold!« – »Ja, vollständig rein«, nickte der andere. – »Donnerwetter! Und das ist Euer?« – »Wem sonst?« – »Habt Ihr noch mehr?« – »Mehrere Beutel voll.« – »Woher?« – »Aus den Minen geholt.« – »Wo?« – »Oh, das ist meine Sache, Señor Pirnero«, lachte der Gast. – »Welch ein Nugget! Es ist unter Brüdern zwanzig Dollar wert.« – »Dreißig.« – »Soll ich es wiegen und wechseln?« – »Versteht sich.«

Der Wirt erhob sich und holte die Waage. Die beiden wurden um den Preis von fünfundzwanzig Dollar einig, den Pirnero gleich auszahlte.

»Also einen Julep wollt Ihr noch?« fragte er dienstfertig.»Den sollt Ihr sogleich bekommen.«

Der Gast war wegen des Nuggets sehr schnell und sehr hoch in Pirneros Achtung gestiegen; darum bediente er ihn mit außerordentlicher Bereitwilligkeit. Er bereute jetzt sein früheres Verhalten und setzte sich an das Fenster, um darüber nachzudenken, auf welche Weise er es wiedergutmachen könne. Da ihm aber nicht sogleich etwas einfiel, begann er mit seiner gewohnten Geistesgegenwart:

»Schlechtes Wetter!« – »Hm!« brummte der Gast. – »Hat aber auch seine gute Seite«, lenkte Pirnero ein. – »Allerdings. Besonders für mich. Ich komme nämlich aus dem Llano estacado.«

Da fuhr der Wirt herum, staunte den Mann an und fragte:

»Wirklich?« – »Ja. Und wenn man wochenlang ohne Wasser die Glut dieser Wüste ausgehalten hat, so könnt Ihr Euch denken, daß so ein Regen eine wahre Erquickung ist.« – »Ja, allerdings«, stimmte der Wirt eifrig bei. »Aber sagt, Señor, seid Ihr da allein herübergekommen?« – »Ja.« – »Unmöglich!« – »Warum unmöglich?« – »Das könnte nur ein kühner Mann wagen.« – »Ich habe es gewagt. Ihr seht ja, daß ich ganz allein bin.« – »Freilich. Aber ich dachte – hm!« – »Was? Was dachtet Ihr, Señor Pirnero?«

Der Gefragte blickte den Frager forschend an und erwiderte dann nachdenklich:

»Wißt Ihr vielleicht, was Politik und Diplomatik ist?« – »Ja.« – »So werdet Ihr auch wissen, daß ein Mann, der politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht alles sagen kann.« – »Richtig! Ah, Señor, Ihr besitzt wohl solche Begabung?« – »Das will ich meinen. Wißt Ihr vielleicht, woher ich bin?« – »Nein.« – »Nun, ich bin aus Pirna.« – »Aus Pirna?« fragte da der andere rasch. – »Freilich. Kennt Ihr es?« – »Pirna bei Dresden?« – »Ja.« – »Donnerwetter! Freilich kenne ich es. Ich bin ja auch ein Deutscher.« – »Ein Deutscher!« rief Pirnero erfreut. »Woher denn?« – »Aus Rheinbayern.« – »Heiliger Stern! Ist's wahr?« – »Versteht sich. Ich war Bierbrauer und habe drei Jahre in Dresden gearbeitet. Dann wurde ich von einem Amerikaner engagiert, der deutsches Lagerbier in St. Louis brauen wollte; aber er war zu unvorsichtig, er fing es falsch an, und so ging die Geschichte pleite. Dann zog ich nach dem Westen und bin, ich weiß gar nicht wie, Goldsucher und Jäger geworden.« – »Holla, das ist gut, das gefällt mir. Ein Deutscher, mit dem ich von meiner Vaterstadt Pirna plaudern kann. Nun mag es draußen meinetwegen regnen und gießen, soviel es will. Resedilla, hole Wein, denn es gibt ein Fest für mich. Landsmann, Ihr seid mein Gast, ohne mich bezahlen zu müssen. Aber sagt, habt Ihr Eltern oder sonstige Anverwandte?« – »Nur einen Bruder.« – »Und wie ist Euer Name?« – »Straubenberger, Andreas Straubenberger.« – »Und ist Euer Bruder auch in Amerika?« – »Nein.« – »Wo sonst?« – »Ich habe lange Jahre nichts von ihm gehört. Er weiß vielleicht gar nicht, wo ich bin, denn ich bin nie ein Freund vom Schreiben gewesen. Ich wollte als Goldsucher reich werden und ihn dann überraschen. Er lebte bei Mainz.« – »Auch als Brauer?« – »Nein, sondern als Forstgehilfe auf Schloß Rheinswalden bei einem Hauptmann von Rodenstein, der zugleich Oberförster war.« – »Gut, lassen wir ihn förstern! Wir haben es jetzt mit uns zu tun. Aber Ihr müßt mir vor allen Dingen eine Frage aufrichtig beantworten. Ihr scheint trotz Eurer schlechten Kleidung kein übler Kerl zu sein, und das Alter drückt Euch auch noch nicht. Sagt einmal, wie alt seid Ihr?« – »Sechsunddreißig.« – »Hm! Seid Ihr verheiratet?« – »Aha«, schmunzelte der Jäger. »Endlich kommt die berühmte Erkundigung. Ich habe mir, Gott sei Dank, noch keine Squaw angeschafft.« – »Ja, eine indianische Frau! Wie steht es aber mit einer weißen?« – Auch nicht.« – »Donnerwetter! Habt Ihr eine Wohnung?« – »Nein.« – »Könnt Ihr Bier und Schnaps behandeln?« – Als Brauer? Na und ob.« – »Gar Bier brauen?« »Freilich.« – »Dachsparren annageln?« – »Warum nicht?« – »Hol's der Teufel! Wenn Ihr das alles könnt, warum lauft Ihr dann so trist in der Welt herum? – »Trist? Gerade das gefällt mir.« – »Aber Ihr habt ja Gold genug, um Euch ansässig zu machen.« – »Fällt mir gar nicht ein.« – »Und es gibt vielleicht manchen Schwiegervater, bei dem Ihr es gut haben könntet« – »Danke.« – Aber warum denn nicht?« – »Ich habe andere Verpflichtungen.«

Straubenberger lachte, zog ein lustiges Gesicht und fragte geheimnisvoll:

»Wißt Ihr, was ein Diplomat, was ein Politiker ist?« – »Natürlich.« – »Nun, so werdet Ihr auch wissen, daß einer, der politische und diplomatische Begabung besitzt, nicht alles sagt. Ich kann Euch nur soviel mitteilen, daß ich zu Euch gekommen bin, um hier jemanden zu suchen.« – »Zu suchen? Wen?« – »Hm! Kennt Ihr den Schwarzen Gerard?« – »Persönlich noch nicht.« – Aber gehört habt Ihr von ihm?« – »Natürlich. Ich werde ihn auch bald persönlich kennenlernen.« – »Wieso?« – »Ich habe gehört, daß er nächstens ganz sicher nach Fort Guadeloupe kommen wird.« – »Ah, das ist gut! Ich dachte, er wäre schon da.« – »So ist er es, den Ihr sucht?« – »Freilich. Ich dachte ganz sicher, ihn bereits bei Euch zu treffen.« – »Sapperment, hat er es denn versprochen?« – »Ja.« – »Nun, so ist es sicher, daß er kommt, und das freut mich. Er ist der berühmteste Jäger, den es in diesem Land gibt. Kennt Ihr ihn persönlich?« – »Nein.« – »Dann will ich Euch sagen, daß er erst dieser Tage wieder eines seiner Stücke ausgeführt hat. Er ist nämlich nach Chihuahua geritten.« – »Alle Teufel! Da sollen ja jetzt die Franzosen sein.« – »Freilich sind sie da. Sie haben ihn erwischt und gefangengenommen.«

Straubenberger machte eine Bewegung des Erschreckens und rief bestürzt:

»Ah, so werde ich ihn also nicht treffen. Ich muß gleich wieder fort und zurück.« – »Wohin?« fragte der Wirt, nicht weniger erschrocken. – »Nach dem Llano estacado. Ich muß melden, daß der Schwarze Gerard von den Franzosen gefangengenommen worden ist.« – »Wem denn?« – »Ah, das ist meine Sache!« – »Donnerwetter, Ihr seid wahrhaftig ein guter Diplomat. Aber ich kann Euch helfen. Ihr braucht nicht zurück, denn der Schwarze Gerard ist ja frei.« – »Aber Ihr sagtet doch, daß ...« – »Daß er gefangengenommen worden ist, ja; aber er ist ihnen sofort wieder durchgegangen, er ist gleich wieder entflohen.« – »Wirklich?« fragte der Jäger sichtlich erleichtert. »Wißt Ihr es genau?« – »Ganz genau und sicher, von einem Jäger, der jetzt bei mir auf dem Heu schläft.« – »Was für ein Jäger ist er?« – »Weiß es nicht; aber viel ist nicht an ihm. Er hat kein Geld, schlechtes Zeug auf dem Leib und eine Büchse, für die ich nicht einen Vierteldollar gebe.« – »Danach kann man nicht gehen. Solches Schießzeug ist oft besser als das teuerste Gewehr. Und was die Kleidung und sonstige Ausrüstung betrifft, so seht Ihr es ja an mir, was man davon hat, wenn man einen Westmann nur nach dem Äußeren beurteilt. Die Sonne des Llano estacado hat mir die Kleider und Stiefel verbrannt, so daß sie nur noch in Fetzen am Leib hängen; mein Pferd ist abgemagert wie ein Ziegenbock, das sagtet Ihr ja selber, und meine Büchse sieht eher aus wie ein Nachtwächterknüttel, als wie ein Gewehr. Dennoch habe ich sechs Beutel Nuggets bei mir, und in New York liegen meine Gelder. Ich habe das Gold, welches ich in den Minen fand, verkauft und den Betrag in New York deponiert; dort erhalte ich ihn zu jeder Zeit. Ist der Jäger, von dem Ihr sprecht, jetzt zu treffen?« – »Nein.« – »Warum nicht?« – »Weil er schläft. Ihr könnt ja morgen früh mit ihm reden.« – »Gut, so bleibe ich hier.« – »Ah, das ist schön, Señor. Ihr seid mein Gast. Kosten soll es Euch keinen Pfennig, denn es ist mir eine außerordentliche Freude, mit Euch von Sachsen reden zu können. Also Ihr wäret in Dresden?« – »Ja.« – »Auch in Pirna?« – »Einige Male.« – »So wißt Ihr auch, daß Dresden die Elbe von uns bekommt?« – »Freilich.« – »Gibt es noch Essenkehrer dort in Pirna?« – »Wahrscheinlich.« – »Und Meerrettichhändler?« – »Ich habe mich danach gerade nicht erkundigt.« – »Wie schade!« – »Warum?« – »Weil dies im Zusammenhang mit meinem Stammbaum steht. Ist Euch der Eurige bekannt?« – »Nein.« – »Ah, Ihr kennt Eure Vorfahren nicht?« fragte Pirnero erstaunt. – »O doch. Ich habe meinen Vater gekannt.« – »Und Euren Großvater?« – »Nein.« – »O weh, da bin ich glücklicher! Der Mensch muß auf seinen Stammbaum halten; es ist besonders wegen der Vererbung vom Vater auf die Tochter hinüber. Meine Vorfahren waren sehr bedeutende Leute in Pirna.« – »So? Was waren sie denn?« fragte Straubenberger aus Gefälligkeit. – »Mein Vater war Schornsteinfeger.« – »Ah«, meinte Straubenberger enttäuscht. – »Ja, Ihr staunt, und das mit Recht. Der Essenkehrer ist das Symbol des Strebens nach Höherem, natürlich oben zur Esse hinaus. Er hat den Beruf, das gefährlichste Element zu beaufsichtigen und die Menschheit vor dem Einfluß des Rußes zu schützen. Und mein Großvater – ratet einmal, was dieser war.« – »Wird es nicht besser sein, Ihr sagt es mir gleich?« – »Schön. Er handelte mit Meerrettich.« – »Alle Teufel!« – »Nicht wahr, Ihr staunt. Der Meerrettich ist nämlich das Symbol des Pikanten. Er würzt die Wurst und die Schweinsknöchel, und wenn er gerieben wird, so muß man weinen. Er hat etwas Hochtragisches an sich, was an Schiller, Goethe und Saphir erinnert, und darum ist mein Großvater der Träger des Pikanten und Tragischen gewesen. Ich darf stolz auf meine Ahnen sein und habe mir alle Mühe gegeben, die Vorzüge meines Stammbaumes von mir auf meine Tochter fortzupflanzen. Wenn Ihr ein Freund des Meerrettichs seid, so könnt Ihr bald die Erfolge sehen. Ihr eßt doch zu Abend?« – »Das versteht sich.« – »Gut, so sollt Ihr meine Küche und meine Tochter kennenlernen. Ein Schwiegersohn würde mit beiden ganz außerordentlich zufrieden sein.«

In dieser Weise führten die Herren ihre Unterhaltung fort, und Straubenberger hatte während des Abends genug Zeit, die Eigentümlichkeiten seines Wirtes zu studieren. Resedilla hielt sich von ihnen fern; sie zog es vor, ungestört an den Schläfer denken zu können, der ihr näherstand, als alle Schornsteinfeger und Meerrettichhändler der Welt, und darum hatte sie ihr Zimmer längst aufgesucht, als die beiden Männer noch lange beieinandersaßen, um sich gegenseitig zu unterhalten.


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