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5. Kapitel.

Nur einem solchen Mann wie Gerard konnte es gelingen, durch die Postenketten und über die aufgeworfenen Befestigungen hinwegzugelangen. Bald fand er sich an einer Reihe von Gärten, die ihm alle bekannt waren, voltigierte vorsichtig über den Zaun eines derselben, duckte sich zur Erde nieder und stieß dreimal den Ruf des schwarzköpfigen Geiers aus, wenn er aus dem Schlaf erwacht. Dieses Zeichen schien nicht gehört worden zu sein, denn er mußte es wiederholen, ehe er ein Pförtchen gehen hörte und eine dunkle Frauengestalt langsam herbeikam, um in kurzer Entfernung stehenzubleiben und mit unterdrückter Stimme zu fragen:

»Wer ist da?« – »Mexiko«, antwortete er. – »Und wer kommt?« – »Juarez.« – »So warte ein wenig.«

Nach diesen Worten entfernte sich die Gestalt und kehrte erst nach Verlauf von wohl einer Viertelstunde zurück. Jetzt aber kam sie ganz zu Gerard heran und sagte:

»Hier ist das Gewand; den Weg habe ich freigemacht.«

Mit diesen Worten reichte sie ihm eine Mönchskutte, die er über sein Gewand zog, und fuhr dann fort:

»Heute müßt Ihr Euch doppelt in acht nehmen.« – »Warum?« – »Sie hat den Major zu sich bestellt.« – »Das ist mir lieb. Ist er bereits bei ihr?« – »Nein. Er kommt erst nach zwei Stunden.« – »Gut. Hier ist meine Büchse, bewahre sie sorgfältig auf.« – »Wann kehrt Ihr zurück?« – »Das weiß ich noch nicht. Ich werde dich wecken, wenn ich komme.«

Gerard schlug darauf die Kutte um sich zusammen und schritt nach links davon, wo sich in der Mauer eine kleine Tür befand, die bereits offenstand. Er trat in einen Hof, an dessen Seite sich ein Säulengang hinzog. Eine schmale Stiege führte hinauf, nach der Stelle, wo der Hof am dunkelsten war. Er stieg sie empor und fand dort oben in einem Winkel eine Holztür geöffnet. Hier trat er ein, ging im Finstern abermals durch einige bereits geöffnete Türen und stand endlich vor einer, die verschlossen war. Er klopfte an, und ein lautes, von einer Silberstimme gerufenes »Herein!« antwortete. Zugleich wurde ein Riegel zurückgeschoben, und die Tür tat sich auf.

Ein glänzendes, blendendes Lichtmeer flutete ihm entgegen, und mitten in diesem See von Glanz und Licht stand eine Frauengestalt, deren Schönheit ganz unmöglich zu beschreiben war. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich jeder, der sie in dieser Toilette gesehen, vor ihr niedergeworfen hätte.

Ein beispiellos reiches, schwarzes Lockenhaar war auf einem wahren Feenköpfchen zu einer hohen Krone geordnet und flutete doch noch immer über die Hüften hernieder, und dieses herrlichen Schmuckes wert war jeder einzelne Teil der hohen, königlichen Gestalt. Keine Maria Theresia, Katharina oder Kleopatra, keine Melusina oder Märchenkönigin war mit diesem Weib oder Mädchen zu vergleichen, das eine Toilette trug, so einfach und doch ausgesucht, daß man sie staunend bewundern mußte. Da lag kein Puder auf den Wangen; da war nichts imitiert an der herrlichen Gestalt, und doch hätte man kaum glauben mögen, daß die Natur fähig sei, ein Weib in solch poetischer Vollendung zu schaffen.

Wie arm und gering stand dagegen der Präriejäger vor ihr, der im letzten Zimmer seine Kutte wieder abgeworfen hatte. Und doch hielt er seine Gestalt stolz erhoben, und doch leuchtete ihre Augen vor Glück und Wonne, ihn bei sich zu sehen. Sie trat ihm entgegen und gab ihm beide Hände.

»Endlich, endlich wieder einmal, lieber Gerard«, rief sie. »Ich danke dir, daß du mir diese Freude machst. Komm, laß dich küssen!«

Sie umarmte ihn und küßte seinen Mund mit der Innigkeit einer glücklichen Braut, während er sich nicht veranlaßt fühlte, diesen Kuß zu erwidern. Sie zog ihn dann nach dem Diwan, setzte sich neben ihn, umschlang ihn mit den Armen und legte ihr Köpfchen, dieses von einem Maler gar nicht wiederzugebende Köpfchen, an sein Herz.

So saßen sie da, er in seiner alten, schmutzigen, blutgetränkten Bluse und sie in dem kostbaren Seidenkleid.

»Du wolltest ausgehen, wie ich sehe?« nahm er endlich kalt das Wort. – »Ja. Ich wollte zwei Stunden zur Tertullia – Gesellschaftsvergnügen–, und dann erwarte ich den Major. Doch verzichte ich herzlich gern auf das Vergnügen, wenn ich nur das Glück habe, dich bei mir zu sehen.« – »Auf welches Vergnügen willst du verzichten?« lächelte er. »Auf die Tertullia oder den Major?« – »Auf das erstere; der Besuch des Majors ist kein Vergnügen.« – »Ich glaube es.« – »Und dieser häßliche Kapitän ... ah, weißt du, daß er seit mehreren Tagen nach auswärts ist?« – »Wohin denn?« – »Niemand weiß es.« – »Auch der Major nicht?« – »Nein.« – »Aber der Kommandant muß es doch wissen!« – »Jedenfalls.« – »So ist dies ein böses Zeichen für uns.« – »Ah, für uns? Inwiefern?« – »Der Kapitän ist mit einer geheimen Rekognoszierung betraut worden, und der Kommandant hat dies dem Major verschwiegen; dies ist jedenfalls ein unfehlbarer Beweis, daß er letzterem mißtraut und ihn nicht für verschwiegen hält.« – »Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Ich sehe, daß du scharfsinniger bist als ich, lieber Gerard.« – »Ein anderes Mal bist du klüger. Wir müssen uns eben ergänzen.« – »So möchte ich wissen, wohin der Kapitän gegangen ist. Ich muß es auf alle Fälle zu erfahren suchen und werde mich da an den Kommandanten halten und ihm morgen abend eine Unterredung gewähren, bei der du zugegen sein und den Lauscher machen sollst.« – »Das geht nicht, denn ich muß unbedingt diese Nacht noch wieder fort.« – »O weh! Ist deine Eile so dringend geboten?« – »Sehr dringend. Ich habe seit gestern nacht oder vielmehr seit vorgestern abend ohne Unterbrechung auf ungesäuerten Pferden gesessen und wohl gegen fünfzig geographische Meilen zurückgelegt. Daraus magst du sehen, wie dringlich die Sache ist.« – »Du Ärmster!« sagte sie, ihm die Wangen zärtlich streichend und seinen Mund küssend. »Du wirst dich dabei noch aufreiben. Du hast gar nicht geschlafen?« – »Nein.« – »Und mußt diesen Weg in derselben Weise ohne Schlaf zurücklegen?« – »Freilich. Doch ich habe eine eiserne Konstitution; ich werde es aushalten.« – »Aber wenn du heute schon fort mußt, so wirst du morgen nicht erfahren, weshalb der Kapitän vom Kommandanten ausgeschickt worden ist!« – »Oh, das weiß ich bereits, liebes Kind«, sagte er lächelnd. – »Wirklich, wirklich?« fragte sie erstaunt. – »Sogar sehr genau weiß ich es. Ich habe nämlich den Kapitän getroffen und alles gehört und belauscht.« – »Gerard, du bist wirklich ein ganz außerordentlicher Mensch!« – »O nein«, antwortete er bescheiden. »Es lag hier nur ein Glücksumstand vor, sonst hätte ich gar nichts erfahren. Ich wurde von Bärenauge aufmerksam gemacht.« – »Das ist der junge Apachenhäuptling, der seinen Bruder Bärenherz sucht und den Schwur getan hat, wenn er ihn nicht findet, jede Woche, so lange er lebt, einen Weißen zu töten?« – »Ja, derselbe. Er ist mein Freund und hat mir fünfhundert seiner Krieger versprochen.« – »Das ist sehr gut. Denn diese fünfhundert wiegen fünftausend Franzosen auf. Aber was hast du auf deinem Lauscherposten vom Kapitän erfahren?« – »Er war bei den Komantschen, die ihm sechshundert Krieger zugesagt haben.« – »O weh, das ist schlimm!« – »Pah! Ich werde sie aufreiben. Ferner kam er nach Fort Guadeloupe, als Goldsucher verkleidet, um eine Kompanie Franzosen zu erwarten, die sich im Fort festsetzen sollte. Daß der Kommandant es wagt, einen solchen Truppenteil so weit vorzuschieben, läßt mich fast vermuten, daß er den Präsidenten Juarez in Paso del Norte ausheben will und daß er von der Geldsendung gehört hat, die aus den Vereinigten Staaten für uns unterwegs ist.« – »Eine Geldsendung? Ah, käme sie doch an! Ich wünsche es dringend.« – »Warum?« – »Du mußt wissen, daß mir der Präsident seit drei Monaten mein Gehalt schuldig geblieben ist. Ich gelte hier für reich und muß ein großes Haus führen, um Eurer Sache dienen zu können. Und doch ist meine Kasse vollständig erschöpft. Ich weiß, daß Juarez jetzt darben muß, aber ich bin bereits gezwungen gewesen, Anleihen zu machen. Der Nimbus, mit dem ich verstanden habe, mich zu umgeben, wird da nicht mehr lange vorhalten.« – »Ja, der Präsident ist allerdings jetzt fast von allen Mitteln entblößt; wenn er dir trotzdem Geld sendet, so magst da daraus ersehen, daß er die Vorteile, die uns deine Schönheit bringt, zu schätzen weiß.« – »Er schickt Geld?« fragte sie freudig. – »Ja.« – »Wann? Durch wen?« – »Jetzt, heute, durch mich.« – »Herrlich, herrlich!« – »Ich habe das Geld zwei Wochen lang mit mir herumgetragen. Du mußt entschuldigen, ich konnte wahrhaftig nicht eher kommen.« – »Du bist entschuldigt, lieber Gerard, denn ich kenne deine Sorgfalt für mich. Aber sage mir, wieviel es ist?« – »Ein Halbjahresgehalt; drei Monate leider post-, aber dafür nun auch drei Monate pränumerando. Bist zu zufrieden, Kind?« – »Sehr, sehr! Ist's in Papieren?« – »Ja. Wie könnte ich so viel in Münze bei mir führen?« – »In welchen Papieren? Die nordamerikanischen könnten mich bloßstellen.« – »Es sind gute Scheine der englischen Bank.« – »Ah, das ist prächtig und sehr vorsichtig!« – »Hier hast du sie.«

Gerard fuhr in den Schaft seines elenledernen Jagdstiefels und zog ein Paket hervor, das er ihr überreichte. Sie öffnete es, zählte nach und sagte:

»Richtig; es stimmt! Nun bin ich wieder reich! Aber, lieber Gerard, du mußt mir den Gefallen tun, eines dieser Papiere von mir anzunehmen.«

Sie hielt ihm mit aufrichtig bittender Miene eine Hundertpfundnote entgegen.

Er aber schüttelte den Kopf, schob ihre Hand zurück und erwiderte:

»Ich danke dir, Emilia; du meinst es herzlich gut mit mir, aber ich darf deine Güte nicht mißbrauchen. Ich hätte keine Verwendung dafür.« – »Aber Gerard, keine Verwendung!« schmollte sie. »Sieh dich nur an!«

Er warf einen belustigten Blick auf sich hinab, sah dann im Boudoir umher und fragte:

»Du meinst, daß ich nicht gut zu dir passe?« – »Ganz und gar nicht!« – »Ja, du hast recht. Aber wenn du zu mir in den Wald kämst, würdest auch du nicht zu mir passen. Ich gehe so, wie ich es nötig habe. Meine Kleidung ist gut genug für meine Zwecke. Und glaubst du, daß ich sie mit dieser Hundertpfundnote bezahlen könnte? Übrigens brauchst du dich nicht um mich zu sorgen, ich bin nicht so arm, wie du denkst« – »Ah, du bist reich!« – »Beinahe. Ich habe nämlich oben in den Bergen ganz zufällig eine Goldader entdeckt. Brauche ich Geld, so gehe ich hinauf und breche mir ein Stück heraus. Sei also bedankt für dein Geschenk! Willst du mich mit etwas erfreuen, so gib mir ein wenig zu essen, ich habe gewaltigen Hunger.«

Sie stieß ein wohltönendes Lachen aus. Er stimmte ein und fragte:

»Du lachst über meinen Hunger? Immerhin! Die Herren, die du kennst, schwärmen allerdings von Schönheit, Glück, Entzücken und Liebe, sie möchten aus den Spitzen deiner Finger Ambrosia saugen und von deinen schönen Lippen Nektar küssen, ich Bär aber mag von alledem nichts und verlange ein kräftiges Essen, weil ich fünfzig Meilen geritten bin und gewaltigen Hunger habe. Das ist natürlich ein Unterschied. Ich werde sofort in deinem Kredit sinken und für einen Barbaren gehalten werden.«

Sie verschloß ihm den Mund mit einem Kuß.

»Still, du Bär! Du weißt, daß du mir tausendmal lieber bist als alle anderen. Die kommen herein, geschniegelt bis zum Ekeln; sie duften, äugeln, sie säuseln und flattern – pah! Wenn du aber kommst, so sehe ich einen Mann. Ich sage dir, Gerard, ich würde sofort den ganzen Plunder vom Leib reißen und den ärmlichsten Rock anziehen, um dir hinaus in den Hinterwald zu folgen und Kartoffeln, Schoten und Mais zu bauen. Aber ich bin dir nicht gut genug, und du hast leider recht. Meine Liebe verschmähst du, aber meine Freundschaft sollst du doch annehmen müssen. Sag, was willst du essen? Auftragen kann ich nicht lassen, da niemand wissen darf, daß du bei mir bist.« – »Hole mir ein großes Stück trockenes Brot und etwas Fleisch dazu.« – »Weiter nichts?« – »Nein.« – »Ist das ein Mensch!« lachte sie. »Er kann alle Delikatessen haben und verlangt trockenes Brot. Doch du sollst deinen Willen haben.«

Sie erhob sich, um das Verlangte zu holen. Als sie durch das Boudoir schritt und zur Tür hinausging, so stolz, so schön wie eine Königin, blickte er ihr nach. Es war fast ein Ausdruck des Mitleids zu nennen, der dabei über seine Züge glitt, aber er schüttelte die Regung ab und murmelte:

»Pah! Sie ist trotz dieser wahrhaft treuen, untertänigen Liebe dennoch nicht unglücklich. Sie liebt den Glanz und den Genuß; beides ist ihr geboten, und so ist sie mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz zufrieden. Aber, bei Gott, ich habe gar nicht gedacht, daß ein Kerl wie ich einem so schönen Weib solche Zuneigung einflößen könne! Die Liebe ist wirklich ein launenhaftes Ding!«

Sie kehrte zurück und setzte ihm einen Teller vor, von welchem er rüstig zulangte. Sie beobachtete ihn mit sichtlichem Interesse und sagte:

»So, mein guter Gerard, erscheinst du mir in meinen Träumen. Mitten im Urwald eine kleine Farm. Du der Mann, und ich die Frau.« – »O bitte!« – »Geduld! Es ist ja eben nur im Traum! Du kehrst von der Arbeit oder von der Jagd zurück, setzest dich an den Tisch ...« – »Ohne vorherigen Kuß?« lachte er. – »Zehn Küsse vorher, Gerard! Dann setze ich dir eine rauchende Büffellende vor ...« – »Nein, kalt muß sie sein! Büffellende darf nicht rauchen.« – »Gut, so bekommst du also kalte, und da beißt du so kräftig hinein, wie eben jetzt. Deine Zähne schimmern; du bist ganz bei der Arbeit und ißt so gut und behaglich, daß man selbst Appetit bekommt« – »Willst du?« fragte er, ihr das trockene Brot anbietend. – »Nein, brrr!« antwortete sie, sich schüttelnd. – »Schöne Farmersfrau, die kein Brot essen kann!« – »Ich würde es wieder lernen.« – »Aber schwer. Du kannst es besser, viel besser haben.« – »Wie?« – »Suche nach einer wirklichen, ernsten Verbindung. Bei deiner Schönheit und deinem Geist bist du imstande, den vornehmsten, den reichsten Mann zu fesseln! Dann hast du einen Halt für dein ganzes Leben.«

Sie blickte zu Boden nieder. Sie fühlte, daß er recht hatte, dennoch antwortete sie im Ton eines nicht zurückzudrängenden Vorwurfs:

»Und das sagst du mir, du, der einzige, den ich lieben kann?« – »Und der auch der einzige ist, der es wirklich aufrichtig gut mit dir meint.« – »Ja, ich glaube es dir, du bist stets gut zu mir gewesen, schon als Knabe.« – »Hm, warum sollte ich nicht? Deine und meine Eltern wohnten im Hinterhaus. Ich war ein starker Bube und du ein so kleines, allerliebstes Ding. Dann kam ich zum Schmied in die Lehre, und du warst reif zur Schule.« – »Und als ich die Schule verließ, warst du Garotteur.« – »Leider! Aber als ich die Garotte verließ, warst du Grisette, ließest dich von einem amerikanischen Schwindler entführen und gingst über die See.« – »Der Mensch verließ mich, und ich sank in das tiefste Elend. Da trafen wir uns des Abends in St. Louis am Fluß. Ich hatte das Leben satt und wollte mich in das Wasser stürzen, du ahntest dies und tratest herzu. Wir erkannten uns, und ich war gerettet. Du arbeitetest für mich, du teiltest den Ertrag der Jagd mit mir, du verschafftest mir endlich die Stelle als Gesellschafterin der Dame, mit der ich dann hierher nach Mexiko kam. Ich schulde dir mein Leben und noch mehr.« – »Ist nicht der Rede wert, mein Kind. Du hast seitdem genug für mich und unsere Sache getan. Ich hätte nie geglaubt, daß aus dem kleinen Kind, das ich einst auf meinen Armen trug, und aus dem verzweifelnden Frauenzimmer am Ufer des Mississippi eine solche Dame werden könnte. Emilia, du bist schön, du bist entzückend, ja berauschend!«

Er schob den leeren Teller von sich, um sie genau zu betrachten. Da flog sie von ihrem Sitz auf ihn zu und sagte:

»Gerard, dies alles nützt mir nichts. Nur dich allein möchte ich erobern und berauschen, dein Weib möchte ich sein, wenn auch nur für ein kurzes Jahr, und dann glücklich sterben. O Gott, warum kann dies nicht sein?«

Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und weinte. Er schob sie langsam von sich und erwiderte:

»Wir passen nicht zueinander. Wir beide sind leidenschaftlich, wir beide haben zu viel gelebt, wir können uns nicht ergänzen. Siehst du das nicht ein?«

Sie nahm ihre Arme von seinem Hals und antwortete:

»Leider sehe ich es ein, mein guter Gerard. Wer von uns beiden sich verheiratet, der darf sich nur mit einem ruhigen, versöhnlichen Charakter verbinden. Wir aber würden einander nur unglücklich machen. Aber ... aber ...!«

Emilia schritt hastig einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb sie vor ihm stehen, zeigte mit den Armen rund umher und fuhr fort:

»Das alles danke ich dir. Blicke mich selbst an! Denkst du, ich wisse nicht, wie schön ich bin? Denkst du, ich wisse nicht, welchen Eindruck ich mache und welche Macht ich ausübe? Oh, ich analysiere mich täglich selbst.«

Sie zog die goldene Nadel heraus, und nun wallte die dunkle, verführerische Flut fast bis zum Boden hinab.

»Sieh mein Auge, meine Nase, meinen Mund, mein Kinn, mein Profil, meinen Kopf! Hast du jemals einen Kopf gesehen, der schöner war als der meinige, und wäre es auch ein Gemäldekopf? Wer will mir widerstehen? Kein anderer als nur du! Und doch möchte ich, daß ich nur dir allein gehörte! Oh, dann wollte ich in Seligkeit und Wonne schwelgen. Und dennoch darf dies nicht sein. Du willst mir nicht gehören. Meine Schönheit war zu schwach, dich zu besiegen. Ist das nicht schrecklich?«

Sie hatte sich in eine Aufregung hineingesprochen, die ihre Schönheit zur verdoppelten Geltung brachte. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen glühten. Gerard wandte sich ab, er fühlte, daß er nahe am Erliegen war. Es trieb ihn mit aller Gewalt, die Arme nach ihr auszustrecken und sie zu sich niederzuziehen.

Sie merkte dies an der Glut seiner Augen, sie fühlte sich dem langersehnten Sieg nahe, und ihr Herz bebte vor Entzücken – aber da wandte er sich ab.

Jetzt wußte sie, daß sie niemals seine Liebe erlangen würde. Sie drehte sich mit einem Ruck von ihm ab, trat an das Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Ihre Arme erhoben sich, ihre Finger erfaßten die Fransen der kostbaren Gardinen und rissen sie herab, ohne daß sie es beachtete. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.

Endlich kehrte sie wieder zu ihm zurück und nahm auf einem Stuhl Platz. Ihr Gesicht war bleich, ihre Züge kalt, und ihre Stimme hatte einen heiseren Klang, als sie sagte:

»Das wunderbarste ist, daß ich dich fortliebe, daß keine Spur von Haß, kein Gedanke an Rache in meinem Herzen Platz nimmt. Aber laß uns nicht weiter davon sprechen, reden wir von unseren Geschäften!« – »Ja, das wird besser sein, liebe Emilia«, antwortete er. – »Daß es einen neuen Prätendenten gibt, weißt du?« – »Einen, der Präsident werden will? Ich hörte noch nichts davon. Wer ist es?« – »Ein gewisser Cortejo aus Mexiko. Ich glaube, er heißt Pablo Cortejo.«

Gerard horchte auf. Er kannte den Namen Cortejo nur zu gut. Er hatte ihn in dem Buch gefunden, das er Don Alfonzo abgenommen hatte, nachdem er ihn vorher garottiert hatte, in demselben Buch, das ihm später in Rheinswalden von dem Waldhüter abgenommen worden war.

»Cortejo? Was ist er?« fragte er gespannt – »Er war Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda.« – »Ah!« – »Kennst du den Grafen, oder vielmehr, kanntest du ihn?« – »Ich habe von ihm gehört.« – »Er ist gestorben, schon vor langen Jahren. Kennst du diesen Cortejo auch?« – »Nur dem Namen nach. Aber wenn er in Mexiko ist, wie kann er da prätendieren? Die Hauptstadt befindet sich ja in den Händen der Franzosen!« – »Ich habe gesagt, daß er aus Mexiko sei, nicht aber in Mexiko. Er befindet sich gegenwärtig droben in der Provinz Chiapa.« – »Hat er Anhang?« – »Er war einer der ersten, die sich für die Franzosen erklärten, er und der Panther des Südens. So lange Juarez noch mächtig war, trat dieser Cortejo mit seinen Absichten nicht hervor, jetzt aber scheint er zu denken, daß ihm sowohl die Zeit, als auch die Verhältnisse günstig seien. Er agitiert in den südlichen Provinzen, in denen die Franzosen doch nie große Fortschritte gemacht haben.« – »Ist er denn der Mann dazu?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und stehen ihm die nötigen Mittel zu Gebote?« – »Wahrscheinlich.« – »Und die Erfolge, die er bereits erzielt hat?« – »Sie scheinen nicht zu groß zu sein. Aber der Panther des Südens hat sich für ihn erklärt, und du wirst wissen, daß dieser einen großen Anhang besitzt.« – »Dieser Cortejo scheint uns nicht sehr gefährlich werden zu können.« – »Wer weiß es! Vielleicht hat er Geld, und für dieses ist der Mexikaner außerordentlich empfänglich. Das sonderbarste aber ist, daß er selbst weniger agitiert als seine Tochter.« – »Er hat eine Tochter?« – »Ja.« – »So ist sie jung und schön?« – »Warum jung und schön?« – »Weil dies zwei Eigenschaften sind, denen es selten schwerfällt, Propaganda zu machen, sobald sie nämlich geschickt in die Waagschale geworfen werden. Du zum Beispiel wärst ganz wie geschaffen dazu, einen Agitator zu unterstützen.« – »Ich tue dies ja bereits, indem ich für Juarez wirke. Was aber diese Tochter Cortejos betrifft, so ist sie weder jung noch schön. Diese Señorita Josefa ...« – »Josefa heißt sie?« fragte er, sie unterbrechend. – »Ja. Sie ist geradezu eine Vogelscheuche.« – »Kennst du sie? Hast du sie gesehen? – »Nein. Ich kenne sie nur im Bild.« – »So hast du ihre Fotografie?« – »Ja. Dieses Weib läßt nämlich Fotografien von sich verteilen.« – »Und ist weder jung noch schön? Welch eine Dummheit!« – »Ah, welches Weib, und wäre es eine Megäre, ist so objektiv, sich aufrichtig für häßlich zu halten? Man sagt, daß Señorita Josefa sich im Gegenteil für schön hält. Und diese Ansicht muß sie auch wirklich von sich haben, sonst würde sie nicht ihre Fotografien zu Tausenden anfertigen lassen und verteilen.« – »Hast du das Bild da?« – »Ja, hier im Album.« – »Bitte, zeige es mir!«

Emilia öffnete das Album, schlug es auf und legte es Gerard vor.

»Da ist es, diese hagere Person!«

Er warf einen neugierigen Blick darauf und lachte laut auf.

»Wie findest du sie?« fragte Emilia, in sein Lachen einstimmend. – »Außerordentlich interessant, aber nur zum Zweck eines Studiums der Häßlichkeit, oder nur um dir als das gerade Gegenstück zu dienen. Ich begreife einfach dieses Frauenzimmer nicht.« – »Gut, lassen wir ihr das Glück, von Tausenden gesehen und ausgelacht zu werden. Welche Neuigkeiten hast du noch?« – »Daß Napoleon endlich beginnt, mit den Vereinigten Staaten über das Schicksal Mexikos zu unterhandeln.« – »So ist der Erzherzog Max am Ende seiner Kaiserlaufbahn.« – »Meinst du?« – »Ja. Die Vereinigten Staaten werden keinen Kaiser von Mexiko dulden.« – »Das ist denn doch die Frage.« – »Nein, es ist gewiß. Das geht ja sehr deutlich aus der Note hervor, die Seward, der Sekretär der Vereinigten Staaten, bereits im Jahre 1864 an Dayton, seinen Gesandten in Paris, übermittelte.« – »Wie lautete sie?« – »Ich sende Ihnen eine Abschrift der Resolution, die am vierten dieses Monats im Repräsentantenhaus einstimmig angenommen wurde. Sie bringt die Opposition dieser Staatskörperschaft gegen die Anerkennung einer Monarchie in Mexiko zum Ausdruck. Nach allem, was ich Ihnen schon früher mit aller Offenheit zur Information Frankreichs geschrieben habe, ist es kaum nötig, noch ausdrücklich zu sagen, daß die in Rede stehende Resolution die allgemeine Ansicht des Volkes in den Vereinigten Staaten bezüglich Mexiko feststellt.« – »Ah, das hast du dir gut gemerkt. Du hast es ja völlig auswendig gelernt.« – »Wer so zu Juarez hält wie ich, der merkt sich solche Noten sehr genau.« – »Nach ihr ist allerdings alle Hoffnung für Max verloren. Was hat denn der Kaiser der Franzosen dazu gesagt?« – »Wollen Sie Krieg oder Frieden?« – »Diese Worte sind von ihm?« – »Ja. In seinem Allmachtsgefühl hat er diese Frage an den amerikanischen Gesandten gestellt. Er dachte, die Vereinigten Staaten hätten wegen des Bürgerkrieges so viel mit sich selbst zu tun, daß sie vor einem Krieg mit Frankreich zurückbeben würden, jetzt aber haben sie ihn eines Besseren belehrt, und er läßt sich, wie du mir eben sagtest, in friedliche Unterhandlungen mit ihnen ein. Das ist ein untrügliches Zeichen, daß er den Erzherzog fallenlassen will. Gibt es sonst noch Neuigkeiten, die ich Juarez bringen kann?« – »Nichts, das ich augenblicklich wüßte. Die geheime Sendung des Kapitäns ist das einzige von Belang, was jetzt geschehen ist, und davon warst du ja besser unterrichtet als ich. Also er ist jetzt auf Fort Guadeloupe?« – »Nein.« – »Du sagtest es doch.« – »Ich sagte, daß er sich dort befunden habe, nicht aber, daß er sich noch dort befinde. Auf diesem Gebiet wird kein französischer Spion geduldet.« – »Wo ist er denn?« – »Im Wald.« – »Ah, also abermals bei den Indianern?« – »Nein, sondern bei seinen Vätern, um mich eines Ausdrucks der Bibel zu bedienen.« – »Tot?« – »Ja.« – »Das ist überraschend! Wenn das der Kommandant erfährt!« – »Er wird es erst dann erfahren, wenn es für ihn nutzlos ist.« – »Ich ahne, welchen Tod er gefunden hat! Ihr habt Gericht über ihn gehalten.« – »Wir? Nein, ich allein.« – »Und hast du das Urteil auch selbst vollstreckt?« – »Ja, er erhielt eine Kugel durch den Kopf.« – »So ist er in seinen Sünden dahingefahren. Er war ein warmer Anbeter von mir, ich sollte eigentlich Mitleid mit ihm haben.« – »Ja, er war dein Anbeter«, lächelte Gerard, »und dennoch zog er eine andere vor, ein Mädchen in Fort Guadeloupe, wo er bereits viermal gewesen war.« – »Und mir schwur er Liebe und ewige Treue! Oh, diese Männer! Aber, lieber Gerard, du wirst dich auf deinen Posten begeben müssen. In zwei Minuten wird der Major erscheinen, er ist außerordentlich pünktlich.« – »So gib mir den Nachschlüssel und die Laterne.« – »Hier. Die Kleidung liegt bereits draußen.«

Sie öffnete ein Fach ihres Schreibtischs, nahm einen Schlüssel und ein elegantes Blendlaternchen hervor und reichte ihm beides. Er nahm es und fragte:

»Wie lange wird dieser Major bei dir sein?« – »Ich möchte ihn am liebsten abweisen, da du hier bist. Es fragt sich, welcher Zeit du bedarfst, um mit seinen Papieren fertig zu werden.« – »Das kann ich vorher nicht wissen. Gib mir eine Stunde.« – »Gut, in einer Stunde, von jetzt an gerechnet, wird mich der Major verlassen. Laß dich nicht von ihm ertappen. Ich werde Migräne vorschützen.«


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