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XX.

Lärmende Liebeshändel, skandalöse Prozesse, die unvermeidlichen Polizeieingriffe bezeichnen abwechselnd mit gehässigen oder blutigen Wegweisern die Straße, die die Gräfin fortan wandelt. Innerhalb weniger Jahre hat sie sich dreimal verheiratet und durch seltsame Umstände nach kurzer Zeit von ihren Gatten zu befreien gewußt. Ein Schwarm von Anbetern ist hinter ihr her, Gecken, aber auch manche Berühmtheit darunter; drei Weltteile, Europa, Amerika und Australien widerhallen von ihrem zweifelhaften Ruhm.

In London besucht sie eine der größten Zelebritäten jener Tage, die in England mit besonderer Begeisterung gefeiert wird: der ungarische Freiheitskämpfer Ludwig Kossuth.

»Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen,« rühmt sie sich im Gespräch mit ihm, »und ihm gezeigt, wie wenig Recht es hat, sich in moralischer Hinsicht über uns Frauen zu erheben.

Ich habe den Frauen gezeigt, daß – wenn sie verständen, die Schwäche der Männer zu nützen – sie überall aufhören würden, das schwache Geschlecht zu sein.

Es wäre kein Unrecht, sich jedes Vorteils gegen die Eitelkeit und Anmaßung der Männer zu bedienen.

Ich bin weit entfernt, mich besser darzustellen, als ich bin – meine Schuld ist es nicht, wenn ich gerade dadurch besser erscheine, als der Ruf mich gemacht hat.

Der Ruf einer Frau ist oft weiter nichts, als der Widerhall der Bosheiten jener Männer, welche die Frauen so gerne schwach und schlecht sehen möchten und hinterher eine moralische Entrüstung heucheln.

Ihr habt kein Recht, über die Tugend einer Frau den Stab zu brechen – solange ihr nicht strenger gegen euch selbst seid.

Ich habe euch den Fehdehandschuh hingeworfen und werde mit euch kämpfen, solange ich lebe, in allen Lagen und in jeder Form.

Ich werde gegen euere Anmaßung, gegen euere Übertreibung, gegen euere Unverschämtheit ankämpfen bis zu meinem letzten Atemzug. Mögt ihr dann immerhin sagen, wenn ich gestorben sein werde:

›Sie war ein Weib – sie war ein schlechtes Weib!‹ –

Ich werde in meinem Grabe auf den verfälschten Ausdruck einer sich selbst betrügenden Erkenntnis keinen Wert legen, und der Himmel wird ein Wesen nicht verstoßen, das – wie sehr es auch gefehlt haben mag – doch niemals sich die Mühe gab, mit seinem Gewissen unter die Maske der Scheinheiligkeit zu flüchten.

Gegen das Böse habe ich mich stets, aus allen Kräften gesträubt, aber meine Natur gestattet es mir nicht, ein Weib der Gewohnheit, ein sozusagen traditionelles Weib zu sein, ein Weib, das sein höchstes Glück darein setzt, dem Manne eine gute Brühe und ein freundliches Gesicht zu machen.«

Auf demselben Schiff, das Kossuth nach Amerika brachte, hatte auch sie sich nach dem neuen Weltteil begeben.

*

Im Jahre 1854 brachte der Theaterzettel in San Franzisco folgende Ankündigung:

»Der Jesuitensturz« oder »Lola Montez tanzt Bayrische Geschichte.«

Unter dem ungeheueren Zulauf der Beifall johlenden Menge betritt sie als Heldin ihrer dramatisierten Münchener Rolle die Bühne des Goldgräberlandes. Sie erscheint als Befreierin Bayerns vom Joch der Ultramontanen; ihre Partner treten in der Maske und mit Namen der bekannten historischen Persönlichkeiten auf. Gleich ihrer gut dressierten Dogge Box müssen sie über ihre Peitsche springen, nicht zuletzt der geheimnisvolle Fremde als Verkörperung des Jesuitismus und der Macht der römischen Kirche. Der aufrührerische Pöbel, dem sie allein gegenübertritt, ergreift die Flucht, gedemütigt und bezähmt läßt er sich von ihrer Hand mit Zucker füttern. Der König setzt ihr eine Krone aufs Haupt; als orphischer Sänger mit der Leier erscheint er neben ihr auf dem Triumphwagen, der von sämtlichen Ministern und Ultramontanen, Feinden und Freunden unter den klatschenden Geißelhieben Lolas gezogen wird, während ein goldener Regen auf sie niederfällt ...

Die rohe Burleske entfesselt den wütenden Applaus der Amerikaner. Langsam leert sich das Theater, in den Gängen wird es still und dunkel.

Die Gräfin verspätet sich in ihrer Garderobe. Werden die schwarzen Schatten lebendig? Sie fürchtet sich. War es eine Gesichtstäuschung? Das Phantom einer starren, fromm lächelnden Maske mit satanischen Zügen taucht vor ihr auf ... Ach, die Nerven! Sie spielen ihr neuerdings öfters einen bösen Streich. Scheu blickt sie nochmals nach der Tür; dann fährt sie zusammen, die Hände vors Gesicht:

»Entsetzlich, entsetzlich!«

Aus der Dunkelheit des Korridors löst sich ein leibhaft gewordener Schatten mit der fromm lächelnden, satanischen Maske:

Der geheimnisvolle Fremde!

Entsetzen erregend, diese unzerstörbare Zähigkeit ...!

Seine sanfte, verschleierte Stimme spricht auf sie ein. Mild klingt der Vorwurf:

»Der König war so gnädig zu Ihnen, hat er das verdient?«

Bittend hebt sie die Hände zu ihm empor:

»Nur das nicht!«

Tränen entstürzen ihren Augen. Die Rührung hat gesiegt; sie lächelt dankbar im Rückblick auf jenen Glanz und schaudert zugleich über den steilen Absturz von jener Höhe, auf dem es schier kein Halten gibt.

»Die Welt ist nur noch ein einziges Land,« redet sie abwesend, »alle Schranken, alle Wegweiser, alle Meilenzeiger niedergerissen – ein einziges Land! Und keine Zuflucht! Der weite Ozean, die neue Welt – unermeßlich, unermeßlich! Und in dieser Unendlichkeit ein Umherirren, ohne Ziel, ohne Kompaß ...«

»Es gibt einen Kompaß, Gräfin, der Sie zu retten vermag –«

»Einen Kompaß? Ist das die Politik? Die Philosophie? Die Kunst?« Sie lächelt verneinend zu ihren eigenen Worten.

Stark erhebt sich jetzt seine Stimme:

»Es gibt nur einen Kompaß: die Religion! Es gibt nur einen Kompaß, der das Menschengeschlecht zu retten vermag – Gott!«

»Gott!« händeringend rief sie: »Wer sagt mir um Himmels willen, daß dieser Gott kein Dogmengott ist? Haß und Heuchelei herrschen in der Welt! Wer sagt mir, daß es ein Gott der Duldung, der Milde, der Verzeihung und der Liebe ist?«

Da neigte sich die satanische Maske mit innig frommem Lächeln über sie, daß der schwarze Schatten seiner Gestalt sie ganz zu umhüllen schien:

» Es ist der Gott der Verzeihung und der Liebe

*

Auf der Rückreise von Australien in Rom.

Auf einem prachtvollen, mit Silber und Perlmutter eingelegten Betschemel aus schwarzem Ebenholz kniend, sinnt die Gräfin über einen schwarzen Totenkopf, der schon von München her ihr Begleiter ist. Sinnt über ihn in den durch allzu langes Wachen abgekürzten Nächten, bis endlich die unvermeidlichen Stunden des Schlafes kommen.

Auf den Zehenspitzen schleicht Marianne Rufenacht, ihre Kammerzofe, kaum hörbar zur Tür hinaus. Erschreckt fährt die Gräfin empor. Die Doggen fangen leise zu knurren an.

»Rufenacht!«

Die Zofe erscheint wieder. Beruhigt nickt die Gräfin ein. Sie zittert im Schlaf, mit sich allein zu bleiben. Sie muß, beständig von Marianne und ihren Hunden umgeben sein.

Die Einsamkeit und die Ruhe machen ihr Angst.

Welches ist das Geheimnis dieses unbekannten, schreckenvollen Lebens? Welche furchtbaren, düsteren Heimlichkeiten liegen diesen Vorsichtsmaßregeln zugrunde?

Weshalb wagt sie es nicht mehr, allein zu sein? Hat der Spiritismus, dem sie gehuldigt, ihre Nerven zerrüttet? Hat sie zu tief in die schauervolle Welt des Wahns geblickt? Sie vermag die Geister, die sie rief, nicht mehr zu bannen; sie preßt sich gegen jenes geheimnisvolle Tor, doch ihre Kraft ist allein zu schwach –

»Rufenacht!«

Ein Rosenkranz von Achat und Silber, ein Kreuz von Perlmutter und Ebenholz, dieses aus dem heiligen Lande stammende Geschenk Ludwig I., krampfhaft umfaßt haltend, kniet sie seufzend in der Peterskirche, doppelt zermalmt von dem Schreck der Erinnerung und der ewigen Drohungen.

Ehrfürchtig kauert die Menge vor dem hohen Kirchenfürsten nieder, der den Dom durchschreitet. Jetzt bleibt er an der Säule hinter der Gräfin stehen und blickt auf sie nieder. Was für eine arme, glanzlose Zigeunerin ist sie in diesen kurzen Jahren geworden!

Sie erkennt ihn, umfaßt flehend seine Knie – gnadenlos schleudert er sie von sich, ein unnützes, wertlos gewordenes Werkzeug.

Mit frommem Lächeln in der satanischen Maske schreitet er weiter.

Wie zerschmettert liegt sie auf den harten Fliesen, die Unendlichkeit des kalten Raumes über sich.

*

Eine elende Kammer im Armenviertel Neuyorks. Feuchte, schmutzstarrende Mauern. Auf einem verwahrlosten, unsauberen Bett richtet sich mühsam eine Leidensgestalt auf. Ihr Leib ist vom Nervenschlag halb gelähmt, von den Fiebern der Lungenkrankheit ausgezehrt. Die wirren, weißen Haarsträhne aus dem welken Gesicht streichend, keucht sie:

»Was wollt ihr? Wer hat euch gerufen?''

Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie in die Dunkelheit und lauscht angstvoll mit angehaltenem Atem auf die Stille.

Draußen auf der Straße vor dem kleinen, mit Papier verklebten Fenster torkelt ein Betrunkener.

Die Gestalt auf dem Bett springt auf. Entsetzt kreischt ihre Stimme:

»Seid ihr wieder da? Was verfolgt ihr mich? Was habe ich euch getan?«

Sie stürzt an die Tür; der Riegel ist vor, und dennoch scheint es ihr, als ob sie sich öffnen, wollte ... Mit dem letzten Rest ihrer Kraft stemmt sie sich dagegen – sie kann nicht mehr ... Von den Phantomen in der Kammer herumgepeitscht, flüchtet sie aus einem Winkel in den andern. Nun hockt sie winselnd in der äußersten Ecke ihres Bettes.

»Nicht, nicht, nicht!«

Grauenhafte Heimsuchung! Ihre flackernden Augen starren und starren: da, da, da ...

Poincarés Leichnam plumpst über die Schwelle. Kapitän James, der Säufer, ihr erster Gatte, rollt seine blutunterlaufenen Augen. Der wahnsinnige Graf Porwanski schleudert gegen sie schreckliche Flüche aus schaumbedecktem Mund. Steif, ein dunkelrotes Loch in der Stirn, lehnt ein Mann in der Ecke, den glasigen Blick auf sie geheftet, anklagend wie alle diese Gesichte, einer ihrer Liebhaber, von Marquis v. Villiers getötet, seinem Nebenbuhler, mit dem sie geflohen. Madras, der Karlist, der um ihre Hand geworben, und bei dessen Hinrichtung sie wenige Tage später zugesehen hatte – näher und näher tritt er, sein schwarzes Haupt mit dem bleichen Antlitz verneigt sich und fällt blutend vom Rumpf, aufrecht steht der enthauptete Mann am Bettrand, sein Kopf auf dem schmutzigen Laken dreht die großen, melancholischen Augen nach ihr. Dujarez, ihr zweiter Gatte, taumelt, den Degen in der Brust, auf sie zu. Einer ihrer späteren Gatten in Amerika, durch ein Versehen auf der Bärenjagd erschossen, hält ihr blutüberlaufen eine Flinte entgegen, es ist ihre eigene gewesen. Auf geisterhaften Wellen kam der aufgedunsene Körper des Schauspielers Follerie. mit dem sie nach Australien gegangen war, angeschwommen – vor ihren Augen hatte er sich ertränkt. – – – Unabsehbar die Opferherde, die sich in die Kammer drängt, das Geschlecht, dem sie den Fehdehandschuh hingeworfen, und das als wiederkehrender Schatten sich an seinem Dämon rächt.

Wieder erklingt in ihren entsetzten Ohren das Fluchgeschrei des Pöbels, statt Gold sieht sie Steine und Kot regnen; die einst ihren gräflichen Wagen verfolgt hatten, fletschende Hyänengesichter, die ihr geifernd entgegenstürmen wie damals beim Bassin ihres Gartens ...

»Wo ist der Gott der Verzeihung und der Liebe?« wimmert die Seele in der höchsten Folterqual.

Ein gräßliches Lachen, das durch Mark und Bein fährt, erschallt, die dräuenden Massen zerfließen und verdichten sich zu einem einzigen schwarzen Schatten, der höher und höher wächst, höher als die Wand, und sich hinüberbeugt, an der Decke entlang bis zu dem Winkel hin, wo sie kauert, und sich zu ihr niederneigt mit einem schreckhaft starren, steinernen Gesicht und einem frommen Lächeln in den satanischen Zügen. Ein riesenhafter unentrinnbarer Schatten, der sie in die Arme schließt –

Nun ist es in der Kammer still und friedlich.

Draußen gröhlt ein Betrunkener.

*

Auf dem Kirchhof zu Greenwood bei Neuyork ist auf einem Grabstein zu lesen:

Mrs. Eliza Gilbert
died January 17, 1861
aged 42 years

War ihr Name Lola Montez erfunden? Ihr Herkommen und ihre Rolle erdichtet? Lebte sie ein Leben, das nicht das ihrige war? Über den Tod hinaus hütete die Sphinx ihr Rätsel. So glich sie jenen ägyptischen Gottheiten, die vor den Toren der zertrümmerten Städte sitzen, stumm und unbeweglich, das undurchdringliche Geheimnis ihrer Vergangenheit hütend. Oder war sie ein Medium des Schicksals, das die Menschen mit der Raserei eines bösen Sterns ansteckte? Hatte ihr Venus, das freundliche Gestirn, die Schönheit bloß 'zu dem Zweck verliehen, daß ihr der Zauber gelänge? Wie dem auch sei: als blinder Hebel der Weltgeschicke hatte sie ihre historische Mission erfüllt.


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