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II.

Die Walhalla unterhalb Regensburg an der Donau. Eine weiße Marmorhand der Kunst, Gruß und Wink: »Tretet ein, auch hier sind Götter!« Ein Tempel des Zeus pangermanikos. Ein nationales Heiligtum mit fünfzig Büsten der größten deutschen Männer. Eine Ruhmeshalle Deutschlands im griechischen Tempelstil! Was konnte deutscher sein? Unter dem grauen nordischen Himmel klassische Marmortempel, die sich nach der schreckhaft tiefen Bläue des Südens sehnen, nach der kristallhaften Klarheit der Luft; sehnen, wie es die deutschen Philhellenen taten, die das Land der Griechen mit der Seele suchten ... Darum dieser pathetische, heroenhafte Zug über der deutschen Landschaft, über Hopfenfeldern und starrem Forst, über der graugrünen Flut des Nibelungenstromes und über nebelfeuchten Niederungen! Faust, der um Helena wirbt ...

Da geht unter den Leuten ein unauffälliger Mensch, einfach angezogen, einen alten Hut auf dem Kopf, in kurzem Röcklein, nicht vom neuesten Schnitt, das Stöcklein in der Hand, bleibt hin und wieder stehen, redet den und den an, ein Bürger unter Bürgern. Die Leute kennen ihn. Es ist derselbe, der die Walhalla baute, München neu schuf, die Residenz mit neuem Prunk bereicherte.

Eben ging er aus der Residenz heraus, ein Regen droht; der neue Schirm in der Hand des Königs – aber nein! Ein Kammerdiener eilt auf seinen Wink herbei:

»Da nimm den Schirm, hol' mir den alten!«

Ludwig der Teutsche, der das Land der Griechen mit der Seele suchte!

Ludwig I., der dieses Denkmal seiner Sehnsucht schuf, die Walhalla. Der Deutschlands Größe träumte und den Plan entwarf, schon 1807 – in Deutschlands tiefster Schmach. Die Patrioten ahnten in dem jungen Bayernfürsten den kommenden Helden, der das alte heilige Reich zu neuem Glanz aufrichten werde ... Einstweilen gab er ihnen die Ruhmeshalle. Schon anno 1830.

Der Kammerdiener bringt den alten Schirm, der König lächelt:

»Es ist schade um den neuen, er hat sieben Gulden gekostet!«

Er hat sieben Gulden gekostet!

Die Vorstadt Au mit den halb in die Knie gesunkenen Häuschen, wie sie schier nur in den Märchen wachsen. Aber der König kann's wagen, seinen Spaziergang allein in diese Gegend der Verwahrlosung auszudehnen und sich wie ein Patriarch seinem treuen Volk zu zeigen. Kein Zeremoniell, kein Auflauf, wenn er erscheint. Man ist gewöhnt, ihn als einfachen Bürger zu sehen.

Da geschieht das Unvorhergesehene. Drüben geht einer, der sich als Demokrat fühlt und der Freiheit eine Gasse brechen will. Er grüßt also nicht, das ist sein Heldenstück. Es spukte zuweilen ganz merkwürdig in den unklaren Köpfen.

Mit zwei Sätzen ist Ludwig über der Straße, reißt ihm den Hut vom Kopf und schreit ihn an: »Der König, der König!«

Jetzt waren beide quitt. Der Demokrat, der den König verleugnet, und Ludwig, der den Bürger verleugnet, obzwar er gerade als solcher erscheinen wollte.

Der heftige Platzregen zwingt ihn eine der Hütten zu betreten. Mutter Sorge haust darin; das verhärmte Weib kennt den Herrscher nicht.

»Warum wendet Ihr Euch nicht an den König, wenn es Euch schlecht geht?«

»Was,« ruft die Alte, »den König? Von dem Knicker wär' was zu holen!«

Knicker! Da hatte er's. Auf der einen Seite murrt das Volk über den Verschwender, auf der anderen über den Knicker. Dem Volk es in allen Stücken recht zu machen, eine schwere Sache! Es liebt aber erst, wenn es räsonnieren kann. Doch vielleicht waren beide Züge in ihm: Verschwender und Knicker. Selbst in seinem Gesicht war keine rechte Harmonie, es verriet eine Mischung widersprechender Elemente. Das Feuer seiner Augen ließ das freilich vergessen, jenes edle Feuer der Seele, das die Schlacken einschmilzt zu einem neuen goldhaltigen Metall, hinreichend für ein erzenes Standbild, oder besser noch für ein Standbild im Herzen des Volkes, das auch die Schwächen liebt, weil sie im Gedächtnis besser haften, und weil man daran erst das Menschliche erkennt.

Der Knicker, der den neuen Schirm schonte und dasselbe dünne Überröcklein Jahre hindurch trug, auch bei großer Kälte, aus Sparsamkeit und Schlichtheit, vielleicht aus Knickerei, vielleicht auch weil es ihm als Größe schien, schuf als Verschwender noch mehr als die Walhalla. Er gab auch die kunstreiche Stadt zu dem noch fehlenden großen Reiche. Am Nordende der Alpen auf rauhem Gletschergrund in öder Moorlandschaft diesen südlichen Traum von offenen Hallen, Triumphpforten, saalartigen Plätzen, Tempelbauten, ein steinernes Gedicht. München.

Die Bürger schütteln freilich die Köpfe. Sie begreifen den König nicht.

»Was will er denn? Was brauchen wir in Bayern ...«

In allen Tonarten raunt es: »Diese Unsummen! Welche Verschwendung!«

Er spart an Kleidern, schont den neuen Schirm, der sieben Gulden gekostet hat: darf er sich's nicht erlauben? Er läßt sich nicht irre machen.

Alle Staatserübrigungen werden der Kunst zugewendet. Seine Minister schaffen's schon, zuerst der Wallerstein, dann der Abel. Und wenn die Staatsgelder nicht reichen, muß die Privatkasse dran.

Nun will er auch den Bierkreuzer erhöhen, der Kunst zuliebe, aber da gibt's Aufruhr, Revolution, Bierkrawalle.

Peinliche Erinnerung! Zuweilen fährt's ihm durch den Kopf,

Ach! Ja damals!

In der Residenz ist hohe Gesellschaft: die Hochzeit des österreichischen Erzherzogs Albrecht mit Prinzessin Hildegard wird gefeiert; der Vetter des Bräutigams ist anwesend, Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern. Am Morgen hat ihn Ludwig in den Räumen herumgeführt und auf die Bronzelöwen am Eingangsportal hinweisend gesagt:

»Das Symbol der bayrischen Treue!«

Abends beim Bankett wird von der Straße her ein eigentümliches unbekanntes Trommeln hörbar.

Niemand weiß, was es bedeutet, auch die Offiziere haben keine Ahnung. Nur Erzherzog Karl bemerkt trocken:

»Ich kenne dieses Trommeln von anno dazumal: das ist der bayerische Generalmarsch!«

Man eilt an die Fenster, das Volk unten johlt und schreit.

Ludwig ist bestürzt.

»Was ist das?«

Erzherzog Karl lächelt und klopft dem König auf die Schulter:

»Nun, nun, die bayrische Treue brüllt eben!«

Es wird erst Ruhe, als die Bierkreuzer herabgesetzt sind. Wenn er nur sein Bier hat, das andere ist dem Spießer wurscht. Wenn nur nicht an dieses heilige Volksgut gerührt wird, dann meinetwegen soll halt der König auch seine Narretei haben. Schließlich wird man's gewöhnt, obwohl man den Sinn noch lange nicht erkannt hat. Freilich sieht's noch wüst aus, ohne Zusammenhang und Ordnung, durch Jahrzehnte. Auf wüstem Feld erheben sich da und dort Kunsttempel, den Abglanz fremder Schönheit auf der Stirne. Die Ludwigstraße ist noch nicht ausgebaut, räumlich die heiterste und schönste Straße der Welt – eine Via triumphalis von der Feldherrnhalle bis zum Siegestor.

Einstweilen ist dieser Traum von der Kunststadt freilich noch nicht zu Ende gedichtet.

»Mein lieber Klenze!« Mit dem Spaziergang verbunden noch ein Besuch auf den Bauten und in den Ateliers. Seine liebsten Regierungsgeschäfte.

»Mein lieber Klenze!« Der königliche Baumeister kommt ihm wie gewünscht in den Wurf.

Arm in Arm mit dem Baukünstler geht's hinaus, wo die Gebäudegerüste stehen.

»Was war denn München früher?« ruft der König entzückt über sein und seiner Künstler Werk. Er sieht die geistige Form, die sich erst verwirklichen soll.

»Ein armseliges Nest! Berlin konnte nicht schlechter sein, bevor es seinen Schinkel hatte ...«

Das durfte Klenze sagen, der für München dasselbe war, wie Schinkel für Berlin.

»Man wird einmal sagen müssen, daß keiner Deutschland gesehen hat, der nicht in München war.« So wollte es Ludwig.

Und der königliche Baumeister darauf:

»München muß so schön werden wie Athen!«

Punktum!

Aber soviel war schon zu sehen, daß die Stadt Ludwigs Gesicht bekam, deutsches Gemüt, romantisch, aber den Blick auf Rom und Hellas gewandt.

Unterwegs noch einen Blick ins Atelier des Malers Catel.

Dort steht ein Bild auf der Staffelei, »Ludwig I., Kronprinz von Bayern im Künstlerkreise zu Rom«.

Rom! War das eine herrliche Zeit bei Don Raffaelle d'Anglada auf Ripa grande! Nun werden im Anblick des Gemäldes Erinnerungen ausgetauscht, Erinnerungen an die sorglosen Tage auf der Künstlerkneipe, da man angesichts der ewigen Stadt im Februar im Freien saß – der Flieder duftete, die Rosen blühten und die Amseln schmetterten; man hatte die schönsten Rosinen im Kopfe, den Mund voller Ideale, ein Glas Römerwein in der Hand, feurige Reden um die Ohren und das Auge trunken von der Schönheit unsterblicher Werke.

Wie auf dem Bild, so sitzt der König jetzt mehr als zwanzig Jahre später wieder unter den Freunden, der Fürst unter den Künstlern, auf gleich und gleich.

Eifrig werden die Figuren des Gemäldes diskutiert. Da ist Klenze, der Griechengeist unter den Architekten zur Linken, Thorwaldsen, der deutsche Phidias zur Rechten, weiter oben am rohen Tisch Gumppenberg, der nachmalige Kriegsminister, eine Menge Maler, Cornelius, in dem Deutschland einen neuen Dürer sehen wollte, Schnorr von Karolsfeld, Ringseis, der sein Glas erhebt und eine Rede hält auf die Einheit Deutschlands und auf den scheidenden Kronprinzen, den Künstlerfürsten, der schon ein Jahr darauf den bayerischen Thron bestieg. Auf dem Boden der Osteria liegt Ludwigs Zylinder neben den Weingebinden, er winkt dem Don Raffaelle d'Anglada, mehr Flaschen herzuschleppen, alles ist in ungebundener, gehobener, schwärmerisch bewegter Stimmung. Und dann im Café Greco, dem Sammelpunkt der Deutschen, wo er den anderen genialen Vollender seiner Baupläne findet, den Architekten Friedrich Gärtner, und sich zu dem Distichon versteigt:

»Café Tedesco solltest du heißen, du Stätte der Teutschen, Kunstverwandtschaft vereint Griechen und Teutsche jedoch!«

Damals war man freilich ein Beträchtliches jünger.

Ach ja!

Dafür aber hat man erreicht, was man damals nur träumen durfte.

Deutscher Fürst und Bayernkönig, vor allem aber König der Künstler! Er hat sein Wort gehalten, als er damals bei seinem Scheiden von Rom den Künstlern zurief: »Auf Wiedersehen in München!«

»München, die einzige deutsche Kunststadt von da ab, wird Künstlerstadt. Er hat alle geholt. Was wäre ohne ihn aus der deutschen Malerei geworden? Er hat ihr ein Obdach gegeben, vor allem aber Aufträge. Der Herr Kunstmaler ist eine Standesperson geworden. Er ist jetzt wer.

Kaulbach, der eben bei Catel ist, erzählt, wie alle Maler nach München drängen und der Zuzug von außen immer größer werde; der König freut sich kindlich darüber:

»Schön, daß sie alle zu mir kommen, wir wollen ein rechtes Kunstleben führen!«

Der König springt auf und langt nach seinem Hut. Man hat genug in Vergangenheit geschwelgt, die Zukunft lockt verheißend als holde Fee.

Sonst verbringt er die Abende in den Zirkeln der Künstler und in Gesellschaft schöner Frauen, diesmal winkt er ab. Hat was Wichtigeres zu tun und ist gar sehr in Eile.

Regierungsgeschäfte?

Freilich; Besuch bei Lola am Tage nach ihrem dritten Auftreten.

Unterwegs fällt ihm ein, daß er Blumen bringen müsse; das ist eine neue Verlegenheit für ihn. Zum Glück kommt ihm Hans Rothärmel entgegen, der Farbenreiber des Malers Rottmann, desselben Künstlers, durch den der König die Hofarkaden mit italienischen Landschaften schmücken ließ, um etwas südlichen Himmel und blaue Luft in das Nebelgrau des Nordens zu bringen. Ach, dieses blauflatternde Band der Sehnsucht! Der König selbst ist der Bandträger, und so sind es seine Künstler. Sie alle kennen Mignons Heimweh nach dem Lande, wo »die Myrte still und hoch der Lorbeer steht«.

Und nun der Farbenreiber Rothärmel.

»Ah, Johann, es ist gut, daß ich dich sehe,« rief der König schon von weitem, »du mußt mir drüben im Laden ein Blumenbukett kaufen; mir verlangt man zuviel ab.«

Der Blumenladen macht glänzende Geschäfte seit dem Auftreten Lolas. Täglich gingen Blumenlasten in das Hotel der Tänzerin. Eben erst hatte ein Herr Lorbeerbäume und kostbare Sträuße an die Künstlerin schicken lassen. Der Schokoladefabrikant Meyerhofer. Er tat's fürs Herz und für die Reklame. Industrieller.

Der Farbenreiber brachte die Blumen. Sie haben vierundzwanzig Kreuzer gekostet.

»Holst dir's morgen in der Kabinettskanzlei, gel'?«

»Knicker!« »Verschwender!«

Es war Volkesstimme.

*

Ein Tuch von schwerer Seide, kostbar bestickt, lange geknüpfte Fransen; Wundergebilde von Spitzen, zarter als die erlesenste Goldschmiedearbeit, luftiger als die filigranartig durchbrochene Silhouette gotischer Türme in der Abenddämmerung, kunstvoller als die mysteriöse Kunst der Kreuzspinne, gebrechlich und schwach wie das verlöschende Augenlicht und die blutleeren geisterhaften Finger armer Spitzenmacherinnen in der Winternacht einsamer Hochländer, und über diese Spitzen in verschwenderischer Fülle wieder Stoffe von schwerem seidenen Fall und reichem Wurf, alte, gebrochene Farben von tiefer Kraft, übersät mit feurigen Blumen, blühend wie ein Gartenbild von Feuerlilien oder schweratmenden Rosen in einer Vollmondnacht, dazu ein katzenartig geschmeidiges Schreiten, Wandeln und Schleichen, eine Wollust der Bewegung, samtweich, sprungsicher, muskelhaft – spanische Tracht.

So empfing die Sennora den König.

Das Kostüm war schon einer näheren Prüfung wert; es geschah nicht schüchtern.

»So tragen sich die Leute in Andalusien,« erklärte sie auf die Frage des Königs, »im Lande der Serenaden und der Balkons, der Troubadours und der Romanzen; im Vaterlande des Michaele Cervantes und des Lascases, der römischen Kaiser Trajan und Theodosius – und der Tänzerin Lola Montez!«

»Ich beklage Ihre Landsleute,« erwiderte der König, »sie können aus der Revolution gar nicht herauskommen. Was soll bei diesen Zuständen aus dem armen Lande werden?«

Seit der Julirevolution von 1830 ging der Geisterspuk des Umsturzes in Europa umher und verursachte auch den deutschen Fürsten Angstzustände und böse Träume. Anscheinend wollte sich die Welt verjüngen, aber das ging nicht ohne schwere Wehen vor sich. Wo waren die Menschheitsideen aus der Zeit der großen französischen Revolutionen geblieben? Wofür hatte man in dem Befreiungskampf von 1813 geblutet? Was war aus den großen Versprechungen und schönen Hoffnungen geworden? Die Bürger wurden unmutig, als sich nachher die Welt wieder in ein Polizeihaus und in ein Bethaus verwandelte.

Ludwig war nicht frei von Gespensterfurcht. Dieser Kammerlärm der süddeutschen Volksvertretungen, mit denen er im ewigen Streit lebte, dazu die Aufstände in Portugal, Spanien und Neapel, und als deutsche Nachwirkung der französischen Julirevolution das Hambacher Fest 1830, wo auf den Ruinen des Hambacher Schlosses vom Völkerfrühling und deutschen Mai vor 30 000 Menschen geredet und der Würzburger Bürgermeister Dr. Behr, des Königs persönlicher Freund, zum Frankenkönig ausgerufen ward, freilich halb im scherzhaften Überschwang ... Bedenklicher stimmten Behrs und des anderen Demokratenführers Dr. Eisenmann heftiges Begehren nach Revision der Verfassung, Einsetzung von Geschworenengerichten und anderen Reformen – nun haben beide in nahezu schon dreizehnjähriger Kerkerhaft auf der Festung Passau Zeit über die verlangten Reformen nachzudenken, nachdem Behr obendrein vor seines Freundes und Königs Bild hatte schimpfliche Abbitte leisten müssen, vor Ludwigs Bild, der den Beinamen der Gerechte, der Gütige, der Beharrliche liebt.

Darauf die Wiedererweckung des katholischen Bewußtseins im deutschen Süden, von den Jesuiten betrieben, im Norden der unerträgliche protestantische Pietismus mit seiner schwunglosen und kahlen Predigerlogik, im Verein damit Polizeiknüttel und ähnliche Narkosen – – –

So ward Bayern seit den dreißiger Jahren leidlich »beruhigt«, und doch immer dieses leise Beben ...

Aber die schöne Spanierin warf sich sofort zur Verteidigung ihrer Heimat auf.

»Sire,« versetzte sie, »meine Landsleute sind brav und loyal, und mein Vaterland würde glücklicher sein, wenn es Kraft und Energie besäße, sich von zwei Übeln zu befreien.«

»Und die wären?«

»Nach meiner Ansicht, Sire, müßte Spanien weniger bigott und mehr wahrhaftig, weniger phantastisch und mehr verständig sein.«

Der König horchte auf. Ja, ja, Bigotterie, man brauchte sie nicht erst in Spanien zu suchen. Man brauchte gar nicht so weit zu gehen. Aber deshalb hatte man ja die Jesuiten gerufen, damit sie das Heilmittel gegen die weltlichen Gefahren brächten. Doch das war auch nicht das rechte. Eigentlich mochte sie der König selbst nicht, diese Jünger Jesu. Sie waren ihm zu fanatisch und hatten es obendrein mit ihm verscherzt, damals in Rom, da er noch Kronprinz war und sich selbst mit revolutionären Freiheitsideen trug. Da hatten sie ihm einmal im Beichtstuhl die Absolution verweigert. Das hat er ihnen nicht vergessen, und er grollte, daß sie sich nun auch in Bayern eingenistet hatten. Lag es nicht mehr ganz in seiner Macht, es zu verhindern?

»Die möchten ja ganz Bayern in ein Kloster verwandeln,« eiferte er jetzt. »Neulich haben sie sogar das Tanzen verbieten wollen. Was sagen Sie jetzt dazu, liebe Donna: das Tanzen! Können wir uns das gefallen lassen?«

Darüber gerieten beide in die unbändigste Heiterkeit. Das politische Gebiet ward nur leicht gestreift, aber das war schier unvermeidlich in einer Zeit innerer Gärung. War es nicht wirklich eine Torheit, das Tanzen verbieten zu wollen? Es war genau so töricht, als wollte man den Mädchen verbieten, schöne Knöchel zu haben, leichtbeschwingte Füße und holde Gebärden. Aber der König fühlte, daß er kein Mädchenfeind war, kein Spielverderber, so wenig wie es der schützende Wald ist mit seiner verschwiegenen Lust und seinen Blumenhängen um die verborgene Quelle.

Und er selbst war königlich wie ein solcher Wald im grünen Mantel der Bäume und dem purpurnen Saum des Abends und wußte wie jener um die Schönheit dieses Leibes, die der alte, knorrige, wetterharte Wald mit tausend Augen befühlt und sein liebstes Geheimnis nennt. Sie aber stand da mitten in feurigen Blumen wie eine Statue, schöner als die Venus von Knidos und war nicht Stein, sondern atmendes, sinnliches, glühendes Leben. Feine Spitzen hingen wie Spinnweben, die feurigen Blumen glichen einem Beet in Vollmondnacht, einem Beet mit der lebendigen Statue inmitten dieser feurigen Blumen, und es war Tanz, war katzenhafte Geschmeidigkeit, war die Wollust der Bewegung und ein heißes Flüstern:

»Vor allem bin ich ein Weib und bin wild und begehrlich – – –«

*

» Mein der König, mein

Die Stunden waren dahin. Sie glichen einem üppigen Traum in einer italienischen Nacht mit farbigen Lampions, geschlechtlicher Musik von kichernden Geigen, erregendem Tanz, schwellenden Gliedern, blühendem Fleisch, leuchtenden Tropfen von Edelsteinen, seidenen Schillerfarben – verflogen und vorbei, leider allzu kurz und schön wie der phantastische Rausch eines Poeten.

»Bin ich es, oder bin ich es nicht?« es war dem König, als lebte er plötzlich im Märchen, und er konnte dabei nicht an der Wirklichkeit zweifeln. Auch nicht an der märchenhaften Großmut, die rege wurde, um die Geliebte mit einem Goldregen zu belohnen.

Der Knicker! Der Verschwender! So sagten die einen und so die anderen, obgleich sie ihn auf ihre scheltende Weise liebten. Aber für die Huldin war er weder ein Knicker noch ein Verschwender, sondern, was sie listig schmeichelnd und aufrichtig dankbar, ebenso heuchlerisch als ehrlich bewunderte:

»Ein ganzer König!«

Die vielen zudringlichen, neugierigen, spöttischen, gehässigen Blicke, die auf sie einhackten wie stumme, böse Vögel – Respekt! – jetzt war sie unverwundbar.

»Respekt ihr Neugierigen, ihr Zudringlichen, ihr Gehässigen! – was wollt ihr noch? Euer König ist mein! Mein, mein, mein!«

*

Noch zur späten Nacht war Licht in des Königs Privatzimmern. Alles was der Künstlertraum seiner Tage faßte, das schöne Sagen von Rittern, Helden, Königen und schönen Frauen, von kühnen Taten und großen Siegen, aber auch von den Dämonen, die zuweilen Herr über das Menschenherz werden – diese romantische Welt von überlieferten Vorstellungen und Empfindungen ward verwirklicht in seiner Residenz, die er zu einem wahren Königsbau umschuf, jeder Saal über ein Märchen oder über den Ruhm der Vergangenheit sinnend. Aber in diesem Märchenschloß wohnte der König in einfachen Zimmern; das war die bürgerliche Note neben dem großen Pathos, das Biedermeiertum neben dem historischen Faschingszug des freskengeschmückten Baues. »Bürgerlich und romantisch«, das war die Zeit.

Der Hatschier konnte das Licht in den Zimmern und den wandelnden Schatten beobachten. Ließen die Regierungssorgen den König nicht schlafen, das Dröhnen fremder Revolutionen? Wacht sein Auge so treu über die schlummernden Untertanen? Dieses Auge blitzt, die Lippe bebt – aber es ist nicht gerade das, wovon eben die Rede war. – Der König – dichtet. Warum auch nicht? Die Muse zwar führt sich auf wie eine widerspenstige Magd – aber es geht auch ohne Muse. Ein Wunder ist doch geschehen! Der Teutsche mit der Griechenseele – seine Pygmalionsehnsucht nach dem Süden hat Erhörung gefunden! Der Süden ist in menschlicher Gestalt zu ihm gekommen. Das Meisterwerk des Praxiteles, die Venus von Knidos, an deren Schönheit sich in der 104. Olympiade ganz Griechenland berauschte, schien Fleisch und Blut geworden, um den nordischen Pygmalion zu beglücken. »Kunstverwandtschaft vereint Griechen und Teutsche jedoch!« Wie einst als Jüngling in Venedig, da er fassungslos vor Bewunderung war angesichts der Statue der Hebe von Canova, so war er es jetzt vor dem berückenden Gebein der Lola. Die Jugend kehrte wieder, neue Spannkräfte regten sich, die Last der Alltäglichkeit fiel ab, die Einbildungskraft, flügellahm zwar, hob die Schwingen, neu begrünt war das Herz – grün über grün von Johannistrieben.

»Leuchtend himmlischblaue Augen,
Gleich des Südens Äther klar,
Die in Seligkeiten tauchen,
Weiches, glänzendschwarzes Haar.

Heitern Sinnes, froh und helle,
Lebend in der Anmut hin,
Schlank und zart, wie die Gazelle,
Bist du, Andalusierin!

Edelstolz, doch treu hingebend
Ohne Falsch das Herz dem Herzen,
Gibst du in der Liebe Gluten
Höchste Wonne sonder Schmerzen.

Voll von Feuer, voll von Leben,
Fremd der Leidenschaftlichkeit
Ist dein Wesen, ist dein Streben
Vom Alltäglichen befreit.

In dem Süden ist die Liebe,
Da ist Licht und da ist Glut,
Da im stürmischen Getriebe
Strömet der Gefühle Flut.«

So der König und Sänger.


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