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XII.

Trotz der schlagfertigen Entschiedenheit, mit der der König die Ehre der Krone verteidigte, war es der zu Boden geworfenen ultramontanen Partei gelungen, einen Volkstumult zu erregen, obwohl die Gesamtmasse der Bevölkerung nicht das geringste innere Interesse daran hatte. Im Gegenteil, in den intelligenten Schichten herrschte vielmehr Freude über den Sturz des Ministeriums Abel; man atmete erleichtert auf und sah erwartungsvoll der neuen Freiheit entgegen, von der in dem vorworrenen Drang jener Tage allerdings niemand sagen konnte, wie sie auszusehen habe.

Laut und offen wagte jetzt jeder auszusprechen, was vordem ein Verbrechen gewesen wäre, nämlich: daß Abel ein Pfaffenknecht gewesen war, daß er vor allem die Jesuitenherrschaft gefördert und die weltlichen Angelegenheiten in den Hintergrund geschoben habe; daß er auf den Landtagen mit den Volksvertretern und der Konstitution wie die Katz mit der Maus gespielt und oft das Königswort im Interesse seiner Partei mißbraucht habe.

Aber ungeachtet der allgemeinen Befriedigung ging das Gespenst des Aufruhrs am hellen Tage um. Eine merkwürdige Stille herrschte, die Stille vor dem Sturm. Die Leute hielten sich auf der Straße an und fragten einander:

»Es wird was geben!«

»Wann geht's denn los?«

»Man sagt, daß Geld unter die Leute verteilt worden ist.«

Die alten Herren, die um die Mittagsstunde im Hofgarten, in der Ludwigstraße, vor der Feldherrnhalle und in den Arkaden unter den klassischen Landschaften Rottmanns sich von der Sonne bescheinen ließen, standen in eifrig politisierenden Gruppen umher.

Ein Kreis von Leuten hatte sich gebildet, die es mit dem Fortschritt hielten: der Schokoladefabrikant Meyerhofer, der Kaufmann Nußbaum, Herr Tambosi, der Mäzen und Kunsthändler Boligiano und ein langer, hagerer Don Quichotte ähnlicher Parteifanatiker namens Jakob. Der plebejische Kaufmann Weinschöppel kam des Wegs und trat an die Gruppe heran.

»Da habt ihr ja die Freiheit, ihr Herren Liberalen, um die ihr mehr als ein Jahrzehnt gekämpft habt!« redete er die Gesinnungsgenossen ohne weiteres an.

»Ja, aber Euer Verdienst ist es nicht,« rief der alte Nußbaum. »Einer Hetärenlaune verdankt ihr es! Ein Paar Tanzbeine haben mehr zuwege gebracht, als euere Legion grübelnder Köpfe.«

»Zu allen Zeiten war eben der Einfluß der Beine größer als der der Köpfe!« witzelte Weinschöppel.

Die anderen warfen sich zur Verteidigung Lolas auf, besonders Meyerhofer, Tambosi und Boligiano:

»Hoch die neue Jungfrau von Orleans!« rief der eine. »Lola Montez, die Befreierin aus geistiger Knechtschaft!« Und die anderen sekundierten: »Der weibliche Kain, der den Abel erschlagen hat! Gräfin von Kainsfeld war ein besserer Name für sie!«

»Dein Sohn, der Herr Leutnant, denkt eben anders, als du und ich, gelt Nußbaum?« wurde Weinschöppel anzüglich. »Der ist schön eingeseift, Feuer und Flamme für dieses Mensch! Was sagt Jungfer Marianne dazu? Bleibt die Verlobung?«

»Erinnere mich nicht an den Kerl! Ein wahres Unglück für uns alle, dieses Teufelsweib!« ergrimmte Nußbaum. »Die Kameraden haben ihn hinter Schloß und Riegel gesetzt solange, bis er zur Vernunft kommt und die Lola abschwört! Es wird keine Ruhe sein, bis sie zum Teufel ist!«

»Wo wären wir heute noch ohne die Montez,« rief Meyerhofer; »sie ist und bleibt unsere Retterin, die Schutzheilige Bayerns, die uns die Freiheit gebracht hat.«

»Wenn man gesagt hat, daß die Fanny Elßler Goethe tanzt, und wenn andere behauptet haben, daß der Tanz der Taglioni welthistorischen Inhalt enthält,« fügte Boligiano hinzu, »so braucht das nicht sehr übertrieben zu sein; denn wir sehen Lola Montez, die allen Ernstes bayrische Geschichte tanzt ...!«

»Ihr irrt euch, meine Herren, niemals werden wir die Freiheit aus den Händen einer Kurtisane empfangen,« rief unter dem Gelächter der anderen entrüstet Herr Jakob, der stolze Hidalgo; »Freiheit, wie alle höheren Rechte des Volkes, wollen nicht durch die feilen Küsse einer Dirne erschmeichelt, sondern sie wollen errungen sein: darin liegt die Bürgschaft für ihren Bestand. Wenn es keine andere Wahl gibt, um zur Freiheit, zur Volkswürde, zu Menschenrechten zu gelangen, als Blut oder die vermittelnde Hand einer Metze – so will ich Blut, Blut bis an die Knöchel! Ich verdamme keine Hetäre – aber man ist es der Selbstachtung schuldig, eine Freiheit zurückzuweisen, die aus solchen unreinen Händen kommt. Handelt der König aus Überzeugung? Er, der heute um des Lustkitzels wegen zugesteht, was er gestern noch den innigsten Bitten der Edelsten aus dem Volke versagte; – er, der einer Tänzerin freigebig gewährt, was gestern aus ernsten Gründen zu verlangen noch mit Gefahr verbunden war und zu Kerker und schmachvoller Abbitte vor seinem Bilde führen mußte, wie es Behr erfahren hat; – er, der dem Weibe zuliebe die Jesuiten mit Hohn aus dem Lande treibt, denen er bis gestern erlaubte, das Bayernvolk an Leib und Seele zu unterjochen; – er, der gestern noch Moral predigte und sich auf Heiligenbilder malen ließ und heute zum Beispiel für Laster und Ehebruch wird! Wenn es Überzeugung war, wie er früher gehandelt hat: wer bürgt uns dafür, daß er seine jetzige Überzeugung nicht ebenso rasch wieder ändert und morgen schon ins alte Fahrwasser zurückkehrt, sobald es der frechen Laune seiner Dame gefällt. Wird er uns nicht ebenso unbedenklich der Buhlerin opfern, wie er jene geopfert hat? Ich bin kein Blutmensch; aber beim Himmel! wenn es nichts anderes gibt, als Blut oder solchen Hohn, dann Blut!«

Sprach's und rannte in heller Aufregung davon.

»Recht hat er, tausendmal recht!« rief Nußbaum und lief hinter ihm drein, wendete sich aber vorher noch einmal zurück. »Mit der spanischen Fliege will kein anständiger Mann zu tun haben, merkt euch das, ihr Herren Parteibrüder! Wir gehen nicht mit! Nein, wir gehen nicht mit!«

»Der Jakob und der Nußbaum, das sind die lächerlichen Figuren unter euch, ihr Herrn Liberalen,« spottete jetzt Weinschöppel; »aber das Lächerliche ist zugleich immer auch das Tragische. Die beiden sprechen euch nämlich aus der Seele; ihr habt ja so viele Seelen in euerer Brust, meine Herrn! So seid ihr nun eben: da fliegt euch die Freiheit wie eine gebratene Ente ins Maul, ihr habt nichts zu tun als zuzubeißen und es euch mit dem herzlieben Vöglein wohlergehen zu lassen, aber nein! Sofort erheben sich Bedenken darüber, woher der Vogel kommt und wer ihn gebraten hat, und ob man ihn überhaupt verspeisen soll, worüber jeder anderer Meinung ist. Streit und Uneinigkeit brechen aus, und statt den Vogel schön appetitlich zu zerlegen, zückt ihr das Messer gegeneinander. Zum Schluß wird auf den Braten gespuckt. Das ist euere Taktik, ihr Herrn Liberalen, Patrioten, Freisinnige, Fortschrittliche, Demokraten und Nationale, oder was ihr euch sonst für Namen beilegen wollt; dieser traurige Don Quijote, der eben davonrannte, und der andere Narr verkörpern ein wesentliches Stück euerer Tragikomödie. Ihr wißt nicht, was ihr wollt, weil jeder was anderes will; nur die anderen wissen, was sie wollen, eure Gegner, die Ultramontanen, weil von denen jeder dasselbe will, nämlich euch an den Kragen! Man sieht ja heute schon, wie es kommt; uneinig und unklar, wie ihr seid, wird ein Teil von euch aus lauter Trotz und Sonderbündelei gemeinsame Sache mit euerem Erzfeind machen, der euch dann Stück für Stück in aller Gemütsruhe wieder auffrißt. Der Platz am Ruder ist jetzt frei, so greift doch zu in Teufels Namen, ohne viel zu fragen!«

Der Volkswitz hatte damit wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Die politischen Parteien wußten nicht, wie sie sich der neuen Lage gegenüber benehmen sollten; ein Teil des damaligen Liberalismus erblickte in der Lola Montez die Befreierin des Vaterlandes und rief sie wie eine Königin als Lola Montez I. von Bayern aus; der zweite Teil, der weitaus größere, hielt äußerlich auf Tugend und Anstand und beobachtete tatenlos strenge Zurückhaltung; der dritte Teil endlich, der in seiner Art am komischsten war, warf sich in die Brust und tat entrüstet, weil die Freiheit nicht in der erträumten Gestalt des starken und unbeugsamen deutschen Mannes mit der Jakobinermütze auf dem Kopfe erschienen war, sondern in ihrer angeborenen Weiblichkeit, zwar nicht griechisch angetan, wie es der Deutsche gern hat, mit Wolkenschild, Olivenhelm und Minervens Speer, sondern gar verführerisch mit Ballettröckchen und einem zierlichen Theaterknicks: »Nehmt mich, ich bin die Freiheit! Euere Schutzheilige, Patrona Bavariae!«

Einig und zielbewußt in der Verneinung alles dessen, was ihre Kraft zersplittern konnte, waren nur die Ultramontanen, die das Beispiel der wundervollen, sonst nirgends annähernd erreichten Organisationskraft der römischen Kirche gaben, von jeher ihre Stärke und Unüberwindlichkeit.

Der Hauptsache nach aber schieden sich sämtliche Parteien in zwei Gruppen: in Ultramontane und Lolamontane.

*

Der Anschlag am schwarzen Brett von der Professoren-Enthebung brachte den angehäuften Zündstoff zur Explosion.

Am 1. März versammeln sich um neun Uhr morgens etwa hundertfünfzig Studierende, meistens katholische Theologen, vor der Universität, ziehen sodann, inzwischen auf zweihundert verstärkt, vor das Wohnhaus des Suspendierten in der oberen Gartenstraße nächst dem Universitätsgebäude und bringen dort ein Hoch aus. Der Zug bewegte sich sodann in die Schönfeldstraße, wo vor der Wohnung des Professors Görres dieselbe Ovation dargebracht wird. Das Gleiche wiederholt sich vor dem Hause eines jeden der gemaßregelten Professoren.

Am Nachmittag findet um 3 Uhr eine neuerliche Zusammenrottung von einigen hundert Studenten statt, verstärkt durch Leute aus der Au und aus dem Schwabingerdorf, Lehrlinge und Handwerksgesellen, Montagsblaumacher, die dabei sein mußten, wenn's einen Auflauf gab.

Unter Johlen und Pfeifen, mit unaufhörlichen Pereats, Schimpfworten und Katzenmusiken zieht die Menschenmasse, Studenten und Straßenpöbel, in die Theresienstraße, um vor dem Hause der verhaßten Freundin des Königs zu demonstrieren.

Die Gräfin hat ihre Freunde um sich versammelt, das Haus kann die Blumen nicht fassen, die ihr von allen Seiten als Dankzeichen anläßlich des Ministersturzes ins Haus fliegen, Kränze mit Schleifen, Lorbeerbäume, als Huldigung seitens Tambosis, Boligianos und ihrer liberalen Gesinnungsgenossen. Das Speisezimmer und der Salon ist in einen Hain verwandelt; auf der Tafel steht die lebensgroße Büste Lolas – aus Schokolade, ein Geschenk des Kanditenfabrikanten Meyerhofer, der sich außerdem mit ungeheueren Mengen von Bonbons einstellte. Zum Schluß der Tafel – als Dessert – werden aus Hunderten von Zuschriften, darin gute Münchener Bürger ihren Tribut der Dankbarkeit zollen, einige vorgelesen.

Da schreibt einer:

»Mit- und Nachwelt wird es Ihnen nicht vergessen, daß Sie Ihren Einfluß nur zum Besten unseres Landes anwenden ...«

Ein anderer:

»Sie haben sich den unvergänglichsten Ruhm erworben, ein Land vor seinen ärgsten Feinden gesichert zu haben.«

Ein Dritter:

»Sie sind es, zu der alle Bayern mit Hoffnung und Dankbarkeit emporblicken ...«

Ein Vierter:

»Das erste Monument, das die Bayern aufrichten, wird die Statue der Lola Montez sein, den Bannstrahl schwingend, der die Jesuiten für immer in ihr finsteres Reich, dem sie entstiegen, zurückverscheucht!«

»Schöne Elogen!« erhob sich Lolas Glockenstimme, »diese dankbaren Bayern!«

Unterdessen braust in den Straßen Lärm und Tumult, näher und näher kommt die Woge heran, jetzt umtost sie das Haus. Die Herren an der Tafel erbleichen und springen auf.

»Das ist Revolution!« rief einer von ihnen.

Sie eilen ans Fenster und sehen hinab.

Das da unten sind keine Menschen mehr, das ist eine drohende wilde Bestie mit einem einzigen riesigen Kopf, der unförmlich ist wie eine Kartoffel, und einen Rachen besitzt, der Unflat auswirft, und Augen, die funkeln und sprühen wie die Lichter eines Raubtieres, aber keinen Strahl der Seele verraten. Wo ist die menschliche Seele? Die Masse weiß nichts von Seele und nichts von Vernunft. Sie ist ungezügelter Trieb, roh und wild und zerstörungsgierig wie die Meeresflut im Sturm, oder demütig und schmeichelnd wie diese, wenn die Luft blau und still ist. Der Geist, der sie peitscht und nach Zwecken lenkt, ist nicht der ihrige. Es ist der Geist, von dem der göttliche Görres inspiriert ist, der das Hereinbrechen der Fluten prophezeite und guthieß, »als einen von der Vorsehung nach dem Richtmaß ewiger Ordnung zugelassenen Umschwung«, wie es »in der Sprache der Überirdischen« heißt, während es »in der Sprache der Menschenkinder Revolution genannt wird«. Es ist sein Werk und sein Geist, des Göttlichen. Die unten sind die gepeitschte Woge im Sturm des Herrn. Arme Menschen sind es.

Angesichts der Gefahr fallen die Masken; es zeigt sich, daß die meisten Freunde – verkappte Feinde sind, die nur um ihres Vorteils oder Eigennutzes willen die Rolle unterwürfiger Schmeichler spielen. Es waren hohe Beamte, Männer in angesehenen öffentlichen Stellen, die hier an Lolas Hof ihren Weizen blühen sahen.

»Geben Sie dem Volk nach, Gräfin, sonst sind Sie verloren!«

»Was raten Sie mir?«

»Fliehen Sie, gehen Sie außer Land, sonst ist der Thron verloren!«

»Meine Herren, nichts ist verloren, solange wir den Kopf behalten; daß ich den meinigen nicht verliere, darauf gebe ich Ihnen mein Wort!«

»Aber den Thron, bedenken Sie den Thron, den König! Dem Willen des Volkes müssen Sie nachgeben!«

»Meine Herren, diese Handvoll Menschen sind nicht das Volk, es ist der Pöbel! Sie glauben doch nicht im Ernst, daß diese armselige Horde einen Thron erschüttern oder einem König schaden kann, der als Wohltäter seines Volkes gepriesen wird?«

»Oh, Sie kennen das Volk nicht! Das Volk vergißt alle Wohltaten, wenn es erregt und zornig ist,« bemerkte Berks, der ebenfalls anfing, schwankend zu werden.

»Meine Herren, das Volk ist, wie Sie alle sind, je mehr man ihm gibt, desto mehr nimmt es sich heraus – –«

»Hören Sie den Tumult? Es wird immer ärger!«

Die Fenster erzittern unter dem Geschrei von unten. Das Getöse schwillt an, ein Gequiek von Kindertrompeten erhebt sich, dazwischen Pereatrufe und unflätiger Schimpf.

»Es ist ein Spaß!« jubelt Lola, laut lachend, obschon erregt.

»Ein Spaß?! – Das könnte ein blutiger Spaß werden! Wir können Sie leider nicht schützen.«

»Das ist auch gar nicht nötig, meine Herren; ich schütze mich selber.«

Im selben Augenblick fliegen Steine herauf. Einige Herren nehmen Reißaus, ein paar Staatsräte voran, dann der Schokoladenfabrikant Meyerhofer und der Rentier Tambosi; Boligiano sucht ihn zurückzuhalten, läßt sich aber scheinbar widerwillig mitziehen. Berks ist unschlüssig; er denkt wie der Schauspieler an einen guten Abgang.

»Um Gottes willen, was tun Sie?« Lola hat von der Wand ein paar Pistolen genommen, die geladen da hingen, und ist ans Fenster getreten.

»Lassen Sie die Pistolen, es ist um Sie geschehen, wenn Sie das Volk, das wie ein gereizter Löwe ist, noch mehr erbittern. Leutnant Nußbaum, nehmen Sie ihr doch die Pistolen weg!«

Berks selbst vermeidet die Nähe des Fensters; er schickt Nußbaum ins Treffen.

Der Gewahrsam hinter Schloß und Riegel hatte nicht geholfen, wie gut es auch die Kameraden meinten. Klugheit richtete nichts aus gegen Leidenschaft: Nußbaum war aus dem ersten Stock seines Arrestes gesprungen und zu seiner Circe geeilt.

»Ein paar Schüsse, und Sie werden sehen, wie zahm dieser Löwe sein wird!« Aber da ist schon der Leutnant bei ihr und zieht ihren Arm zurück.

»Sie kennen das Volk nicht, Gräfin!«

Darauf klingelt sie dem Kammerdiener:

»Champagner! Die Gläser füllen! Rasch!«

Dann schaut sie furchtlos in das schwärzliche Wogen der Menschenmassen mit den verzerrten und gaffenden Gesichtern, die bei dem Anblick des Frauenwesens mit einem blöden Lächeln grinsen. Das Toben läßt nach. Sie glaubt zu erkennen, daß die meisten dieser Leute mehr aus Neugierde als aus böser Absicht hier versammelt sind, und daß ihnen der Impuls zu einer ernsten Feindschaft gegen sie fehlt. Sie legt die Pistolen beiseite und sagt zu dem anwesenden Rest ihrer Freunde:

»Diese Leute da unten haben durchaus nichts gegen mich, sie sind unschuldig an dem Spektakel; ich bin sogar überzeugt, daß ich unbehelligt mich in ihre Mitte begeben kann.«

Mit diesen Worten ergreift sie einen gefüllten Kelch und tritt ans Fenster.

»Auf das Wohl des bayrischen Volkes!« Mit diesem Ruf leert sie das Glas Champagner.

»Horcht!«

Grenzenloser Jubel von unten.

»Meine Herren, fürchten Sie noch für den Thron und mich?«

Die Herren sehen sich verlegen an. Die Tür geht auf, Meyerhofer, Tambosi, Boligiano und einige von den Räten schleichen beschämt herein.

»Hier ist ja Konfekt, Bonbons, gute Meyerhofersche Schokolade – hinunter damit!« Lachend ergreift sie die vollen großen Kartons mit Süßigkeiten – und unten liegen sie mitten in der Menge, die sich danach bückt, sich herumbalgt und die Hände ausstreckt, die Gaben in der Luft zu empfangen. Immer mehr wirft sie hinunter, mit vollen Händen, Zuckerwerk, Blumen, Kränze, Lorbeer, Schleifen, alle Geschenke und Huldigungszeichen der Freunde, auf die Straße hinunter ins Volk, das schon wieder guter und lustiger Dinge ist, und wie der Löwe, der den Zorn vergessen hat, demütig und schmeichelnd zu Füßen der Bändigerin liegt, oder wie die Woge, die sanft ans Ufer rollt, nachdem der Sturm ausgetobt hat.

Aber das ist nicht nach dem Sinn der Anstifter. Eine Stimme schrie und hundert andere fielen mit ein:

»Das ist Hohn! Das ist Hohn! Rache! Rache an diesem Weib!«

Es war die Stimme des Wolfram von Dinkelsbühl, der seinen ehemaligen Freund Elias von Vilseck nebst ein paar Studienkollegen, darunter den Grafen Hirschberg, in den Fenstern Lolas erblickte. So groß war der Haß des Jünglings gegen das Weib aufgeschossen, daß er wie wahnsinnig schrie, um ihr Verderben heraufzubeschwören.

Der Sturm will wieder anbrechen.

Die Herren erblassen abermals.

»Fürchten Sie nichts,« lächelte sie, »treten Sie ans Fenster, Sie werden sehen, wie wenig Sympathie diese Schreier finden!« Und mit einem Blick auf die zurückgekehrten Ausreißer fügt sie boshaft hinzu: »Es war freilich gewagt, zurückzukehren, nachdem Sie schon Ihre Haut in Sicherheit gebracht hatten und mich für ein Kind des Todes hielten; aber ich gebe Ihnen recht, Sie sind bei Hochzeitsfeierlichkeiten und Kindtaufschmaus entschieden besser aufgehoben.«

Da hatten sie es! Der Spott war tödlich.

Plötzlich jubelte sie auf.

»– der König! Meine Herren, sehen Sie doch, in welch großer Gefahr der Thron und der König schwebt! – Seine Majestät geht mitten durch das tobende Volk, ohne alle Begleitung – und sehen Sie nur, wie ehrfurchtsvoll er von allen Seiten gegrüßt wird! Weiß denn dieses Volk nicht, daß der König jetzt gerade zu mir geht?«

Wirklich geschah das Wunder. Der König schritt ernst und würdevoll durch die tobende Menge, die augenblicklich still wurde, eine Gasse öffnete und ehrerbietig grüßte. Er ging ganz allein. So groß war der Glaube des Königs an die Heiligkeit der Majestät, die durch ihr bloßes Erscheinen die Aufrührer in den Staub werfen konnte; so groß war zugleich sein patriarchalischer Sinn, daß er unbekümmert durch die Demonstranten schritt, wie der Herr über die stürmischen Wogen. Noch war der Monarch kein abstrakter Begriff, wenigstens in dem damaligen München nicht: der König vertraute auf die Macht seiner Persönlichkeit und auf die Ehrfurcht der Untertanen vor dem Gottesgnadentum – die Menge hatte ihm recht gegeben, sie wich scheu zurück, er ging unbehelligt durch. Es war ja noch der idyllische Vormärz.

»Ach, Sie kennen das Volk nicht, meine Herren,« rief Lola; »Mut, Mut, Mut! Und Sie machen aus dem Volk, was Sie wollen!«

In diesem Augenblick trat der König ins Zimmer.

»Fürchten Sie nichts, Gräfin,« sagte er sofort, »es sind alle Anstalten zu Ihrer Sicherheit getroffen.«

»Sire, keinen Augenblick war ich um mich besorgt. Das arme Volk unten weiß ja nicht, was es will; ich hoffe aber, daß es so wie an Aufrührern nicht an einsichtsvollen Patrioten fehlen wird, die es über seine wahren Interessen aufklären. Was mich betrifft, so stehe ich mit dem Volke ganz gut, ich glaube nicht, daß es noch zu ernsteren Auftritten kommen wird.«

»Militär ist im Anzug,« sagte der König und fügte dann hinzu:

»Wenn ich auch für die Ruhe der Stadt nichts befürchte, so darf eine Ungebührlichkeit wie diese nicht geduldet werden. Ich kenne die Urheber dieses Tumultes; sie werden es büßen!«

Jetzt erst reifte der Entschluß des Königs, die Professoren, die er nur mit einem zeitweiligen Verbot der Vorlesungen warnen wollte, definitiv abzusetzen.

Lola Montez gab sich edelmütig und versuchte ein gutes Wort für die Gemaßregelten, insbesondere für Lassaulx einzulegen, indem sie meinte: die Professoren seien durch das Mißlingen genug bestraft, aber der König war stolz auf Beharrlichkeit und gerechte Strenge und wollte keine Milderungsgründe zulassen.

Im nächsten Augenblick sprengten schon Kürassiere an, drängten die Menge zurück, die sich ohne Widerspruch zerstreute, und in einigen Minuten war die Straße fast menschenleer –

»Und da wagen die Anstifter des Unfriedens vom Abfall des Heeres, vom Abfall des Volkes zu reden!« empörte sich Herr v. Berks. »Sah das nach einem Abfall des Volkes aus? Oder nach einem Abfall des Heeres?«

Die Revolution, ihre Ursachen und die Mittel ihrer Bekämpfung bildeten nun den Gesprächsstoff. Die Frage wurde aufgeworfen, ob für die nächste Zeit eine Revolution zu befürchten sei. Die Frage wurde für Frankreich bejaht, für Deutschland aber entschieden verneint.

»Die Revolutionen,« sagte die Gräfin, »kommen immer, wenn man sie am wenigsten vermutet; sie können nur dadurch verhütet werden, daß man stets auf sie gefaßt ist

»Dann möchte ein anderer König sein, ich danke dafür!« erwiderte Ludwig. »Glauben Sie nicht, daß die Liebe des Volkes zum Thron die sicherste Schutzwehr gegen Revolution ist?«

»Sire, ich hoffe mehr von der Furcht, als von der Liebe.«

»Ich gebe Ihnen recht,« sagte der französische Attaché, »Furcht ist der beste Gesellschaftskitt. Ich erinnere mich eines merkwürdigen Buches »König und Narr«, darin ein sehr lehrreiches Gespräch zwischen Heinrich VIII. und einem als Narr verkleideten Gauner vorkommt. »Unter uns gesagt, sind die Spitzbuben doch eigentlich die nützlichsten Bürger im Staat, und ein König ist ihnen zu großem Dank verpflichtet; denn wenn es lauter fromme, ehrliche Leute gäbe, könnten diese sich selbst regieren. Wozu wäre ein König nötig, wenn die Leute keine Furcht voreinander hätten? Wenn ich König wäre, ließe ich jeden Jungen, der nicht Anlage zum Spitzbuben hat, in die Themse werfen. Wenn auch die Liebe nicht zu verachten ist, die Furcht ist die beste Stütze des Throns.«

Diese scherzhafte Erzählung fand nicht den Beifall des Königs. Er verstand in diesen Dingen wenig Spaß und begann ganz ernsthaft die Frage zu diskutieren. Sein poetisches Gemüt nahm sich mit Wärme des Volkes an und berief sich auf den eben erbrachten Beweis der Liebe des Volkes, das selbst in der Aufregung und Unruhe nicht den schuldigen Respekt vergesse.

»Mehr als Gesetz und mehr als die bewaffnete Macht ist mir dies sicheres Fundament,« sagte er nachdenklich, »daß mich das Volk liebt! Man hat es wieder gesehen, obgleich es Schwarzseher leugnen wollten: das Volk liebt mich ...«

*

Der Menschenstrom, von den Polizeisoldaten und Kürassieren zurückgestaut, flutet durch die Ludwigstraße ab, ergießt sich in Residenz- und Theatinerstraße, um aus diesen Kanälen in dem großen Sammelbecken des Max Josephplatzes wieder zusammenzufließen. Es ist gegen sieben Uhr abends; in einer unvorhergesehenen Anwandlung will die Volksseele der Königin eine Ovation bereiten.

Die Prinzen eilen an das Fenster, halb neugierig, halb erschreckt mit dem Ausruf: »Es ist schon wieder was los!«

Drunten erhebt sich das Huldigungsgebrüll.

Königin Therese ist mehr tot als lebendig; sie flüchtet in die entlegensten Zimmer, aber Pater Hilarius ist schon bei der Hand. Es gelte jetzt die Ehre des Throns zu retten; das treue Volk wolle seine Königin sehen, sie müsse ans Fenster!

Zitternd vor Angst steht sie nun vor dem geöffneten Fenster, von Hilarius gestützt, der sich dicht hinter ihr hält, und muß lächeln und dankbar nicken.

Das Geheul verdoppelt sich jetzt, Arme fliegen in die Höhe und schwenken Tücher. Aber es fliegen auch vereinzelte Steine. Ein Theologie-Student wird von einem herbeieilenden Offizier in dem Augenblick ergriffen, als er ein Fenster des Königsbaues eingeworfen hat. Die Menge verteidigt den Studenten und entreißt ihn der Wache.

Die Königin ist ohnmächtig geworden vor Schrecken und wird vom Fenster weggeschleppt. Die Ovation artet in eine Keilerei aus. Militär ist nachgerückt und sprengt die Leute auseinander. Der Platz ist gesäubert und von Wachen umstellt.

Haufenweise ziehen die Banden wieder in die Theresienstraße, wo Schildwachen vor Lolas Haus stehen und Militärpatrouillen auf und ab ziehen.

*

» Das Volk liebt mich

Aber es fühlt sich dadurch nicht behindert, den König, als er ziemlich spät Lolas Haus verläßt, um wieder zu Fuß, auf die Liebe des Volkes vertrauend, nach der Residenz zurückzukehren, zu beschimpfen und mit Kot zu bewerfen. Wie anders als vor einigen Stunden! Militär muß einschreiten, um den König vor dieser Liebe des Volkes zu schützen.

*

Einige Tage später im Hoftheater.

Der König in der Loge wird bei seinem Erscheinen von dem anwesenden Publikum stürmisch akklamiert.

Der König, sichtlich gerührt über diese unerwartete Begrüßung, die ihm als elementarer Ausbruch der unwandelbaren Treue und Anhänglichkeit seiner Untertanen erscheinen will, erinnerte sich an die Äußerung seines früheren Polizeiministers Pechmann, der zu behaupten gewagt hatte, der König habe die schönste Perle aus der Krone verloren, die Liebe seines Volkes!

Allerdings!

Das Volk murrte über seine Liebschaft und mengte sich in sein Privatleben ein; es hatte aber auch gemurrt über seine Kunstbauten und über seine Verschwendung auf Kunstschätze; – war deshalb die Perle aus der Krone verloren?

»Man sieht es ja: das Volk liebt mich


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