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XIX.

»– – – Gottlob, daß wieder Ruh' ist!«

Aber offenbar war das nicht nach dem Geist des geschichtlichen Satyrspiels, das seinen Spuk und Schabernack unbekümmert fortsetzte.

Berks ist abgetan; ein neuer Popanz schreckt den Bürger aus seiner Trägheit empor.

Am 16. März verbreitet sich das Gerücht, die Gräfin v. Landsfeld sei nach München zurückgekehrt.

Aufs neue flammt der Heroismus auf, der auf den Schatten eines Weibes Jagd machte. Die Hysterie, die von den Frauen und Jesuiten ausgegangen war und sich des ganzen Volkes bemächtigt hatte, kam jetzt mit einer Heftigkeit zum Ausbruch, wie früher nie, da die Gräfin noch innerhalb der Mauern Münchens lebte. Es war die Krankheitsform, in der sich das überhitzte, patriotische und nationale Bewußtsein austobte – bis zur Selbstzerfleischung.

Das Fieber hat den Höhepunkt erreicht und gleichzeitig die Staatskrise beschleunigt.

Wieder war es der Geist Lolas, der in den Gang der Geschichte eingriff als Schicksalsmacht ...

»Schau dich nicht um, die Lola geht um!«

Die Raserei der Menschen kannte keine Grenzen. Trotz der Gefährlichkeit des Aufruhrs fehlte es nicht an Komik. Die ganze Einwohnerschaft war in einem Plumpsackspiel begriffen. Auf die Kunde, sie sei im Schloß Fürstenried, zog alles zur Verfolgung der Verhaßten hinaus.

Dort wurde der Plumpsack nicht gefunden; es hieß, er sei in München auf der Polizei versteckt. Also kehrte der wütende Haufen nach München zurück, um ihn auf der Polizei zu suchen.

Auch vor dem Rathaus stehen eine Menge Menschen. Sie tun sehr verwegen.

»Was wollt ihr Leute da?«

»Ach, wir suchen die Lola!«

Es wird ruchbar, daß eine gewisse Partei Geld unter das Volk verteilen ließ, um die Sucher anzufeuern.

Unterdessen stürzen beim Karlstor die Verfolger herein, bis an die Augenbrauen mit Kot bespritzt, schnurstracks zum Polizeigebäude, das wie immer ein mürrisches Gesicht macht.

»Was wollt ihr Leute?«

»Gebt die Lola heraus!«

Bierwagen ziehen vorbei, sie werden umgestürzt; mit der Deichsel werden die Fensterstöcke eingestoßen, die Tore gesprengt. Die Volkswoge ergießt sich in die Amtszimmer, dort werden die Bücher und Akten herumgeworfen und zerrissen, die Tinte wird auf die Straße herabgeschüttet – die Polizei hat den Kopf verloren, sie sieht gleichmütig zu.

»Was wollen Sie?«

»Wir suchen doch die Lola!«

Eben wird ein Ofen zusammengeschlagen: »Nicht wahr, Sie nehmen es mir nicht übel – wir suchen bloß – –«

»Bitte sehr,« komplimentiert der Wachtmeister mit drei Verbeugungen, »sehr schmeichelhaft! Ich hätte Ihnen gern einen Stuhl angeboten, aber Ihre Herren Kollegen haben bereits die Güte gehabt, alle mitzunehmen ...«

Es herrscht bewundernswertes Einverständnis, Volk und Polizei haben sich genähert, die Herzen beider sind ein Schlag und ein Gedanke.

Aber der Plumpsack war im Polizeigebäude nicht gefunden worden. Nun zog der plündernde Haufen in die Wurzerstraße, wo man in der Annahme, Lola sei in einer Feueresse versteckt, den Kamin heizte. In dem Tumult und Gedränge geriet mancher Langfinger im Eifer des Suchens in eine fremde Tasche.

»Was soll das?«

»Ach, ich suche nur die Lola!«

Selbst die Residenz wurde von dem fanatisierten Pöbel nicht verschont. Als der Angriff der Massen hier abgewendet war, zogen sie zum Zeughaus, den Plumpsack dort zu suchen und bei dieser Gelegenheit das Waffenarsenal auszurauben. Inzwischen hatten sich die neuen Hüter der Ordnung, die Studentenkorps und Bürgerbataillone kampfbereit gemacht. Endlich waren sie gerüstet und marschierten in der schmucken Uniform – dunkelgrauem Waffenrock mit grünem Umschlagkragen, lichtgrauer Hose mit grünen Streifen, einen filzenen Helm auf dem Kopf, mit Säbel und Gewehr, die Hauptleute neben der Feldbinde eine Schärpe in den Kompagniefarben um die Schulter, die Leutnants um die Hüfte – unter Trommelwirbel und im Sturmschritt auf den Anger hinaus, das Zeughaus gegen den Pöbel zu verteidigen.

Der hatte schon das Tor erbrochen und empfing die nachrückenden Korps mit Schüssen und Steinwürfen. Die Offiziere der Freikorps kommandierten:

»Feuer!«

Volk gegen Volk.

Aber der Kobold der Geschichte, der durch sein Intrigenspiel alle Köpfe verwirrt hatte, bog die Tragik, nachdem er sie auf die Spitze getrieben, im rechten Moment immer noch ins Komische um: als die heldenhaften Freischärler Feuer geben wollten, entdeckten sie – daß sie keine Patronen bei sich hatten.

Trotzdem zogen es die Plünderer vor, von dem imposanten Aufmarsch erschreckt, das Weite zu suchen. Zum zweitenmal war das Zeughaus gerettet.

*

O alte Burschenherrlichkeit! Nicht umsonst hatte man die schöne große Kunst des Saufens gelernt, den hohen herrlichen Beruf des Kneipenlaufens und die alte ritterliche Kunst des Raufens. Diese drei holden Schwesterkünste, die den Musensohn zieren, wurden nun fleißig zur Rettung des Staates und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geübt. Die Uniform verlieh die entsprechende Würde für die Ausübung seines Amtes, das den Studentenlegionär verpflichtete, bei Exzessen in Brauereien und Wirtshäusern am Platze zu sein. Dieses Betätigungsfeld hatten die Münchener Freikorps gemäß ihrer ausdrücklichen Bestimmung für sich erkoren. In der Tat blühten hier reiche Lorbeern.

Jener Kobold, der die Revolutionäre und Barrikadenkämpfer immer wieder auf ein abseits liegendes, lächerliches Ziel ablockte, bediente sich nun des neuerdings erhöhten Bierkreuzers, um die »Tyrannenhasser« zu äffen. Nachdem man die Lola nicht gefunden hatte, lief der Revolutionssturm auf einen Bierkrawall hinaus. Ein bißchen mitmachen, das war alles. Sonst stand man mit dem König auf gutem Fuß. Freilich irgendwie krankte der Körper und fing zu delirieren an, von Phantomen gehetzt und gefoltert.

Schon hatte sich zusammengelaufenes Gesindel im Sturm und Drang des »Völkerlenzes« ans Werk gemacht. In einem der Bräus begann eine fürchterliche Zerstörung und Verwüstung. Kein Möbel und kein Spiegel blieb im Innern des Hauses unzerschlagen, Schränke wurden erbrochen, die wertvolleren Gegenstände verschleppt, Betten und Polster aufgeschnitten und auf die Straße geleert. Weiß wie frisch gefallener Schnee wirbelten die Federn in der Luft und auf dem Boden. Heisa, Frau Holle!

Wo blieb die Studentenlegion?

Sie hatte Wachen aufgestellt, aber wenn es dem Posten nicht beliebte, dann mochte ein anderer Wache stehen, meinetwegen der Herr Hauptmann! Der Herr Hauptmann schickte den Leutnant, aber auch der Herr Leutnant mußte erst einen Kanonenrausch ausschlafen. Das machten die vielen Trinksprüche, mit denen in finsterer Nacht schon der nächste Siegestag gefeiert wurde. Ein fröhlicher Krieg!

Nun rasch die Trommel gewirbelt und schnell herbei! Als Feldgeschrei ein lustiges Studentenlied! Jetzt steht die Legion als müßiger Zuschauer vor dem Haus, wo drinnen das »Volk« sich wegen des Kreuzers beim Bier prügelt. Am Platz zu sein, wenn es Wirtshaus-Exzesse gibt, ist ja ihre Bestimmung. Sie wird bis auf den Buchstaben getreu erfüllt. Militär erscheint. Nun wird gemeinsam vorgegangen und dem Zerstörungswerk endlich Einhalt getan. Aber mittlerweile haben die »Kämpfer« und Urheber des Bierkrawalles freiwillig das Schlachtfeld geräumt. Trommelwirbel und Vorwärts Marsch! Die Heldenlegion kehrt aus der Schlacht zurück und feiert den siegreichen Tag aufs neue mit Trinksprüchen im Kanonendonner unaufhörlicher Vivats! O dreifach holde Kunst des Saufens, Raufens und Kneipenlaufens! Zum Wohl des Staates, zu Deutschlands Ehre und Ruhm! Es ist eine Lust zu leben! Gaudeamus igitur!

*

Noch lag die Volksseele im Delirium, wie ein krankes Kind von Fieberträumen geschüttelt. Der Schatten Lolas hatte, sie heimgesucht, bloß der Schatten, sie war längst über alle Berge. Die verhaltenen, unterdrückten Instinkte des Neides, der Eifersucht, des Hasses gegen die Gräfin, durch anderthalb Jahre genährt und angesammelt, brachen elementar als öffentlicher Wahnsinn aus. Das schien notwendig zur Gesundung. Kein Beschwichtigungsmittel wollte verfangen. Die neuen Minister zeigten sich dem Volkswillen allzu gefügig. Maueranschläge verkündeten:

I. Wir von Gottes Gnaden König von Bayern usw. finden uns zu der Erklärung bewogen, daß die Gräfin von Landsfeld das bayerische Indigenat zu besitzen aufgehört hat. München, 17. März 1848.

II. Seine Majestät hat den Polizeidirektor Mack seiner Stelle zu entheben und an solche den K. Landrichter von Pechmann wieder zu ernennen geruht. An den letzteren ist sofort Estafette mit der Aufforderung abgegangen, seinen Posten alsbald anzutreten.

Solches wird hiermit zur allgemeinen Kenntnis gebracht.

München, 17. März 1848.
Frhr. v. Thon-Dittmer,
Staatsrat.

Aber die Zettel wurden höhnend herabgerissen. Selbst die besonnenen Elemente konnten ihr Mißtrauen nicht bemeistern, und die öffentliche Meinung war darin ziemlich einig, daß der König sich unmöglich gemacht habe. »Er ist geworden wie einer von uns!« Es war das stärkste Verdammungsurteil, das der Pöbel für den König finden konnte.

Am 18. März befand sich München im Belagerungszustand. Zehntausend Bewaffnete waren auf den Straßen und Plätzen verteilt, militärische Verstärkungen wurden von auswärts zusammengezogen. Den revolutionären Umtrieben sollte energisch ein Ende gesetzt werden.

Die von den Ministern verfügte Aufhebung des Indigenats und die Zurückberufung der Personen, die sich einst dem König mißliebig gemacht hatten, entsprach nicht dem Willen des Souveräns. Als er nach längerem Zögern die Vorlagen seines neuen Ministers Thon-Dittmer dennoch unterschrieb, bemerkte dieser lächelnd:

»Das habe ich vorausgesehen, es bleibt auch keine Wahl; denn diese Anträge sind bereits als genehmigt expediert –«

Der König trat einen Schritt zurück und fixierte seinen Minister mit einem flammenden Blick:

»Also braucht man mich nicht mehr? Wenn es so steht, dann weiß ich, was ich zu tun habe!« sprach's und klingelte, worauf sich der vierschrötige Volkstribun eilig zurückzog.

In früheren Zeiten hätte man einen Minister, der mit der Selbstfertigung der königlichen Unterschrift auf eigene Faust den König von Bayern spielte, einfach auf die Festung geschickt; unter den gegebenen Verhältnissen blieb die plebejische Beleidigung ungestraft. Die Umgebung suchte den König zu beruhigen. Auf die Vorstellung, daß der Minister sonst ein ehrenwerter Mann sei und wohl nur im Drange der Umstände übereilte Anordnungen getroffen habe, erwiderte der König mit christlicher Selbstüberwindung, wobei ihm fast die Tränen in die Augen traten:

»Ja, wenn es sich so verhält, werde ich ihn morgen zur Tafel laden!« tat es und setzte sich mit dem Mann noch einmal zu Tisch, der es darauf abgesehen gehabt hatte, den König zu demütigen.

Remis: Der König ist – remis. Zuerst die Figuren geopfert, dann die Dame – das Schachspiel ist zu Ende. Nur die Bauern sind geblieben.

Am nächsten Tag, den 20. März erfolgte jäh und trotz allen Murrens unerwartet die Thronentsagung.

»Bayern!« lauteten die königlichen Worte an das Volk, »eine neue Richtung hat begonnen, eine andere als die in der Verfassungsurkunde enthaltene, in welcher ich nun dreiundzwanzig Jahre geherrscht. Ich lege die Krone nieder zugunsten meines geliebten Sohnes, des Kronprinzen Maximilian.

Treu der Verfassung regierte ich, dem Wohle des Volkes war mein Leben geweiht; als wenn ich eines Freistaates Beamter gewesen, ging ich mit dem Staatsgut, mit den Staatsgeldern um. Ich kann jedem offen in die Augen sehen. Meinen tiefgefühlten Dank allen, die mir anhingen. Auch vom Throne herabgestiegen, schlägt glühend mein Herz für Bayern, für Teutschland.

München, den 20. März 1848.
Ludwig.«

Mit einem Schlag war der Rummel aus. Stille war eingetreten. Die Stille der Ergriffenheit. Plötzlich war die Volksseele gesund, kein Fieber; keine Lolafurcht, kein Spasma. Aufs neue hatte das Volk sein Herz für den König entdeckt, seine Liebe, die eigentlich immer da war, nur daß sie zuweilen ins Verkehrte ausschlug und manche ungebärdige Form angenommen hatte. Abordnungen aus allen Provinzen Bayerns trafen ein, um dem König ihre Hilfe mit bewaffneter Hand gegen die Münchener anzubieten.

Der Wille der Nation, der sich gegen die Stadt erhob! Die Bauern sind geblieben. Königstreu! Kein Matt dem König!

»Der Becher war bis an den Rand voll, aber Thon-Dittmer war schuld, daß er überlief.«

Der König beharrte bei seinem Entschluß. Noch galt sein Wille.

»Man hat mich zum Schreiber und nicht einmal zum Oberschreiber, sondern zum Unterschreiber degradieren wollen, und dafür dank' ich!«

Einer Künstlerdeputation, die ihm eine Adresse überbrachte, entgegnete er:

»Drei Stunden habe ich gebraucht zu dem Entschlusse, mich von der Krone zu trennen, aber drei Tage zur Resignation auf die Kunst.«

Er war ja der König der Künstler.

*

Die Vision jener höheren Krone, die schon so nahe über seinem Haupte schwebte, zerfloß in nichts. Sie war bestimmt von Schicksals wegen, aber Ludwig bewies, daß man sein Schicksal nicht unbedingt erleben muß –

Seine prophetischen Worte: »Auch Bayerns Häfen liegen an der Wesermündung«, sollten sich erst spät nach ihm erfüllen. Nicht durch Wittelsbach, sondern durch das Haus Hohenzollern, dem nach dem veränderten Gang der Geschichte jene höhere Krone zufallen sollte.

»Hätten wir nur König Ludwig!« widerhallte es auf der Nationalversammlung zu Frankfurt, wo einst Friedrich Barbarossa zum Deutschen Kaiser ausgerufen wurde. Die Krönung Karl des Großen und Friedrichs, davon die Fresken des Festsaalbaues erzählen, sollten sie nicht auch Ludwig I. Ruhm und Hoffnung vordeuten? Nie wäre es den großdeutschen Abgeordneten eingefallen, eine Kaiserdeputation nach Berlin zu schicken, um König Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone anzubieten, die dieser aus Furcht ablehnte, daß ihn die Revolutionäre nur benützen könnten, die übrigen Fürsten vom Thron herabzubringen, um dann selbst wieder verworfen zu werden. Er wagte es nicht, ein Diadem von Volksgnaden zu nehmen – doch hat er es später bereut. Die Zeit war nicht reif dazu – es sei denn:

» Hätten wir nur König Ludwig

Ein Kobold hatte als blinder Hebel der Vorsehung den Weltplan geändert. Lola Montez, jene gestürzte Sphinx, die im Stürzen ihre Freunde mit sich riß, zuletzt den König – – erst seine Thronentsagung hatte der Geschichte jene welthistorische Wendung gegeben.

»Ohne Lola kein Ludwig!« Auch diese Worte verrieten einen prophetischen Mund.

Stolz und in gewisser Hinsicht nicht unzutreffend behauptete Ludwig:

»Ich bin der letzte König gewesen!«

Der letzte König – alten Stils.

Abschied König Ludwigs

am 20. März 1848.

(Besonders die Münchener betreffend.)

Verlassen und traurig wandelnd
Zieh' ich in die Welt hinein,
Denn frei und groß nur handelnd
Mocht' ich Euer König sein.
Ich hab Euch sehr geliebet,
Ihr habt mich sehr betrübet,
Das schuf mir arge Pein.

Die stolzen Aristokraten
Verleideten mir den Thron,
Sie haben auch Euch verrathen
Und sprechen uns Beiden Hohn.
Die Höflinge, glatt und schmeichelnd,
Die Geistlichen, Liebe heuchelnd
Entrissen mir die Kron'.

Ein Herz im Busen tragend,
Für Schönes was Menschen ziert,
Mein Volk mit Künsten begabend
So hab' ich stets regiert.
Schwört Treue nun meinem Sohne,
Bleib treu ihr Bayern! der Krone
Und dem Gesetze, das Euch regiert.

*

Faksimile von Lola Montez


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