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IX.

Alle Häuser haben ein menschliches Gesicht, sogar das Polizeihaus. Das Lächeln der Grazien ruht nicht auf seiner Stirn. Es hat ein verkniffenes, drohendes Antlitz, finster und verschlossen wie eine Gefängnistür. Es hat auch eine Stimme, wie alle Häuser ihre eigene Stimme haben, die den Ton angibt, leise oder laut, fröhlich oder feierlich, den man dann unwillkürlich nachahmt. Doch die Stimme dieses Hauses tönt nicht, sondern rasselt; sie spricht nicht, sondern schreit. Auch einen Atem hat dieses Haus wie alle Häuser, einen Hauch, der beklommen macht und übel riecht nach dumpfen Räumen, menschlichem Elend, Schmutz und Verwahrlosung, Kloaken, schlechten Lampen, ungelüfteten, halbdunklen Korridoren, staubigen Amtszimmern.

Obschon von aller Schönheit und Lebensfreude verlassen, hat sich eine der Grazien hierher verirrt. Im Torgang die Wache, den Pallasch in der Hand, Ingrimm im Gesicht, Rasseln in der Stimme, als ob ein phantastisch großer Schlüsselbund in dem rostigsten Gefängnisschloß herumgedreht würde:

»Halt da! Was wollen Sie? Wer sind Sie?«

Der Hausgeist schreit bereits. Das ist nicht höflich, ist aber Dienstbrauch. Wozu braucht Diensteifer und Amtstreue den Zuckerüberguß von Höflichkeit, besonders die Polizei?

Die Grazie ist erstaunt, sie will zum Polizeipräsidenten.

Nun steht sie im Zimmer des gewaltigen Polizeichefs von Pechmann. Er ist Richter gewesen und versteht sich auf Menschenkenntnis und Psychologie. Durch die Brille des Paragraphen hat er sofort den Verbrecher im Menschen heraus; das ist seine Menschenkenntnis. Als Erzieher zur Ordnung und Sitte will auch er läuternd auf die Seele wirken. Dabei fruchtet nichts so sehr gegen die Verstocktheit des Übeltäters als Einschüchterung. Das ist seine Psychologie. Es war die gute alte Schule. Darum schreit er schon mit derselben Stimme wie der Büttel unter dem Tor, denn es ist ja die Hausstimme:

»Ah, da sind Sie ja, da sind Sie ja!« Ein unverständlicher Zorn lodert in den Augen, in den Gesichtsmuskeln, in den Worten.

»Lola Montez, Sie sind ...«

»Sennora Lola Montez,« verbesserte ihn die Grazie.

Da brüllt er bereits: »Lola Montez, Sie sind vorgeladen ...«

» Eingeladen ...«

Die Faust fährt dröhnend auf den Tisch. »Angeklagte, Sie haben sich anständig zu benehmen! Die Polizei ladet nicht ein, sondern sie ladet vor, sie ersucht nicht, sondern fordert auf, sie fragt nicht, sondern sie verhaftet, verstanden? Aktuarius Thürriegel! Die Akten der Lola Montez!« Der Gerufene schleppte ein hochgeschwollenes Bündel herbei. Der Präsident blättert darin und beginnt halb lesend ein Verhör.

»Die polizeilichen Ermittelungen haben ergeben: Lola Montez durch den russischen Polizeiminister Grafen Benkendorff landesverwiesen wegen gefährlicher Umtriebe um die Person des Großfürsten und des Kaisers; landesverwiesen aus Baden-Baden durch eigenes Handschreiben des regierenden Fürsten Heinrich von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf; kurz vordem von Berlin ausgewiesen über Befehl König Wilhelms IV., der sich ebenfalls nicht berufen fühlte, die schlechten Sitten einer schlechten Tänzerin zu verbessern.«

»Herr Präsident jedoch fühlen sich berufen ...« Sie setzte ihre gelassene Ironie gegen seine sinnlose Heftigkeit. »Wenn Sie wüßten, Herr Präsident, wie liebreich diese Könige und Fürsten waren gegen die – ach, wie geschmacklos! – schlechte Tänzerin ... Sie ahnen es nicht, und ich muß schweigen. Diskretion ist Ehrensache für meine schlechten Sitten im Gegensatz zu Ihren guten Manieren.«

Die geschliffenen Worte aus der Feinzeugschmiede verwirren den Polizeigewaltigen und machen ihn noch mehr erbost. Er versteht sich besser auf das grobe Geschütz, läßt alle Minen springen, droht mit der Ausweisung, rückt schließlich mit der Abfindungssumme von zwanzigtausend Pfund hervor, die von hoher Seite bereit gestellt wären unter der Bedingung, daß sie freiwillig das Feld räume, – und war nicht wenig verblüfft, als weder die Einschüchterung noch Gold als Zaubermittel wirkten.

»Ihre guten Manieren haben sich offenbar in den schlechten Sitten der Tänzerin getäuscht, die weder käuflich noch bestechlich ist.«

Sie konnte jetzt großartig tun; es war wieder einer der seltsamen Augenblicke, wo ihr das ungeschickte Spiel der Gegner einen Trumpf in die Hand gab. Das Geheimnis des Aufstieges zur Macht: sie verstand die verborgenen Glücksmomente, die immer da sind, und an denen andere blind vorübergehen, zu nützen. Zwanzigtausend Pfund waren eine gewaltige Summe; aber hellseherisch wie ein Sonntagskind wußte sie, daß der Einsatz sich verzehnfachen würde, nicht nur in Geld, sondern auch in Ruhm und Ehre, und daß die Gegner in dieselbe Grube fahren würden, die ihr von ihnen gegraben ward.

»Sie schätzen mich zu niedrig ein, mein Herr,« spottete sie, »nennen Sie das Zehnfache, der König wird Sie überbieten! Nennen Sie das Hundertfache, die Freundschaft des Souverän wird mir lieber sein!«

»Verflucht!« Vorbeigelungen! Er knirscht. Zwanzig Männer machen nicht so viel zu schaffen als ein solches Weib! Aber man wird sie klein kriegen. Wäre ja schade um das Sündengeld! Es muß auch ohne gehen. Sobald nur das Beweisnetz geschlossen ist: Hochverrat! Einstweilen kann man sie in Haft behalten. Als zureichenden Grund hat man – eine ganz artige Ohrfeigengeschichte. Einige Leute können von einer weichen kleinen Hand erzählen, die mit elektrisierender Schnellkraft ihre Wange liebkost hatte, so zärtlich und warm, daß ein rotes Brandmal von allerliebsten fünf Fingern auf der geistreichen Backe verblieb ... Ein Veterinär, der Lolas schöne schwarze Dogge schlecht behandelt hatte, ein Packknecht des Ingolstädter Boten, der eigene Hauswirt und Hotelier Havard zum braunen Hirschen, schließlich ein Postbote waren die Betroffenen. Sie hatten es an schuldigem Respekt fehlen lassen, und das südliche Blut war rasch ... Der Postbote war Amtsperson: also lag ein Delikt gegen die Amtsehre vor! Sie zerriß die Vorladung im Zorn: das war Herabwürdigung einer staatlichen Einrichtung ... Der Fallstrick war gedreht.

Die orthodoxen Blätter predigten im Geist ihres Ideennapoleon, des von Heinrich Heine schmeichelhaft ›die tonsurierte Hyäne‹ getauften Joseph von Görres, den Kreuzzug gegen die Tochter Babels, die Demokraten haßten und fürchteten sie als Verkörperung der drohenden Willkürherrschaft im alten Stile der Pompadour, und die freundliche Stimmung, die seit der königlichen Order in der Klosterfrage für sie als die Urheberin der verheißungsvollen Neuerung einsetzte, wich wieder vor der umgreifenden Hysterie des Volkes, die in krankhaft gesteigerte Eifersucht und Wehleidigkeit ausartete.

»So weit ist es schon gekommen, daß eine Fremde ungestraft bayrische Bürger schlagen darf!«

Sie war für alle Parteien ein Stein des Anstoßes. In der einen Hand die Wage, in der anderen das Schwert, zugleich aber eine Binde um die Augen, waltete der Polizeichef seines Amtes als Rächerarm des beleidigten öffentlichen Gewissens. Der aufgespeicherte Unwillen fand in Pechmann eine behördliche Spitze, aus der der schlagende Funke springen mußte.

Aber das Weib war stärker in dem ungleichen Kampf.

»Ohrfeigen?«

Die Grazie war belustigt und dachte an die Heiterkeit des Königs, der jedesmal bis zu Tränen lachte, als sie ihm das eine oder andere derartige Geschichtchen erzählte. Er hatte ihren Mut belobt, und dieser humorlose Patron hier nahm es tragisch! Oh, Geist der Schwere!

Ihr Spott ist unverwüstlich: »Ich habe allerdings so manche Ohrfeige ausgeteilt, aber ich habe kein Tagebuch darüber geführt und habe es auch versäumt, mir eine Quittung über den Empfang geben zu lassen.«

Aber die gestrenge Polizei macht mit Musen und Grazien, als welche sehr liederliche Frauenzimmer sind, kein Federlesen, besonders wenn sie so gassenbübisch frech werden wie diese da:

»Herr Präsident,« höhnte sie, »die Lola Montez hat einen starken Bayer geohrfeigt, sie hat einen starken Bayer geprügelt; die Lola Montez hat einen starken Bayer – gefressen! Was habe ich an Buße zu bezahlen?«

»Geldbuße? Mit nichten!« Der Polizeichef tobte. Riß einen schweren Folianten vom Regal, die Polizeigerichtsordnung vom Jahre 1675, die in Kraft ist und die Weisheit der Vorväter überliefert, schlug eine Stelle auf, die unzweideutig urteilte: »Über die Verbrechen der öffentlichen Gewalttat, Verhöhnung der Staatsgewalt, indirekte hochverräterische Anstiftung zum Aufruhr unter Anwendung mildernder Umstände:

Gefängnis oder Zuchthaus und Landesverweisung! Punktum!«

*

Die heimliche Stimme: niemand wird in der Kirche lärmen wollen oder im Palast gemütlich werden oder schreien; der Plauderton schwingt am besten in der Traulichkeit der vier Wände aus, das überlaute Betragen mahnt an die Schenke, an den Stall, an die Wachtstube und wirkt roh außerhalb solcher Orte.

Der brüske Polizeimensch von Pechmann empfand es mit Unbehagen, aber er konnte den Ton nicht recht finden, den der Genius loci anderswo verlangt; hatte die Vorahnung, es gibt ein Unglück, als er aus seinem Polizeipalast, der doch nur ein finsterer Stall war, in die heiter festlichen Räume der Residenz kam.

Der Monarch ließ ihn zu sich bescheiden, um den Gestrengen über seine Freundin Lola Montez eines Besseren zu belehren. Eine freundliche Nase dem Übereifrigen, das konnte nicht schaden.

»Nun, mein lieber von Pechmann,« begann die huldvolle Ansprache des Königs. Der Polizeidirektor war unruhig, diese Frauenzimmergeschichte ging ihm sehr gegen den Strich, aber das Bewußtsein der erfüllten Amtstreue gab ihm den nötigen Halt. Er blieb frostig, steif, ganz Amtsmensch und taute nicht um einen Grad auf, trotz der Wärme, mit der ihn sein Monarch behandelte.

»Die dumme Geschichte, mein lieber von Pechmann, arge Übereilung, wie! Dame fordert Genugtuung, mit Recht, lieber von Pechmann, mit Recht ...« Bevor er aber noch das Referat Pechmanns anhörte, um es günstiger zu gestalten und die Überweisung an das Stadtgericht zu verhindern, warf er die Frage hin: »Was spricht man denn im Volk, wie?«

Es lag ihm daran, über die öffentliche Stimmung, die seit den letzten Ereignissen starken Schwankungen unterlag, Näheres auch von seinem Beamten zu erfahren. Es ging bunt genug zu: Abel hatte dem ungnädigen Monarchen gekränkten Tones einen Brief geschrieben mit dem Vorhalt, wie oft er sich für seinen König geopfert, nicht am geringsten, um die Erübrigungen für die kostspieligen Kunstbauten zu erwirken; die Gegner Abels hinwiederum in der Abendgesellschaft Lolas bewiesen, wie oft dieser Minister, um sich und seine Freunde zu halten, Gesetz und Recht gebrochen, wie häufig er zum Vorteil einer Partei das Volk verdummt und geknechtet und den Verräter an Deutschland und Bayern gespielt. Das war auch die Meinung in der Öffentlichkeit. Dagegen waren wieder die Orthodoxen auch nicht faul und nützten die Lage auf ihre Art aus. Ein Gezeter erhob sich im Land: der König will sich emanzipieren! In den Beichtstühlen wurde zur Absolution das Gebet auferlegt, Gott möge den König und das Land bald von der Unholdin Lola befreien, die für alles Unglück verantwortlich schien.

Der König wußte um diese Dinge. Und nun auch diese arge Verlegenheit, die dieser hitzige Polizeimensch mit seinem Scheuklappenverstand angerichtet hatte!

Der wollte nun gar nicht recht heraus mit der Sprache, aber Ludwig setzte ihm zu:

»Dem König muß man die Wahrheit sagen; wer ihm nicht die ganze Wahrheit sagt, vergeht sich gegen die Staatsordnung!«

Da gab sich Pechmann einen Ruck, seine innere Erregung löste den Amtszimmerton aus, den er unaufhaltsam abschnarren ließ:

» Majestät! Sie haben die schönste Perle aus Ihrer Krone verloren, die Liebe Ihres Volkes

Der König zuckte unmerklich, lächelte und sprach von scheinbar gleichgültigen Dingen.

»Sie waren in Landshut, ehe ich Sie hierher berief? Ist eine gute Luft in Landshut?«

»O ja, o ja!« Pechmann war ganz perplex. Er hatte es in seiner Treue gut gemeint, aber für den Mann von hartem Schlag hatte Grobheit und Aufrichtigkeit denselben Sinn. Die Sache jedoch war heikel und persönlich und wollte mit feinen, behutsamen Händen angefaßt sein. Und das war just nicht Pechmanns Art.

»So, so,« gab der König trocken zurück, »gehen Sie wieder nach Landshut, wo ja auch gute Luft ist. Also fort, fort!«

*

»Dem König muß man die Wahrheit sagen –«

Daß er nun gehen mußte, das hatte Pechmann davon! Der Sinn in der Geschichte? Er konnte es nicht ergrübeln. Was ist Wahrheit? Jeder sieht sie anders. Für Pechmann war sie eindeutig. Aber alle Eindeutigkeit ist unzulänglich, ist wertlos, ist nicht mehr Wahrheit. Vielleicht war seine Äußerung, die einen persönlichen Tadel gegen den König enthielt, nur eine Dummheit. Aber Amtstreue ist auch auf die Dummheit stolz.

Amtstreue! Damit konnte sich der starrsinnige Pechmann in der guten Luft von Landshut trösten.

Freiherr von Mack, sein Nachfolger in München, nahm noch am selben Tag das Polizeiregiment in die Hand. Das war ein geschmeidiger Mann, der hatte Unterscheidungsvermögen und verstand sich auf den höfischen Ton, ganz anders als der grobkörnige Vorgänger, der mit einem bedauernden Achselzucken abgetan ward: »Guter Kerl, aber schlechter Musikant!«

Das ließ sich nun von Mack nicht sagen, wenn er es auch auf der Amtsstube nicht sparte:

»Thürriegel!«

Der Aktuarius fuhr in die Höhe.

Der neue Herr Präsident wünschte einen Bericht über die Akten der Lola Montez, die inzwischen wieder dicker geworden waren wie ein Schneeball, der bei jeder Umdrehung schwillt.

»Lassen Sie los!«

Der Aktuarius, die Nase auf dem Papier, begann zu leiern: »Verbindung mit Revolutionären, Korrespondenz mit Mazzini, Beziehungen zu Palmerston ... Landesverwiesen ... russischer Polizeiminister – –«

»Mensch!« schnauzte Mack, »was lesen Sie da für einen Quatsch! Sie dichten ja! Werden Sie Possenschreiber, etablieren Sie sich als Genie, wenn Sie nichts Besseres fertig bringen als solchen Unsinn!«

»Polizeiliche Informationen, Herr Präsident!« wagte Thürriegel einzuwenden.

»Spitzelweisheit, unsaubere Angeberei, Zeitungsgewäsch! Das nennen Sie Information! Wir schreiben hier keine Hintertreppenromane! Seien Sie vorsichtig mit dem, was man Information nennt, mein Lieber, Sie tragen die Verantwortung ...«

Der Aktuarius erschrak, daß ihm der Gänsekiel vom Ohr fiel.

»Sie tragen die Verantwortung für jeden Fehlgriff, also sehen Sie sich vor!« sagte nochmals der schneidige Mack mit scharfer Betonung. »Beweisbare Tatsachen, mein Bester; keine Phantasien! Wenn Sie durchaus den Pegasus reiten wollen, dann gehen Sie unter die Dachstubendichter und Hungerleider, Sie – – Sie Poet!«

Das Schriftenbündel verschwand auf Nimmerwiedersehen in dem Aktenverließ des grauen Hauses.

Der Zwischenfall Montez war glatt erledigt.

*

Zwanzigtausend Pfund, eine fürstliche Summe!

Der König aber überbot sie um das Vielfache, der Knicker!

Zunächst eine kleine Gabe auf den Opfertisch der Liebe: ein silbernes Tafelservice, durch den Finanzminister Grafen von Seinsheim zu überreichen. Das war ein Kumpan aus der fröhlichen Tafelrunde bei Don Raffaele Anglada an der Ripa grande zu Rom, ein Freund aus der kronprinzlichen Zeit, der ebenfalls revolutionäre Rosinen im Kopf trug, ganz wie sein erlauchter Herr. Aber die Zeiten hatten sich geändert, die Revolutionäre von damals waren die starren Orthodoxen von heute, Konservative und Ultramontane, wobei ja der König seinen Jugendfreunden, die durch ihn groß und einflußreich wurden, mit dem Beispiel voranging.

Aber die neue Schwenkung Ludwigs machten sie nicht mehr mit. Keiner der alten Freunde folgte ihm auf den Weg, den der König jetzt allein ging.

Zur Lola Montez? Dieser verworfenen Person, die das Herz des Königs verdarb, die Freunde verlästerte, die Politik verwirrte, das Volk beunruhigte? Dieser blutsaugende Vampir, der das Land bedrückte? Er, der Finanzminister des Landes, sollte – – –? Es war der fürchterlichste Hohn, ihn und seine Partei zu dieser Huldigung zwingen zu wollen.

»Niemals!« Er bat den König, diese Mission ablehnen zu dürfen. Es gäbe Berufenere für diesen Zweck.

Was zur Folge hatte, daß der König nun erst recht auf seinem Willen bestand, wie immer, wenn ihn ein Widerspruch mißtrauisch machte oder seinen Eigensinn stärkte.

»Ich begreife, Graf Seinsheim, daß es für einen Finanzminister beschämend ist, ein so geringfügiges Geschenk zu überbringen,« sagte der König sarkastisch; »ich will Ihnen die Aufgabe erleichtern und füge ein zweites Geschenk bei, eine Equipage mit zwei Rappen, die ich für die Sennora bereits bestimmt hatte. Sie können beides in meinem Namen überreichen.«

Neue milde Gabe auf dem Opfertisch der Liebe.

Der Finanzminister wurde ängstlich, daß bei längerer Weigerung die Verschwendungssucht und Schenkwut des Königs sich ins Unmeßbare steigern könne. Das Gespenst eines Staatsbankrotts tauchte drohend am Ende dieser Wirtschaft auf.

Er ließ durchblicken, daß das Geld, wenn es schon hinausgeworfen werden sollte, besser den Armen zustatten käme in diesen schweren Zeiten.

Der König parierte gar fein, indem er seine Antwort in eine Legende kleidete:

»Ein Weib wollte Jesus mit kostbarem Nardenwasser salben. Die Juden, die es sahen, wurden unwillig und meinten, es sei Verschwendung und besser, man würde das Nardenwasser verkaufen und den Erlös den Armen geben. Darauf Jesus erwiderte: ›Arme habt ihr allezeit, mich aber habt ihr nicht allezeit.‹ Seid Ihr's zufrieden, Graf Seinsheim?«

Der einstige Jugendfreund wehrte sich mit schwächerem Widerstand.

»Der König befiehlt es!« Das war jetzt der absolute Souverän.

Seinsheim verbeugte sich und gehorchte.

*

Ein drittes Scherflein auf den Opfertisch der Liebe. Nicht mehr und nicht weniger als ein kleines Palais in der Barerstraße. Eduard Metzger, als Nachfolger Gärtners der Vollender des Siegestores, sollte es bauen.

Sahen die Feinde Lolas noch immer nicht, daß sie um so höher stieg, je tiefer der Sturz sein sollte, den sie ihr bereiten wollten? Sie halfen an ihrer Erhöhung, indem sie an ihrer Erniedrigung arbeiteten. Die Liebe des Königs verwandelte jeden Schimpf und jede Schmach in einen neuen Triumph. Ein Ringen hatte begonnen, ein heißer Wettstreit zwischen dem Haß und der Huld, aber die Huld war die Größere. Sie siegte – indes gab jeder Sieg dem Haß neue Nahrung und neue Kraft. Einstweilen aber hatte er das Nachsehen.

Lola Montez hatte nach dem Streitfall mit Havard, der offenbar dem Einfluß der feindseligen Stimmung gehorcht hatte und dadurch wider Willen als Hebel an Lolas Erhöhung mitwirkte, ihre Hotelwohnung aufgegeben und ein Privathaus in der Theresienstraße bis zu dem nahen Zeitpunkt gemietet, da sie ihr eigenes Palais beziehen konnte, das in der damals halbländlichen Barerstraße und in dem Weihebezirk der Pinakotheken rasch emporschoß: ein Tempel der Liebe auf attischem Felde.

Ein neues, fröhliches Treiben, bei dem Kunst nicht fehlen durfte. Metzger baute, Stieler malte, der König schlug die Leyer. Was der König sang, hatte Stieler in dem Bildnis Lolas, das die Schönheitsgalerie krönen sollte, verwirklicht. Da war die »feuchte Glut im Gazellenauge«, »die süßen Flammen von Rosen und Rubinen, die auf den Wangen glühten«, man sah in schwarzen Wogen »das seidenweiche Haar mit dem Glanzgefieder des Raben wetteifern«, auf einem schlanken Hals »weiß wie Schwanenflaum« das blumenhaft schöne Antlitz, bei dessen Anblick es Ludwig »zaub'risch in sich tagen fühlte«.

Doch – war es die Schwäche des Pinsels? – der König fand, daß das Bild weit hinter der Wahrheit zurückblieb.

Schon am anderen Tage rief der König dem Künstler über die Straße zu:

»Stieler, Euer Pinsel wird alt!«

Eine königliche Kritik! Die samtene Amazonentracht war ja ganz schön; aber warum ging der Künstler dem Nackten aus dem Wege? Der Griechensinn des Teutschen erhob diesen Tadel.

Ein junger Bildhauer verstand es besser, indem er Lolas Fuß, der das ganze Wundergebäude ihres Leibes, diese Meisterschöpfung der Natur trug, bis zum Ansatz der zierlichen in sphärischer Kurve ausschwingenden Wade modellierte. Voll Andacht stand der König vor dem Werk, einem Fragment, das gleichwohl schon die platonische Idee des vollendeten Körpers enthielt oder seine Suggestion gab, und immer wiederholte er:

»Ja, ja, die besten Künstler leben im Verborgenen!«

Seine Betrachtung wurde abgelenkt; die Türen eines Schrankes standen offen, zwei Dolche lagen in dem Fach.

»Was soll das?« Sein fragender Blick ging auf Lola.

Sie verstand es, den Zufall so zu wenden, daß er einer Bestimmung glich und einen geheimen Sinn zu enthüllen schien.

»Der eine für mich und der andere für dich, Ludwig,« folgte sie entschlossen ihrer Eingebung, »wenn du mich verläßt!«

»Lukrezia!« rief der König und war entzückt über seinen Einfall, »so hätte dich der Stieler malen sollen: als Lukrezia, den Dolch gegen die offene Brust gezückt – – – e nel ben sen per entro un mar di latte tremolando nutar due pome intatte – –«

Der König liebte die Kunst, die mit überlieferten Vorstellungen arbeitete.

Eine neue Lukrezia – mit Dolch – den Busen enthüllt – ein Milchmeer, darin zitternd schwimmen – – – welch eine Aufgabe für einen Künstler! Dachte es und bedauerte:

»Schade, sein Pinsel war leider zu alt dazu –«

Was Stielers ohnmächtiger Pinsel nicht vermochte, versuchte als Dichter des Königs Baumeister Eduard Metzger, der es seinem Herrn gleichtat und in Liebesnöten die Leser rührte, Lolitas Busen zu besingen. So groß war die Macht der Circe, daß alle ihrem Zauber erlagen, die nicht mit Haß gewappnet waren und ihre Nähe mieden. Er teilte das Schicksal der Gefährten des Odysseus und pries sein jämmerliches Glück in jämmerlichen Versen:

»Lolita sing' ich jetzt, dank' dies dem Sterne,
Der mich berief, zu bauen ihr ein Haus ...«


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