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VIII.

Saal des Verrats in der Residenz.

Farbengewitter an den Wänden. Wild bewegte Leiber, Helden, Frauen, Volk in Schnorr von Karolsfelds romantischen Fresken, theatralische Pose, große Oper. Hagen erschlägt Siegfried. Kriemhilde am Frühgang zur Messe erblickt den toten Körper, den Hagen gebracht und vor die Kemenate geworfen hat. Herbeistürzende Fackelträger, Aufruhr; im Hintergrund der Dom. Kriemhildens Schmerz; sie gelobt Rache. Der Streit der Königinnen: »Es soll vor Königs Weibe die Eigen-Holdin nimmer gehen!«

In der Mitte des Saales ein Tisch mit einem Stoß Zeitungen darauf, prächtige Stühle herum, reich geschnitzt, viel Weiß und Gold, kardinalroter Damast. Ein Konzilium fand statt. In einem breiten Armsessel die stattliche Königin Therese, erregt, mit roten Flecken im Gesicht; ihr gegenüber der neuernannte Erzbischof von Breslau, Diepenbrock; hinter ihr stehend ein hagerer Schatten, der Beichtvater Hilarius mit brennenden Augen in dem süßlich lächelnden aschfarbigen Gesicht; an der Breitseite des Tisches des Königs Schwester Erzherzogin Sophie, die aus den Zeitungen vorliest:

»Sammelt euch zum Kreuzzug gegen die Götzendiener der gottleugnenden Vernunft und Sendboten der Fleischbefreiung und ihres orgiastischen Kultus ...«

Sie las immer nur einen Satz oder eine Zeile und nahm dann ein anderes Blatt.

»Die Pompadour, die den königlichen Freund am Gängelband führt ...«

»... Als Herostrat, der die Brandfackel in das Staatsgebäude schleudert ...«

»Die Tochter Babels, die Bayern den Becher der Wollust kredenzt ...«

»Lola, die in Feigenblätter eingehüllt, von dem Wirt ›Zum heiligen Ludwig‹ in Sevilla vor seiner Posada gefunden wird ...«

»Genug, genug!« winkte die Königin ab und hielt die Hände an die Ohren. »Ich will gar nicht wissen, was in den Zeitungen steht. Ist das nicht schon Revolution, wenn das Königshaus ungestraft geschmäht werden darf?«

Sophie hatte die Zeitungen hingeworfen.

»Nein, nicht Revolution, da sei der liebe Himmel davor!« beruhigte der Bischof, indem er die Arme erhob, als sollte er eine Volksmenge segnen. »Nicht Revolution, nur die gekränkte Liebe der Untertanen, das beleidigte Gewissen, die empörte Sittlichkeit!«

»Der Skandal ist schon in allen Gassen laut,« setzte Sophie resolut ein; »die Person muß expediert werden, damit Ruhe im Haus wird. Bei solchen Kreaturen helfen nur zwei Mittel: Geld und Gewalt! In der einen Hand den Zucker, in der anderen die Peitsche. Zwanzigtausend Pfund ist eine schöne Summe; um den Preis haben wir sie los. Ich bringe das Opfer für meinen Bruder, fürs Land, nun ja, für euch alle ...«

»Du warst ja immer eine gute Seele, Sophie,« tat die Königin gerührt, »aber glaubst du denn, daß das hilft?«

Auch der Bischof tat ungläubig.

»Der Polizeipräsident, dem ich die Sache übertragen werde, wird für den gehörigen Nachdruck schon sorgen. Zucker und Peitsche – ah, da ist er ja, mein lieber Herr von Pechmann – ich habe den Polizeipräsidenten herbestellt – – nehmen Sie doch Platz! Was bringen Sie also Neues in der Sache? Die Nachforschungen haben doch viel interessantes Material ergeben?!«

Umständliche tiefe Verbeugungen, etwas linkisch provinzial, dann nahm der Polizeichef Platz. Sein breites Gesicht war fast ins Quadrat gezogen. Die angespannten Muskeln verrieten viel Energie; ein braves Sergeantengesicht konnte nicht weniger Ehrlichkeit und bärbeißige Beschränktheit ausdrücken. Er zog ein Aktenbündel hervor und begann den Polizeirapport mit etwas eintönig schnarrender Stimme vorzulesen:

»Es ist festgestellt, daß die Sennora Lola Montez, Künstlerin aus Paris, Verbindungen unterhält mit den revolutionären und republikanischen Führern, die von London aus ihre europäische Propaganda betreiben. So soll sie vor allem mit Mazzini eine Korrespondenz geführt haben. Ihre früheren Beziehungen zu Lord Palmerston sind aus gleichen Gründen verdächtig. In Petersburg ließ sie der Polizeiminister Graf Benkendorff ausweisen und verhütete damit, daß sie sich weder dem Kaiser noch dem Großfürsten näherte. Eine charakteristische Äußerung des englischen Gesandten in München wurde kürzlich aufgefangen, der sagte: In zwei Jahren sitzt kein deutscher Fürst mehr auf dem Thron. Das ist eine Anspielung und ein Hinweis auf die Werkzeuge des Umsturzes, zu denen Buhlerinnen gehören, die den Taumelkelch dem Fürsten von Gottes Gnaden reichen sollen. Wenn auch das Beweismaterial keineswegs lückenlos ist, so enthalten die umlaufenden Gerüchte und die sonstigen Anhaltspunkte Fingerzeige genug usw., usw.«

»Ach, das ist ja fürchterlich, das ist ja fürchterlich!« entsetzte sich die Königin.

»Ja, da wäre es doch am einfachsten und am sichersten, Sie schaffen die Frauensperson ohne viel Federlesens über die Grenze,« entschied die tatkräftige Sophie.

»Verzeihung, Hoheit,« erlaubte sich der Polizeichef, »Seine Majestät ... es fehlen die wichtigsten Beweisstücke, die ich dann zur Rechenschaft brauchte, zur Deckung meiner Verantwortlichkeit ...«

Er fürchtete die Ungnade, das Risiko war zu groß, und gegen den König etwas zu unternehmen, widersprach seiner Geradheit.

Sophie setzte zu: zuerst das Geld, und wenn ihr Appetit gereizt, dann solle er zupacken, das übrige würde schon der Hof besorgen, und die Anerkennung für die patriotische Tat würde nicht ausbleiben.

Alles schmeichelhafte Zureden half indessen nicht viel, außer daß er doppelte Wachsamkeit und Strenge gegen die übermütige Ausländerin versprach, was ihm ja selbst am Herzen lag; denn der Tratsch schoß immer üppiger ins Kraut und erzeugte ebenso fanatische Bewunderung, als er fanatischen Haß erweckte. So erwuchsen der Geschmähten auch Verteidiger, und bald gab's in allen Familien Streit und Spaltung.

»Wenn's so weiter geht, kommt's noch zu einer Weiberrevolte,« meinte schließlich der Polizeichef, »und schon deswegen muß das Unkraut ausgejätet werden.«

»Na, es ist doch am besten, ich rede dem König selber ins Gewissen,« meinte der Bauernbischof und reckte sich auf. »Das mahnende Wort der Kirche ist bei unserem Landesherrn immer noch auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Die Prüfung wird vorübergehen, und eine neue Zeit des religiösen Lebens wird anbrechen. Es ist zu viel Kampf, zu viel äußere Geschäftigkeit, zu viel Kriegslage; jeder ficht für den heiligen Opferherd, aber das Feuer auf ihm brennt düster und qualmig ...«

Der Friedensapostel wurde plötzlich selbst ganz kriegerisch und kampflustig. Wild fuhr es aus ihm heraus:

»Aber hab' ich erst einmal den König so weit, dann, lieber von Pechmann, raus mit dem Mensch!«

*

Hatschiere in weißen Röcken, schwarz lackierten Kanonenstiefeln, silbernen Helmen mit weißen nickenden Roßschweifen. Grenadiermaß. Blitzende Hellebarden. Ein Nicken, Strammstehen, Salutieren. Seine Eminenz der hochwürdigste Herr Bischof kommt, wandelt durch die marmorne Pracht des Festsaalbaues. Will geradeswegs zum König. Hier lebt klassischer Geist, Ludwigs Geist, seine Griechenideale in Stein gemeißelt. Säulen und Kuppeln. Warm getönter farbiger Marmor, und wo die schmucksteinhafte Fläche aufhört, dort setzt die Malerei ein und gibt den Gewölben und Zirkeln künstlerisches Leben. Die Leibgardisten, obzwar statuenhaft unbeweglich, gleichen jetzt ein wenig den Maskenstöcken eines historischen Museums. Dann aber zwei griechische Idealfiguren aus Bronze, Girandolenträgerinnen links und rechts einer gemeißelten Pforte gegenüber der spiegelnden Marmortreppe. Hier biegt der würdige Bischof ein. Erster Empfangssaal weiß in weiß mit Reliefschmuck wie Biskuit, vornehm, ein wenig frostig, Klassizismus, strenger Stil. Zweiter Empfangssaal pompejanisch mit der Auffassung des Jahrhundertanfangs. Viel Ziererei in dem schönen Ebenmaß des Raums. Der Mann Gottes hält sich immer geradeaus.

Aber halt!

»Bedauere, Eminenz, kann Sie nicht vorlassen. Jemand geht bevor.«

Der Offizier vertritt ihm den Weg.

»Was? Wer könnte bevorgehen, wenn der Bischof kommt?«

Der Offizier zuckt die Achseln: »Privataudienz!«

Ärgerlich: »Wer denn eigentlich?«

Der Offizier neigt sich zu ihm und flüstert ihm etwas ins Ohr.

»Pfui Teufel!« spuckt der heilige Mann aus und bekreuzt sich sofort, indem er wie zur Beschwörung den Allmächtigen anruft.

»Melden Sie mich sofort!«

»Geht nicht, strenger Befehl!«

»Verflucht!« und klopft sich schon aufs Maul, »wollte sagen, Gott verzeih mir diese Sünd' ...«

*

Privataudienz. Begonnen im Staatsratzimmer und beendet im sogenannten Herzkabinett, das zu den Gemächern des alten Baues gehörte.

»Wie schön!« sagte Lola kindlich fromm zu ihrem königlichen Begleiter auf dieser Wanderung durch eine Reihe von Sälen und Zimmern und blieb verwundert stehen, sich alles genau zu betrachten.

»Dieses Spiel mit Herzen!«

So bunt und lustig wie auf einem Spiel Karten, wo es die Herzen nur so herumwirbelt. So hatte »die weiland durchlauchtigste Adelheid von Savoyen mit verschiedenen Zeichen der hertzlichen Liebs-Regungen das Gemach erleuchtet und dadurch auch ihrem durchlauchtigsten Gemahl Kurfürsten Ferdinand Maria dero haiß angeflammte Affektion bezeugt«. Zwischen goldenen Barockschnörkeln trieben mutwillige Amorln allerlei Schabernack mit roten Herzen, entflammten, gefesselten, pfeildurchbohrten, einsam schwirrenden Herzen, überflüssigerweise zu zeigen, daß nichts auf der Welt so leicht Unfällen und Attacken ausgesetzt ist als eben das Herz. Da wirft einer dieser Knaben sein Herz einem Löwen zum Fraß hin, ein anderer zieht das seine aus einem Brunnen heraus; auf dem Fries stickt die schöne Kurfürstin Adelheid einen ›Herzteppich‹, während ihre Töchter es ebenfalls sehr heftig mit Herzangelegenheiten zu tun haben. Sie baden ein Herz in Tränen, krönen es mit Dornen, spießen und zerhämmern es. Städtebilder mit Liebesszenen an allen Wänden. Es war danach angetan, Lola zu entzücken, die sich in diesem Gemach wie in einem Spiegel sah. Sie hatte mit Herzen gespielt wie mit Karten; aber den Herzkönig behielt sie als Trumpf.

Nachdem sie alles sattsam betrachtet, führte sie das unterbrochene Gespräch weiter.

»Es ist Heuchelei!« rief sie entrüstet, indem die Augen wie große blaue Falter um sich schlugen, »wenn sie vorgeben, der Kunst zu dienen. Nie hat die Kirche das Göttliche in der Kunst anerkannt, es sei denn, daß dieses Göttliche zugleich auch das Kirchliche war. Nie hat sie die Kunst gefördert, außer wenn sie sich ihrer als eines prunkenden Gewandes bedienen durfte, sondern sich selbst hat sie gefördert, und eine Kunst galt nicht in ihren Augen, wenn sie einen eigenen Sinn besaß. Es ist eigentlich ein Widerspruch, in Wahrheit der Kirche und zugleich der Kunst angehören zu wollen. Haben die Ultramontanen nicht bereits einen Sturm erregt gegen die Kunstbauten Euerer Majestät, weil angeblich noch immer zu wenig Kirchen und Klöster im Lande seien? Und ist das Verhältnis der Kirche zum Königtum nicht ganz ähnlich wie zur Kunst? Sie behauptet zwar, die stärkste und verläßlichste Stütze des Throns zu sein, aber sie ist es nur solange, als ihre eigene Macht dadurch gefördert wird. Nur scheinbar befestigt sie, zugleich aber ist sie destruktiv, antinational und antipatriotisch, indem sie sich zwischen Volk und König als Keil eindrängt, um von Rom aus die Geschicke der Staaten und Völker zu leiten. Und wenn nun nicht alles nach Wunsch geht, ist sie unbedenklich genug, das Volk gegen die Majestät des Königs aufzuwiegeln, wie sie es jetzt in versteckten, gehässigen und boshaften Angriffen durch die Blätter tut. Das ist die wahre Gesinnung dieser Stütze der Throne! Wie die Schlingpflanze den Stamm erdrückt, an dem sie emporklettert, so will sie den Thron, den sie zu stützen vorgibt, umklammern und überwuchern. Es gibt noch stärkere Beweise dieser Gesinnung! Der Wille der Kirche soll über dem Willen des Königs stehen, das Konkordat über der Verfassung.« Und sie erzählte, was sie von Berks wußte. »Liebe und Dankbarkeit bestimmen mich, meinem König dieses zu sagen.«

Der König war erstaunt, erschreckt, gerührt und aufgebracht zugleich. »Ja, aber woher wissen Sie das alles, Sie seltsames Wesen?«

»Als ich hierher kam, und als Sire der Verfolgten und Weltflüchtigen eine Zuflucht boten, wußte ich nichts von Politik,« tat sie wieder unschuldig wie eine Schäferin. »Ich hörte nur Worte wie Konkordat, Ultramontanismus usw., aber ich begriff ihren Sinn nicht und fand sie nur häßlich und langweilig. Aber allmählich drängte sich die Bedeutung dieser Worte auf, man konnte ihnen gar nicht entgehen; sie waren immer da und brachten andere Worte mit sich, eine streitsüchtige Bande, einen ganzen Rattenkönig, der auseinander und gegeneinander will und unlösbar verwirrt und verknotet ist. So habe ich's gelernt, besonders aber, nachdem ich einen Blick in die Laboratorien der Politik werfen durfte, wo das Tränklein gegen die Übel der Zeit gebraut werden soll. Aber fragen Sie nicht mich, Sire, die mit ihrem Sprüchlein zu Ende ist; fragen Sie jene, die den Hexenkessel rühren, fragen Sie die Staatsräte von Maurer, Berks, Männer von treuer unparteiischer Gesinnung, doch fragen Sie nicht Ihre Minister – diese Minister sind falsch! Diese Minister – – – –«

»Ich weiß es wohl,« sagte der König bekümmert und in tiefem Nachdenken, »mit dem Abel geht's halt nicht mehr!«

*

Am nächsten Tag hatte der König den Schachzug des Ministers durch einen unerwarteten Gegenzug erwidert, der die Position der Gegenspieler erschütterte. Der Staatsanzeiger brachte die königliche Order vom 15. Dezember 1846, wonach dem Minister des Innern von Abel die Angelegenheiten für Kultus und Unterricht entzogen und der ministeriellen Leitung des freier denkenden Freiherrn von Schrenk unterstellt wurden.

Somit war die Klosterfrage gefallen. Der König hatte mit unerwarteter Entschlossenheit und Selbstständigkeit gegen seinen allmächtigen Minister gehandelt und einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Der Liberalismus jener Tage konnte einen Sieg verzeichnen, um den er nicht gekämpft hatte. Mühelos eingeheimst wie ein Geschenk, das vom Himmel gefallen war. Die Verblüffung darüber war bei den Freunden fast noch größer als bei den Feinden. Verständnislos sah man sich an, Haß auf der einen Seite, Mißtrauen auf der anderen vereinigten sich gegen die mutmaßliche Urheberin dieser Neuerung:

»Wem verdanken wir dieses Medeengeschenk?«

*

Der zähe Diepenbrock wollte das gottgefällige Friedenswerk vollenden, ehe er seine Münchner Diözese für immer mit dem Breslauer Bistum vertauschte. Große politische Interessen hingen von dem Erfolg seiner Unterredung mit dem König ab.

Es war in einem der großen Säle des Festsaalflügels, den Ludwig erbauen und mit riesigen Geschichtsillustrationen schmücken ließ. Die bedeutenden historischen Momente aus dem Leben deutscher Herrscher wie Karl des Großen, Friedrichs Barbarossa und Rudolfs von Habsburg waren in Freskengemälden festgehalten, die kolorierten Bilderbogen glichen. Brav in der Zeichnung, aber ohne Kraft und Wärme, ein hohles Pathos, eine große tönende Phrase, erinnern sie nur von ferne an die lebendige sprühende Kunst eines Pinturicchio und anderer großer Italiener der Renaissance; doch waren sie nachsichtig anzusehen als Werke der Sehnsucht, Künstlersehnsucht, die es immer nach Italien zog gleich jenen Kaisern, von denen diese Wände erzählen, und gleich Ludwig, der sie schaffen ließ. Epigonenkunst, blutarm, kraftlos, bläßlich wie der nordisches Himmel im Vergleich zu dem leuchtenden Blau des Südens. Rhetorik, die bloß das Hirn beschäftigt, aber nicht imstande ist, das Gefühl emporzureißen. Allerdings jene, die solches schufen, der König und seine Künstler, waren mit dem Herzen dabei und sahen mit den Augen der Liebe darauf, sie sahen sich selbst in der Größenhaftigkeit dieser Bilder. Das Pathos war das ihrige.

Karl wird zum Frankenkönig durch den Papst gesalbt. Durch ein Siegestor zieht der Frankenkönig in Pavia ein, ein Siegestor, wie es Ludwig in München errichten ließ. Auf dem Konzil zu Frankfurt sind die Kirchenfürsten Karls Ratgeber. Endlich krönt ihn der Papst zum Deutschen Kaiser. Das wirkt ungeheuer erhebend auf Ludwigs Gemüt, der sich diesen großen Augenblicken innerlich so verwandt fühlt. War er nicht selbst in Deutschland als der Schirmherr der Kirche angesehen wie einst der große Karl? Ruhten nicht die größten Hoffnungen auf ihm, der Deutschlands Zukunft zu verkörpern schien? Und gingen nicht schon die Gerüchte um, daß der Papst ihm eine stolzere Krone aufs Haupt setzen werde, eine solche wie sie einst Karolus Magnus empfangen hatte? Oder wie sie Friedrich empfing, der in Frankfurt zum Deutschen Kaiser ausgerufen wird, in demselben Frankfurt, wo abermals die deutsche Kaiserkrone zu vergeben war, am Ausgang des Vormärzen, als die Bundesversammlung dort tagte? War in diesen Wandbildern nicht die Kraft eines Gleichnisses, das die Zukunft im Spiegel der Vergangenheit zeigte? Bis vor kurzer Zeit noch schien die allgemeine Stimmung Ludwig das Recht zu geben, in der Darstellung Karl des Großen sich selbst zu sehen, kniend vor dem Papst, wie es bisher Könige und Kaiser tun mußten als Symbol, daß ihr Weltregiment von Gottes Gnaden sei. Schon lange besaß nicht mehr Österreich, sondern Bayern die Hegemonie in Deutschland, und die Deutschen blickten auf Ludwig I.

Aber das Leben machte ein Farce aus der Haupt- und Staatsaktion. Ein Teufelsweib hat den Plan der Geschichte gekreuzt und des Königs Sinn gewendet. Jetzt heißt's zu retten, was zu retten ist, und den Teufel auszutreiben, wenn jene stolzere Krone, annoch unsichtbar, sich wirklich auf dieses königliche Haupt herabsenken soll. Eben ist ein heiliger Bischofsmann im Begriff, den König tüchtig abzukanzeln. Dies ist das wirkliche Leben, das andere einstweilen noch Hirngespinst, Künstlerphantasie, geschichtliche Reproduktion, bloßer Traum.

»Es betrübt mich, Majestät auf einem Weg zu sehen, auf dem nach den Worten Salomonis XXX/3 Könige sich verderben,« begann der heilige Mann seine Strafpredigt und ließ wie ein polternder Dorfpfarrer eine heftige Kapuzinade gegen die Unzucht und Wollust los. Sein Bannstrahl war gegen die schöne Buhlerin gerichtet, dabei bekam der König auch hin und wieder eins ab. Könige müssen auf sich achten, weil sie den Blicken des Volkes ausgesetzt seien, dem sie ein gutes Beispiel geben sollen. Die Sittenlosigkeit nehme ohnehin erschreckend überhand. Mit Kreuz- und Querfragen, einem richtigen Beichtstuhlverhör, gedachte er das Sündenkind zur strengen Gewissenserforschung und Buße hinzuführen.

Aber der König schnitt alle Fragen kurz mit einer Gegenfrage ab:

»Sagen Sie mir zuerst, wie es kommt, daß die Blätter kirchlicher Observanz sich einen erstaunlich ungeziemenden Ton gegen den König und gegen die Personen, die er mit seiner Freundschaft auszeichnet, herausnehmen? Wie rechtfertigen Sie es, daß diese verletzenden Ausfälle gegen die geheiligte Person der Majestät in Ihren Parteiorganen geduldet werden, obgleich strenge Zensurvorschriften bestehen, die zu meinem Befremden gerade von der ultramontanen Presse mißachtet werden – von jener Seite, Eminenz, die sich auf ihre unwandelbare Untertanentreue beruft?«

»Die allgemeine Aufregung, die erschreckenden Zustände im Lande ...« Der Bischof schnappte nach Worten. Was eigentlich nur Tratsch war, erschien nun aufgebauscht als tiefgehende Gärung, als drohende Unruhe, die kaum mehr im Zaum zu halten sei.

So sorgte der blinde Eifer jener, die es mit ihrem Fürsten immerhin gut meinten, dafür, daß des Königs Mißtrauen neue Nahrung bekam.

»Haben Sie es alle nicht selbst vor kurzem anerkannt und laut gepriesen, daß Bayern ein Eldorado des Glücks und der Zufriedenheit ist? Überlassen Sie mir die Sorge und seien Sie getrost: solange Ludwig lebt, wird Bayern dieses Eldorado bleiben.«

So stritten sie mit manchem harten Wort.

Seine Beziehungen zu Lola berührend, betonte der König, daß er weder einer Ermahnung noch einer Zurechtweisung bedürfe. Als König habe er übrigens das Recht, wie jeder Privatmann seine Unterhaltung dort zu suchen, wo es ihm gefiele; in der Aufwallung setzte er hinzu: »Und überdies, wir lieben uns schuldlos, und das ist genug!«

Damit aber war der Bischof nicht abzuschütteln. Der hatte sich in seine Mission verbohrt, ließ den Erlaß und politische Dinge ziemlich unberührt und stürmte mit der ganzen Wucht seines heiligen Eifers gegen den Erbfeind, der schon vom Paradiese her die Wurzel alles Bösen war.

Das war freilich ein verfehltes Beginnen. Es stärkte nur den Widerstand des Königs.

»Vergönnt mir doch, wieder ein Mensch zu sein!«

Ludwig, der jeden Widersacher seines Lieblings als persönlichen Feind betrachtete, fand für seinen ehemaligen Vertrauten ziemlich harte, abweisende Worte. Der Abschied war nicht so, wie der Bischof es gehofft hatte. Ludwig tat es wieder leid, er glaubte den Gottesmann zu beruhigen, indem er sich auf Heinrich IV. berief, der, wegen seines Verhältnisses zur Gabriele d'Estrée getadelt, gesagt haben soll:

»Nie hat das Vergnügen eine solche Gewalt über mich ausgeübt, daß ich die rechte Zeit zu nötigen Dingen darüber versäumt hätte. Heute im Krieg, morgen auf der Jagd – und habe ich die Nacht in den Armen der Liebe verloren, so findet mich der Morgen doch an der Spitze meines Heeres, bei den Geschäften, oft in Gefahr. Wenn der Bogen auch in Ruhe ist, verliert er doch darum seine Stärke nicht.«

Graf Reisach, der Oberhirt von München und Nachfolger Diepenbrocks, wollte seinem Amtsbruder zu Hilfe kommen, um das schier mißlungene Werk der Seelenrettung aus eigenem zu vollbringen. Aber damit kam er beim König gar schlecht weg.

»Bleiben Sie bei Ihrer Stola und ich bei meiner Lola!«

Gelinder wogten Unwillen und Schmerz des Königs, um in poetischer Klage auszuströmen:

»Gestattet, daß ich von dem Lebensbaume
Zuweilen doch ein einz'ges Blättchen pflücke,
Mich wieder wende zu dem früh'ren Glücke,
Oh! wecket mich nicht aus dem flücht'gen Traume,
Mißgönnt mir nicht die kurze freie Stunde,
... etc.«

*

Es konnte also nicht ausbleiben, daß der König wegen dieser Frau sich von den Männern abwendete, die früher sein Vertrauen hatten.

Diese Zeit am Ausgang des Jahres 1846 und die weitere Entwicklung der Dinge lieferten den Beweis, daß über die Lola wirklich mehr als einer den Kopf verloren hatten. Sie stritten gegen das Schicksal, das sich dennoch erfüllen mußte, indem sie gegen dieses Weib kämpften, das anscheinend bestimmt war, die Weltuhr zu regulieren. Denn ohne sie hätte das Antlitz der deutschen Erde ein anderes Gesicht. Zu deutlich sah der Augurenblick schon die deutsche Kaiserkrone über dem Hause Wittelsbach schweben, nie wäre sie den Hohenzollern zugefallen. Ludwig, der kommende Reichsverweser, von da nur noch ein kleiner Schritt – er hätte ihn getan, es schien ihm bestimmt. Aber da kam das Unvorhergesehene: Ludwig hatte sich mit der Kirche überworfen, das Weib wirkte als blinder Hebel des Schicksals – und an dem Tag dieser Unterredung hatte sich das Blatt schon gewendet.


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