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XV.

Das Ministerium der Morgenröte.

Befreiung vom Ultramontanismus war der Grundcharakter der Reformen.

Ältere Verordnungen wurden aufs neue eingeschärft, die das Nonnenwesen betreffen und für die Ablegung des Gelübdes ein reiferes Alter vorschreiben. Die Missionen wurden unterdrückt, die Kanzelberedsamkeit überwacht und den Priestern verboten, sich mit Politik zu beschäftigen nach den Worten des Herrn:

»Mein Reich ist nicht von dieser Welt!«

Dagegen erhoben die klerikalen Organe die heftigsten Anklagen gegen die Regierung.

Schürten und schürten.

Und lästerten über das »Wiederauftauchen des Prinzips der alten Majestätsrechte, dieser Häresie der letzten Jahrhunderte, an der Fürsten und Völker sich berauschten –«

Und verbündeten sich mit dem rohen und plumpen Radikalismus der dreißiger Jahre, der den Volksmann Behr zum Frankenkönig erheben wollte. So geschehen während der Unruhen in der Pfalz und in Franken in der Vor-Abelschen Zeit unter Wallersteins freisinnigem Regime ... Die Führer der damaligen Bewegung, Behr und Eisenmann, schmachteten seither in Kerkerhaft in Passau. Maurer erkannte, daß die politische Entwicklung über jedes System, das sich den Forderungen der Zeit widersetzte, hinweggehen würde: seine erste Regierungshandlung war die Befreiung der Volksmänner Behr und Eisenmann. Die jubelnde Begrüßung des Königs in der Pfalz und in Franken auf der Badereise nach Brückenau hing mit dieser Begnadigung zusammen. Kaum waren Behr und Eisenmann aus ihrer Haft entlassen, so setzten sie ihre politische Wirksamkeit wieder ein und verkündeten: »Der König von Bayern ist berufen, an der Spitze der freisinnigen Bewegung in Teutschland zu stehen, um ein einiges starkes Teutschland gründen zu helfen.«

»Ich war,« erklärte Eisenmann, »und bleibe aus Gefühl und Überzeugung ein treuer Anhänger der konstitutionellen Monarchie mit allen ihren Konsequenzen.«

Ton, Sprache und Gesinnung hatte sich geändert, obgleich derselbe Gedanke schon in dem ungeklärten Radikalismus der dreißiger Jahre steckte. Die Einigkeitsidee, einmal auf die Welt gebracht, konnte in Deutschland nicht mehr sterben; seit der Abschüttelung des napoleonischen Joches tauchte sie aus allen Verworrenheiten der Freiheitskämpfe und Revolutionen, aus dem Zank und Streit der Partei immer wieder auf, klarer und leuchtender als je. Freund und Feind sahen in Ludwig I. den künftigen Vollender des Imperiums.

Wie grell stach gegen die Besonnenheit der ernsten demokratischen Führer der neue, gehässige Radikalismus der ultramontanen Partei ab, die anscheinend in dieselbe Kerbe schlug. Jetzt aber machte sie die Politik der Straße.

Der zweitwichtigste Regierungsakt des Ministeriums der Morgenröte war die Einberufung der Landstände. Der Wille des Volkes sollte gehört werden.

Dazu war der Landtag.

Reformen im Justiz- und Verwaltungswesen wurden durchgeführt, die Rechtspflege auf das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit gestellt. Dagegen wurden die Geschworenengerichte von Ludwig verworfen. Ebenso ablehnend verhielt er sich gegen die Vorlagen Maurers über Ausbildung des Pressewesens und Aufhebung der Zensur.

Dagegen hatte das wirtschaftliche Programm seine Zustimmung: Bau von Eisenbahnen, Beschaffung der nötigen Summen durch Neubesteuerungen und Erhöhung des Zinsfußes.

Nur zum Zweck dieser Genehmigung dachte sich Ludwig die Einberufung des Landtags im September 1847.

Aber die Zukunft pochte schon mit ehernen Fingern und wollte über die Schwelle; da half kein Türverschließen gegen die stürmischen Beschwerden und Forderungen der andrängenden neuen Zeit. Bittere Klagen wurden über die Zustände der Unterdrückung laut, die das vorige Ministerium Abel geschaffen hatte; über die Freigebung des Wortes waren alle Parteien einig.

Der Wille des Volkes – Maurer war klug und umsichtig genug, ihm beizeiten zu gehorchen.

Nur zögernd und im kleinen gab der König dem Drängen nach; einige Zensurerleichterungen wurden vorderhand zugestanden.

Als die Landstände wieder heimgingen, gab es lauter Unzufriedene. Sie hatten neue Lasten bewilligt, wie zeitgemäß auch die Zwecke waren; aber ihre eigenen Forderungen auf konstitutionelle Änderungen waren unerfüllt geblieben: sie kamen gleichsam mit leeren Händen zurück.

Der Minister war unzufrieden mit dem König, der den Ruf der Zeit nicht hören mochte, und der König war unzufrieden mit dem Minister, weil er die Kammer nicht auf den Standpunkt eines »einfachen Postulaten-Landtags« im Geiste absolutistischer Auffassung zurückgedrängt hatte.

Persönliche Motive spielten mit.

Allzu redeselig, wurden von dem neuen Ministerium die Fehler der früheren Regierung der Öffentlichkeit preisgegeben und dadurch, wenn auch unabsichtlich, eigentlich der König bloßgestellt.

In den Kammerreden fiel überdies die herbe und rücksichtslose Kritik auf, die von allen Parteien an gewissen Zuständen geübt wurde. Man schonte zwar die Minister, die persönlich achtbar erschienen, zielte aber um so schärfer auf die Gräfin und ihren Anhang und sogar auf den »alten verblendeten Mann, dem ein Weib mehr galt, als die Ehre seiner Familie, als die Sicherheit der Krone, als die Ruhe und Wohlfahrt des Volkes ...«

Von den Anhängern der Abelschen Partei persönlich angegriffen und der Unterrockpolitik verdächtigt, konnte Maurer selbstbewußt erklären, daß er der Freundin des Königs nie auch nur den geringsten Einfluß auf seine Regierung gestattet habe.

Ludwig war erzürnt über die Minister, die ihn nicht zu decken vermochten, und die Gräfin war wütend über Maurers Äußerung, obwohl sie glauben machen wollte, daß sie mit der Politik nichts zu schaffen habe. Ihre Eitelkeit war verletzt; außerdem war Maurer nicht ihr Freund, trotzdem er das Indigenatspatent unterzeichnet hatte.

Der König besaß nur noch diesen Maßstab für jemandes Treue und Anhänglichkeit, ob er bereit sei, in gesellschaftlichen Verkehr mit seinem Günstling zu treten oder nicht.

Die neuen Minister hatten es beharrlich abgelehnt.

»Wenn Sie eingeladen werden, wo der König ist,« erklärte Ludwig schließlich seinem Vertrauten, »und wenn Sie dann doch nicht erscheinen, so sieht dies der König für Beleidigung gegen ihn an, und ein solches Benehmen zieht des Königs Ungnade nach sich.«

War noch zu zweifeln an der politischen Machtvollkommenheit der Gräfin, obgleich sie sich äußerlich nicht im geringsten um die Politik zu kümmern schien? Ja, die Geschicke des Landes hingen dennoch von ihr ab. An der heimlichen Königin, deren angemaßte Hoheitsrechte verletzt schienen, mußte das Ministerium scheitern. Es wurde abgedankt.

Die Meinungsverschiedenheit über den Landtag war nur der äußere Vorwand der Ungnade.

Die Morgenröte zerfloß.

Kein heller Sonnentag sollte folgen.

Eine trübe frostige Winternacht brach an.


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