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V.

Eine erträumte Existenz von Glanz und Macht wollte sich verwirklichen; Lola Montez war Freundin des Königs und hatte alsbald einen eigenen Hofkreis um sich. Menschen, die sie umschwärmten wie Hornissen den Honig; Glücksjäger, Karrieremacher, Politiker, Diplomaten, Künstler, Musiker, Dichter, Offiziere, Studenten. Sie alle kamen zum Handkuß oder Fußfall, Schmeichler und Egoisten, die vorwärts wollten und Frauengunst suchten. Sie verachtete die Streber wie eine lästige Verwandtschaft und verlachte sie; aber sie ließ sie hoffen aus Gefallsucht und weil sie ihrer bedurfte als Schutzwall gegen den offenen und geheimen Haß, der von außen anflutete. Waren sie Betörer oder Betörte oder beides? Wenige waren so knabenhaft wie das Studentlein Elias von Vilseck, der in scheuer Liebe befangen und beflissen war im freiwilligen Pagendienst; wenige so kopfverloren wie die gespornte Männlichkeit des Leutnants Nußbaumer, der mit dem Kopf das Herz hingab und das Bräutlein dazu, ein moderner Lanzelot zwischen zwei Frauen, der reinen und der sündigen Minne, und nun besagter Lanzelot als Leibgardist Lolas; keiner aber so fuchsschlau und hundsergeben wie der bockähnliche Staatsrat von Berks, der sich schier am meisten die Gunst der Nymphe erlistet hatte, Ratgeber ward und heimlicher Hausminister an Lolas Hofe.

Immer neue Menschen drängen sich an, mit allerhand Begehr, Bitten und Forderungen, Versprechen und Drohungen, und alle tragen bei, ohne es zu wollen, die Macht und den Triumph der Kurtisane zu vermehren.

Eines Tages meldet sich ein Fremder, der seinen Namen nicht nennen will. Sein Auftreten ist so ungezwungen, so vertraulich und doch so fein und höflich, daß die Tänzerin nicht widerstehen kann. Augenscheinlich ist er ein Mann von hohem Rang. Ein kluges, forschendes Denkergesicht ist mit einem freundlichen Lächeln maskiert, das nie ganz weicht; sein Wesen ist in Demut gehüllt, obgleich ein herrischer Stolz durchblickt.

Sie durchschaut den geheimnisvollen Fremdling; welterfahren wie sie ist, verfügt sie über ungewöhnliche Menschenkenntnis und über eine scharfe Witterung für jene unauffälligen Merkmale, die das Wesentliche sind, wodurch Vornehme sich von den Geringen unterscheiden. Zweifellos gehört er dem geistlichen Stande an ... Aber was will er? Es wird ihr nicht ganz klar. Ehe sie sich dessen versehen, hat sie der Fremde in ein tiefes Gespräch verstrickt.

Er spricht teilnehmend, mit gedämpfter Stimme, die sich selten erhebt, fast nie erregt, immer leidenschaftslos wohlwollend bleibt. Was er sagt, ist anziehend, schier unabsichtlich hingeworfene Ratschläge, Winke, Andeutungen über die Stadt, das Volk, die Kunst, den König. Sehr geschickt und wieder ganz von ungefähr lenkt er das Gespräch auf die Kirche und auf die Jesuiten und hält das Thema fest.

Sie läßt sich verleiten, ihre Meinung auszusprechen, obzwar er sie gar nicht darum zu fragen schien.

Sie huldigt einer geistigen Mode der Kosmopoliten jener Tage, die ihre religiöse Gleichgültigkeit für Duldsamkeit ausgeben. Es ist die Freigeisterei der schönen Seelen, die es gern mit dem josephinischen Liberalismus halten und glauben, daß der dunkle Freiheitsdrang der Zeit mit seinen Flammenzeichen nicht eine Sache der Not sondern eine Bildungsangelegenheit sei.

»Ich bin,« erklärte sie, »was man eine protestantische Katholikin nennen könnte. Ich bin religiös, aber nicht bigott; ich bin fromm, aber nicht abergläubisch; ich verabscheue die Macht, die Rosenkränze als Fesseln benützt, den Glauben an Gott in einen Glauben an die Dummheit verwandelt und den blinden Gehorsam zur Aufgabe der Menschenseele macht. Darum liebe ich den starren Ultramontanismus nicht und liebe am allerwenigsten die Jesuiten ...«

Der Fremde blieb sanft und lächelte. Er redete freundlich mit seinem eigensinnigen Kinde.

»Wenn Sie, Donna, die Jesuiten nicht lieben, obzwar Sie eine gute Katholikin sind, so ist bei Ihrer hohen Intelligenz anzunehmen, daß Sie die Jesuiten nicht kennen oder – Sie erlauben mir diesen Ausdruck – nur aus dem Geschwätz jener Feinde kennen, die nicht das historische Auge für die große Mission der Jesuiten haben.«

Da wurde die Tänzerin plötzlich frech wie eine Landstreicherin:

»Wenn dieses historische Auge nur nicht die Brille eines blöden Alten ist!« Sie freute sich dirnenhaft über diesen Schimpf.

Aber der Gegner blieb anscheinend unempfindlich gegen diesen Streich und bat sie sanft, das Böse aufzuzählen, das sie von den Jesuiten wüßte.

»Oh, ich weiß sehr viel!« versetzte sie großsprecherisch.

»Nun?«

Jetzt fühlte sie sich wieder in der unbehaglichen Rolle eines Schulmädchens, das die Prüfung schlecht bestehen wird, und das war ihrer Eitelkeit zuwider. Er sollte wissen, daß er nicht eine dumme unwissende Tänzerin vor sich hatte, sondern eine geistreiche und gebildete Dame, die in allen Geheimnissen des Lebens und der großen Historie bewandert war. Was wäre die Politik ohne die Frauen? Man frage doch eine Dubarry und eine Maintenon! Warum nicht auch eine Montez? Wer sollte nicht wissen, daß die geheimen Fäden der Geschichte in Boudoirs zusammenlaufen, und daß Frauen oder Favoritinnen es sind, die den Helden der Geschichte zu dem machen, was er scheint? Und nun dastehen wie eine dumme Trine, die ihr Sprüchlein nicht weiter kann – nein!

»Warten Sie!« Und sie sann ein wenig nach.

»Aber Sie müssen auch beweisen können,« fügte die leise und seltsam eindringende Stimme hinzu.

»Wie soll ich Ihnen beweisen,« brach sie leidenschaftlich los, »daß mein armes Vaterland, einst das mächtigste Land der Erde, durch sie in den tiefsten Verfall geraten ist?!«

»Ihr Vaterland?«

Sie überhörte den ironischen Ton dieser Frage. Sie wollte jetzt mit historischer Gelehrsamkeit prunken und packte allzu eifrig den längst vergessenen Schulsack aus.

»Wie soll ich Ihnen beweisen, daß sie die entsetzliche Bartholomäusnacht veranlaßt haben? Wie soll ich Ihnen beweisen, daß die Welt ihnen das fürchterliche Geschenk der Inquisition zu verdanken hat? Die Inquisition, mein Herr, mit der sich der Jesuitismus für alle Zeiten den Fluch der Menschheit und das Verdammungsurteil der Geschichte aufgebürdet hat!«

»Sie irren, meine Schöne,« gab der Fremde ruhig zurück, »der Jesuitismus und überhaupt die Religion sind so unschuldig an der Bartholomäusnacht, als die Freiheit an den Morden zur Zeit der großen Revolution. Weder die Freiheit noch der Glaube will sich einen Thron auf Leichen errichten. Der Hof von Frankreich hatte nur seinen Feind schlagen wollen; der große Haufe benutzte die Gelegenheit und machte es wie der Hof. Dagegen aber haben die Jesuiten in der Geschichte den unvergänglichen Ruhm erworben, die Religion und die menschliche Gesellschaft, den Thron und den Glauben in schlimmer Zeit, wo alles wankte, aus der Gefahr glücklich errettet und die gestörte Ordnung wieder befestigt zu haben. Sie vergessen, Donna, daß die Inquisition ebenso wie die Bartholomäusnacht politische Maßregeln waren, keine religiösen, und daß die Jesuiten damit nichts zu schaffen hatten. Sie vergessen, daß der Jesuit Don Valdez, den einst der Großinquisitor und Erzbischof von Sevilla in sein Tribunal berief, die Übernahme dieses furchtbaren Amtes ausschlug, obzwar die Jesuiten, damals noch im Anfang ihres Werkes, mit Hilfe der Inquisition schnell zur Herrschaft hätten gelangen können. Als die verderbliche Irrlehre von England, Deutschland und Frankreich aus sich auch über Spanien verbreitete und in Sevilla und Valladolid Boden gewann, traten ihr allerdings als die ersten und ernstesten Gegner die Söhne Loyolas entgegen. Mit aller Macht der Beredsamkeit bekämpfte und entlarvte dieser Orden die Ketzer, die das Gerücht aussprengten, die Jesuiten seien Diener der Inquisition. Alle Beschuldigungen, die man gegen diesen unvergleichlichen Orden geschleudert hat, sind aus der Luft gegriffen. Die Lüge und Verleumdung hat deshalb allgemein Glauben gefunden, weil es der Orden für unnötig hielt, sich dagegen zu verwahren, was gewiß unrecht war. Darum aber teilt er heute das Schicksal aller derjenigen, die in aufgeregten und gesetzlosen Zeiten den Zerstörern der Ordnung entgegentreten und sich ihnen feindselig oder furchtbar zeigen – er wird gehaßt.«

Der Fremde machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:

»Sehen Sie nicht, daß eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Epochen der Reformationskriege und der Gegenwart herrscht? Erkennen Sie nicht, daß diejenigen, die heute den Geist des Aufruhrs niederzuhalten versuchen, sich um die Ordnung und um die menschliche Gesellschaft ebenso verdient machen, als die Jesuiten es damals getan haben? Und wenn Sie das erkannt haben und wirklich eine gute Katholikin sind, dann dürfen Sie nicht mehr eine schlechte Jesuitin sein. Und wenn Sie es dennoch zu sein glauben, weil Sie in einem Irrwahn befangen sind, dann müssen Sie versuchen, sich zu bessern, d. h. sich aus den Schlingen des Unglaubens zu befreien. Ich biete Ihnen die Hand dazu.«

Die Dialektik des Fremden hatte sie ein wenig verwirrt; sie wußte nichts Besseres zu entgegnen, als zu fragen:

»Wie glauben Sie, daß ich besser werden könnte?«

»Sie müssen in unsere Lehre gehen!«

»In Ihre Lehre, mein Herr? Es könnte mich reizen, den Versuch zu machen. Doch sagen Sie zuvor, wohin wird mich der Weg führen?«

»Ich habe Ihnen bewiesen, daß die Jesuiten gute Menschen sind und unzählige Märtyrer für die Sache der Religion, die eine Sache der Könige ist, wie für die Sache der gesetzlichen Ordnung, die doch ebenfalls eine Sache der Könige ist, gehabt haben; zahllos sind die Beispiele, die die Geschichte kennt. Ich begnüge mich, Sie an die Revolution von 1830 zu erinnern, die Sie selbst miterlebt haben, obzwar Sie damals kaum mehr als ein Kind waren. Waren es damals nicht auch die Jesuiten, welche die wankenden Throne gestützt und wieder aufgerichtet haben und seither auch in diesem Lande bemüht sind, das katholische Bewußtsein wieder herzustellen, den Glauben, der das sicherste Fundament der überlieferten und von Gott eingesetzten Ordnung ist?«

»Nun ja,« erwiderte sie, »das will ich Ihnen ja alles gern glauben, besonders da Sie es schwarz auf weiß haben, woran ich nicht zweifle. – Genügt Ihnen das nicht? Gibt es etwas über den Glauben?«

Der Seelenfänger zog sachte die geschickt gelegten Netze zu.

»Es genügt nicht,« warf er leicht hin; »Sie müssen es andere ebenfalls glauben machen!«

Da lachte sie belustigt auf: »Andere? Was geht mich der Glaube anderer an? Es ist lächerlich, sich darum zu quälen!«

Und mit einer schalkhaften Pose fügte sie hinzu: »Ich tauge wenig dafür; glauben Sie, mein Herr – ich habe in meinem Leben mehr Heiden als Gläubige gemacht!«

Jetzt war es Zeit, das Netz zuzuschlagen.

»Spotten Sie nicht, meine Liebe! Es handelt sich hier um nichts Geringes, bedenken Sie Ihre Stellung –«

»Meine Stellung?«

»Sie sind die Geliebte des Königs und haben Einfluß auf ihn – –«

Die Donna erhob sich, wie um die Unterredung abzubrechen, und sagte mit erkünstelter Kälte, indem sie dem lauernden Kundschafter den Rücken zuwendete:

»Was hat das mit der Sache zu tun?«

»Miß Gilbert!«

Wie festgewurzelt stand sie plötzlich, drehte sich dann langsam nach dem seltsamen Mann um, mehr erstaunt als erschreckt, und sah ihm voll in das plötzlich veränderte, hart und gnadenlos gewordene Knochengesicht.

»Wa – as?«

»Miß Gilbert,« wiederholte er scharf und streng, »Sie sind nicht die, die Sie scheinen wollen! Ich kenne Sie! Sie spielen eine falsche und schlechte Rolle in der Welt – die Toten stehen auf wider Sie! Kapitän James, Ihr erster Gatte; Graf Poincaré, den Sie in den Tod trieben; Graf Alexander Porwanski, den Sie in Rußland unmöglich gemacht haben, und der mit seiner Familie entzweit und verschollen ist; Marquis von Villiers, mit dem Sie geflohen sind, nachdem er Ihren Geliebten, seinen Nebenbuhler getötet; Madras, der Karlist, der auf dem Schafott endete; Dujarez, Ihr späterer Gatte, der Ihretwegen im Zweikampfe fiel; die Hunderte von anderen Opfern, die ein ganzes Buch fassen ...«

»Halt!« schrie das Weib bleich und entsetzt. »Was wollen Sie, fürchterlicher Mensch?«

»Nur noch dieses: Sie sind ein Ärgernis in den Augen der Königin, in den Augen des Volkes, der öffentlichen Sittlichkeit und –«

»Was wollen Sie?« murmelte geistesabwesend das Weib, noch ganz schreckensstarr, »aber was wollen Sie?!«

Nun konnte die Wildtaube nicht mehr entwischen, sie war reif für den Fang: das Netz mußte zufallen, jetzt oder nie. Und mit der gleichen unerschütterlichen Ruhe und Sanftmut, mit der er die fürchterlichen Anklagen erhoben hatte, und mit derselben Bestimmtheit, die jeden Widerspruch ausschloß, sagte er nun:

»Sie gehen mit uns für das Volk – oder Sie gehen ...«

Wie Loths Weib, das Sodom und Gomorrha gesehen, so stand noch immer die Tänzerin, zu Salz erstarrt. Nun aber kam Fluß in die versteinerte Gestalt, sie schleuderte sich förmlich aus ihrer Unbewegtheit heraus, wie sie es auf der Bühne tat, mit jener wunderbaren Wucht der Überraschung, die schönen Plastiken ebensogut angehört wie schönen Landschaften, indem sie den Fels in eine Woge verwandelt. Ungestüm brach sie hervor:

»Ich gehe nicht mit Ihnen – und Sie gehen ...«

Dann fing sie zu lachen an, ein krampfhaftes, hysterisches, gellendes Lachen, daß es sie schüttelte und die Locken flogen.

Der Fremde lächelte wie früher und neigte sein Antlitz, so daß der Verdruß nicht zu sehen war, der hinter diesem Lächeln stand. Das Netz war zu, aber leer. Er hörte noch immer das girrende, schluchzende Lachen, diesen ungeheueren Spott, obzwar er schon gegangen war, auf neue Jägerlisten, Fallstricke und Fangnetze sinnend, die unüberwindliche Herrschsucht in den Mantel der Demut gehüllt, der Jünger Jesu ...

*

»Geht Eueren Weg – ich werde den meinigen gehen!«

Der Seelenfänger stand nicht mehr vor ihr; es war sein Schatten, sein Phantom, seine Worte, gegen die sie stritt. Unsichtbar war er noch anwesend. Sie mußte die Fenster aufreißen, um Luft und Lärm von der Straße hereinzulassen und Menschen zu sehen, fremde, gleichgültige Gesichter, die sie dreist oder unfreundlich anstarrten, und die eine Zuflucht waren vor diesem drohenden Gespenst. Eine namenlose Angst kam über sie, Angst vor dem unsichtbaren Feinde, dessen Listen und Machtgrenzen sie nicht kannte, und von dem sie nur wußte, daß er sie mit Fallen und Schlingen umstellte und zu verderben suchte. Es schnürte ihre Kehle zu, als wollte es sie ersticken, dieses unheimliche Etwas, das sie fürchten machte.

»Nein, nein!« schrie sie wie im Traum auf, der sie mit schreckhaften Bildern umgaukelte, »nicht fort müssen, nicht fort, nicht da hinaus ins Uferlose, nicht mehr zurück ...«

Und sie streckte die Hände von sich, entsetzt, als sehe sie das Trostlose. »Ach, ich bin ja nicht klug – – es kann ja nicht sein – es darf nicht – – nein, nein, nein! Aber – was hab' ich nur?« Sie fing zu trällern an.

Es war die Angst, zu verlieren, was sie erreicht hatte, wieder herabzusinken von der Höhe des Ruhms, die das stärkste ihrer unersättlichen Gelüste befriedigte, ihren Ehrgeiz. Auf allen Irrfahrten hatte sie von diesem Ziel geträumt, hatte die Liebe verleugnet, den Niedrigen verstoßen, wenn der Höhere kam, und war fortgegangen, fort bis an dieses Ziel. »Ein König, ein König hat mich erwählt!« Sie, die Priesterin der Liebe, die unerschütterlich an ihre Bestimmung glaubte, die in Indien ein Brahmane ihr anbetend kundgetan: daß Könige sie ehren werden, und daß sie angesehen im Kreise der Menschen sitzen werde! Und nun sollte sie weichen, sollte zurück in die Dunkelheit einer abenteuernden Existenz, sollte den Platz an der Sonne verlassen, dahin sie Schönheit, Raffinement und Schicksal berufen, sollte ihrem Glück und ihrem Ehrgeiz entsagen, weil sie dem Egoismus der anderen im Wege stand? Oder sollte als Werkzeug dienen, sie, die triumphieren wollte! Mit aller Kraft ihres ungebändigten Naturells stemmte sie sich dagegen. Mit der Angst erwachte zugleich die angeborene trotzige Wildheit, die sich nicht unterjochen ließ, jeder Art von Gefangenschaft spottete, niemandem gehorchte als sich selbst und unzähmbar war wie ein schönes Raubtier. »Geht Eueren Weg – ich will den meinen gehen!«

Der Geheimnisvolle hatte indes ein Beschwörungswort gebraucht, das nicht verstummen wollte und als zweiter Schatten dastand, nicht drohend zwar, doch anklagend: die Königin –! Aber gegen die Majestät der Frau hatte die Geliebte einen schweren Stand. Ihre Knie zitterten, als ob dieses Hirngespinst von einem Schatten Fleisch und Bein geworden wäre. Da wurde sie plötzlich schamlos wie immer Weiber, die in Eifersucht gegeneinanderfahren:

»Was kümmerte ich mich um Sie, als mir der König erklärte, daß er mich lieb gewonnen? Was brauchte ich anderes zu denken als dieses eine: es ist der König, der mir sein Herz schenkt; es ist der König, der in Liebe zu mir spricht?! Was kümmert mich alles, was außerhalb dieses wohltuenden Gedanken liegt? Ich habe ihn nicht gefragt: Haben Euere Majestät nicht schon eine Gemahlin, und soll ich etwa die Ehre haben, Ihre Maitresse zu sein? Sind Sie nicht vielleicht zu alt für mich? Erlaubt es auch Ihre Familie? Ihr Volk? Ihre Ratgeber? Die Jesuiten? Ich habe nicht gefragt und frage um nichts, sondern wiederhole, daß ich den schönsten Augenblick meines Lebens erreicht hatte, als ich die beglückenden Worte des Königs hörte, und wiederhole, daß mein Leben, meine Gedanken, mein Herz, mit einem Wort, die Lola Montez dem Könige angehört, solange sie unter den Lebenden sein wird!«

So kämpfte sie gegen das Unsichtbare und fand die Ruhe erst gegen Abend wieder, als Ludwig sie besuchte.

Ein Blick in den Spiegel gab ihr wieder die volle Sicherheit. Der Spiegel log nicht, wenn er ihr bewies, wie weit die Machtgrenzen ihrer Gegner reichen. Sie reichen nicht bis an ihre Schönheit, die über alle Listen triumphiert. Und ebensowenig konnte das Auge des Königs lügen: sie reichen nicht bis an sein Herz, über das ihre Schönheit herrschte!

Die anderen mochten ihren Weg gehen – sie ging den Weg des Herzens, der war der ihrige.

Aber die Unruhe hatte Spuren hinterlassen; der König bemerkte es und wollte das Vorgefallene genau wissen.

»Der Versucher, er hat mich auf einen hohen Berg geführt, ganz nahe an einen Abgrund. Die Welt sollte mein sein, wenn ich meinen König verrate. Aber der sonst so schlau und vorsichtig seine Opfer umgarnt, so hinterlistig und leise, hat sich allzu ungestüm gebärdet, zu plump und ungeduldig – und ist selbst in den Schlund gefallen, der sich mir auftun sollte – –« So kleidete sie lachend ihr Erlebnis in dieses biblische Gleichnis ein.

Und nachdem sie umständlich alles dargetan, schloß sie: »Ich habe nur zu sehr erkannt, von welchen Egoisten mein königlicher Freund umlagert ist, die im Namen des Volkes ihre selbstsüchtigen Zwecke verfolgen – für das Volk sollte ich mit ihnen gehen, für das Volk wollen sie gegen mich sein – weil ihr Eigennutz es nicht ertragen kann, daß der König liebt, und noch weniger, daß der König geliebt wird!«

»Was dann? Was war weiter? Was wollte er noch? Und was sagtest du? Was waren deine Worte?« drängte der König mit Fragen.

Indem sie sich mit halbgeschlossenen Augen wollüstig zurücklehnte:

»Ich habe aus meinen Empfindungen heraus gesprochen, und diese Empfindungen haben nicht gelogen, wenn ich gestand, daß ich Sie liebe, liebe mit der ganzen Seele, liebe, wie nur ein König geliebt wird. Und weiter: daß jene gemeinen Naturen sich selbst brandmarken, die meine Liebe mißbrauchen und zu einem Werkzeug ihrer Pläne herabwürdigen möchten. Oder mich mit Haß und Verfolgung bedrohen, weil ihnen die Absicht mißglückt. Gemeine Naturen, die nie daran gedacht, welchen unbeschreiblichen heiligen Zauber das Wort König auf ein weibliches Herz ausüben kann –«

Ah, Kurtisane!

Berauscht von den zärtlichen Worten der Tänzerin und außer sich im Anblick ihrer Schönheit, wollte der König sie umarmen und das Herzblatt ihres Mundes mit Küssen bedecken.

Blitzschnell war sie ihm entglitten, pantherartig, und schon lag sie zu seinen Füßen, leidenschaftlich schluchzend:

»– und dennoch werden Sie mich preisgeben, werden mich verstoßen, und alles Lebensglück wird zerronnen sein wie ein kurzer, allzu kurzer, schöner Traum – – –«

Überwältigt von diesem jähen Umschwung der Gefühle, diesem unvermittelten Übergang aus dem Lächeln des Glücks in die Tränen der Verzweiflung, beschwor sie der König aufzustehen und leistete auf den Knien den Eid seiner unverlöschlichen Liebe und Treue: »Ohne Lola kein Ludwig!«

Nun hatte sie ein königliches Wort und besiegelte Gewißheit darüber, daß sie ihre Gegner nicht zu fürchten habe.

Mochten die ihren Weg gehen – – –!

Vollendete Künstlerin der Liebe, sie ging den Rosenweg; er war der geradeste und nächste, sie ging ihn allein. Und jedes Wort schmiedete einen neuen und festeren Ring, diese Herzen zusammenzuhalten, untrennbar. Glühende Worte, Küsse, Ekstasen ...


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