Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Achter Auftritt

Robert, Wilhelm, dann zwei Männer mit einer bedeckten Bahre, die sie hinstellen und gehn. Die Vorigen.

Stein. Robert! (Ihm entgegen.) Siehst du, Ulrich? Er lebt!

Robert (ihm in die Arme fallend, bleich und außer sich). Vater! Vater!

Stein. Was ist dir?

Robert. Daß der Mörder mich getroffen hätte! Vater Ulrich, sei ein Mann!

Förster (zusammengerafft mit letzter Anstrengung). Nur zu. Ich will sehn, ob ich einer bin.

(Robert nimmt die Decke weg.)

Stein. Großer Gott!

Försterin (die, von Andres und dem Pastor unterstützt an der Bahre in die Knie gesunken ist). Marie

Andres. Ach Gott! sie ist's, die Marie.

Stein (Zusammenspiel aller). Wie ist's geschehn? Erkläre, Robert!

Pastor. Mir ist's entsetzlich klar.

Robert (mühsam seine Fassung erhaltend). Sie betete: »Gott laß mich nur meines Vaters sein.« Ich will ihr sagen: Marie, du läßt mich? Da springt sie auf mich zu, als wenn sie mich decken wollte mit dem eignen Leib, winkt und ruft nach dem Walde zu. Ich sehe niemand; ich verstehe sie nicht; ich will fragen: Was ist dir, Marie? da fällt ein Schuß, sie bricht mir in den Armen zusammen, ich stürze über sie, eine Kugel hat ihr Herz getroffen.

Försterin. Das war ihr Traum.

Stein (hält Robert in seinen Armen, fast zugleich). Sie starb für dich.

Förster. Sie sah mich auf ihn zielen und lief absichtlich in meinen Schuß. Ich wollte richten und – hab mich selbst gerichtet. Verbrechen und Strafe mit eins. Ich betete: »Gott sei seiner armen Seele gnädig«; ich betete für mich; und die Eulen haben Amen gekrächzt und meinten mich!

Robert (tritt entsetzt zurück). Allmächtiger – er hat's selbst –!

Stein. Du hast's nicht mit Bewußtsein getan. Ein schrecklicher Wahnsinn trieb dich wider deinen Willen.

Pastor. Nicht so starr, Mann. Gott legt nicht den äußern Maßstab an die Tat. Unschuld und Verbrechen stehn an den Enden des Menschlichen; aber den Unschuldigen und den Verbrecher trennt oft nur ein schnellerer Puls.

Förster. Gebt mir Worte des Lebens für Euer Hirngespinst, kein Wenn und kein Aber. Sagt mir was, daß ich's glauben muß. Eure Reden zwingen nicht. Was tröstet Ihr meinen Kopf? Tröstet mein Herz, wenn Ihr könnt. Könnt Ihr mein Kind lebendig machen mit Euerm Trost, daß mir's in die Arme fliegt? Dann tröstet zu. Jedes Wort, das mein Kind nicht lebendig macht, schlägt's noch einmal tot.

Stein. Flieh nach Amerika; ich will dir Pässe besorgen; all mein Geld ist dein. Dein Weib und deine Kinder sind die meinen!

Förster. Hörst du, Andres, was der Mann da sagt? Er will euch Geld geben. Dafür kauft euch eine Leierorgel. Damit zieht auf den Märkten umher und singt von dem alten Mordkerl, der sein Kind erschoß. Um nichts, um gar nichts, auf der Welt um nichts. Ihr braucht kein Bild. Nehmt die alte Frau da mit; so malt euch kein Maler die Geschichte, wie sie auf ihrem Gesicht geschrieben steht. Streicht mir das Kind heraus. Beschreibt sie schöner als sie war – wenn ihr das könnt, wie ihr euch den schönsten Engel denkt, und dann sagt: Sie war doch noch tausendmal schöner. Und den alten Mordkerl stellt mir hin, daß über das Kind ein Wasserfall kommt von Tränen und auf den Alten jeder Gassenjunge die Fäuste ballt. Das wär' ein Herz, wie's der alte Mordkerl hatte, der's erschoß, das die Geschichte hörte und euch nicht mit klappernden Zähnen den letzten Pfennig gäb', und hätt's zehn verhungernde Kinder zu Haus, und nicht zu Gott betete für das Kind und dem alten Mordkerl fluchte, der's erschoß. Sagt nicht: Der Mann war redlich sein Leben lang und hat sich gehütet vor dem Bösen und hat einen Gott geglaubt und hat kein Stäubchen gelitten an seiner Ehre, sonst glauben sie's euch nicht. Sagt, er sah aus wie ein Wolf, sagt nicht, sein Bart war weiß, wie er's tat, sonst gibt euch niemand was. Das glaubt euch niemand, daß einer so alt sein kann und doch so ein Bösewicht. Und unten hin macht noch ein Bild, wo der alte Mordkerl sich erschießt und als Gespenst umgeht bei Nacht. Und wo er's tat, da sitzt er wimmernd die Mitternächte hindurch mit seinen glühenden Augen und seinem weißen Bart; und da kühlt kein Lüftchen und da fällt kein Tau und kein Regen; da wachsen giftige Blumen, das ist verflucht, wie er selbst. Und das Tier, das sich hinverirrt, brüllt vor Angst, und den Menschen rüttelt's wie ein Fieber. Und einem Engel geht ein Streifen aus dem Mund: Da sitzt er, den Gott gezeichnet hat. Abel war ein Mann und Kain nur sein Bruder, aber das war ein Kind, und der's erschlug, war sein Vater. Für den Kain noch eine Seligkeit, aber für den alten Kindesmörder keine – keine – keine! – Oh, einen Trost! Einen Trost! Einen Strohhalm nur von einem Trost. Ich wollt' meine Seligkeit drum geben, wenn ich eine zu erwarten hätte. Gott will ich fragen, ob's noch einen Trost gibt für mich. (Er nimmt die Bibel und liest, erst an allen Gliedern zitternd, mit stoßendem Atem.) »Wer irgendeinen Menschen« –

Pastor. Nicht weiter, Ulrich. Lassen Sie mich Ihnen Worte des Lebens zeigen, Worte der Menschlichkeit. »Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bessere und lebe« –

Förster (der die Bibel festhält und sich losmacht, fast zugleich). Laßt mich, ihr Unmenschen mit eurer Menschlichkeit. (Er liest weiter, mit jedem Wort wird sein Wesen ruhiger und gewisser, der Ton seiner Stimme kräftiger.) »Wer irgendeinen Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben.« (Legt die Bibel hin.)

Stein. In diesen Worten findet er Beruhigung?

Pastor. Gönnt jedem den Trost, der ihn tröstet.

Förster (nimmt die Bibel wieder auf; der Ausdruck seines Wesens steigt bis zur Freudigkeit). Das ist Gewißheit, das ist Verheißung, das zwingt; kein Aber und kein Wenn. Wer irgendeinen Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben; das heißt: dann ist's gebüßt, dann ist's ausgelöscht, und er ist wieder rein. (Er setzt seinen Hut auf und knöpft sich ein.) Ich geh in die Gerichte. (Will gehn.)

Stein. Und du meinst, sie werden dich töten? (Der Förster bleibt stehn und wendet sich.)

Pastor. Man hat Schuldigere begnadigt als Sie.

Förster. Zum Zuchthaus – was? wie den Lentner? der – ja sie richten nicht recht, nicht wie's dasteht, in ihren Gerichten; weiß ich's doch – aber – gut – gut – (Nimmt die Flinte.)

Stein. Was willst du!

Förster. Nichts. Die Flinte da muß ich mithaben, womit's geschehen ist. Oh, sie nehmen's genau damit. – Lebt wohl, Andres, Wilhelm – Haltet die Mutter gut. (Gibt allen die Hände.) Stein – Herr Pastor – Robert – Sophie – Sie ist ohnmächtig; Gott wird sie mir bald nachschicken. Begrabt mir mein Kind. Laßt die Glocken läuten; Ihren Brautkranz legt auf ihren Sarg – oh, ich bin ein altes Weib – Wenn wir uns wiedersehn, bin ich kein Mörder mehr. (Grüßt noch einmal alle mit der Hand.)

Stein. Du willst –

Förster (wendet sich an der Tür). Mein Recht – und dann (zeigt in die Höh') zu meinem Kind. (Ab.)

(Kurze Pause, in welcher die übrigen mit Verwunderung und Rührung ihm nachsehn.)

Stein (von Ahnung ergriffen). Wenn der andere Lauf noch geladen ist – schnell, eilt ihm nach –

(Vor der Türe fällt ein Schuß.)

Zu spät! – Ich ahnt' es.

Andres, Wilhelm (hinauseilend). Vater!

Robert (in der offenen Tür von Schreck und Schmerz festgehalten über das, was er sieht). Er hat sein Recht!

Stein (auch an der Tür). Zum zweitenmal sein Richter.

Pastor (hinzutretend). Ihm geschehe, wie er geglaubt.

(Vorhang fällt.)

(Ende des fünften Aufzugs.)


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