Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Fünfter Auftritt

Förster versunken, allein; dann Stein, der Pastor, erst noch in der Szene.

Stein (noch draußen). Ulrich!

Förster (erwachend, mechanisch). Stein!

Stein (wie oben). Hörst du?

Förster (auf einmal im Zusammenhang). Es ist doch geschehn. (Er faßt nach der Flinte, bezwingt sich aber.) Nein; nicht den Gedanken mehr als mein Recht!

Stein (eintretend, der Pastor hinter ihm). Wo ist dein Andres, Ulrich?

Förster. Was willst du von meinem Andres?

Stein. Meinen Robert von ihm fordern.

Förster. Deinen Robert? Von meinem Andres? – Hier sieh her. (Zeigt das Tuch.)

Pastor. Um Gottes willen! – an dem Tuche klebt Blut!

Stein. Was ist das?

Förster. Das ist meines Andres' Blut, und dein Robert hat's vergossen. Und du hast deinen Möller nach Soldaten geschickt. Und du hast mich zum Schurken gemacht vor der Welt. Mit euern zwei Rechten! Daß ihr's biegen könnt, wie ihr wollt. Aber hier (auf seine Brust schlagend) gibt's noch ein Recht; das könnt ihr nicht biegen und eure Advokaten nicht.

Sechster Auftritt

Andres erst noch draußen. Die Vorigen.

Andres (draußen, leise). Vater –

Pastor. Wer ruft?

Stein. (Zugleich.) Ist das nicht Andres' Stimme?

Förster (fortfahrend). Hier steht es: Einerlei Recht soll sein. Und das Recht hat euch gerichtet. Wer einen Menschen erschlägt, der –

Andres. Vater!

Förster (zitternd nach der Türe starrend, tonlos, mechanisch). Der – der – soll – sterben (Andres tritt ein.)

Stein (Andres entgegen). Gott sei Dank! Andres, du lebst!

Förster (rafft sich zusammen). Es ist nicht wahr. Er ist tot. Er muß tot sein.

Andres. Vater!

Förster (die Hand abwehrend gegen ihn ausgestreckt). Wer bist du?

Andres (immer ängstlicher). Kennst du deinen Andres nicht mehr?

Förster. Mein Andres ist tot. Liegst du erschlagen im Heimlichen Grund – dann sollst du mein Andres sein, dann ist alles gut, dann wollen wir jubeln, dann wollen wir singen: Herr Gott, dich loben wir!

Pastor. Er ist wahnsinnig.

Stein. Andres, mein Robert –

Andres. Sie haben mein Tuch, das der Lindenschmied mir gestohlen hat, eh' er den Buchjäger erschoß.

Stein. Der Lindenschmied hat den Buchjäger erschossen? Und mein Robert –

Andres. Robert verfolgte ihn. Er zwang Robert, auf ihn zu schießen.

Förster. Der? Der hat deine Flinte?

Andres. Mit meinem Tuch gestohlen.

Förster. Und der Robert hat ihn –?

Andres. Der Lindenschmied war nicht tödlich getroffen; da ließ ich ihn in der Mühle verbinden und in die Gerichte schaffen –

Förster (immer mehr zusammenbrechend). Ich hab unrecht! (Sinkt in einen Stuhl.)

Andres. Drum komm ich jetzt erst heim.

Förster (steht auf, geht mit dem Gewehre zu Stein). Stein, tu mir mein Recht.

Stein. Was soll das?

Förster. Aug' um Aug', Zahn um Zahn –

Stein (den Pastor ansehend). Was ist das wieder?

Förster. Der Weiler hielt den Lindenschmied mit der Flinte für meinen Andres. Dein Robert hat den Lindenschmied getroffen und ich hab deinen Robert dafür erschossen.

Pastor. Allmächtiger Gott!

Andres (Zugleich.) Den Robert!

Förster (fast zugleich). Schieß zu.

Stein (hat die Flinte an sich gerissen). Mörder du! (Der Pastor fällt ihm in den Arm.)

Andres (schnelles Zusammenspiel). Den Robert, Vater? Der Robert lebt.

Stein. Er lebt?

Pastor (Zugleich). Er lebt?

Förster (Zugleich). Er – lebt?

Andres. Er lebt, so gewiß ich lebe!

Förster. Es war nur ein Traum? Ich wär' kein Mörder? Ich wär' ein unbescholtener Mann?

Pastor. Das sind Sie, Ulrich. Verscheuchen Sie den unglücklichen Wahn.

Stein. Mann, wozu hättst du mich verleitet! (Legt die Büchse weg.)

Förster. Du hast ihn gesehn? Wann hast du ihn gesehn, Andres? Jetzt, Andres? Jetzt erst, Andres?

Andres. Nur jetzt, wie ich heimging, begegnet' ich zwei Männern aus der Mühle mit einer Tragbahre. Der Robert hatte sie eben aus den Betten gerufen; sie gingen nach dem Heimlichen Grund; Robert war ihnen schon voraus.

Förster. Nach dem Heimlichen Grund?

Pastor. Mit einer Bahre?

Stein. Was lauert da noch?

Förster (ist nach Mariens Kammertür gelaufen, zieht jetzt die Hand vom Drücker wieder zurück). Gott sei Dank! (Horchend.) Ich hör sie atmen. Oh, sie hat einen ruhigen Schlaf. Eine Welt von Sorgen, und sie atmet sie einem weg von der Brust. Hören Sie, Herr Pastor, hören Sie?

Stein. Der Unglückliche! Sein Wahnsinn kehrt wieder.

Pastor (nach einer ängstlichen Pause, in der der Förster an seinem Gesichte hing). Ich höre nichts. Das ist Ihr eigner schwerer Atem, den sie hören.

Förster (beginnt wieder zusammenzubrechen). Mein eigner schwerer Atem, den ich höre – (Er rafft sich zusammen, öffnet.) Meine Augen lügen. Wo sie nicht ist, da seh ich sie, und wo sie ist, da seh ich sie nicht. Herr Pastor, um Gottes willen sagen Sie: Dort liegt die Marie. (Er hat den Pastor krampfhaft beim Arm gepackt.)

Pastor. Ich sehe sie nicht. Das Bette da ist unberührt, die Fenster offen – die Frau Försterin –

Förster (stürzt in die Kammer). Weib! Weib! Unglückliches Weib!

Siebenter Auftritt

Försterin gespenstig; kann kaum gehn und sprechen, vom Förster mit Gewalt hereingerissen. Vorige.

Förster. Wo hast du mein Kind?

Andres. Mutter, was ist dir? (Er unterstützt sie auf der einen, der Pastor auf der andern Seite.)

Försterin. Andres! Doch einer!

Förster (schüttelt sie). Mein Kind! Mein Kind! Wo hast du mein Kind?

Försterin (mit Abscheu, aber schwach). Laß mich, du –

Förster. Meine Marie!

Försterin. Nach dem Heimlichen Grunde – du –

Förster. Rabe, du lügst!

Försterin. Zum Robert –

Förster. Ja, sie ist mir begegnet – im Nebel – wie ich kam –

Försterin. Das war der Wilhelm –

Förster. Die Marie war's, Weib, die Marie!

Pastor. Sie kann nicht mehr antworten. Sie ist ohnmächtig.

Stein. Macht sie von dem Rasenden los!

Förster. Du willst sagen, ich hätte mein Kind –

Andres. Mutter! Mutter! (Er und der Pastor um sie beschäftigt am Tische rechts.)

Stein (der unterdes den Förster von ihr abzuhalten sucht). Laß sie los, Wahnsinniger!

Förster. Wahnsinnig? Gott gebe, daß ich's bin!

(Es pocht; entsetzt tritt er einen Schritt zurück und streckt abwehrend die Hand gegen die Tür.)

Dummes Zeug! Was wollt ihr denn? Ihr alle da? Das ist ja die Marie. Sie steht draußen und traut sich nicht herein, weil sie in die Nacht hinausgelaufen ist. Sie hat das Herz nicht; ich bin streng – oh, ich bin streng. Dummes Mädel! (Er reißt sich selber auf.) Komme, was da will! (Er stürzt nach der Tür; eh' er sie erreicht, pocht es nochmals; er tritt wieder entsetzt und ohnmächtig zurück.) Das hitzige Fieber grassiert – weiter ist's nichts. Das sind die Vorboten; Zähneklappen und Frösteln am Rückgrat herab. Holundertee – 's ist um eine Nacht Schweiß oder zwei. – Was hat das Pochen mit dem Fieber? Warum macht niemand auf? Ruf doch eins »Herein«. Warum seid ihr alle so bleich und bringt die Zähne nicht voneinander? Hat eins Märchen erzählt und ihr graut euch? Meine Marie war ein lebendig Märchen – sie ist – sie ist, will ich sagen. Daß die Marie tot wär', das tut sie mir nicht zuleid. Sie weiß, daß ich nicht leben kann ohne meine Marie. Hört ihr sie kichern draußen? Nun wird sie hereinhüpfen und mir die Augen zuhalten, wie sie's macht, und ich darf ihr den Spaß nicht verderben. Oh, es ist (er will lachen und schluchzt) – ein (wie außer sich) – Einmal muß es doch – Herein! (Er wollte nach der Tür, sinkt aber mit zugehaltenen Augen in einen Stuhl links.)


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