Otto Ludwig
Der Erbförster
Otto Ludwig

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Sechster Auftritt

Weiler. Der Förster.

Weiler (grüßt schweigend; er ist sehr aufgeregt; er hängt die Flinte an den Riegel und macht sich mit dem Jagdzeug zu tun). Hm.

Förster (wird ihn gewahr). Er? (Fällt wieder in Gedanken.)

Weiler. Ich.

Förster. Wo kommt Ihr noch her?

Weiler. Aus dem Walde. – Am Staket hab ich Euern Wilhelm gesprochen. Also seid Ihr doch abgesetzt.

Förster. Weil's zweierlei Recht gibt.

Weiler. Und das habt Ihr nicht vorher gewußt?

Förster. Euern Lohn habt Ihr auf drei Monate voraus.

Weiler. Und könnt gehn; das weiß ich auch. Wo ist denn Euer Wilhelm? Ja so; ich bin ihm begegnet. Und Euer Andres?

Förster (halb abwesend). Nicht zu Haus.

Weiler. Aber Ihr wißt doch wohl, wo Euer Andres ist?

Förster (ungeduldig). Was wollt Ihr noch? Laßt mich in Ruh'.

Weiler. Meinetwegen. Mir kann's gleichviel sein.

Förster. Drum denk ich, Ihr geht.

Weiler. Also der Andres. Und Ihr wißt nicht, wo er ist?

Förster. Immer der Andres! Habt Ihr was, so seid nicht wie ein Gewitter, das stundenlang steht.

Weiler (zeigt nach dein Fenster). Da unten überm Lautenberge kommt eins herauf. Die Kibitze kreischten so ängstlich. Dacht's vorher. Es war zu schwül. – Ulrich, (kommt zu ihm) vor einer Stunde ist einer erschossen worden.

Förster. Ihr wißt, wer?

Weiler. Ihr wißt's nicht? Wenn Euer Andres zu Hause wär' –

Förster. Immer vom Andres! Ihr wißt was von ihm.

Weiler. Hm. Die Büchse – hört mal; hatt' Euer Andres die mit – die mit dem gelben Riemen?

Förster. Warum?

Weiler (wie in Gedanken). Ich kenne doch Eure Büchse –

Förster. Ihr wollt mich konfus machen?

Weiler. Ihr habt sie nicht zu Haus?

Förster. Ich antwort Euch nicht mehr. Hab ohnehin Wein getrunken.

Weiler. Gebt wohl acht, daß Ihr Euch nicht irrt.

Förster. Gebt wohl acht, daß ich Euch nicht am Kragen fasse.

Weiler. 's ist nicht zum Spaß –

Förster. Das sollt Ihr sehn.

Weiler. Aber ich weiß nichts, als was ich gehört hab und gesehen hab. Und setzt Euch. Mir ist's auch nicht wie lange stehn. Muß aussehn, mein ich, wie meine Tonpfeife da. (Der Förster am Tische rechts sitzend; Weiler hat sich einen Stuhl dicht zu ihm gerückt, erzählt hastig mit unheimlich gedämpfter Stimme.) Wie ich vorhin zum Feierabend von meinen Holzhauern weggeh, hör ich einen Schuß da, da nach dem Heimlichen Grunde zu. Ich denke, wenn Ihr's vielleicht wärt, und geh darauf zu. Aber es mußt's der Robert Stein gewesen sein. Der geht Euch da bei dem ersten Lautensteg hin und her wie eine Schildwache. Denk ich: Worauf muß denn der lauern? Auf ein Wildbret nicht; denn da läuft man nicht hin und her. Denk ich: Das mußt du absolvieren. Machst dich hinter die hohe Eiche. Da siehst du alles und wirst nicht gesehn. Aber ich bin Euch noch nicht dort, da wird ein Halloh hinter mir. Und was hör ich da? Euern Andres und den Robert im ärgsten Zank. Ich konnte nichts Ordentliches verstehn; aber man hörte, daß sie auf Tod und Leben hintereinander waren. Ich will mich eben näher schleichen; da kommen sie schon gerannt. Der eine drüben auf dem Felsenweg über dem Bach, der andere hüben. Der hüben, das war der Robert, die Flinte am Backen. Zwei Schritt' von mir bleibt er stehn. »Steh! oder ich schieß dich nieder!« Auf dem Felsenweg kann niemand ausweichen. Da heißt's: Mensch, wehr dich deines Lebens! Und nun piff paff – zwei Schüsse hintereinander. Dem auf dem Felsen seiner pfiff zwischen dem Robert und mir in die Büsche hinein. Aber dem Robert seiner – Ulrich; ich hab manchen Schuß gehört, aber so keinen, so – man konnt's dem Blei anhören, es witterte Menschenleben. Ich weiß nicht, wie mir's war, wie der drüben zusammenbrach wie ein getroffener Hirsch –

Förster. Der Andres?

Weiler. Wer soll's sonst gewesen sein? Was? Ist er denn zu Haus etwa? Wißt Ihr etwa, wo er sonst ist? Und der Getroffene hatte die Flinte mit dem gelben Riemen. Die hielt er fest; der Riemen leuchtete ordentlich wie ein Notzeichen durch die Dämmerung. Das klang schauerlich, wie das Eisenzeug an der Flinte über die Klippen herunterklapperte und die Leiche nach durch die Büsche knickte und schleifte – bis der Bach unten aufklatscht', als führ' er vor Schrecken zusammen. Und wie's nun so kurios still wurde darauf, als müßt' es sich selber erst besinnen, was doch passiert wär'; da war's, als jagte mich einer. Ich müßte schon eine halbe Stunde da sein, wenn ich mich nicht verlaufen hätte. Ich, der jeden Baum kennt daherum. Da könnt Ihr Euch nun denken, wie mir's war. Erst am zweiten Lautensteg da nach Haslau zu hatt' ich das Herz, einen Augenblick zu verschnaufen. Dort wo der Bach in Felsstücken spektakelt. Ich seh zufällig hinunter. Da hantiert der Bach mit einem bunten Lumpen. Da ist's. Kennt Ihr's vielleicht? (Bringt Andres' Tuch zum Vorschein und hält's ihm vor die Augen; der Förster reißt's ihm aus der Hand.)

Förster. Lauter Gestalten vor meinen Augen – der Wein – (Er hält's bald ferner, bald näher, ohne es sehn zu können.)

Weiler (kleine Pause). Ihr seid so still. Fehlt Euch was?

(Der Förster stößt einen einzigen lauten Atem aus und hält das Tuch immer noch mechanisch vor sich hin, ohne es zu sehn.)

Euer Gesicht ist ganz verzerrt. Will Eure Frau rufen.

Förster (eine Bewegung, als schöb' er mit äußerster Anstrengung eine Last von sich). Laßt nur; 'n bißchen Schwindel. Hab heuer noch nicht zu Ader gelassen; der Wein dazu – 's geht schon vorüber – Sagt niemand was davon – (Erhebt sich mühsam.)

Weiler. So sind die doch richtig zusammengeraten, der Andres und der Robert. Aber was wollt Ihr denn nun tun? Als ein abgesetzter Mann? Wenn der sagt: Ich hab den Wildschütz angerufen; er hat das Gewehr nicht weggeworfen? Ihr wißt's am besten, dann darf der Jäger draufbrennen. Er braucht nicht einmal zu rufen; wenn er nur richtig trifft, so hat er auch recht. Und wer nun vollends wie Euer Andres zwei Stock tief vom Felsen ins Wasser gefallen ist, dem steht die Zunge still ohne Pulver und Blei. Ihr kennt ja das Recht, wie es heutzutage ist! Und Euch werden sie obendrein noch einstecken wegen Widersetzlichkeit. Ihr dauert mich. Ich möchte nicht Ihr sein. Was?

Förster. Das Wetter ist schon über dem Lautenberg, hört Ihr? Wenn Ihr lang macht, erwischt Euch der Regen.

Weiler. Es blitzte schon vorhin. Wie ich die Lärchenhöhe herkam, macht' es die ganze Gegend hell. Da sah ich, der Robert geht noch immer hin und her bei den Weiden unten.

(Förster geht nach der Tür, damit Weiler sehn soll, er wartet auf dessen Gehn.)

Wollt Ihr nochmal zum Advokaten gehn? Ja, wenn Ihr ein Staatsdiener wärt. Aber was wollt Ihr sonst?

Förster. Nichts.

Weiler. Wer's glaubt –

Förster. Narr, der Ihr seid; zu Bette gehen.

Weiler. Ist noch gar nicht so weit.

Förster. Die Tür zumachen und die Laden.

Weiler (da er nicht anders kann; zögernd). Nun so schlaft wohl, Ulrich – wenn Ihr könnt. (Ab; der Förster hinter ihm.)

Siebenter Auftritt

Försterin allein, dann Förster und Wilhelm. Die Försterin geht ab und zu.

Försterin (aus Mariens Kammer). Nun kann sie sein, wo die Weiden anfangen. (Am Fenster.) Er macht die Laden herum. Ich muß der Marie ihren zum Schein schließen, damit sie hereinsteigen kann, wenn sie zurückkommt. Der Andres noch immer nicht da! Wird mir doch auf einmal, als hätt' ich die Marie nicht fortlassen sollen.

(Der Förster mit Wilhelm eintretend. Die Försterin geht wieder in die Kammer.)

Wilhelm (im Eintreten). Vater, Kramers Lore kam ans Staket, der Stein wäre außer sich; man hätte Schüsse im Walde gehört – der Robert fehlte und der Stein hätte den Möller in die Stadt geschickt; der sollte Soldaten holen. Die ganze Mörderbande im Jägerhaus sollten sie gefangen nehmen, hat er gesagt. Der Möller wär' eben im Karriere vor Kramers vorbeigesprengt. Vor Eins könnten sie da sein.

Förster (indem die Försterin aus Mariens Türe tritt). Was hast du noch draußen? (Sieht sich um.)

Wilhelm. Im Garten, Vater. Mutter, in der Laube war nichts.

Försterin (bleibt an der Türe). So muß es doch hereingekommen sein. (Zum Förster.) Suchst du was?

Förster. Ich? Nein. Ja, die Büchse mit dem gelben Riemen. Wo die herumstehen muß? Vielleicht in der Marie ihrer –

Försterin (unwillkürlich die Türe deckend, rasch). In der Marie ihrer Kammer ist keine Flinte.

Wilhelm. Die hat doch der Andres mit, wie er mich begleiten ging.

Förster. Gut. (Zeigt das Tuch.) Hab ich da ein fremdes Tuch in der Tasche; ist's dein, Wilhelm?

Försterin. Das rot und gelbe Tuch? Das gehört dem Andres.

Förster. Er hat's gestern liegen lassen, und ich hab's in Gedanken eingesteckt.

Försterin. Gestern? Heut erst, eh' ihr gingt, hab ich's ihm gegeben.

Förster. Hast du's ihm – gut.

Försterin (kommt näher). Ja! Ja! das ist Andres' Tuch. (Sie betrachtet's.) Hier ist's gezeichnet.

Förster (will's ihr nehmen). Gib her.

Försterin. Es ist naß. – Und was ist das für Blut da an dem Tuch?

Förster. Blut? (Bezwingt sich.) Von meiner Hand. Ich hab mich da am Flintenschloß gerissen. Geh nur!

(Försterin beschäftigt sich auf der andern Seite der Bühne.)

Wilhelm, komm her. Lies einmal da, da in der Bibel, von da an, wo das Zeichen liegt.

Wilhelm. Mitten im Kapitel?

Förster. Vom Zeichen da. Vorwärts! (Holt seinen Hut.)

Wilhelm (liest). »Welcher des Herrn Namen lästert, der soll –«

Förster. Das ist's nicht. (Hängt die Flinte um.)

Wilhelm. »Wer irgendeinen Menschen erschlägt« – ist's das?

Förster (ergriffen, tritt einen Schritt näher). Nein – aber lies nur. (Er steht bei Wilhelm; während des Folgenden nimmt er unwillkürlich den Hut ab und faltet die Hände darüber.)

Wilhelm. »Wer irgendeinen Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben. Wer aber ein Vieh erschlägt, der soll's bezahlen Leib um Leib. Und wer seinen Nächsten verletzet, dem soll man tun, wie er getan hat. Schade um Schade, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wie er einem Menschen getan hat, so soll man ihm wieder tun. Also daß wer ein Vieh erschlägt, der soll's bezahlen. Wer aber einen Menschen erschlägt, der soll sterben.«

Förster. Der soll sterben.

Wilhelm. »Es soll ein Recht sein unter euch, den Fremden und den Einheimischen, denn ich bin der Herr, euer Gott.«

Förster. Amen. (Setzt den Hut auf, will gehn; wendet sich.) Wann könnten die da sein, Wilhelm?

Wilhelm. Die Soldaten?

Förster. Vor –

Wilhelm. Vor Eins.

Förster. Noch Zeit genug.

Wilhelm. Wozu, Vater?

Förster. Zum – Ausschlafen.

Wilhelm. Vater, wie siehst du mich nur an?

Förster. Zu Bett, Wilhelm! (Da die Försterin eintritt.) Gib der Mutter die Hand.

Försterin (überrascht). Willst du noch fort, Christian?

Förster. Ja.

Försterin. Hat der Weiler vielleicht den Hirsch wieder gespürt?

Förster. Ja. Kann sein.

Försterin. Wie du aussiehst! Man könnte sich fürchten vor dir, wenn man nicht wüßte, wie's wird, wenn du Wein getrunken hast.

Förster. Drum will ich ins Freie.

Försterin. Dann siehst du alles anders, wie's ist. Du kannst in die Schlucht stürzen.

Förster. Dann schneidst du das Blatt dort aus der Bibel und legst mir's mit in den Sarg.

Försterin. Was das für Reden sind!

Förster. Zu Bett, Wilhelm. (Wilhelm ab.) Bete oder bete nicht –

Försterin. Was ist mit dir, Christian? Warum wird mir so angst? Bleib, um Gottes willen bleib! Dein Geschäft wird ja noch Zeit haben!

Förster. Nein; es muß heute noch getan sein. (Er geht.)

Försterin (will ihm nach). Ulrich –

Förster (in der Tür sich wendend, leise vor sich hin). Aug' um Auge – Zahn um Zahn. (Ab.)

Försterin (vor dem Schein des Wetterleuchtens zurückweichend, der durch die geöffnete Tür dringt). Gott sei uns gnädig! (In der Tür.) Ulrich! (Draußen verklingend.) Ulrich!

(Vorhang fällt.)

(Ende des vierten Aufzugs.)


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